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Unter Pappeln, Folge 97 94

gerade, sie wird bei vielen in Ehren gehalten. Und dennoch haben sie den Neubau rasch als ihr neues Wohnzimmer akzeptiert und ihren Stammplatz im neuen Umfeld gefunden. Sie sind nun näher dran am Spiel, da die Gegengerade in Richtung Spielfeld verlegt wurde und der Oberrang bietet eine perfekte Übersicht über das Geschehen auf dem Rasen. Ganz zu schweigen von richtigen sanitären Anlagen und dem verbesserten Catering-Angebot.

Ziemlich neu und herrlich uneinheitlich

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Und wer selbst damit noch irgendwie fremdeln sollte, dem sei gesagt, dass das Bölle im Laufe seiner Geschichte nie in Stein gemeißelt war. Es erlebte in seiner inzwischen 101-jährigen Existenz so manche bauliche Korrektur. Die Haupttribüne veränderte ihr Aussehen ebenso wie die Gegengerade, die im Zuge der Bundesligaaufstiege massiv aufgestockt wurde. Hinzu kamen Anfang der 1980er-Jahre die über die Jahre lieb gewonnenen Flutlichtmasten, die damals auf Maßgabe des DFB anzuschaffen waren. Die Haupttribüne, sie war ehedem aus Holz, bevor sie ihr späteres Aussehen mit reichlich Beton und Wellblech erhielt. Das Oval, okay, das gibt es tatsächlich nicht mehr. Seit die mobilen Hintertortribünen im Rahmen des letzten Bundesligaabenteuers angeschafft wurden, ist aus dem Bölle ein Viereck geworden. Mit der ebenfalls ans Spielfeld herangerückten Haupttribüne wird es ein symmetrisches. Das Bölle ist also dabei, eine richtig tolle Bude zu werden. Durch die Dächer – Aficionados der alten Gegengerade jetzt bitte ganz stark sein – wird das Stadion zugleich stimmungsvoller. Das zeigen die Erfahrungen mit den bereits stehenden Tribünen. Die offenen Ecken stehen zugleich in der Tradition klassischer englischer Stadien. Damit sticht das Bölle heraus unter den – zumindest am TV – oft austauschbar erscheinenden Arenen dieser Republik. Und wem das Stadion an der Nieder-Ramstädter Straße dennoch zu geleckt erscheint und zu wenig rough, der soll nur mal seinen Blick über das Bölle schweifen lassen. Es wirkt doch herrlich uneinheitlich. Die geduckten Hintertortribünen nehmen sich im Vergleich zur Haupt- und zur Gegengerade geradezu winzig aus. Und auch die beiden Geraden gleichen sich nun wirklich nicht wie ein Ei dem anderen.

Ein Stadion für und in der Stadt

Wir dürfen gespannt sein, wie sich das erste Heimspiel vor vollem Haus am neuen Bölle anfühlt und wie es sich vor allem anhört. Ich persönlich bin heilfroh, dass es diesen Ground nach wie vor gibt. Denn zwischenzeitlich standen die Zeichen doch sehr auf Abschied. Gott sei Dank blieb uns der Umzug an einen der alternativen Standorte erspart. Das Bölle ist und bleibt das Bölle. Seit nunmehr 121 Jahren. Und das will was heißen, in einer Zeit, in der sich Fußballstadien eher in Gewerbegebieten oder an Autobahnausfahrten wiederfinden, nur eben nicht dort, wo der Fußball ehedem groß geworden ist: in den Städten. Im Falle Darmstadts heißt es glücklicherweise: Der Ball rollt weiterhin am Böllenfalltor an der Nieder-Ramstädter Straße. Und das ist verdammt noch mal gut so! ❉

Matthias und der Kickschuh

— Seit Ende 2011 schreibt Kickschuh-Blogger Matthias Kneifl über den Fußball im Allgemeinen und die Lilien im Besonderen. Der Historiker und Redakteur steckt auch hinter dem Taschenbuch „111 Gründe, den SV Darmstadt 98“ zu lieben, das im Frühjahr 2019 in einer erweiterten Neuauflage erschienen ist. Zudem babbelt er noch beim Lilien-Podcast „Hoch & weit“ mit. Genau der richtige Mann also für unsere Rubrik „Unter Pappeln“! kickschuh.blog

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