ÖHV-Mitgliederzeitschrift "die lobby" Frühjahr 2019

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DYNAMIC PRICING

Flüssige Welten, flüssige Preise

Zukunftsforscher Andreas Reiter über die In-Wert-Setzung von Erlebnissen und neue Preismodelle.

Na endlich! 10 Euro für den Eintritt auf dem Markusplatz in Venedig… Mit variabel gestalteten Preisen für Tagesbesucher (von 3–10 Euro je nach Frequenz und Jahreszeit) will Venedig ab Mai 2019 die überbordenden Touristenmassen in der Stadt steuern. Auch wenn dieses Ticketing viele Besucher verärgern wird – ein situatives Lenkungsinstrument über den Preis ist längst überfällig – und das nicht nur, um den Overtourism zu bekämpfen. Ich habe schon vor Jahren eine Zunahme dynamischer Preismodelle in Handel, Gastronomie und Tou­ rismus prognostiziert – diese können schließlich für beide Seiten – Anbieter wie Nachfrager – attraktive Vorteile eröffnen. Was Airlines und Hotels inzwischen mehr oder weniger ausgefeilt betreiben, schwappt allmählich auch auf andere Branchen über. Revenue Management im Alltagskonsum. Ein Tagesskipass bei herrlichem Schönwetter, und noch dazu am Wochen­ ende? Ja, aber dann wird man einen Zuschlag bezahlen müssen. Umgekehrt sinkt bei Schlechtwetter und Nebellage der Preis für den Kunden. Anbieter können so ihre Auslastung besser steuern, smarte Kunden situativ günstiger fahren. Noch sind solche Dynamic Pricing-Modelle erst in einigen großen Skigebieten (vor allem in der Schweiz) umgesetzt, doch ein smartes Konsumverhalten und eben solche Tech­ nologien sprechen für eine breitere Durchsetzung.

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Flexible Preismodelle müssen jedoch weit über das alte Spiel von „Begehrlichkeit schaffen durch Verknappung“ hinausgehen. Ein Produkt allein über den Preis zu verkaufen, wäre das Ende einer nachhaltigen Positionierung. Eine Marke darf sich nicht in einen Preiswettkampf begeben, kann sich aber sehr wohl über die In-Wert-Setzung unterschiedlicher Erlebnisse über unterschiedliche Preise verkaufen. Wir haben es schließlich mit einer neuen ErlebnisArchitektur zu tun, einem kulturellen Wertewandel, der letztlich tief in die Verhaltensökonomie eingreift. Zum einen passen starre Konstrukte generell nicht mehr zu den flüssigen Lebensstilen unserer digitalen Moderne, die Flexibilisierung von (privaten wie beruflichen) Biografien, von Arbeitszeit/-ort ist ebenso selbstverständlich wie ein 24/7-Konsum, individuelle Lösungen haben standardisierte Verfahren ersetzt. Unsere hyper-dynamische Gesellschaft ist in


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