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Terminüberschreitung
Terminüberschreitung / Zeitliche Übertragung
In den letzten 10 Jahren hat sich die Zahl der Geburtseinleitungen in Deutschland verdoppelt, mittlerweile wird jede 5. Geburt eingeleitet. Trotzdem hat sich seit den 60er Jahren die Mortalität und Morbidität nicht verändert!
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Was brauchen wir? GEDULD! Sorgfalt und Kompetenz
Wer hat Ungeduld? • Schwangere • Umgebung • niedergelassene Ärzt*innen • Geburtseinrichtung • Forensik
Um das Thema Einleitung besser zu verstehen, müssen wir etwas ausholen:
Am Anfang der Schwangerschaft möchte jede Frau den ET = errechneten Termin gerne wissen. Wann kommt das Baby? Aber: Es gibt keine mathematische Methode, diesen Tag vorherzusagen!
Beispiel: Ein Baum hängt voller Äpfel. Wir markieren einen davon und wollen ganz genau wissen, wann dieser Apfel vom Baum fällt... oder: wir alle werden einmal sterben. Aufgrund der derzeitigen Lebenserwartung/ unserer Lebensgewohnheiten wollen wir ein errechnetes Sterbedatum in unseren Pass eintragen... Bei diesen beiden Beispielen ist jedem klar, dass das nicht geht.
Für das Annähern an einen Termin, an dem 50 % der Kinder schon geboren sind, und die anderen 50 % der Kinder nach diesem Termin zur Welt kommen, brauchen wir am Anfang der Schwangerschaft eine gute Anamnese zur Bestimmung des Befruchtungstermins (Konzeption):
• wie lang war der Zyklus? Regelmäßig gleichlang? Wann war der 1. Tag der letzten Periode? • Sexualanamnese: Wann hat zu dem möglichen Eisprung Geschlechtsverkehr stattgefunden? • Früher Ultraschall Schädel-Steiß Länge (SSL) bis zur 10. SSW und der Biparietale Durchmesser (BPD) von 10. bis 20. SSW kann zur Berechnung benutzt werden, da alle Kinder zu diesem Zeitpunkt gleich groß sind. → Neue Leitlinie (2020): Terminkorrektur erst bei einer Diskrepanz von >7 Tagen
Mit Hilfe des Konzeptionstermins wird der voraussichtliche Geburtstermin rechnerisch ermittelt.
1812 hat Herr Naegele 280 Tage als Dauer der Schwangerschaft angegeben. Seit einer Studie von 1990 ist bekannt, dass die Tragzeit 282 bis 283 Tage dauert.
Schwankende Variable: → 1-2 Tage Zeit zwischen Ovulation und Konzeption → 7 Tage abweichende Zykluslänge → 2-3 Wochen für individuelle Schwangerschaftsdauer
SSW
38+0 40+0 42+0 5 Kinder 50 Kinder 95 Kinder sind zu dem Zeitpunkt geboren
Das heißt: 90 von 100 Kindern werden im Zeitraum von 38+0 bis 42+0 SSW geboren. → Wir sprechen nur von einer Terminüberschreitung ab 40+0 SSW, eine zeitliche Übertragung beginnt erst ab 42+0 SSW!
Noch ein Beispiel zum Verständnis: Surrogat Marker am Beispiel eines Handys. Ich möchte wissen, wieviel Betriebszeit mir noch zur Verfügung stehen: Richtig: … Ladezustand des Akkus Falsch: …. Zeit seit der letzten Aufladung → Die Plazenta ist der „Akku“ des Kindes und entlädt nicht bei allen gleich!
Einen Surrogat Marker für eine effektive Differentialdiagnostik muss immer in der Dynamik, d.h. im Verlauf gesehen werden:
1. Fruchtwassermenge
Neue Leitlinie (2020): SDP Methode = tiefstes Depot < 2 cm = Oligohydramnion <37+0 SSW nicht nur wegen Oligohydramnion einleiten ab 37+0 keine routinemäßige Einleitung 2. Kindsbewegungen (Kick-Chart Modell 5x/h oder 10x/12h) 3. Beziehung vom Kopf zum unteren Uterinsegment (unterster Teil der Gebärmutter) 4. Motive für unbewusste Blockade 5. Doppler (sehr kontrovers diskutiert)
Verlauf und derzeitige Empfehlung ab 40+0 nach S1 Leitlinie (Handlungsempfehlung) NICE
40+0 FW Menge, Herzaktivität, (CTG (physiologische Schwangerschaft = das 1. CTG)), Biometrie NICE: kein CTG 40+3 CTG (FW) 40+6 CTG (FW) 41+0 CTG, Einleitung kann angeboten werden → auf jeden Fall bei Raucherinnen, Adipositas >30BMI, Alter >35 Jahre 41+1 FW und CTG 41+3 FW und CTG, Einleitung sollte empfohlen werden 41+5 FW und CTG 42+0 Einleitung dringend empfohlen
Alle Studien zur mütterlichen und kindlichen Risikoabschätzung in der Übertragung sind nicht gut verwertbar, da alle eine unterschiedliche Art benutzt haben, den ET zu bestimmen. Die Mortalität und Morbidität reifer Kinder hat sich in den letzten Jahren in Deutschland im Zusammenhang mit steigenden Einleitungsraten nicht verringert. Der ET ist keine genaue Bestimmung, daher ist eine Diagnose nicht möglich.
Zeichen der Übertragung
• stagnierender oder abnehmender Leibesumfang • abnehmende Plazentafunktion • abnehmende Kindsbewegungen • Oligohydramnion • Makrosomie
Risiken bei einer echten Übertragung
• Geburtsstillstand • Kaiserschnitt • Verletzungen • Schmerzmittel • Nachgeburtliche Blutungen • Wochenbettfieber • Plazentainsuffizienz • Schulterdystokie • Verletzungen Kind • Hypoglykämie • Asphyxie • Infektionen und Sepsis
Indikation zur Geburtseinleitung
Heutzutage wird jede 4. Geburt eingeleitet!
Normalerweise bewirkt die endokrine Selbstregulation, daß das Kind rechtzeitig geboren wird. Muss das Kind dennoch dringend geboren werden, aus welchen Gründen auch immer und das System springt nicht an, steht die Entscheidung zur künstlichen Einleitung der Geburt an. Das setzt immer die Abwägung voraus:
• Was sind möglichen Gefahren und Nachteile bei Fortbestehen der
Schwangerschaft ? • Was sind mögliche Risiken der Einleitung?
Ein bestimmtes Schwangerschaftsalter ist prinzipiell keine Indikation. Der Grundsatz gilt in gleicher Weise für alle alternativen Methoden.
(Artikel:2021/10 Geduld oder Ungeduld? S.Hildebrandt/A. Wilkening)
Gefahren durch Einleitung
• Überstimulation, höhere Schmerzintensität • kindliche Asphyxie • sekundäre Wehenschwäche = mehr Oyxtocingaben • postpartale Atonie • bei Z.n. Kaiserschnitt nur 55-65 % Erfolg, dagegen 2,5 % höheres Risiko
Uterusruptur und höheres Re-Sectio Risiko • Hebammenerfahrung: Kinder brauchen länger bis sie gut angekommen sind
Rechtliche Aspekte
• jede Einleitung gilt als Risikogeburt • viel mehr CTG • nur stationär • genaue Dokumentation und Aufklärung
Zur Vermeidung von langen Latenzphasen und zur Unterstützung der Eröffnungsphase kann ab 35+0 geburtsvorbereitende Akupunktur, zuckerfreie Ernährung, Brustmassage und Brustschütteln (hierdurch auch Kolostrumsteigerung und Vit K Anstieg in der Milch) empfohlen werden.
Methoden der Einleitung
Die folgenden Optionen der Einflussnahme sind nicht evidenzbasiert und können den Geburtsbeginn nur dann fördern, wenn die Frau sie wirklich gerne ausprobieren möchte und sich damit wohlfühlt.
In dem Zusammenhang sollte sowohl auf ergebnisoffene Pro/Contra Beratung, als auch eine gute Dokumentation geachtet werden.
1. Brustwarzenstimulation, kuscheln (Oxytocinförderung) 2. Akupunktur: es gibt keine Studien, es wird nur begleitend und unterstützend empfohlen 3. Nelkenöltampon: leichter Erfolg 4. Geschlechtsverkehr 5. Homöopathie (z.B. Caulophyllum)
Die Methoden 1-5 sind laut Leitlinie nicht empfohlen und sollen nur bei Studien zum Einsatz kommen.
6. Eipollösung: kann angeboten werden, leichter Erfolg 7. Rizinus: nicht ambulant verabreichen, oft rasche Verläufe, path. CTG, nur im
Rahmen von Studien empfohlen 8. Amniotomie: soll nicht als einzige Einleitungsmethode angeboten werden und nur bei reifem Befund und MM Eröffnung 9. Cook-Ballon-Katheter: gut bei unreifem Befund, weniger Überstimulation Ballonkatheter + Prostaglandine bei 1.Grav und unreifem Befund
Ballonkatheter + Prostaglandine oder Oyxtocingabe = kürzere Geburt
10. Prostaglandine (Gel, Zäpfchen, Tabletten): Bishop-Score >=4
Vaginal E2 auch bei Unreife geeignet, sollte intrazervikal vorgezogen werden
Misoprostol = Off Label Use soll aufgeklärt werden, wirksamste Methode bei unreifer Zervix, sollte oral erfolgen, 25μg gilt bei vaginal als sicher, 50μg gilt bei oral als sicher, keine Erstgaben > 50μg oder Einzelgaben >100μg, die
Nebenwirkung Überstimulation gilt als nicht gefährlich 11. Oxytocin: Gefahr von Blutung, Herzprobleme, weniger eigenes Oxytocin = schlechtere Bindung 12. Dilapan (Quellstäbchen) 13. Zervixdilatoren können bei unreifem Befund eingesetzt werden
Nr. 7 bis 13 können nur stationär im KH durchgeführt werden. Es ist anstrengend und z.T. langwierig. Nicht jede Frau bekommt Wehen durch die Einleitung. Oft müssen mehrere Methoden hintereinander durchgeführt werden und es kann viele Tage dauern, bis regelmäßige und geburtswirksame Wehen entstehen. Dies führt oft zur Erschöpfung der Frau.
Durch eine Einleitung ist das Risiko einen Kaiserschnitt zu erhalten nicht größer als ohne Einleitung. Aber die Interventionsrate steigt, dadurch entsteht evtl. doch ein höheres Risiko.
Von allen Frauen, die 41+0 noch schwanger sind, haben 60 % bis 41+3 und 90 % bis 42+0 eigene Wehen entwickelt. (Gardosi et al. 2013) D.h. bei 90 % der Frauen, die ET +7 sind, wäre keine Einleitung nötig gewesen.
→ Die aktuelle Leitlinie zur Terminüberschreitung bzw. Übertragung wird immer noch überarbeitet!
Einleitungsgründe aus neuer Leitlinie (AWMF 015-088 S2k Dezember 2020)
GDM
<38+0 auch bei schlecht eingestelltem BZ keine Indikation <39+0 Einleitung erhöht neonatale Morbidität und Verlegung und soll vermieden werden ab 40+0 Einleitung bei iGDM soll angeboten werde, dGDM ist keine Indikation zur Einleitung
Polyhydramnion
keine routinemäßige Einleitung
SGA
Verweis auf andere Leitlinie
Cholestase
ab 38+0 soll empfohlen werden einzuleiten ab 37+0 sollte/könnte auch empfohlen werden einzuleiten Gallensäure >100μmol/l kann von 34+0 bis 36+6 Einleitung empfohlen werden
Präeklampsie
ab 34+0 soll nach Abwägen der maternalen und neonatalen Risiken ELV empfohlen werden ab 37+0 soll ELV empfohlen werden
Hypertonie
Schwangerschaftsbedingt: sollte ab 37+0 empfohlen werden Chronisch: sollte ab 38+0 empfohlen werden
Makrosomie
> 95. Perzentile sollte ab 39+0 Einleitung angeboten werden
Wunsch
nicht vor 39+0
Gemini
kann ab 37+0 sollte ab 38+0 Monochorial kann ab 36+0, sollte ab 37+0