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Streptokokken

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Anamnese

Anamnese

Screening auf B-Streptokokken

Eine sehr seltene, aber wegen ihres schwer beherrschbaren Verlaufes gefürchtete kindliche Komplikation in den ersten 48 Stunden nach der Geburt ist die Neugeborenen-Sepsis. Auf der Suche nach der Ursache dieser schweren Erkrankung fiel auf, dass in der Scheide der Mütter regelmäßig ein bestimmtes Bakterium – so genannte B-Streptokokken – nachweisbar war. So entstand die Hypothese, dass das Kind während der Geburt die Bakterien aufliest und diese dann die Infektion auslösen. Diese Hypothese ist inzwischen weitgehend widerlegt.

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Diese Hypothese konnte in der Fachwelt 2 Fragen nicht erklären: • Jede 5. Frau (20 % aller Schwangeren) hat B-Streptokokken, demnach müsste die Erkrankung viel häufiger bei Neugeborenen auftreten. Sie ist aber extrem selten! • Der Zeitabstand zwischen dem Kontakt mit dem Bakterium, während das Kind durch die Scheide geboren wird, und dem Auftreten schwerster Infektionen (Lungenentzündung/Meningitis) beim Neugeborenen ist viel zu kurz.

Trotz aller Zweifel hat sich die Hypothese bis heute in der Fachwelt behauptet. Als Abwehrstrategie wird betroffenen Frauen eine Antibiotikum-Gabe während der Geburt empfohlen, um die Scheide von den B- Streptokokken „zu reinigen“ und zu verhindern, dass das Kind mit diesem Bakterium in Kontakt kommt. Tatsächlich konnten wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass eine Antibiotikum-Gabe während der Geburt das Infektionsrisiko senkt. Jedoch wurde auch erkannt, dass die Antibiose eher leichter verlaufende aufsteigende Infektionen bekämpft, weniger jedoch die Neugeborenen-Sepsis mit dem beschriebenen akuten Verlaufstyp.

Dennoch gibt es nach wie vor Leitlinien, die entgegen der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse an der veralteten Hypothese festhalten. Diese Leitlinien empfehlen jeder Schwangeren: • Einen Abstrich vom Scheideneingang und vom Anus in der 35.-37. SSW • Eine Antibiose während der Geburt bei positivem Befund • Eine intensive Überwachung des Kindes bis 48 Stunden nach der Geburt bei positivem oder unbekanntem Befund.

Neuere Ergebnisse von Untersuchungen stellen diese Leitlinie in Frage und verweisen auf ein anderes Erklärungsmuster für die Neugeborenen-Sepsis.

Die heutige Wissenschaft geht davon aus, dass es schon in der Schwangerschaft, und besonders während der Geburt zu einer „Be-Impfung“ des Kindes mit den relevanten Keimen seiner künftigen Umgebung kommt.

Diese „Be-Impfung“ läuft in 3 Stufen ab und ist für das Immunsystem äußerst wichtig.

1.Stufe: Von der mütterlichen Mundhöhle und des Darmes transportieren mütterliche Immunzellen Keime zur Plazenta und damit zum Kind. 2. Stufe: Kontakt mit den Vaginal-Keimen bei der Geburt 3. Stufe: „Be-Impfung“ des Kindes durch Muttermilch mit bestimmten Keimen

Das kindliche Immunsystem toleriert diese „fremden“ Bakterien und baut sie in sein Mikrobiom (=Gesamtheit aller Mikroorganismen, die den menschlichen Körper besiedeln) ein. Diese Leistung wird von bestimmten Botenstoffen gesteuert. Fehlen diese Botenstoffe – z.B. wegen eines kindlichen Enzymdefekts – gelingt das Einbauen des Bakteriums nicht und die „Be-Impfung“ mit den mütterlichen Bakterien wird abgewehrt.

Wahrscheinlich würde das für das Kind keine Nachteile bringen. Das Problem besteht jedoch in der Ähnlichkeit bestimmter Streptokokken-Arten mit Geweben des menschlichen Körpers. Man vermutet, dass sich das Immunsystem des Kindes bei der (fehlerhaften) Abwehr der „be-impften“ Bakterien deshalb – aus Versehen – gegen kindliches Gewebe richtet (insbesondere der Lunge – wie bei den B-Streptokokken). Das ist nachgewiesen worden bei einigen Unterarten der B-Streptokokken.

Noch handelt es sich bei dieser Annahme um eine Hypothese, die nicht vollständig gesichert ist. Dennoch würde es erklären, warum das Vorhandensein von B-Streptokokken bei den meisten Kindern kein Problem darstellt, bei extrem wenigen jedoch – bei denen die Botenstoffe fehlen, was allerdings vor der Geburt nicht nachweisbar ist – zur Erkrankung führt.

Eine Antibiose verändert – nach den neuesten Forschungsergebnissen – das vaginale Mikrobiom und stört damit die 2. „Be-Impfungs“-Stufe während der Geburt.

Diese „Be-Impfung“ scheint für die Reifung des Immunsystems elementar wichtig zu sein. Weitere Forschungen verweisen auf einen möglichen Zusammenhang einer gestörten „Be-Impfung“ zu späteren Immunerkrankungen – z.B. Diabetes oder Asthma.

Auch aus diesem Grund werden die Empfehlungen der Leitlinie von der Fachwelt zunehmend kritisch gesehen.

Wie kann ich als Schwangere vorgehen?

Sie – als Schwangere – stehen leider zwischen den Fronten eines wissenschaftlichen Meinungsstreites.

A – Vorgehen nach Leitlinie

(= eine empfohlene Handlungsanweisung ohne bindenden Charakter)

Sie müssen entscheiden, ob Sie der Leitlinie folgen wollen. Dies würde bedeuten: 1. Abstrich Vulva/Anus etwa in der 35.-37. SSW 2. Bei positivem Befund: Antibiotika-Gabe bei der Geburt 3. Bei positivem Befund: Überwachung des Kindes 48 Stunden nach der Geburt durch Fachpersonal, d.h. eine ambulante Geburt wäre nicht möglich.

Zu beachten wäre: → Abstrich ist eine IGe-Leistung

• Kosten ca. 30-50,-€ (je nach Labor und Praxis) • Krankenkasse befragen, ob und in wie weit die Kosten übernommen werden (Bezuschussung, Verrechnung mit Gesundheitskonto etc.) • Entspricht nicht den „ärztlichen Mutterschaftsrichtlinien„ (= einheitlicher Mindest-Standard der Untersuchungen, die im Laufe der

Schwangerschaft zu erfolgen haben lt. Richtlinien des Bundesausschusses der

Ärzte und Krankenkassen)

Aus meiner Sicht spricht für die Befolgung der Leitlinie: • Im Falle einer Verschlechterung des kindlichen Zustands nach der Geburt wäre der Befund bekannt, was ggf. zu einem schnellerem Therapie-Beginn führen könnte. • Ihr Verhalten entspricht der aktuellen Leitlinie (das bedeutet: erspart die

Diskussionen in der Geburtseinrichtung)

Aus meiner Sicht spricht gegen die Befolgung der Leitlinie: → Ein positiver Befund a) führt zur Empfehlung einer Antibiotika-Gabe bei der Geburt, die mit größter

Wahrscheinlichkeit eine Über-Therapie bedeutet und möglicherweise Nachteile für die Entwicklung des kindlichen Immunsystems bringen könnte. b) tritt mit einer Wahrscheinlichkeit von 20 % auf und ist in den meisten Fällen bedeutungslos. c) könnte Sie beunruhigen. d) Ein positiver Abstrich bedeutet für alle folgenden Schwangerschaften – ohne dass ein erneuter Abstrich erfolgen muss – dass Sie B-Streptokokken-Trägerin sind, d.h. einmal positiv – immer positiv

B – Eine Alternative wäre folgendes Vorgehen

(im ersten Schritt entgegen der Leitlinie)

1. Verzicht auf den Abstrich 2. Verzicht auf die Antibiose 3. Bis 48 Stunden nach der Geburt regelmäßige Beobachtung des Kindes • (laut Leitlinie ) durch Fachpersonal • durch Sie – als Eltern -, die ausführlich von mir über die Warnzeichen informiert werden.

Aus meiner Sicht spricht für das Vorgehen nach der Alternative: • Vermeidung einer Antibiose während der Geburt → Laut Leitlinie gelten Sie als „nicht besiedelt“:

In den meisten Geburtskliniken wird man Sie nicht zur Antibiotika-Gabe drängen.

Bitte Abklären beim Vorgespräch in der von Ihnen ausgewählten GeburtsKlinik : Wie ist die Haltung zum B-Streptokokken-Screening?

• Keine unnötige Beunruhigung durch relativ häufig auftretende und in der

Regel unbedeutende positive Befunde.

Aus meiner Sicht spricht gegen das Vorgehen nach der Alternative: • Einige Geburtskliniken drängen zu einer 48– stündigen Überwachung des

Kindes und raten dringend von einer ambulanten Geburt ab.

Beachte:

Liegt bei der Geburt kein B-Streptokokken-Befund vor, soll – laut Leitlinie – nur bei den folgenden 3 Indikationen unter der Geburt Antibiose gegeben werden: Bei Geburt vor der 37. SSW (Frühgeburt), bei Infektionszeichen (z.B. Fieber, druckschmerzhafter Uterus, übelriechendes Fruchtwasser etc.) und bei Blasensprung, der länger als 18h zurückliegt.

Eine Antibiose ausschließlich wegen des Vorliegens eines positiven B-Streptokokken-Befundes unter der Geburt zu verabreichen, ist derzeit nicht durch Leitlinien forensisch abgedeckt. Die Schwangere muss die Antibiose explizit wünschen. Der Wunsch muss genau dokumentiert werden.

Nach der derzeitigen Datenlage stellt eine Antibiose unter der Geburt keinen Verstoß gegen die „guten Sitten“ dar, ist aber nicht eindeutig indiziert.

Screening auf B-Streptokokken

Möchte ich ein Screening auf B-Streptokokken durchführen lassen?

JA NEIN

Vorteil der Untersuchung • Wissen um eine B-Streptokokken-Besiedlung im Falle einer Verschlechterung des kindlichen Zustands nach der Geburt und damit u.U. schnellerer Therapiebeginn • Verhalten entspricht der aktuellen Richtlinie und kann dadurch möglicherweise verunsichernde Diskussionen in der Geburtseinrichtung verhindern. Vorteil des „Nicht-wissens“ • Vermeidung einer Antibiose während der geburt: Lt. Richtlinien gelten Sie als „nicht besiedelt“. In den meisten Einrichtungen wird man Sie deshalb nicht zur Antibiotikagabe drängen. • keine unnötige Beunruhigung durch reltiv häufig auftretende und i.d.R. unbedeutende positive Befunde.

Nachteil der Untersuchung • ein positiver Befund führt zur Empfehlung einer Antibiotikagabe bei der Geburt, die mit großer Wahrscheinlichkeit eine Übertherapie bedeutet und nach neueren Erkenntnissen

Nachteile für die Entwicklung des kindlichen

Immunsystems bringen könnte. • Bedrohungspotential bei positivem Befund – etwa 20 % aller Frauen haben B-Streptokokken, eine ernste kindliche Erkrankung ist dagegen selten. • Kosten ca. 30 EUR Nachteil des „Nicht-wissens“ • Einige Geburtseinrichtungen drängen zu einer 48-stündigen Überwachung des Kindes und raten dringend von einer ambulanten

Geburt ab.

Sie sollten sich unbedingt mit der Haltung Ihrer Geburtseinrichtung zum B-Streptokokken-Screening auseinandersetzen und diese bei Ihrer Entscheidung einbeziehen!

Datum Unterschrift/Einverständnis der Schwangeren

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