Markus halt

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Mein Bratislava -

Persönliche Betrachtungen von Markus Halt Wir alle haben uns daran gewöhnt, ein reichhaltiges Angebot an Veranstaltungen in Bratislava und der Slowakei zu genießen, zu denen uns die alle paar Jahre wechselnden Leiter von Auslandshandelskammern und Kulturinstitutionen aus den deutschsprachigen Ländern einladen. Die teils schon seit viel mehr Jahren als ihre Chefs aktiven Organisatoren, die im Hintergrund dafür sorgen, dass auch alles wirklich so perfekt funktioniert, kennen wir meist nur aus den Einladungs-Mails. Die NPZ möchte in einer neuen Reihe „Mein Bratislava“ diese „Guten Geister“ vor den Vorhang bitten und sie ein wenig von sich und ihrem Bratislava-Bild erzählen lassen. Den Anfang macht Markus Halt von der Deutsch-Slowakischen Industrieund Handelskammer DSIHK. Foto: Katharina Getlik

Text und Fotos: Markus Halt

Bis zu meinem 26. Lebensjahr war die Slowakei für mich ein fernes Land, unter dem ich mir rein gar nichts vorstellen konnte, und Bratislava ein weißer Fleck auf der Landschaft, von dem ich noch nicht einmal wusste, dass er einst Pressburg hieß. Mittlerweile habe ich acht Jahre meines Lebens in der slowakischen

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Hauptstadt verbracht und kenne die Region fast besser als mein Stammland Baden-Württemberg. Bratislava - die Stadt, die ich im Januar 2006 das erste Mal betrat, ohne den geringsten Schimmer zu haben, was mich dort erwarten würde, ist für mich zu einer Art zweiten Heimat geworden.

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Bratislava ist für mich seit jeher eine Stadt der Gegensätze. Viel zu häufig wandere ich durch das barocke historische Zentrum mit einer Selbstverständlichkeit, wie sie nur ein Bratislavaer haben kann. In besonnenen Momenten werde ich mir dann der Großartigkeit bewusst, ein solches Zeugnis der k.u.k.


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Tradition direkt vor der Haustür zu haben. Doch kaum bin ich auf meinen regelmäßigen Spaziergängen auf der Burg angekommen, erschließt sich vor meinen Augen die riesige Plattenbausiedlung Petržalka auf der anderen Seite der Donau – das exakte Gegenteil von architektonischer Schönheit. Im Vergleich zu Stuttgart verfügen die Einwohner Bratislavas über viel weniger Kaufkraft und trotzdem gibt es hier wesentlich mehr Shoppingmalls als in der schwäbischen Landeshauptstadt. Obwohl international renommierte Einzelhandelsketten die Stadt mit unzähligen Supermärkten überflutet haben, strömen die Slowaken über die Grenze, um ihre Einkäufe in Hainburg oder Kittsee zu erledigen. Auch ich zähle mich zu

In Bratislava wird scheinbar jede freie Fläche mit Werbung beschildert, sogar den St.-Martinsdom zierte während seiner Renovierung das großformatige Banner einer italienischen Bank, im Gegensatz dazu sind Straßen oftmals nur spärlich ausgeschildert. Insbesondere in Petržalka erschwert das die Orientierung erheblich, ich möchte gar nicht zählen, wie oft ich mich dort schon verlaufen habe. All dies gehört zu den unzähligen Eindrücken, die sich im Laufe der Zeit angesammelt haben. Zu Vielem vermag mir selbst nach wiederholter Reflektion immer noch keine so rechte Antwort einfallen. Doch wie es mit

Gegensätzen nun mal so ist, ihnen haftet etwas Faszinierendes an. Und auch selbst bin ich nicht frei von Gegensätzen. Seit acht Jahren lebe ich in der Slowakei und bin in dieser Zeit viel herum gekommen, doch die östliche Landeshälfte ist für mich nach wie vor ein gänzlich unbeschriebenes Blatt. Letztes Jahr habe ich im Internet einen Blog über das Nachtleben in Bratislava veröffentlicht, obwohl mir dieses eigentlich fremd ist. Normalerweise berichte ich in meinen Blogs über meine Reiseerfahrungen in Mitteleuropa. Am meisten habe ich bislang über die Slowakei und Kroatien geschrieben. Ich habe es jedoch schon öfter erlebt, dass ich von Freunden und Bekannten nicht des Textes wegen positives Feedback erhalte, sondern aufgrund der „schönen“ Bilder. Die Fotografie ist nämlich mein leidenschaftlichstes Hobby. Egal ob mit Handy, Kompaktkamera oder Spiegelreflexkamera, für ein gutes Foto will ich immer gerüstet sein. Im Laufe der Jahre haben sich auch definitiv zu viele Objektive angesammelt. Nach jeder Neuanschaffung probiere ich meine neuen Linsen immer am liebsten

diesen Menschen, wobei ich mich letztes Jahr ganz besonders über die neue Einkaufsmeile in Kittsee gefreut habe. Die Strecke PetržalkaKittsee-Berg-Petržalka gehört nämlich mit zu meinen favorisierten Radtouren. So verbinde ich stets das Angenehme mit dem Praktischen und kehre von den Fahrten stets mit einem prall gefüllten Fahrradkorb zurück. Überhaupt bietet Bratislava an der Donau entlang oder in den Kleinen Karpaten wunderbare Möglichkeiten zum Radeln und doch wagen es nur wenige, den Drahtesel auch in der Stadt zu benutzen. Radwege sind Mangelware, die Straßen in zu schlechtem Zustand, da verzichte ich lieber auf das Fahrrad.

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auf der Burg oder dem Soldatenfriedhof Slavín aus. An beiden Standorten habe ich eine tolle Aussicht sowohl auf die Altstadt als auch auf die Donau und finde gleichzeitig genügend Motive, die ich aus nächster Nähe fotografieren kann. Richtig interessant finde ich es aber erst, wenn ich nach der Feuerprobe an weniger belebten Schauplätzen in der Umgebung auf die Jagd nach Schnappschüssen gehe. Obwohl Bratislava die mit Abstand größte Stadt der Slowakei ist, führen die Wege rasch in die weite Natur. In Devín, Rusovce oder an den Čunovo-Seen fühle ich mich bereits wie in einer anderen Welt, obwohl die Fahrt vom Stadtzentrum nicht länger als 20 Minuten dauert. Gerade Devín ist ein schöner Ausgangspunkt für vielfältige Touren mit und ohne Kamera. Eine meiner allerersten Entdeckungen war ein Wanderweg, der direkt von Devín über ein Hügelplateau zum Stadtteil Devínska Nová Ves führt. Neben dem beeindruckenden Panoramablick auf Devín, seine Burgruine und das Becken der March, einem Nebenfluss der Donau, staune ich hier über den langsamen Wechsel der Flora, je weiter ich mich fortbewege. Während anfangs typisch mitteleuropäische Bäume

und Sträucher den Weg zieren, mutet die Pflanzenwelt am Ende der Strecke beinahe südländisch an, auch der Boden nimmt sandige Konturen an. Am Sandberg, einem 15

Foto: Katharina Getlik

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Millionen Jahre alten Hügel aus Sandstein, endet schließlich der Weg. Ebenso reizvoll ist es, von Devín oder dem Sandberg aus den Wanderweg auf die Spitze des Berges Devínska Kobyla zu nehmen. Auf einer Höhe von rund 500 m genieße ich von dort die traumhafte Aussicht auf die Marchebene. Wenn ich mir vorgenommen habe, dort am Abend den pittoresken Sonnenuntergang zu fotografieren, stoße ich schnell auf Gleichgesinnte. Eine solche Gelegenheit lassen sich schließlich nur wenige Fotoenthusiasten nehmen. Eher ein Geheimtipp ist es, vom Bergrücken der Devínska Kobyla das malerische Tal Fialková dolina anzusteuern. Nachmittags steht das Tal in einem starken Gegenlicht, das wie ein mythischer, durch die Devínske Karpaty streifender Nebel wirkt. Bei solch einem atemberaubenden Anblick komme ich mir beinahe vor wie im entlegenen Gebirge, dabei liegen die Stadtteile Dubrávka oder Devínska Nová Ves gerade einmal 40 Gehminuten entfernt. Gegensätze haben eben doch etwas Gutes an sich.


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