Der große krieg

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Politik & GESELLSCHAFT

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Der Große Krieg im Alltagsleben der Pressburger Im Sommer 2014 jährt sich der Beginn des Ersten Weltkrieges zum einhundertsten Mal. Im Gedenken an die vielen Millionen Opfer des Ersten Weltkrieges finden in aller Welt Ausstellungen und Veranstaltungen statt. Es werden Sammlungen initiiert, für die Nachkommen hinterlassene Briefe, Memoiren, Tagebücher und Fotos zusammentragen. Archive werden geöffnet und Erlebtes wieder rekonstruiert. Städte aus der ganzen Slowakei machten bei diesem Projekt mit und die Ergebnisse sind faszinierend, erschreckend und unglaublich zugleich.

Kinderschicksale im Ersten Weltkrieg „Papa hat gesagt, dass vielleicht ein Krieg kommen wird. Weil die Österreicher sehr zornig sind über die Serben. Die Serben haben nämlich den österreichischen Kronprinzen ermordet. Der Mörder war sehr frech und hat auch die Kronprinzessin mit tot gemacht“, so vermerkte der 7-jährige Eduard Mayer aus Bayern die Ereignisse vom 28. Juni 1914 in seinem Tagebuch. Text: Katarína Kironská, Fotos: Sonya Winterberg privat

Text und Fotos: Katarína Kironská

Am 13. Mai eröffnete das Stadtmuseum Bratislava die Ausstellung „Die andere Seite des Krieges“ (Vojna z druhej strany). Ihr Ziel ist es, Besuchern beide Seiten des Krieges näher zu bringen: Das Alltagsleben der Zivilbevölkerung ebenso wie auch die Kriegserfahrung der Soldaten. Die eher kleine Exposition, allerdings mit einer gewaltigen Aussage, bildet die Sonnenund auch Schattenseiten des Stadtlebens im damaligen Pressburg ab. Pressburg lag zwar weit außerhalb der Frontlinien, trotzdem konnte man den Krieg in jeder Strasse, jedem Haus wortwörtlich fühlen. Sie erzählt eine grausame Geschichte über Hass, Vernichtung, Hunger und Abschied, gleichzeitig aber auch über das Familienleben und darüber, was es heißt, ein Kriegskind zu sein. „Der Grosse Krieg gehört in der Geschichte der Menschheit zu den kollektiven Erfahrungen, die einen Einfluss auf ganze Nationen hatten. Die Folgen betrafen kompromisslos jede einzelne Familie und prägten Städte und

Dörfer. Grundsätzlich ist der Krieg ein Zusammentreffen von Gutem und Bösem, des Heldentums und der Feigheit, des Zusammenhalts und Konflikts, der Wahrheit und Propaganda, der Opferbereitschaft und des Egoismus…“, erzählen die Gestalter der Ausstellung, die Historiker Štefan Gaučík und Elena Kurincová. Die Besucher begrüßt am Eingang der so genannte „Eiserne Honvéd“, das Symbol der Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg. Unter den einzelnen Ausstellungsstücken fesseln insbesondere die, die über den Alltag berichten, wie z. B. ein Tischgedeck mit dem graziösen Blick des Kaisers, eine Spielzeugkanone, die erschreckend echt aussieht, die Ausrüstung eines Soldaten, mit der er in den sicheren Tod marschierte. Da wird bewusst, wie real die Ereignisse waren. Man erschauert beim Anblick der zahlreichen Plakate und Zeitungsausschnitte, deren Parolen unsere Vorfahren jubelnd in den Krieg ziehen ließen. Zum

ersten Mal wurden Massenmedien zur Propaganda genutzt. Das Resultat war unbegrenzte Loyalität zum Kaiser. Es sollte ein kurzer Krieg mit einem schnellen Sieg sein. Niemand rechnete damit, dass er sich vier Jahre lang dahinziehen könnte. Der Rückgang des Lebensstandards betraf alle Gesellschaftsschichten, Hunger und Not wurden zur Alltagserfahrung. Aus der anfänglichen Loyalität wurde Wut und aus der wieder Resignation. Die Ausstellung „Die andere Seite des Krieges“ dauert den ganzen Sommer, bis zum 12. Oktober. Zu den Rahmenaktivitäten gehört ein Bildungsprogramm für Grundschul- und Mittelschulkinder, das die einzelnen Klassen mit den wichtigsten Ereignissen und deren Auswirkungen auf die Zivilgesellschaft des damaligen Pressburg bekannt macht. Für Erwachsene bietet das Museum thematische Vorträge und zeitgenössische Kriegskonzerte des Kammerorchesters unter der Leitung von Zbynek Kubáček. Thematische Vorträge: 5.6. - 16:00; 19.6. -16:00; 4.9. - 16:00; 18.9. - 16:00; 2.10. - 16:00. Konzert unter dem Turm (C und k. Blechbläser-Kammerorchester von Zbynek Kubáček): 19.6. - 17.30; 2.10. - 17:30. Der Große Krieg als Bildungsprogramm für Grundschulen und Gymnasien: täglich außer Montag nach Anmeldung (mmba@bratislava.sk)

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Sonya und Yury Winterberg

Kinder haben den Ersten Weltkrieg ganz anders erlebt als die Erwachsenen. Großer Bewunderung der Kinder erfreuten sich die neusten „Wunderwaffen“ mit höchster Vernichtungskraft, wie U-Boote und Zeppeline, die nach der Meinung der 14-jährigen Agnes Zenker aus Sachsen „England herrlich betröpfelten“. Soldaten wurden in ihren Vorstellungen zu Helden, denen sie nacheifern wollten. 100 Jahre nach Beginn der Katastrophe, die 17 Millionen Menschen zum Tode verurteilte, stellt ein Dresdner Autorenpaar, die Journalistin Sonya Winterberg und der Drehbuchautor Yury Winterberg den Ersten Weltkrieg erstmals mit den Augen der Kinder vor. „Kleine Hände im großen Krieg“ erzählt über die Schicksaale der Kinder, die in jenen Jahren in den verfeindeten Ländern, unter anderem auch in der späteren Tschechoslowakei, aufwuchsen und vom damaligen Geschehen lebenslang geprägt wurden. Die dazu von einem internationalen Team gedrehte Familiendokumentarreihe „14 Tagebücher des Ersten Weltkrieges“ kann man online auf www.14-tagebuecher.de verfolgen.

NPZ: Wie unterscheidet sich Ihr Buch von den vielen anderen, die zum Thema des 100. Jahrestags des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs entstanden sind? S. Winterberg: Kein einziges dieser Bücher hat sich mit der Frage beschäftigt, wie die Kinder diese „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ erlebt haben. Gerade die Schicksale von Kindern aus dieser Zeit sind sehr dramatisch und berühren uns heute noch unmittelbar. Da geht es um Hunger, um den Tod von Vätern oder älteren Geschwistern – und zehntausende Minderjährige kämpften sogar selbst als Kindersoldaten. Außerdem stellten mein Mann und ich fest, dass unsere Großeltern den Ersten Weltkrieg als Kinder erlebten und dass es darüber Aufzeichnungen und Tagebücher gibt. Wir wollten, dass all diese Erlebnisse nicht in Vergessenheit geraten. Wie lange dauerte die Zusammenstellung der vielen Lebensgeschichten? Die Arbeit hat mit Unterbrechungen vier Jahre gedauert. Die Recherchen waren sehr aufwändig, denn wir wollten nicht nur die Geschichten von deutschen und österreichischen Kindern erzählen, sondern Schicksale aus der ganzen Welt zusammentragen. Natürlich aus Europa, aus Frankreich, Großbritannien und Russland, ebenso wie aus der ehemaligen Tschechoslowakei, Polen oder Serbien. Doch der Krieg betraf auch Kinder aus Ländern wie Kanada, China oder sogar Jamaika – und das wollten wir darstellen. Das Thema der Kinder im Ersten Weltkrieg wurde von einem inter-

nationalen Team als Dokumentarreihe verfilmt. Worin unterscheidet sich die verfilmte Version vom Buch? Die Serie „14 – Tagebücher des Ersten Weltkriegs“ rückt die Schicksale von 14 Menschen in den Mittelpunkt. Drei davon sind Kinder – eine junge russische Soldatin, ein französischer Junge, dessen Heimatstadt von den Deutschen besetzt wird, und ein deutsches Schulmädchen. Diese Geschichten sind auch ein wichtiger Teil unseres Buches. Aber Buch wie Film stellen daneben noch jeweils andere Protagonisten vor. Was ist das Ziel dieses Projektes? Vor hundert Jahren, im Sommer 1914, lebten die Menschen in Mitteleuropa in einer friedlichen Welt. Kaum jemand konnte sich mehr einen Krieg vorstellen. Dann kam er doch, plötzlich wie aus heiterem Himmel. Wir zeigen, was der Krieg aus den Menschen machte, wie er sie veränderte. Und wir wollen warnen, dass wir heute unseren Frieden nicht für selbstverständlich nehmen sollten.

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