npoR 2012, Heft 1

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IV.

Einführung einer neuen „Bagatellausnahme“

Neben der Konzernleihe wird gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 2a AÜG zukünftig auch die gelegentliche Überlassung zwischen zwei Arbeitgebern privilegiert, d.h. von der Anwendung der Vorschriften des AÜG ausgenommen, ohne dass diese Arbeitgeber in einem Konzernverbund stehen müssen. Ausweislich der Gesetzesbegründung wurde diese Privilegierung vor dem Hintergrund der Ausweitung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes eingeführt, um z.B. „die gelegentliche Überlassung durch (…) gemeinnützige Organisationen nicht unnötig zu erschweren.“11 Allerdings sind an das Erfordernis der gelegentlichen Überlassung strenge Anforderungen zu stellen, so dass im Zweifel nur für zeitlich eng begrenzte Aushilfsfälle, nicht jedoch für z.B. regelmäßig wiederkehrende Springertätigkeiten auf diese Ausnahme zurück gegriffen werden kann. Insbesondere kann auch von dieser sogenannten Bagatellausnahme nur dann Gebrauch gemacht werden, wenn die Arbeitnehmer nicht zum „Zwecke der Überlassung eingestellt und beschäftigt“ werden. Hinweis für die Praxis: Die neu eingeführte sogenannte Bagatellausnahme von der Erlaubnispflicht bietet die Möglichkeit, auf akute Personalengpässe schnell und formlos reagieren zu können. So können sich etwa zwei unterschiedliche Einrichtungen unter den genannten Voraussetzungen für einen vorübergehenden Zeitraum mit Personal untereinander aushelfen. Fehlen also z.B. im Krankenhaus der Stadt A aufgrund einer akuten Krankheitsepidemie (z.B. EHEC-Epidemie im Jahr 2011) zahlreiche Pflegekräfte und Ärzte, so kann das Krankenhaus der Stadt B, das von der Epidemie nicht betroffen ist, hier mit Personal aushelfen, ohne dass eine Erlaubnis zur Arbeitnehmer­ überlassung erforderlich wäre. V.

npoR Heft 1/2012

Praxisforum | Kraus/Meurer

Reaktion auf die Missbrauchsdebatte

In der politischen und juristischen Diskussion stand nicht erst seit dem sogenannten Schlecker-Skandal die Frage des Missbrauchs von Leiharbeit im Vordergrund. Insbesondere der Einsatz von Leiharbeitnehmern durch konzerneigene Gesellschaften mit dem Zweck der Personalkostensenkung war und ist seit langem ein umstrittenes Thema. Teilweise wurden entsprechende Gestaltungen als rechtsmissbräuchliche Strohmann-Konstruktionen gewertet.12 Im AÜG fand sich jedoch kein ausdrückliches Verbot, so dass letztlich ein Gestaltungsspielraum des Gesetzes genutzt wurde.13 Politisch wurde daher die Normierung eines Verbots derartigen Personaleinsatzes gefordert.14 Trotz der heftigen Diskussion sehen die aktuellen Änderungen des AÜG letztlich jedoch keine Regelung vor, die entsprechende Konstruktionen für unzulässig erklärt. Vielmehr hat die Rechtsmissbrauchsdiskussion lediglich in einer sogenannten Drehtürregelung in § 3 Abs. 1 Nr. 3 S. 4 AÜG gemündet, durch die zukünftig verhindert werden soll, dass Arbeitnehmer innerhalb von sechs Monaten nach Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses (z.B. nach einer Befristung) im Wege der Arbeitnehmerüberlassung bei ihrem ehemaligen Arbeitgeber oder einem anderen Unternehmen desselben Konzerns zu schlechteren Arbeitsbedingungen eingesetzt werden. Erneut angekurbelt werden könnte die Diskussion allerdings dann, wenn die im Rahmen der Reform ebenfalls eingefügte Einschränkung auf vorübergehende Überlassungen von der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung anders ausgelegt würde als bislang von der Bundesagentur für Arbeit vorgegeben.15 Sollte die Einschränkung als Verbot des Dauerverleihs zu verstehen sein, wäre der dauerhafte Einsatz von Leiharbeitnehmern durch konzerneigene Gesellschaften wohl als unzulässig einzustufen.

Hinweis für die Praxis: Vorsicht bei der Befristung von Verträgen und anschließenden Neueinstellung in einer Tochtergesellschaft! Sofern die Neueinstellung innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf der Befristung erfolgt und der betroffene Arbeitnehmer an den ehemaligen Arbeitgeber oder eine andere Konzerngesellschaft überlassen werden soll, ist dies dann verboten, wenn ihm eine geringere Vergütung als zuvor gewährt wird. Sofern identische Arbeitsbedingungen gelten oder die Neueinstellung erst nach Ablauf von sechs Monaten erfolgt, ist jedoch auch eine solche Konstellation vom Gesetz nicht ausgeschlossen. VI.

Mindestlohn-Systematik

Schließlich ist durch die aktuellen Änderungen des AÜG ein Mindestlohn zwingend einzuhalten. Diese Lohnuntergrenze wurde (nach langer Diskussion) im Dezember 2011 mittels Rechtsverordnung über das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) erlassen.16 Mit Wirkung zum 1.1.2012 beträgt die verbindliche Lohnuntergrenze in Westdeutschland 7,89 EUR (ab 1.11.2012 8,19 EUR) und in Ostdeutschland 7,01 EUR (ab 1.11.2012 7,50 EUR). VII. Neue Informationspflichten des Entleihers Von nicht zu unterschätzender Bedeutung dürften letztlich auch die neu auferlegten Informationspflichten sein. So werden Entleihunternehmen gemäß § 13a AÜG zukünftig verpflichtet, die dort tätigen Leiharbeitnehmer über vakante Arbeitsplätze in ihrem Unternehmen zu informieren. Werden diese Pflichten nicht befolgt, riskiert der Entleiher nicht nur ein Bußgeld von bis zu 2.500 EUR, sondern er macht sich darüber hinaus u.U. schadensersatzpflichtig gegenüber benachteiligten Zeitarbeitnehmern. VIII. Fazit für die Praxis Die Neuregelung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes macht (nicht nur) für gemeinnützige Unternehmen eine Überprüfung und gegebenenfalls Nachjustierung der bestehenden Personalgestellungs-Konstellationen erforderlich. Insbesondere durch die Ausweitung der Erlaubnispflicht auf jede im Rahmen der wirtschaftlichen Tätigkeit stattfindende Arbeitnehmerüberlassung sowie die Beschränkung der Zulässigkeit auf Fälle der „vorübergehenden“ Arbeitnehmerüberlassung werden zahlreiche, jahrelang ohne Beanstandung praktizierte Fälle des Drittpersonaleinsatzes auf den Prüfstand gehoben. Sofern hier Nachbesserungsbedarf besteht, sollte schnell gehandelt werden, da ansonsten empfindliche Rechtsfolgen drohen.

11 BT-Drs. 17/4804, S. 8. 12 Brors/Schüren, Konzerninterne Arbeitnehmerüberlassung zur Kostensenkung, BB 2004, 2745 ff. und Kostensenkung durch konzerninterne Arbeitnehmerüberlassung, BB 2005, 494 ff.; LAG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 18.6.2008 – 3 TaBV 8/08 sowie Beschl. v. 18.6.2008 – 3 TaBV 12/08. 13 Melms/Lipinski, Absenkung des Tarifniveaus durch die Gründung von AÜG-Gesellschaften als alternative oder flankierende Maßnahme zum Personalabbau, BB 2004, 2409 ff.; Willemsen/Annuß, Kostensenkung durch konzerninterne Arbeitnehmerüberlassung, BB 2005, 437 ff.; LAG Niedersachsen, Beschl. v. 31.10.2006 – 12 TaBV 1/06; Beschl. v. 20.2.2007 – 9 TaBV 107/05; Beschl. v. 26.11.2007 – 6 TaBV 32/07, 6 TaBV 33/07, 6 TaBV 34/07. 14 Vgl. Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE v. 22.3.2010, BT-Drs. 17/1129. 15 Siehe dazu oben unter II. 16 Vgl. die Mitteilung der Bundesregierung unter http://www.bundesregierung.de/nn_1264/Content/DE/Artikel/2011/12/2011-12-20zeitarbeit-dachdecker-mindestlohn-kabinett.html.


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