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Termin beim Chef

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Face to Face

Face to Face

Anton Schneerson

PLEUGER Industries GmbH

Anton Schneerson lächelt ein wenig, schaut kurz aus dem Fenster und antwortet nach einer Pause zum wiederholten Mal: „Das ist eine gute Frage.“ Ob dahinter freundliche Manager-Gesprächstaktik oder ein bedächtiges Naturell steckt, ist am Anfang unseres Treffens noch unklar. Aber am Ende des Besuchs beim Chief Executive Officer von Pleuger Industries in Hamburg-Wandsbek besteht nach einem halben Dutzend solcher Momente kein Zweifel: Der gebürtige Ukrainer Anton Schneerson ist ein nachdenklicher Mann, der sich besinnt, bevor er keiner Frage ausweicht.

Pumpen für die Energiewende

Der 33-Jährige ist unverkennbar stolz, die „gute Frage“ nach dem heutigen und künftigen Anteil von Pleuger-Pumpen, die im Bereich der Erneuerbaren Energien verbaut werden, mit einer Erfolgsgeschichte beantworten zu können: „Als wir vor über fünf Jahren hierher kamen, wurden die Spezialpumpen, die von unseren wartungsarmen, wassergefüllten Nassläufermotoren angetrieben werden, vor allem in der Öl- und Gasindustrie verbaut, häufig auf Plattformen. Heute beliefern wir zu einem guten Drittel Windparkprojekte, zum Beispiel Sunrise, 30 Meilen vor der Küste New Yorks, das ab 2026 fast 1.000 Megawatt für rund 600.000 New Yorker Haushalte liefern soll.“ Und in ein paar Jahren rechne er mit mehr als 50 Prozent Umsatz aus solchen Windparkinstallationen, von denen gerade vor der US-Küste und ebenso in der Nordsee viele geplant und gebaut werden, und die alle auf die Ingenieurskunst setzen, um die anspruchsvollen Spezifikationen für Kühlwasserkreisläufe auf rauer See zu erfüllen.

New York, das ist für den mal in bestem Business-Englisch, dann wieder in fließendem Deutsch sprechenden Manager ein Schicksalsort: „Ich verließ meine Heimatstadt Dnipro mit 16 Jahren, weil ich einfach in die Welt wollte. Als Tellerwäscher habe ich angefangen, dann auf Kellner umgesattelt, da gab es wenigstens Trinkgeld“, erzählt der Weitgereiste. In Österreichs Hauptstadt machte er an der Fachhochschule Wiener Neustadt Anfang der Zehnerjahre den Bachelor in International Accounting and Finance, am Jerusalemer Mayanot Institute of Jewish Studies einen Foundation Degree, an der LSBU in London absolvierte er den Master of International Finance. Nach verschiedenen Stationen in der Finanzwelt kam Schneerson 2018 zur Flacks Group, die sich seit vier Dekaden mit Investitionen in schlingernde mittelständische Industrieunternehmen weltweit beschäftigt. „Mein Mentor und Boss Michael Flacks, heutiger Chairman und Eigentümer von Pleuger, ließ mich die Übernahme mitgestalten, und wenig später fragte er mich, ob ich nicht auch die Geschäftsführung übernehmen wolle. Und weil ich mich in Deutschland und Hamburg verliebt hatte, sagte ich ja“, berichtet der heutige Wahl-Eppendorfer, der seit einigen Jahren auch deutscher Staatsbürger ist.

Anton Schneerson, PLEUGER Industries GmbH
Foto: Kirsten Haarmann

Vom Sanierungsfall zum Vorzeigeunternehmen

Für Pleuger war der Einstieg von Flacks und Schneerson offenbar ein Glückfall: Nur 165 der in den Sechzigern noch mehr als 500 Beschäftigten waren vor sechs Jahren in Wandsbek noch übrig, das Unternehmen machte nach verschiedenen Eigentümerwechseln Verluste. Dabei hatte die mittlerweile 95-jährige Firmengeschichte die Pleuger-Pumpen weltweit zu einem klingenden Namen unter Fachleuten werden lassen. Der geniale Ingenieur Friedrich Wilhelm Pleuger gründete den Betrieb 1929 in Berlin, revolutionierte mit seinem Patent der Tauchmotorpumpe erst den Berliner, dann den Moskauer U-Bahnbau – der wassergefüllte Motor erlaubte das Abpumpen von Grundwasser aus großen Tiefen. Mit Schöpfwerk- und Polderpumpen wurde Pleuger international erfolgreich, ebnete den Weg zur bakterienarmen Trinkwasserversorgung selbst aus tiefen Grundwasserschichten, mit Projekten unter anderem in Argentinien, Frankreich und Mexiko.

Nach der kriegsbedingten Zerstörung der Pleuger-Werke in Berlin und Greiz sowie der Enteignung durch die DDR entschloss sich der findige Unternehmer, Ende 1945 in Hamburg neu anzufangen. Weitere Erfindungen wie etwa die 1955 vorgestellte Propellergondel für Schiffe ließen den Betrieb rasch wachsen und zu einer Hamburger Institution werden: Die Alsterfontäne wird seit den Achtzigerjahren von einer Pleuger-Pumpe erzeugt, der legendäre Firmenchef stieg zum Generalkonsul von Ghana auf. „Friedrich Wilhelm Pleuger hat hier auf dem Firmengelände auch sein Privathaus gehabt“, sagt Anton Schneerson beim Gang über das verwinkelte 41.000-Quadratmeter-Gelände und zeigt auf ein etwas abgelegenes Gebäude. Vom Hidden Champion der Pumpenbauer zum Teilnehmer an den ChampionsLeague-Projekten der Energiewende – ein langer Weg, den der junge Chef vor allem mit Optimismus, Weltoffenheit, Respekt und Korpsgeist geebnet hat: „Diese Firma ist ein Juwel deutscher Ingenieurskunst, mit vielen unserer heute gut 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die jahrzehntelang hier arbeiten und hoch spezialisiert sind“, schwärmt Schneerson. Nie würden Flacks und er auf die Idee kommen, die Produktion ins Ausland zu verlagern und so erfahrene Beschäftigte zu verlieren. „In unserem kundenspezifischen Segment ist ‚Made in Germany‘ weiter eine Ansage, mit der man auch gute Preise für langlebige, effiziente Produkte erzielt“, sagt er nicht ohne Stolz. Neben dem Pumpen- und Motorenbau hat Schneerson den Service für die nicht selten Jahrzehnte laufenden Pleuger-Produkte weltweit ausgebaut und die Digitalisierung des Traditionsunternehmens vorangetrieben: „Wir fanden hier ein riesiges Papierarchiv vor, mit tausenden Konstruktionszeichnungen aus den letzten siebzig Jahren. Da musste man manchmal wochenlang suchen, um ein bestimmtes Produkt zu finden. Jetzt haben wir über mehrere Jahre alles digitalisiert, und jede Zeichnung von Friedrich Wilhelm Pleuger und seinen Ingenieuren ist nach ein paar Klicks auffindbar.“

Wenn Anton Schneerson nicht für seine Arbeit schwärmt, setzt er sich gern ans Klavier. Oder geht eine gute Stunde um die Alster, am liebsten täglich. Und engagiert sich in der jüdischen Gemeinde Hamburgs, die mit der Renovierung des Zentrums an der Rothenbaumchaussee und dem Wiederaufbau der Bornplatz-Synagoge vor großen Aufgaben steht. Ganz außer Frage steht also: Langeweile ist Anton Schneerson unbekannt.

Alexander Luckow

PLEUGER Industries GmbH
Foto: Kirsten Haarmann

Von den weltweit mehr als 300 Beschäftigten sind 210 in Hamburg-Wandsbek tätig, zur Zeit der Übernahme durch die Flacks Group 2018 waren es nur 165. Der Name Pleuger wurde einem breiteren Publikum vor allem nach der Installation der Pumpe unter der Binnenalsterfontäne bekannt, die heute von einem effizienten Permanent-Magnet-Motor mit einer Leistung von 75 Kilowatt bis zu 200.000 Liter Wasser pro Stunde in die Luft schießt. Darüber hinaus unterstützt das Unternehmen zahlreiche soziale Projekte und macht seit 2023 auf freiwilliger Basis einen ESG-Bericht.

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