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Wenn Mensch und KI am Steuer stehen
Seit Mai 2021 lotet das Regionale Zukunftszentrum Nord gemeinsam mit klein- und mittelständischen Unternehmen die Chancen von Künstlicher Intelligenz für den norddeutschen Wirtschaftsraum aus. Nun läuft die erste Förderperiode aus, eine zweite ist beim Bundesarbeitsministerium beantragt. Zeit für eine Zwischenbilanz.
Von der anderen Elbseite aus wirken die Container wie kleine Schachteln, die sich in Blau, Weiß, Rot und Grün endlos aneinanderreihen, aufeinander stapeln oder von riesigen Verladekränen baumeln. Inspiriert vom Blick auf das emsige Treiben im Hamburger Hafen stellt Wirtschaftssenator Michael Westhagemann (parteilos) fest: „KI kann uns dabei helfen, den Platz auf einem Terminal optimal auszuschöpfen.“ Gerade in Zeiten gestörter Lieferketten kein zu unterschätzender Faktor für wirtschaftlichen Erfolg.
KI als Riesenchance
Gemeinsam mit Hamburgs Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) und Vertreterinnen und Vertretern der vier Hamburger Konsortialpartner des Regionalen Zukunftszentrums Nord (RZZ Nord:KI) spricht Westhagemann Mitte September 2022 im fünften Stock des Dockland über die Chancen von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz (KI) für den Wirtschaftsstandort Hamburg. Sein Fazit: „Heute sind wir durch Chiptechnologie und Miniaturisierung in der Lage, ganz andere Datenmengen zu erfassen und auszuwerten. Das ist eine Riesenchance, um uns in unterschiedlichsten Themenfeldern schneller mit neuen Lösungswegen beschäftigen zu können.“ Hamburg habe sich mit seiner Industriestrategie eine gute Grundlage geschaffen. Nun müsse es gelingen, das weiter zu transformieren. „Wir dürfen nicht nachlassen zu zeigen, welche Innovationskraft in Hamburg liegt“, hebt Westhagemann hervor. Auch Sozialsenatorin Leonhard betont: „Das RZZ Nord hat eine gute Zukunftsperspektive. Umso mehr kommt es jetzt darauf an, dass es uns gemeinschaftlich gelingt, das RZZ noch besser in Hamburg zu positionieren.“ Unternehmer und Betriebsräte sollten es als Kompetenzzentrum wahrnehmen, das sie für sich nutzen und anzapfen können, „um das Gute und Positive, das in KI liegt, zu heben“. Das sagt die Sozialsenatorin auch hinsichtlich der weitverbreiteten Furcht vor technologischem Wandel allgemein und KI im Besonderen. Deshalb wolle ihre Behörde als Klammer wirken „zwischen dem, was sich unternehmerisch in Hamburg tut – oder auch noch nicht tut – und den Interessen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern“. Es gelte, im Blick zu behalten, welche Themen und Entwicklungen die kommenden fünf bis zehn Jahre bestimmen. Diese müssten so übersetzt werden, dass die Menschen das Gefühl haben, selbst am Steuer zu stehen. Auch deshalb sei die Arbeit des RZZ Nord:KI so wertvoll.

Hamburgs Wirtschaftssenator Michael Westhagemann (2. v. l.) begreift KI als Chance und will mit ihr die Innovationskraft der Elbmetropole weiter fördern.
Foto: Kirsten Haarmann
Mehr als 250 Beratungen
Unter der Leitung des Niedersächsischen Bildungswerks der Wirtschaft vereint das Beratungs-, Vermittlungs- und Vernetzungsprojekt seit zwei Jahren in vier Bundesländern insgesamt zwölf Partner mit jeweils drei Perspektiven auf Digitalisierung und KI – Arbeitgeber, Beschäftigte und die Wissenschaft. In der Hansestadt sind das das Bildungswerk der Wirtschaft Hamburg und Schleswig-Holstein, Arbeit und Leben Hamburg, das Artificial Intelligence Center Hamburg (ARIC) und NORDBILDUNG Bildungsverbund der Metall- und Elektroindustrie. Seit Mai 2021 hat das RZZ Nord:KI mehr als 250 Unternehmen in Sachen Digitalisierung und KI beraten. Allein in Hamburg haben seitdem mehr als 80 Betriebe die Unterstützung des RZZ Nord:KI gesucht. Die Bandbreite reicht von der Digitalisierung von Geschäftsprozessen einer Stickerei über die Entwicklung von Standard- und individuellen KI-Anwendungen in Produktion und Service bei Finanzdienstleistern bis hin zur KI-gestützten Optimierung von Prozessabläufen bei einem Leistungsfutterhersteller. ARIC-CEO Alois Krtil macht deutlich: „KI ist kein Thema, das man von heute auf morgen implementieren kann.“ KI benötige eine ganzheitliche Perspektive mit all ihren ökonomischen, ökologischen und sozialen Dimensionen. Den rund 60 Gästen im Dockland macht der Wissenschaftler Mut: Hamburg sei als Metropole ein ideales, urbanes Ökosystem, das diverse Experimentier- und Einsatzfelder besitze, um nicht nur Daten zu sammeln, sondern sie auch für KI nutzbar zu machen – in der Verwaltung, dem Gesundheitswesen, für einen besseren Klimaschutz oder mehr Mobilität. „Es gibt keine Branche, auf die KI keinen Einfluss hat“, resümiert Krtil.

Sozialsenatorin Dr. Melanie Leonhard sind beim Thema KI die Bedürfnisse von Firmen und Beschäftigten wichtig.
Foto: Kirsten Haarmann
Sozialpartnerschaftliche Aufgabe
Mit Blick auf die norddeutschen Betriebe hebt Peter Golinski, Geschäftsführer von NORDBILDUNG, hervor: „Der Bedarf an und die Anwendungsfelder von Künstlicher Intelligenz unterscheiden sich in den Unternehmen teilweise deutlich. Daher ist es wichtig, den jeweiligen Zusammenhang zu verstehen, um passende Konzepte und Unterstützungsangebote entwickeln zu können. Das Team des RZZ Nord:KI widmet sich auf Basis der technologischen Entwicklungen besonders der Gestaltung der betrieblichen Zusammenarbeit.“ Er lobt das sozialpartnerschaftliche, interdisziplinäre und dialogorientierte Vorgehen aller Projektpartner und begrüßt den engen Dialog mit den politischen und arbeitsmarktpolitischen Akteuren. Nun muss nur noch das Bundesarbeitsministerium mitmachen und die zweite Förderperiode bis 2026 bewilligen. Dann vergibt im Hamburger Hafen vielleicht tatsächlich bald eine Künstliche Intelligenz Containerstellplätze.
Birte Bühnen