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Kreativ durch die Krise

Besorgniserregend – so ist die Lage in großen Teilen der norddeutschen Metall- und Elektroindustrie. Coronakrise, Putins Überfall auf die Ukraine, weltweit gestörte Lieferketten und dadurch verursachte Materialengpässe sowie explodierende Energiekosten machen den Unternehmen das Agieren schwer.

Denis Knust hat schon manche schwierige Situation überstanden, aber so unkalkulierbar wie derzeit hat sich die Situation während seiner zehnjährigen Tätigkeit für uniROTA Maplan Schwerin noch nicht dargestellt. Der 40-Jährige ist Geschäftsführer des mittelständischen Maschinenbauunternehmens, das in der Residenzstadt mit rund 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern spezielle Maschinenbauteile zum Einsatz in der Kunststoffverarbeitung, dem Energiesektor und zahlreichen anderen Bereichen herstellt. Auf circa 40 Produktionsmaschinen entstehen Walzen, Schnecken und Wellen. „Wir sind ein Lohnfertigungsunternehmen, das von der Einzelanfertigung bis zur massenhaften Produktion von Spezialbauteilen ein breites Portfolio abdeckt“, sagt Knust. Die hochpräzise Metallbearbeitung, rasche, flexible Auftragsbearbeitung sowie höchste Qualitätsstandards seien Zutaten für das Rezept des Firmenerfolgs. Doch inzwischen droht die Erfolgsformel nicht mehr aufzugehen. „Die Materialbeschaffung ist ein ernstes Problem, mehr noch aber belasten uns die sprunghaft und unkalkulierbar steigenden Energiekosten“, sagt Knust. Die volatilen Rohstoffmärkte machten eine langfristige seriöse Preiskalkulation äußerst schwierig. Doch könne er Preissteigerungen an die Kunden – etwa 200 bis 300 Unternehmen gehören aktuell zum aktiven Kundenkreis – in den meisten Fällen weitergeben. „Wir haben schon immer eine sehr transparente Kundenkommunikation gepflegt und Preisänderungen unmittelbar angezeigt. Das hilft uns heute weiter“, so der Geschäftsführer. Und: „Die Pandemie hat uns trainiert. Wir haben weiter als üblich vorausgedacht und uns in vielen Bereichen bevorratet. Das bindet zwar Kapital, hilft aber bei Liefertreue und Preisgestaltung am Ende weiter.“ Auch die Energiekostenerhöhungen könne man im Augenblick noch eins zu eins an die Kunden weitergeben. Sollte im Winter das Gas nicht mehr fließen, plane man mit Öl, gegebenenfalls auch mit Strom zu heizen. Das würde einen weiteren, existenzbedrohenden Kostensprung mit sich bringen.

Krise als Chance

Corona als Innovationstreiber? Das sieht Lennart Schulenburg, Managing Director des Familienunternehmens VisiConsult X-ray Systems & Solutions aus Stockelsdorf, ebenso wie Knust. Das 1996 von Seniorchef Hajo Schulenburg gegründete Unternehmen produziert im Vorort von Lübeck Hightech-Röntgenanlagen zur zerstörungsfreien Werkstoffprüfung und bietet umfangreiche Lösungen im Bereich visueller Inspektion, Automatisierung, Computertomografie und der automatischen Defekterkennung.

Lennart Schulenburg, Managing Director VisiConsult X-ray Systems & Solutions

Foto: Melanie Gretzinger

Im Bereich der Röntgenanlagen sei man „Hidden Champion“, also Weltmarktführer, sagt der Juniorchef. Er sieht in der gegenwärtigen Krise auch eine Chance: „So, wie Corona dazu beigetragen hat, die Digitalisierung in Deutschland voranzutreiben, ist die aktuelle Energiekrise eine Chance zur Nachhaltigkeit.“ Sein Unternehmen sei zwar unterdurchschnittlich energieintensiv aufgestellt, dennoch habe man von Anfang an auf Energiesparen gesetzt. So verfügt der Mittelständler über eines der ersten industriellen Passivhäuser in Norddeutschland, arbeitet mit Wärmerückgewinnungssystemen und hat inzwischen seine Solarkapazitäten verdreifacht. „Wir erzeugen nach dem zusätzlichen Ausbau mehr Strom, als wir verbrauchen“, berichtet Schulenburg. Auf den Herbst und Winter habe man sich akribisch vorbereitet. „Wir haben einen Gas-Notfallplan erarbeitet, der vorsieht, unsere Hallenheizung auf Flüssiggas umzustellen. Und natürlich haben wir auch an unsere Mitarbeiter appelliert, Energie zu sparen“, sagt er. Dabei unterstützt das Unternehmen seine rund 150 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach Kräften. „Unabhängig von aktuellen Entwicklungen stellen wir Firmenfahrräder zur Verfügung, haben eine solarbetriebene Ladestation für die E-Bikes in Betrieb genommen und stellen unseren Fuhrpark auf E-Autos um“, berichtet der Manager. Wichtig in diesem Zusammenhang sei die firmeninterne Kommunikation. „Es nützt nichts, irgendetwas von oben anzuordnen. Alle Maßnahmen werden bei uns vernünftig kommuniziert und deshalb auch von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mitgetragen“, so Schulenburg. Dazu gehören auch mögliche Notfallmaßnahmen, die die Mitarbeiter hautnah betreffen, wie die Beschaffung von Thermounterwäsche und die Absenkung der Hallentemperatur. Eine echte Herausforderung für das stark wachsende Unternehmen – Schulenburg: „Wir verdoppeln uns alle zwei Jahre“ – ist die Materialbeschaffung. Die Röntgenspezialisten sind auf die Zulieferung zahlreicher Bauteile wie E-Technik-Komponenten und Steuerungssysteme aus aller Welt angewiesen und haben schon vor der Krise sogenannte Taskforces gegründet, die sich dieser Probleme angenommen haben. „Als Kleinunternehmen mit agilen und resilienten Strukturen können wir sehr schnell auf Krisensituationen reagieren“, sagt Schulenburg. So ist der Betrieb auch ungewöhnliche Wege gegangen, hat etwa über die chinesische Plattform Ali Baba Teile bestellt, sich in Whats-App-Gruppen über die ganze Welt vernetzt, um schnell Material besorgen zu können, und über diesen Weg zahlreiche zeitkritische Komponenten eingekauft. Dennoch sei die Liefersituation nach wie vor angespannt, und das zu Zeiten des höchsten Auftragsbestandes der Firmengeschichte. Das schlägt sich am Ende spürbar in den Lieferzeiten nieder. So müssen Neukunden im Bereich Röntgenanlagen mit Lieferzeiten von 12 bis 14 Monaten rechnen. Auch die Preise seien gestiegen, in der Spitze um 15 bis 20 Prozent. „Aber unsere Kunden akzeptieren das“, berichtet der Chef und fügt an: „Seit der Coronapandemie ist das Verständnis füreinander enorm gewachsen. Das hilft uns sehr.“

Enorme Herausforderung

Michael Grenz, Geschäftsführer der Hanseatic Power Solutions (HPS) aus Norderstedt, bewertet die gegenwärtige Lage auf dem Lieferantenmarkt als katastrophal. Sein Unternehmen gehört zu den führenden deutschen Anbietern für Steuerungstechnik in der Energieerzeugung und -verteilung sowie in der Notstromversorgung. Mehr als 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bauen komplexe Schalt- und Steuerungsanlagen für Kunden in aller Welt. „Die Lieferketten sind nach wie vor völlig gestört“, sagt er und verweist vor allem auf drei wesentliche Ursachen: die vorübergehende Schließung von mehreren Containerhäfen während der Pandemie in China, den Brand in einer Chipfabrik in Japan und den weltweiten Mangel an qualifizierten Arbeitskräften. Dass im Sommer dieses Jahres zeitweilig Dutzende von Containerschiffen in der Deutschen Bucht auf Reede lagen und in den Seehäfen nicht abgefertigt werden konnten, habe die Lage überdies noch verschlimmert. Vor allem elektronische Bauteile wie SPS-Steuerungen und Touch Panels hätten Lieferzeiten von bis zu zwölf Monaten. „Unsere Kunden müssen nach telefonischer Freigabe ihres Auftrags teilweise deutlich länger auf ihr Produkt warten als gewohnt“, sagt Grenz.

Michael Grenz, Geschäftsführer Hanseatic Power Solutions (HPS)

Foto: Sebastian Engels

HPS steuert gegen, indem man so viele Bauteile wie möglich besorgt und wie VisiConsult auf Lager legt. „Belastet unsere Liquidität, hilft uns aber bei der Bearbeitung unserer Aufträge“, erklärt Grenz. Der Auftragsbestand des Unternehmens ist so gut wie nie zuvor. Auch der Auftragseingang boomt. „Jetzt müssen wir die Orders nur noch abarbeiten“, sagt der Chef. Trotz deutlicher Preissteigerungen seien bis dato noch keine Kunden abgesprungen, betont Geschäftsführer Grenz und verweist auf das traditionell enge Verhältnis zur Kundschaft. „Wir kommunizieren sehr offen und häufig mit unseren Kunden, das ist sicher ein Grund dafür, dass wir Preiserhöhungen auch durchsetzen können“, sagt er. Grundsätzlich sei die Stammkundschaft sehr treu und stabil. „Die Herausforderung in diesen Zeiten ist es, neue Kunden zu gewinnen“, bemerkt der HPS-Geschäftsführer. Den Hauptrede- und Erklärungsbedarf hat Grenz aber nicht in der Kommunikation mit der Kundschaft ausgemacht, sondern im internen Austausch mit den Beschäftigten. „Sie machen sich Sorgen um ihre Zukunft“, sagt Grenz. Fachkräfte zu halten und natürlich auch neue zu gewinnen, sei daher eine weitere, wichtige Aufgabe des Managements.

Politik in der Pflicht

Bernhard Funke, Geschäftsführer von Märtens Transportbänder, einem Produzenten von Spezial-Transportbändern in Flensburg, sieht die aktuelle Situation als schwierig, aber nicht als existenzbedrohend an. „Für die gesamtpolitisch gesehen eher schwierige Lage schlagen wir uns ganz gut“, sagt er. Klar, auch der Mittelständler im äußersten Norden Deutschlands leidet unter gestörten Lieferketten, wartet auf Elektronikbauteile aus Fernost und muss Verzögerungen beim Bau der firmeneigenen Photovoltaikanlage hinnehmen. Aber mit Kreativität, Erfindungsreichtum und hoch spezialisierten Produkten versucht man, der Lage Herr zu werden. So ist das Unternehmen weltweit der einzige Betrieb, der Transportbänder sowohl aus Kunststoff als auch aus Metall herstellt. Und das zum Teil auf selbst konstruierten und gebauten Maschinen. Deshalb kann Märtens Produkte anbieten, für die es keinen Standard gibt. Dennoch hat der Chef von rund 90 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auch mit großen Herausforderungen zu kämpfen. „Wir brauchen exzellente Rohstoffe, um unsere Qualitätsversprechen einhalten zu können. Daher fahren wir eine spezielle Lieferantenstrategie und setzen bei einigen Produkten auf single sourcing“, sagt Funke. So beziehen die Flensburger ihre Kunststoffrohmaterialien aufgrund ihrer hohen Qualitätsansprüche nur von hoch spezialisierten Zulieferern und kaufen ihre Drahtmaterialien ausschließlich in Europa ein.

Bernhard Funke, Geschäftsführer Märtens Transportbänder

Foto: Christian Augustin

Obwohl Märtens eine wenig energieintensive Fertigung betreibt, hat man sich schon vor geraumer Zeit dazu entschieden, mit einer eigenen Photovoltaikanlage bis zu zwei Drittel des Energiebedarfs selbst zu produzieren. Zudem werde man die Fahrzeugflotte auf Elektroautos umstellen. „Die Entscheidung dafür fiel aber schon lange vor Putins Angriffskrieg“, betont der Geschäftsführer. Die Zukunft des Unternehmens sieht er trotz unsicherer Gemengelage verhalten positiv. „Wir wachsen weiter und wollen auch weiter einstellen“, sagt er. Der Fachkräftemangel sei zwar auch im Raum Flensburg spürbar, aber für sein Unternehmen aktuell kein großes Problem. „Wir haben im laufenden Jahr einige tolle Einstellungen gemacht und sind als attraktiver Arbeitgeber in der Region bekannt.“ An die Politik hat Funke einige konkrete Wünsche. „Die Globalisierung macht derzeit Pause. Deshalb muss die Politik endlich dafür sorgen, dass Schlüsseltechnologien wie die Halbleiterproduktion oder die Fertigung von Solarpanels wieder in Deutschland stattfinden können.“ Verkäufe großer Unternehmen mit systemkritischen Technologien wie dem Roboterbau sollten möglichst unterbunden werden. „Dazu muss die Politik das entsprechende Umfeld schaffen“, fordert er. Auch NORDMETALL-Präsident Folkmar Ukena sieht die Politik angesichts der nach wie vor höchst ungewissen internationalen Lage, hausgemachter Probleme auf dem deutschen Arbeitsmarkt und der hohen Belastungen sowie des Bürokratiedickichts in der Pflicht. „Die norddeutschen Landesregierungen und die Bundesregierung sollten dringend eine Entlastungsoffensive zugunsten der mittelständischen Wirtschaft starten, um den Industriestandort Norddeutschland zu sichern und zu stärken“, so sein Credo.

Lothar Steckel

Märtens Transportbänder setzt bei der Beschaffung der Ausgangsstoffe für seine Kunststoffbänder auf hoch spezialisierte Zulieferer.

Foto: Christian Augustin

Stabil und vielseitig einsetzbar sind die Stabgeflechtbänder, die zu den Bestsellern von Märtens aus Flensburg zählen.

Foto: Christian Augustin

Titelbild: Chris Müller

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