WINTER ART

25-1/2 März 2025 € 13 ISSN 1015-6720
25-1/2 Mit Besucher:innen ins Gespräch kommen
30 Jahre ZOOM Kindermuseum · Erhebung zur Ausstellungspraxis in österreichischen Museen ·

MIT BESUCHER:INNEN INS GESPRÄCH KOMMEN
Experimentell ist nicht chaotisch.
Zeitgenössische Kunst, Kinder und Ko-Kreieren in einer lernenden Institution
Ist zeitgenössische bildende Kunst für ein junges Publikum zu komplex und konzeptionell? Wie kann zeitgenössische Kunst mit einem jungen Publikum „funktionieren“, wenn selbst Erwachsene sie ohne eine Erklärung oft nicht verstehen? Und wie könnten Kunstproduktionen auf eine ko-kreative Weise gelingen? Entlang dieser Fragen experimentieren Künstler:innen, Kinder und Kunstvermittler:innen im KinderKunstLabor für zeitgenössische Kunst1 in St. Pölten. Dabei erfordern komplexe Abläufe des Ko-Kreierens in Kunstproduktionen klar vereinbarte Kriterien und Strukturen mit den Beteiligten. Gleichzeitig stehen visionäre Konzeptionen der Mitgestaltung und Mitbestimmung an zentraler Stelle. Diese Arbeitsweisen setzen insofern – als Grundlage kontinuierlicher Lern- und Entwicklungsprozesse der gesamten Institution – eine forschende Begleitung voraus. Einige Möglichkeiten in diesem Feld, werden im Folgenden beschrieben.
Vorüberlegung zu Kindern und zur Kindheit im Museumskontext
Jede neu geborene Person trägt eine eigene Welt in sich, ist durch individuelle Handlungen per se politisch und transformiert sie damit. Den Begriff der Natalität – der Geburtlichkeit – hat Hannah Arendt in ihrem Werk The Human Condition geprägt2. Sie analysiert darin, inwiefern insbesondere Diktaturen diese Zusammenhänge erkennen – und bekämpfen.3 Vielfalt, Mehrdeutigkeit und Singularität – ebenfalls Nukleus der Kunst – sind dabei gleichzeitig Grundlagen eines kritischen Denkens und der Demokratie.
Die Einordnung von Handlungen der Kinder und die Konzeption von Kindheit ist in der individuellen Wahrnehmung jeder einzelnen Person verankert. Der Ursprung dieser Vorstellung von Kindheit und dem Kindsein verortet sich dabei oft in unbewussten Einstellungen, die durch Traditionen geprägt sind. Die Denkweisen über Kinder – etwa die Dichotomie von Erwachsenen und Kindern – basieren zum Teil noch auf den Entwürfen der griechischen Philosophie. Aristoteles betrachtete Kinder als unvollkommen und unvollständig.4 Diese defizitären Vorstellungen von Kindern als unvollkommenen Personen, sehr verletzlichen Personen und Personen, die sie erst werden (also noch nicht sind), sind unterschwellig immer noch bestimmend für den Umgang mit Kindern in öffentlichen Räumen wie Kunstmuseen und Ausstellungshäusern.5
Das Museum – ein Ort des Spiels
Lernende Strukturen und Wissen Teilen „Kreativität [betrifft] nicht nur die Qualität des Denkens jedes einzelnen Individuums […], sondern [ist] auch ein interaktives, relationales und soziales Projekt […]. Sie erfordert einen Kontext, der es ihr ermöglicht, zu existieren, zum Ausdruck zu kommen und sichtbar zu werden.“12
Das Team des Forschungsprojekts „Art & Wonder: Young Children and Contemporary Art Research Project“ am Museum für zeitgenössische Kunst Australien (MCA) arbeitet mit dem Wissen um die Relevanz des Zugangs zu anspruchsvollen kreativen Lernerlebnissen für sehr junge Kinder. Dabei sind die Analysen über den weittragenden Einfluss und die Vorteile von Kreativität und künstlerischen Bildungserfahrungen für junge Kinder eine wichtige Grundlage für ihre Arbeit in der Vermittlung zeitgenössischer Kunst.13 Wie auch im KinderKunstLabor erforscht das MCA daher die eigenen Arbeitsprozesse und den musealen Raum, um so Erkenntnisse darüber zu gewinnen, was sich positiv auf die schöpferischen Potenziale aller Kinder auswirkt.14 In der institutionellen Praxis stehen dabei zunächst visionäre Konzeptionen der Mitgestaltung und Mitbestimmung im Zentrum. Wie diese sich gestalten können, wird im Folgenden knapp skizziert.
Zur Mitgestaltung im KinderKunstLabor
Rivane Neuenschwander lebt und arbeitet in São Paulo, Brasilien. In ihrer Ausstellung dream.lab vom 13. September 2024 bis zum 22. Februar 2025 arbeitete die Künstlerin installativ und experimentell zum
Insgesamt hat das im Juni 2024 fertiggestellte Gebäude des KinderKunstLabors im umgebenden Altoonapark 2600 m2 an Nutzfläche auf vier Stockwerken, davon 400 m2 Ausstellungsfläche und 200 m2 Laborfläche. Demzufolge bietet das neue Gebäude zahlreiche Räume, die nicht Teil der Ausstellung sind. Sie sind entlang der Themen und Wünsche aus den Kindergremien gestaltet. Dazu zählt der Außenbalkon mit der interaktiven textilen Installation, Toshis Gabe おくリも6, die Kinderbibliothek mit Bilderbüchern, Literatur und Sprachenvielfalt ebenso wie die großzügig geschnittenen und multifunktionalen Flure und Treppen.7 Einen weiteren Raum zum Spielen innen, das Archipelago, hat der Künstler und Architekt Jakub Szczęsny spezifisch für Kinder unter sechs Jahren entworfen: Hier schaffen fließendes Wasser, Farben, Licht- und Schattenspiele, organische Formen und vielfältig gestaltete Oberflächen eine Atmosphäre für sinnliches Erleben, ästhetische Erfahrung und nonverbale Interaktionen.8 Das Außengelände ist integral im Gesamtkonzept des Ausstellungshauses eingebettet und ermöglicht gleitende Übergänge zwischen drinnen und draußen. Der umliegende Skulpturenpark mit von den Kindern ausgewählten Skulpturen – in Zusammenarbeit mit Kunst im öffentlichen Raum Niederösterreich9 – kann für alle Altersgruppen ein Ort zum intergenerationellen Austausch in einem offenen und künstlerischem Umfeld werden. Die regionale Gastronomie im Café mit Terrasse ergänzt das Spektrum. Das KinderKunstLabor bietet Räume für eigenes Tun, zum Betrachten, zum Bewegen, für Austausch und Dialog, zum Essen und zur Erholung im Gebäude und im umgebenden Park. Eine allgemeine Offenheit für verschiedene Nutzungsformen, das heißt, auch Nutzungen, die nicht primär kulturell sind, werden ermöglicht. Das KinderKunstLabor kann so zu einem „One-Stop-Shop“, an dem also alles an einem Ort geschehen kann, werden.10 Angestrebt wird es, das Museum als Ausstellungsort und darüber hinaus als gesellschaftlichen Dritten Ort11 in der Stadt St. Pölten und im Land Niederösterreich zu etablieren.
Thema Traum und den Träumen. Um sie vorzubereiten, ist sie seit 2023 im Austausch mit den Kindern der Mitgestaltungsgremien des KinderKunstLabors. Im Herbst 2023 startete der Prozess gemeinsam mit ihr und auch danach wurde in den Kindergruppen das Thema Traum und Träumen sinnlich und künstlerisch umgesetzt. Die entstandenen Werke sind von der Künstlerin bearbeitet und in ihre zeitgenössische Formensprache übersetzt worden. Zentrales Gestaltungselement in dream.lab sind Holzrahmen, die mit Stoffen bespannt sind. Die Zeichnungen darauf wurden von Kindern auf Kopfpolstern, dem Ort der direkten Verbindung von Körper und Traum, gemalt und von der Künstlerin weiterbearbeitet.
Im dream.lab sind alle Kinder und Erwachsenen eingeladen, sich aktiv einzubringen und einzumischen. Zum Beispiel mit den von Kinderzeichnungen ausgehenden Traumfiguren Schattenspiele entstehen lassen, sodass sie groß auf der Wand erscheinen oder klein werden. Zusammen mit allen anderen Elementen, den Kopfpolstern, Lichteffekten, den Kreidezeichnungen, Klängen und Seifenblasen kann so ein künstlerisches Labor zum Träumen entstehen.
Die mit den Träumen bemalten Kopfkissen der Kinder sind im Treppenhaus auf dem Weg zum Ausstellungsraum gehängt. Besuchende auf ihrem Weg in die Ausstellung sehen daher zuerst die Werke der Kinder. In der Kinderbibliothek steht das damit korrelierende ein 100 Zentimeter breite und 130 Zentimeter hohe Traumbuch. Hier sind vielfältige großformatige und kooperativ bearbeitete Zeichnungen und Malereien der Kinderbeiratsgruppen zu einem beinahe bühnenartigen Ensemble gebunden. Die Motive, die die Künstlerin in ihrer Ausstellung interpretiert, finden sich hier aus der Originalhand der Kinder. Das schwergewichtige Artefakt ist das Lieblingsbuch des

jungen Publikums, die darin notierten visuellen Spuren der anderen Kinder werden täglich „gelesen“ und neuinterpretiert.
Die Gesamtdramaturgie des Hauses orientiert sich an der Vielfalt der von den Kindern visualisierten Vorstellungen. Dazu können im anderen Labor des Hauses auf den mit Buttermilch bestrichenen Fenstern mit Zahnstochern eigene und neue Spuren hinterlassen werden. Hier können sich die Kinder im wahrsten Sinne des Worts einschreiben. Mitwirkungen können sich jedoch auch auf etwas nicht Greifbares beziehen. Gefragt nach weiteren Wünschen an das KinderKunstLabor, äußerten die Kinder, dass es im Museum gut riechen solle, beispielsweise nach Wald. Letztendlich konnten dann 200 Kinder aus acht Duftproben den Duft nach Wasserfall als ihren absoluten Liebling ermitteln. Bei der Hauseröffnung Ende Juni wurde dieser Duft dann zweimal täglich im noch nicht bespielten Ausstellungsraum über die Klimaanlage zusammen mit dichten Nebelschwaden verteilt – sehr zur großen Freude der Kinder. Diese verschiedenen Konzepte und Ideen geben Einblicke in das, was entstehen kann, wenn zeitgenössische Kunst höchster Qualität mit der Lebenswelt und Erfahrungen junger Menschen eine Verbindung eingeht. Die Werke können betrachtet, nachvollzogen und bestaunt werden – darüber hinaus auch erfasst, gerochen, gehört, erahnt, ertastet, gesucht, aufgespürt, erklettert, neu zusammengesetzt, umgedreht, verändert, erweitert und bemalt werden. Die Idee oder Methodik, die so erforscht werden kann, ist ein produktiver Raum für Künstler:innen, Kunstinstitutionen, Teilnehmer:innen und Zuschauer:innen gleichermaßen, der unsere sensorische Vorstellungskraft, unsere Neugier und den Wunsch nach vielfältigen Erkundungen dessen, was Kunst an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit sein könnte, entwickeln könnte. Über 15.000 Kinder und ihre Erwachsenen haben sich seit der Eröffnung des Hauses nun auf vielfältige Weisen mit komplexen künstlerischen Arbeiten beschäftigt.
Conclusio
Die vorangehend beschriebenen Prozesse und Formate sind ein Strang von vielen weiteren, an denen das Team des KinderKunstLabors arbeitet. Doch sie zeigen die vielfältigen Weisen des CoKreierens und der Mitgestaltung in einer entstehenden Kunstinstitution. Diese mit verschiedenen Werkzeugen nachzuzeichnen, ist dabei entscheidend dafür, dass die Erzählungen der Kinder weitergegeben werden können.
Beteiligungsverfahren, Ko-Produktionen sowie die Weiterentwicklung des Bildungs- und Vermittlungsverständnisses sollten strategisch in allen Institutionen eingebettet werden können. Dabei kann das theoretisch-empirische Wissen über Auswirkungen partizipa-
tiver Prozesse zwischen Kindern, Kunstvermittelnden und Künstler:innen für die Berufsfeldentwicklung und Qualifizierungsverfahren von Kunstvermittlung durch spezifische Begleitforschung auch für andere Gruppen nutzbar gemacht werden.
Zeitgenössische bildende Kunst ist dabei für ein junges Publikum keineswegs zu komplex, sondern bietet vielfältige Anknüpfungsmöglichkeiten. •
Anmerkungen
1 In dem neuen Ausstellungshaus für ein junges Publikum in St. Pölten wird internationale zeitgenössischer Kunst präsentiert und in ko-kreativen Prozessen gemeinsam mit Kinderbeiratsgruppen und Kindern der Kunstideenwerkstatt im Dialog mit den Künstler:innen entwickelt. Das Gebäude ist von den Wiener Architekten Schenker Salvi Weber ZT GmbH entwickelt worden und gewann 2024 den renommierten österreichweiten Bauherr:innenpreis. Darüber hinaus ist das KinderKunstLabor ein Modellprojekt für Qualifizierung und Forschung zur Kunstvermittlung in Bildungs- und Kulturinstitutionen.
2 Hannah Arendt, The Human Condition, Chicago 1998, S. 175–182
3 Jean Birnbaum, Seuls les enfants changent le monde, Paris 2023, S. 35–42
4 Arendt, The Human Condition, 1998, S. 175 ff.
5 Jo Birch, „Museum spaces and experiences for children –ambiguity and uncertainty in defining the space, the child and the experience“, Children's Geographies, 16:5, 2018 S. 524, URL: https://doi.org/10 1080/14733285 2018 1447088 [21 01 2025]
6 Mona Jas, „Jenseits der Komfortzone. Mona Jas im Gespräch mit Toshiko Horiuchi MacAdam“, in: Mona Jas, Aron Weigl (Hg.): Können Institutionen (laufen) lernen. Forschende Ansätze im KinderKunstLabor, Wien 2024, S. 95–107
7 Franziska Leeb, „Hier waren Kinder am Werk: ein neues Kunstlabor in St. Pölten“, 2024, www.diepresse.com/18586448/hierwaren-kinder-am-werk-ein-neues-kunstlabor-in-st-poelten [21 01 2025].
8 Mona Jas, „Jakub Szczęsny, Archipelago”, 2024 www.kinderkunstlabor.at/de/kennenlernen/skulpturen/archipelago [21 01 2025].
9 Kunst im öffentlichen Raum Niederösterreich. 2023-2025, im Erscheinen, o. O., o. S.
10 Anja Roß, Die Eroberung des Museums: Aneignung und Mitgestaltung des Tribal Museums Bhopal durch seine indischen Besucher*innen, Bielefeld 2023
11 Ray Oldenburg, The Great Good Place. Cafés, Coffee Shops, Bookstores, Bars, Hair Salons, and other Hangouts at the Heart Community, New York 1989
12 Rinaldi, 2006, 119–120 zitiert nach Clare Britt, Amanda Palmer, „Cultural Citizenship und kreative Reziprozität“, in: Mona Jas, Aron Weigl (Hg.), Können Institutionen (laufen) lernen? Forschende Ansätze im KinderKunstLabor, Wien 2024 S. 205
13 Clare Britt, Amanda Palmer, „Cultural Citizenship und kreative Reziprozität. Junge Kinder und zeitgenössische Kunst im Forschungsprojekt Art & Wonder®“, in Mona Jas, Aron Weigl (Hg.),Können Institutionen (laufen) lernen? Forschende Ansätze im KinderKunstLabor, Wien 2024 S. 203–213
14 Britt/Palmer 2024 S. 203–204



In einem anderen
des Hauses können auf den mit Buttermilch bestrichenen Fenstern mit Zahnstochern eigene und neue Spuren hinterlassen werden