Panorama Berlin | Herbst/Winter 2016/2017

Page 113

Lifestyle |

F E AT U R E

WA ( H ) R E H E L D E N

Natürlich gibt es in einer Story mit Bösewicht auch den ein oder anderen Helden. „Kale“, früher auch ordinär Grünkohl genannt, ist zum Beispiel so ein Held, oder eben Quinoa oder die Gojibeere oder Chia-Samen. Die Riege der außergewöhnlichen Genussmittel sozusagen – ein erlauchter Kreis, der jedoch nicht rigoros geschlossen ist. Abhängig von Marketingbudget und prominenten Unterstützern werden neue Mitglieder auch weiterhin gerne aufgenommen. So genau kann wohl keiner sagen, wann aus dem „Arme-LeuteGemüse“ Grünkohl eine „Superfood“-Delikatesse wurde, die, glaubt man seinen Fans, in Säften (natürlich kalt gepresst) oder geröstet als Chips wahre Wunder vollbringt, und dadurch in verarbeiteter Form allemal Kilogrammpreise von 150 Euro rechtfertigt.

Gegengift! Gut zum detoxen, die Acai-Beere.

Es gibt in meinem Bekanntenkreis Personen, die aus Liebe zum Quinoa sogar ihre Einkaufsge­ wohnheiten umgestellt haben. Nach Feierabend ist die Zauberfrucht – die übrigens kein Ge­ treide, sondern ein entfernter Verwandter des Spinats ist – nämlich bei ihrem Supermarkt in Prenzlauer Berg meist vergriffen. Deswegen wird jetzt auf dem Weg zur Arbeit eingekauft. Ein Glück, dass sämtliche Milchprodukte – Laktose heißt das verantwortliche Unwort – böse sind. So kann der gesamte Einkauf gut den Arbeitstag überstehen, ohne dass etwas schlecht werden würde. Die meisten Superfoods sind nämlich trocken und vakuumiert in Tüten verpackt. Dadurch eignen sie sich auch ideal für den Onlineversand. Shops wie www.nu3.de bieten mittlerweile neben Nahrungsergänzungsmitteln für Sportler und den typischen Diäthilfsmitteln auch zahlreiche Superfood-Variationen für Kunden, die weder Gewicht ab-, noch Muskeln aufbauen, sondern einfach ihre tägliche Ernährung gesünder gestalten wollen.

SAFTLADEN – KEIN SCH I M PFWORT M E H R ...

Eine weitere Nebenerscheinung des Superfood-Booms sind die aus dem Boden sprießenden Saftläden. Wahre Tempel der Lohas, in denen die Dreifaltigkeit „Vegan, Organic, kalt gepresst“ angebetet wird. Hier gibt es köstliche und weniger köstliche Gemüsefruchtsaftkombinationen, doch, mal ganz abgesehen vom individuellen Geschmack, man muss diesen Cafés ihre Rolle als Botschafter für eine bessere Ernährung zugestehen. „Bio“ und „Natur“ kommt raus aus der Ökomuffecke, Naturkost kann auch schick sein. Dadurch wird für den Mainstream die Schwellenangst abgebaut, und es ist sicherlich nicht schlecht, wenn vegane Alternativen zum Essen verfügbarer werden und somit unkomplizierter in die Ernährung eingebaut werden können – wenn überforderte Eltern nicht mehr denken, dass Fruchtzwerge, Milchschnitten und Erdbeerkäse wichtige Vitaminlieferanten sind, und den Kinderriegel auch mal gegen eine BioamaranthSchnitte austauschen.

Oben: Gesunder Regenbogen, die Säfte von Daluma Unten: Mittlerweile Kult – Kale Chips

111


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.