Regional
Waldemar Paulsen:
Milieu-Fahnder für Prostitution und Zuhälterei auf der Davidwache
Zwei Männer observieren ein Juwelier-Geschäft auf der Reeperbahn. Sie positionieren sich etwa vierzig Meter voneinander entfernt. Das Mobile Einsatzkommando (MEK) hat einen Freigänger verloren, der einen Raubüberfall auf den Juwelier plant. Die beiden Zivilfahnder, Waldemar Paulsen und Hans-Jürgen Rahn, wissen weder, wie der Kriminelle aussieht, noch ob er bewaffnet ist. Ein Beamter des MEK kommt vorbei und unterhält sich mit Rahn, der auf dem Kiez nur „Der Schnelle“ genannt wird. Sie bemerken nicht, dass der Gesuchte eben in diesem Moment an Paulsen, genannt „Rotfuchs“, vorbei geht. Später folgen
Paulsen und Rahn der suspekten Person in eine Kneipe am Hamburger Berg. Die MusikBox dröhnt überlaut und dichter Zigarettenqualm hängt in der Luft. Paulsen lässt sich von der verfolgten Person den Ausweis zeigen und stellt sehr schnell fest, dass es sich um den Gesuchten handelt, die im nächsten Moment blitzschnell mit einer entsicherten Waffe auf Paulsen zielt. Der Mann wird schießen - ohne zu zögern. In diesem Moment wirft sich Paulsens Partner auf den Bewaffneten und der erste Schuss verfehlt „Rotfuchs“ um Haaresbreite. Die nächsten Schüsse sind tödlich für einen unbeteiligten Gast.
Waldemar Paulsen auf der Reeperbahn. / Foto: Rüdiger Gärtner
„Mein Partner hat mir an diesem Nachmittag vor 35 Jahren das Leben gerettet“, versichert Paulsen. Er selbst bezeichnet sich als Fossil aus dem vergangenen Jahrhundert, das die Ära des damaligen St. Pauli hautnah miterlebt hat. Er kannte alle Alpha-Tiere im Milieu. Es war eine Zeit, in der Lust und Laster auf dem Kiez dominierten. Damals waren gut 2.000 Prostituierte in den Bordellen und auf dem Straßenstrich tätig. Ein weiteres Problem war der üble Nepp. Immer wieder erschienen männliche Besucher in der Davidwache, die sich von den hohen Schaumwein-Preisen in den Bars übertölpelt fühlten. Diesen Beschwerden mussten die Beamten nachgehen. Sie sorgten unter anderem dafür, dass durch harte sachliche und persönliche Auflagen, dazu fortwährende Razzien, der Nepp eingedämmt werden konnte. Tag und Nacht waren sie unterwegs auf dem Kiez. 6 | www.friesenanzeiger.de
Anfang der 1980er Jahre veränderte sich das Bild auf St. Pauli. Die Aids-Welle war auf dem Zenit angelangt und die „Weiße Dame“, Kokain und Heroin, hielt Einzug. Die Zuhälter wurden immer willfähriger, die Luft durch den Lohnkiller Pinzner immer bleihaltiger. Das alte St. Pauli starb im Jahre 1987. „Es war eine spannende Zeit, die mit der heutigen nicht mehr zu vergleichen ist“, erzählt Paulsen. Er ist Jahrgang 1947, als kleines Kind kam er zu seinen Adoptiveltern nach Friedrichskoog. 41 Jahre lang arbeitete und lebte er in Hamburg. Seine Motivation war es, die Menschen auf der Reeperbahn zu verstehen. Was bewegte manche Prostituierte, das zu tun, was ihr Zuhälter wollte? Paulsen wurde im Jahre 2007 als Kriminal-Hauptkommissar pensioniert und ist wieder nach Friedrichskoog gezogen.
Er ist einer der letzten Zeitzeugen und hat seine Geschichten vom Kiez in einem Buch niedergeschrieben. Es handelt von käuflicher Liebe, Revierkämpfen, skurrilen Kiez-Originalen, St. Pauli und der Reeperbahn. Während seiner Lesungen erzählt Paulsen die Geschichten hautnah, als hätten sie sich erst gestern ereignet.
„Meine Davidwache“ ist im Rowohlt Taschenbuchverlag erschienen und kostet 9,99 Euro. ISBN 978-3-499-62839-9 www.waldemar-paulsen.de Text: Bärbel Sommer
Mitte der 1970er Jahre. Zivilfahnder Paulsen und Hans-Jürgen Rahn auf der Großen Freiheit. Foto: Thomas Osterkorn