Kultur
Dreizehn Stunden für die Kunst:
Ein Gastspiel am Theater Itzehoe
Ein „Denkmal des unbekannten, reisenden Schauspielers“ wäre eine Idee, scherzt der Detmolder Schauspieler Stephan Clemens.
Es ist Sonntagnachmittag. Menschen strömen aus Bussen und Gassen zum Theater inmitten Itzehoes. Um drei Uhr wird Anatevka gespielt, das Musical das es nicht nur wegen des von Tewje, dem Milchmann gesungenen Hits „Wenn ich einmal reich wäre“ in den 1960er Jahren zu weltweitem Ruhm brachte. Auch hinter den Kulissen herrscht Aufregung. Das Detmolder Landestheater ist erst vor einer Stunde angekommen. Vier Stunden Fahrt liegen hinter den Passagieren, morgens um acht ging es für das große Ensemble mit Schauspielern, Sängern, Musikern, Tänzern, Maskenbildnern, Mitarbeitern für das Kostüm, Requisiteuren, Inspizienten in zwei Bussen in Richtung Itzehoe. Ein großer LKW der Technik mit Bühnenbild und anderen Notwendigkeiten war 66 | www.friesenanzeiger.de
schon am Tag zuvor angereist. Stephan Clemens ist seit vier Jahren Ensemblemitglied. Seit dem Abschluss seines Schauspielstudiums im Jahr 1997 gehörte er einigen Ensembles in ganz Deutschland an. An die Gastspielreisen des Landestheaters Detmold, das als größte Wanderbühne Europas gilt, musste er sich erst gewöhnen. Ein Gastspiel in Itzehoe bedeutet für ihn und seine Kollegen Abfahrt in der Frühe, Ankunft mittags, dann schnell in die Maske und ins Kostüm. Für eine Mahlzeit bleibt wenig Zeit, ein kurzer Stopp an einer Raststätte, etwas Fastfood, ein Schokoriegel. Schon ruft die Inspizienz zum Vorstellungsbeginn, Hunger oder Müdigkeit haben keinen Raum. „Die Menschen im Publikum haben für heute bezahlt, sie erwarten zu Recht einen guten Theaterabend. Da interessiert es nicht, dass ich
eigentlich erschöpft bin, weil ich in Detmold am Abend vorher noch bis 23:00 Uhr auf der Bühne stand“, sagt Stephan Clemens. In Anatevka spielt der 47-Jährige einen Studenten. Mit seiner Bühnen-Liebsten lacht, singt und tanzt er über die Bühne. Bis ins kleinste Detail gearbeitet, spielt er konzentriert, nach außen mit großer Leichtigkeit seine Rolle. Dann großer Applaus für das Ensemble, der Vorhang schließt sich. Es bleibt kein Moment der Entspannung. Die Künstler ziehen sich um, schminken sich ab, kaum vergeht eine halbe Stunde, bis die Detmolder wieder in ihren Bussen sitzen. Vier Stunden Fahrt liegen wieder vor ihnen, es wird, wenn alles gut geht, 23:00 Uhr werden, bis sie zuhause ankommen. Kein Moment blieb den Künstlern, um die Stadt zu besuchen. Stephan Clemens lacht,
„einmal hab ich es in Itzehoe bis zum Ende der Einkaufsstraße geschafft. Wir würden gerne mehr von den Städten wissen, in die wir reisen, doch müssten wir dann übernachten und das nicht zu finanzieren.“ Bei einem straffen Arbeitsplan, Proben, Premieren, Vorstellungen und Gastreisen kommt der Schauspieler während der Spielzeit kaum zu Privatem. Bis Ende Juni hat er keinen freien Abend. „Der Beruf macht viel Spaß, aber es geht nicht ohne Leidenschaft. Dienst nach Vorschrift funktioniert in der Kunst nicht.“ Insgesamt wünscht er sich von seinem Publikum „ein wenig mehr Aufgeschlossenheit bei Gastspielen mit moderneren Stücken, da kommen leider nicht so viele Zuschauer, dabei sind die Abende ebenso gut wie unterhaltsame Klassiker.“ Text und Foto: Claudia Steinseifer