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Stadtpolitik – Im Gespräch mit Martina Wild, 2. Bürgermeisterin

B i l d u n g h at P r i o r i t ät

I m G e s p r ä c h m i t M a r t i n a W i l d 2 . B ü r g e r m e i s t e r i n u n d R e f e r e n t i n f ü r B i l d u n g u n d M i g r a t i o n

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M a r t i n a W i l d , Au g s b u rg s R e fe re n t i n f ü r B i l d u n g u n d M i g ra t i o n , s te h t vo r e i n e r d e r s c h w i e r i g s te n p o l i t i s c h e n H e ra u s fo rd e r u n ge n . Z u s ta n d u n d Au s s ta t t u n g vo n S c h u l e n , m e h r K i ta - P l ä t ze , M a n ge l a n pä d a go g i s c h e n Fa c h k rä f te n , D i g i ta l i s i e r u n g o d e r G a n z ta g , d a s s i n d n u r e i n i ge d e r Au f ga b e n , d i e e s f ü r d i e G r ü n e n - Po li t i ke r i n z u b ewä l t i ge n g i l t . D a s T h e m a B i l d u n g w i rd s c h o n t ra d i t i o n e l l vo n e i n e m g ro ß e n ö ffe n t l i c h e n I n te re s s e b e g l e i te t , j e t z t fä l l t z u s ä t z l i c h d e r l a n ge S c h a t ten vo n C o ro n a d a ra u f . W i r h a b e n d e n n o c h e i n e o p t i m i st i s c h e M a r t i n a W i l d ge t ro ffe n . Vo n M a r k u s K ra p f

Frau Wild, wie verliefen ihre ersten Monate als Referentin für Bildung und Migration? Sie sind ja auch unsere 2. Bürgermeisterin.

Mein Start war wegen der Vielfalt an Aufgaben als Bürgermeisterin und Referentin für Bildung und Migration sehr abwechslungsreich und arbeitsintensiv. Aufgrund von Corona waren natürlich insbesondere die Bereiche Schule und Kita die zentrale Herausforderung. Ich habe jedoch ein hochengagiertes, kompetentes und sehr flexibles Referatsteam vorgefunden und wir konnten auch schon einiges gemeinsam auf den Weg bringen. Zu Beginn einer sechsjährigen Periode ist es zunächst am wichtigsten, Strukturen für die Zukunft zu schaffen und Aufgabenbereiche und Ziele klar zu formulieren. Bildung hat Priorität für diese Stadtregierung – dazu gehören für mich Chancengleichheit beim Zugang zu den Bildungsangeboten, eine weitere Verbesserung der Betreuungsangebote, gut ausgestatte Bildungsorte sowie selbstverständlich die Fortführung der Sanierung unserer Schulen. Dies sind daher die Eckpunkte meiner Arbeit.

Einer ihrer ersten Maßnahmen war die Neuorganisation des Kita-Bereichs.

Das ist richtig. Für die Bereiche Kindergarten, Krippe und Schulkindbetreuung gibt es seit August ein eigenständiges Amt für Kindertagesbetreuung unter der Leitung von Eva Hermanns. Wir haben das Amt innerhalb von drei Monaten neu aufgestellt und dort die Bereiche, die zuvor in verschieden Referaten und Amtsbereichen verortet waren, nach dem Vorbild anderer Kommunen zusammengeführt. In bin überzeugt, dass wir in Zukunft effektivere Strukturen, einen besseren Überblick und auch eine gut strukturierte Zusammenarbeit mit anderen, nicht städtischen Trägern haben werden. Für den Dialog mit den freien Trägern werden wir einen Trägerbeirat installieren.

Wie aufwendig ist es, so ein neues Amt in nur drei Monaten zu installieren?

Wir haben versucht, in vielen Gesprächen und Diskussionen einen guten Übergang zu gestalten. Dazu gehört der Dialog mit den Mitarbeiter*innen, deren Ausstattung, die finanziellen Rahmenbedingungen, aber eben auch Gespräche mit den freien Trägern. Im August konnten wir nun mit der konkreten Arbeit in den neuen Strukturen beginnen.

Die Nachfrage nach Kita-Plätzen ist nach wie vor groß. Wo sehen sie hier die dringendsten Aufgaben?

Wir haben nach wie vor einen wachsenden Bedarf an Betreuungsplätzen. Obwohl freie Träger und die Stadt Augsburg das Platzangebot in den letzten Jahren gemeinsam deutlich ausgebaut haben, fehlen uns aktuell sogar über 900 Plätze. Man sieht also, dass es nicht nur einen großen Bedarf, sondern auch einen riesigen Zuspruch für eine gute Kinderbetreuung in unserer Stadt gibt. Wir arbeiten jetzt mit Hochdruck daran, weitere Plätze zu schaffen, um der gestiegenen Nachfrage gerecht werden zu können.

Betreuungsplätze für die Kinder sind das eine, die Rekrutierung von Personal das andere.

Dem kann ich nur zustimmen. Gebäude allein genügen nicht, entscheidend ist natürlich auch die Versorgung mit qualifizierten pädagogischen Mitarbeiter*innen. Deswegen wurde im September die städtische Fachakademie für Sozialpädagogik zur Ausbildung für Erzieher*innen im Gebäude der städtischen Berufsschule in der Maximilianstraße eröffnet. Es ist einfach nötig, dass auch die Stadt neben Diakonie und Maria Stern ein eigenes Ausbildungsangebot macht. Wir haben immerhin 860 Mitarbeitende im KitaBereich bei der Stadt Augsburg. Und der Bedarf an Fachpersonal wird zukünftig sicher noch größer werden. An dieser Stelle auch gerne ein kleiner Werbeblogg für alle Leser*innen für diesen intensiven aber auch tollen Beruf!

Warum war eigentlich das Bildungsreferat trotz seiner schwierigen Aufgabenstellung ihr Wunschreferat?

Ich komme ja genau aus diesem thematischen Bereich, der neben Klimaschutz und Gleichberechtigung in den letzten 16 Jahren mein absoluter Schwerpunkt als Stadträtin war. Ich bin in den Bildungsausschüssen im bayerischen und deutschen Städtetag, kenne die Diskussionen der Kommunen um Ganztag, Digitalisierung und Schulbau sehr gut und habe dadurch auch viele gute und auf Augsburg übertragbare Beispiele und Modelle gesehen. Beim bayerischen Bildungsausschuss bin ich nun auch Vorsitzende. Für mich war also immer klar, dass es, wenn ich Referentin werden würde, entweder Klimaschutz oder eben Bildung und Migration sein würden. Und obwohl mein Referat tatsächlich eine riesige Herausforderung ist, gehe ich dies ambitioniert und mit einer großen Begeisterung an. Ich stecke nicht den Kopf in den Sand, sondern will gestalten - für die Kinder, Jugendlichen und Familien in unserer Stadt und für Teilhabe und Chancengerechtigkeit eintreten.

„ W i r b r ä u c h t e n e i g e n t l i c h ü b e r e i n e M i l l i a r d e , u m a l l e s w i e d e r f i t z u b e k o m m e n . “

Täuscht eigentlich der Eindruck, dass die Regierungskoalition mit der CSU, aber auch ihre ganz persönliche Zusammenarbeit mit Eva Weber bisher von großer Harmonie geprägt ist?

Überhaupt nicht. Man sieht nach dem ersten halben Jahr, dass eine Regierung aus CSU und Grünen in Augsburg sehr wohl möglich ist. Schon beim Aushandeln des Koalitionsvertrags ging es erst einmal ausschließlich um Inhalte und Strukturen, nicht um Personen. Wir treffen uns alle 14 Tage im Koalitionsausschuss und haben einfach einen sehr kurzen Draht. Das gilt für Eva Weber und mich, aber auch für die Fraktionsspitzen. Wir sprechen auf Augenhöhe über Inhalte, um am Ende den für Augsburg besten Konsens zu erzielen.

„ e i n e s m e i n e r w i c h t i g s t e n Z i e l e i n d i e s e r a m t s z e i t i s t e s , d i e C h a n c e n g l e i c h h e i t z u v e r b e s s e r n . “

Schon vor ihrem Amtsantritt hatte Corona Einzug in die Kitas und Schulen gehalten. Wie empfanden sie diese Situation eigentlich persönlich?

Ich bin mit meiner Familie direkt aus dem terminintensiven Kommunalwahlkampf in die Lock down- Situation mit Lernen zu Hause und „Kein Kindergarten“ gerutscht. Da waren dann meine drei Kinder zuhause, mein Mann und ich im Homeoffice, - also das komplette Gegenteil zur Wahlkampfzeit. Es war schon eine besondere Zeit. Ich erinnere mich noch an den Moment, als meine jüngste Tochter bei einer Videokonferenz meines Mannes ein paar französischen Kollegen vor dem Laptop erklärt hat, dass sich der Papa gerade einen Kaffee holt (lacht).

Wie waren ihre Erfahrungen mit der Performance der Erzieher*innen und Lehrer*innen beim Lernen Zuhause 2.0 und der folgenden schrittweisen Öffnung der Bildungseinrichtungen?

Egal ob in Schulen oder in Kitas – alle pädagogischen Fachkräfte leisten einen hohen Einsatz und sind bemüht, in diesen schwierigen Zeiten, die Kinder und Jugendlichen bestmöglich zu betreuen und zu bilden. Ich kann nur allen pädagogischen Fachkräften Dank dafür zollen, was sie geleistet haben und auch immer noch leisten. Denn es gab ja nicht nur das Lernen Zuhause 2.0, das ja eine völlig neue Herausforderung war und ist, sondern auch eine adäquate Notbetreuung für viele Kinder vor Ort. Und in den Sommerferien mussten die Voraussetzungen geschaffen, Konzepte und Pläne erarbeitet werden, um im September gut in den Kita- und Schulalltag mit allen Kindern und Jugendlichen zu starten. Wie gesagt, ich kann nur meinen Hut ziehen.

Dennoch herrschen gerade in den maroden Schulen in der Stadt kaum zumutbare bauliche Verhältnisse. Die To-do-Liste ist lang, in wie weit ist mit den bestehenden finanziellen Mitteln eine deutliche Verbesserung überhaupt möglich?

Ich hatte im letzten halben Jahr sehr viele Antrittsbesuche, egal ob bei den staatlichen Stellen oder in Schulen. Ich war insbesondere bei den großen Baustellen wie FOS/BOS/RWS, wo wir mindestens 88,5 Millionen Euro investieren werden. Ich kenne die Realität in den Schulen ja auch aus meinen letzten 16 Jahren in der Stadtpolitik. Daher ist mir bewusst, wie groß und kostenintensiv die Herausforderung ist. Bereits in diesen letzten 16 Jahren wurde zur Schulsanierung viel Geld in die Hand genommen. Dieser Weg muss konsequent fortgesetzt werden. Wir bräuchten eigentlich über eine Milliarde, um alles wieder fit zu bekommen. In den anstehenden Haushaltsberatungen wird deutlich zu sehen sein, dass Schule und Bildung für diese Stadtregierung eine hohe Priorität haben und auch in den nächsten Jahren adäquate Mittel dafür zur Verfügung gestellt werden.

Es gibt Mittel für digitale Ausstattungsprogramme, die Bund und Freistaat bereits aufgelegt haben. Konnte Augsburg davon auch schon profitieren?

Corona hat uns in den vergangenen Monaten noch deutlicher gemacht, wo wir noch Aufholbedarf haben. In Augsburg gibt es 30 Schulen, die noch gar keinen Glasfaseranschluss haben. An Grund- und Mittelschulen entstehen zudem sogenannte digitale Klassenzimmer. Als Voraussetzung für die Digitalisierung brauchen die Schulen aber erst einmal eine Inhouse-Vernetzung, für die wir 12,5 Millionen Euro an Fördermitteln für 30 Schulen bekommen. Hieran arbeiten wir aktuell mit Hochdruck. Außerdem können wir nun ca. 3.000 digitale Endgeräte an den Schulen verteilen. Ein wichtiger Baustein für das Lernen Zuhause 2.0.

Zu ihrem umfangreichen Referatsbereich, zu dem bisher Schulen, städtische Kindergärten, die Stadtbücherei, die Sing- und Musikschule und die VHS gehörten, sind mit ihrem Amtsantritt Kitas in freier Trägerschaft und das Büro für gesellschaftliche Integration neu dazugekommen. Finden sie bei so viel Bildung überhaupt die Zeit für das Thema Migration?

Diese Zeit werde ich mir immer nehmen. Die vielfältigen Teilbereiche der Bildung sind nicht nur inhaltlich untrennbar miteinander verbunden, sondern passen auch gut mit dem Bereich Migration zusammen. Eines meiner wichtigsten Ziele in dieser Amtszeit ist es, die Chancengleichheit zu verbessern – dies gilt für den Zugang zu unseren vielfältigen Bildungsangeboten ebenso wie die gesellschaftliche Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger. Dafür wollen wir uns mit allen Initiativen und Einrichtungen noch enger vernetzen, die dieses Ziel mit uns teilen. Beispielsweise hatten wir zuletzt Gespräche mit Initiativen, welche aus der Black Lives Matter“ Bewegung entstanden sind, die sich mit großem Engagement gegen Rassismus und Diskriminierung einsetzen. Es ist mir wichtig, als die für Migration verantwortliche Bürgermeisterin mit diesen Initiativen in den Dialog zu gehen und sie zu unterstützen

In Augsburg wird es bald eine Antidiskriminierungsstelle geben.

Die Forderung nach dieser Stelle gab es schon in der vergangenen Periode. Nun wird sie tatsächlich an den Start gehen. Zuvor findet aber noch ein Dialog mit verschiedenen Initiativen und Akteuren, die sich schon lange oder auch erst jetzt aktuell mit dem Thema Diskriminierung beschäftigen statt. Es werden also auch Menschen miteinbezogen, die Diskriminierung am eigenen Leib erlebt haben, denn nur so kann die Ausgestaltung dieser Antidiskriminierungsstelle in unseren Augen zielführend umgesetzt werden.

Zuletzt ist das Wahlkreisbüro ihres Landtagsabgeordneten Bozoglu mit Steinen beworfen worden, auch ihre Kollegin Lisa Mc Queen von „Die Partei“ war im September Opfer eines Schmäh-Post des Augsburger AfD-Chefs Steffen Müller in den Sozialen Medien. Wie gehen Sie damit um?

Dazu kamen innerhalb von nur einer Woche noch heftige, anonyme Anfeindungen sowohl gegenüber unserem Fraktionsmitglied Serdar Akin als auch gegenüber der Vorsitzenden des Integrationsbeirats Didem Laçin Karabulut. Gerade auch nach Gesprächen mit dem Islamforum und der Black Lives Matter-Bewegung nehme ich leider deutlich wahr, dass die Angst um sich greift - auch bei Jüdinnen und Juden oder Sinti und Roma. Es gibt also dringenden Handlungsbedarf, wenn sich solche Vorfälle jetzt auch in der Friedensstadt Augsburg häufen. Solidarität mit den Betroffenen ist selbstverständlich, aber nicht ausreichend. Die Antidiskriminierungsstelle und die Fachstelle für Demokratie werden hier sicherlich in Zukunft wichtige und wertvolle Koordinierungsaufgaben übernehmen, damit Augsburg Friedensstadt und ein lebenswerter Ort für alle bleibt.