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Gästeblog – Von Jochen Mack vom Hotel einsmehr

We i h n a c h t l i c h e G e f ü h l e

Vo n J o c h e n M a c k , Vo r s i t z e n d e r d e r I n i t i at i ve e i n s m e h r

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B e s c h ä f t i g t e n h a t e i n e g e i s t i g e B e e i n t r ä c h t i g u n g .

Gästeblog

Nein, das wird jetzt kein Artikel darüber, dass es inzwischen gefühlt im August schon Lebkuchen, Dominosteine und Schoko-Nikoläuse gibt. Das gehört zu den Dingen, von denen ich ausgehe, dass die der Markt regeln kann. Und wenn es keine Nachfrage gäbe, würde das auch nicht angeboten. Also ich kauf so was nie vor Dezember.

Warum ich trotzdem weihnachtliche Gefühle habe? Irgendwie habe ich gerade das Gefühl, beschenkt zu werden vom Schicksal, denn Anfang November wird ein großer Traum in Erfüllung gehen und das Hotel einsmehr seine Pforten öffnen. Dort, im Augsburger Westen auf dem Gelände der ehemaligen Flak-Kaserne, werden zwölf Menschen mit Beeinträchtigung eine Arbeitsstelle auf dem Allgemeinen Arbeitsmarkt antreten.

Der Verein einsmehr, und da vor allem eine kleine Gruppe, hat sich über Jahre dafür stark engagiert. Und trotz all der Anstrengung fühlt sich das an wie ein großes hübsch verpacktes Paket mit roten Schleifchen dran, vor dem man mit großen Augen steht und hofft, dass der Inhalt das Glück bringt, das man sich davon verspricht.

Ich würde mir das so erklären: Die Idee, ein Hotel zu gründen und zu betreiben ist zunächst schlicht größenwahnsinnig für einen kleinen Verein mit 150 Familien. Obwohl wir das Hotel „nur“ mieten, mussten wir 1,5 Millionen Euro für die Vorkosten aufbringen, Anträge schreiben, Veranstaltungen durchführen, eine gGmbH gründen, uns etwas Hotelsachverstand aneignen, Mietverhandlungen führen und fast das Wichtigste: gutes Personal finden.

„Die Türen gehen auf, bevor wir angeklopft haben.“

Dass das geklappt hat, ist mit viel Herzblut und großem Einsatz zu erklären, aber vor allem mit der Unterstützung, die es von allen Seiten für das Projekt gab. Die Politik unterstützte nach Kräften und mit hohen Beträgen, Künstlerinnen und Künstler traten kostenlos oder zu sehr günstigen Konditionen auf, eine Neunjährige schneiderte mit ihrer Mutter Masken und spendete uns den Erlös; Leute, die nichts mit dem Verein zu tun haben, spendeten uns ihre Geburtstagsgeschenke … Diese anrührende Liste ließe sich endlos fortsetzen und hat uns oft sprachlos gemacht.

Das war sehr hilfreich, weil wir so unsere finanzielle Basis verbessern konnten und das jeweils überzeugend auf die anderen potentiellen Spenderinnen und Spender wirkte. Spenden oder Aktionen hatten aber auch oft den Effekt, dass wir darüber reden konnten, dass Menschen mit einer geistigen Beeinträchtigung nach wie vor so gut wie keine Zugänge zu einer Beschäftigung auf dem Allgemeinen Arbeitsmarkt haben. Eindrücklich war eine Runde beim Rotary-Club Augsburg, die uns durch ihr Benefizkonzert großartig unterstützt hat und wo sehr genau nachgefragt wurde, wo wir Potentiale für Menschen mit Beeinträchtigung sehen und wie sie im Hotel mitarbeiten sollen.

„Sie lernen gerade, (mit Recht) stolz auf sich zu sein.“

Vielleicht fühlt sich das alles als Geschenk an, weil wir auch viel Glück hatten. Wir konnten zum Beispiel nur so weit kommen, weil uns mit dem Westhouse ein Ort vor die Füße gefallen ist, in dem die Idee Hotel Wirklichkeit werden kann. Nach zwei Gesprächen mit hilfsbereiten Leuten aus der Szene hatten wir innerhalb von zwei Tagen ein Beraterteam an der Hand, das uns quasi durch den ganzen Gründungsprozess lotste. Und wir sind eher zufällig auf die Augsburger Innenarchitekten von DREIMETA gestoßen, die sich bereit erklärten, für uns und mit uns zu arbeiten und jetzt nach Hotelprojekten in Wien, Hamburg und Paris sowie auf Mallorca ihr erstes Hotel in Augsburg realisieren.

Das größte Geschenk sind aber die Erfahrungen mit unseren Beschäftigten. Alle sind sehr gespannt vor dem Start und wie wir es schaffen, mit einem sehr bunten Team ein gut funktionierendes Hotel aufzubauen, bei dem die Gäste keinen Unterschied zu einem anderen Hotel erkennen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass das klappen wird, weil sich unser Team vor allem durch eine extrem hohe Motivation auszeichnet. Für unsere Menschen mit Beeinträchtigung ist es die Chance, sich eine eigene Existenz und eine Alternative zur Werkstatt aufzubauen. Deshalb glänzen sie alle mit großem Willen und waren stolz wie Bolle, dass sie unser Programm der Beruflichen Qualifizierung geschafft haben und einen Arbeitsvertrag unterschreiben durften. Und sie lernen gerade (mit Recht), stolz auf sich zu sein.

Dass wir da einiges richtig machen, wird auch aus den Rückmeldungen unserer Kooperationsbetriebe deutlich, bei denen die Menschen mit Beeinträchtigung ihre ersten Erfahrungen sammeln durften. Die zeigten sich alle positiv überrascht über den großen Willen „unserer“ jungen Leute. Einige signalisierten schon, dass sie sich durchaus vorstellen könnten, ebenfalls Menschen mit einer Beeinträchtigung zu beschäftigen, wenn sie eine Begleitung an ihrer Seite wüssten. Das können wir bieten – dank der Aktion Sternstunden des BR, die uns eine Stelle einer Pädagogin für zwei Jahre finanzieren.

Dass es ein angenehmeres Eröffnungsjahr für ein Hotel gibt als 2020, ist auch klar. Aber so viel Rückenwind wir bis jetzt hatten, werden wir auch durch eine magerere erste Phase kommen. Vor allem werden wir jetzt erstmal auch unter den besonderen Umständen feiern und hoffen auf eine Normalisierung der allgemeinen Lage.

Mir geht es so, dass ich immer etwas ungläubig vor dem Gebäude mit unserem Logo stehe. Und ich bleibe dabei, das fühlt sich schon ähnlich an wie damals, als unter dem Christbaum große Pakete lagen. Ich glaube, ich kauf mir doch jetzt gleich ein Paket Dominosteine. Und trink einen Glühwein. Oder zwei. Das mache ich sonst nie im Oktober. Ich schwör’s!

Das Hotel einsmehr eröffnet Anfang November und bietet 73 Zimmer sowie Frühstück. Es wird betrieben von einsmehr, der Initiative DownSyndrom für Augsburg und Umgebung. Von den 24 Beschäftigten hat die Hälfte eine (geistige) Beeinträchtigung. Weitere Infos: www.hotel-einsmehr.de.