78 ÜBERALL, BLOSS NICHT HIER UND JETZT
Nutzen bringen – wohlgemerkt aber nur durch vergleichsweise primitive Kommunikationskanäle wie etwa Facebook, WhatsApp oder Twitter. Die Dosis macht das Gift. Grundsätzlich sind das Internet und soziale Medien nämlich eine großartige Erfindung. Sie ermöglichen es uns, in Kontakt mit Freunden und Familie zu bleiben, eröffnen
Es ist wichtig, uns Freiräume zurückzuerobern. Das Handy als Fenster zur Umwelt. Foto: Pixabay
kann, entzieht sich der Herausforderung, welche die Echtzeit-Interaktion mit der unmittelbaren Umgebung bedeutet. Sozial- oder Sprachkompetenz werden dank Smartphone unwichtig. Die Fähigkeit zur Integration wird unwichtig. Und zwar sowohl im Mikro-Kontext eines Zugabteils als auch im Makro-Kontext der Gesamtgesellschaft. Das Ergebnis ist eine durch Vernetzung fragmentierte Gemeinschaft: Jeder ist für sich, verbunden nur mit den Menschen, die ihn interessieren und ihm
PHONE OFF, PARTY ON! An einigen Clubtüren kann man mittlerweile Slogans wie No mobiles on the dance floor, please. It kills the vibe and makes you look like a boring bastard oder Phone off, party on lesen. Eine sehr positive Entwicklung, die zum Standard werden sollte! Denn
Zugang zu ungefilterten Informationen, machen es möglich, ortsunabhängig zu arbeiten und Erfahrungen auszutauschen. Die Verbreitung des Internets ging zunächst mit aussichtsreichen Demokratisierungsversprechungen einher, doch irgendwann nahm sie eine fragwürdige Wende. In jenem Moment, in dem die Menschen anfingen, es in Form kompakter Apparate in jeden nur erdenklichen Winkel unseres Lebens zu tragen, wurde aus einer nützlichen, geradezu bewusstseinserweiternden Technologie etwas, das uns bei der Entwicklung eines achtsamen Lebensstils im Hier & Jetzt oft mehr im Wege steht als hilft. Deshalb ist es wichtig, uns Freiräume zurückzuerobern. Oder, wie es der Schriftsteller Paulo Coelho in einem ganz anderen Zusammenhang und doch wunderbar treffend für die Geistes- und Körperhaltung übereifriger Smartphone-Nutzer ausdrückte: Um die unsichtbare Welt zu durchdringen, um die eigenen Kräfte zu entwickeln, musst du in der Ge genwart leben, im Hier und Jetzt. Um in der Gegen wart zu leben, musst du das «zweite Bewusstsein» kontrollieren. Und zum Horizont blicken.
Clubs sind traditionell Freiräume, in denen wir uns im Hier & Jetzt der Tanzfläche verlieren und den Alltag mit seinen Konventionen hinter uns lassen können. Deshalb haben Smartphones hier nichts verloren. Auch vor dem Clubb esuch sollten wir uns
Das Zitat von Coelho im englischen Original: In order to penetrate the invisible world and develop your powers, you have to live in the present, the here and now. In order to live in the present, you have to control your second mind. And look at the horizon.
wieder mehr Freiräume schaffen: Muss das Ding wirklich auf dem Tisch liegen, wenn wir mit Freunden beim Essen oder in der Kneipe sitzen? Auch hier sollten die zitierten Slogans zur Anwendung kommen und konsequent durchgesetzt werden. Verbringe jeden Tag ein bisschen Zeit allein, empfiehlt der Dalai Lama. Heutzutage könnte man wohl zusätzlich sagen: Verbringe jeden Tag mindestens eine Stunde ohne dein Smartphone.
ROBERDO RAVAL ist freischaffender Journalist und Werbetexter sowie DJ und Kenner der Psy-Trance-/ Techno- und Elektroszene und -kultur. Roberdo Raval schreibt unter anderem für das Mushroom Magazine und bereist, nicht nur als Reporter, Festivals auf der ganzen Welt. textfinesse.de