Lucy's Rausch Nr. 3

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Solltest du als Psychopharmakologe die Entwicklung hin zur medikamentösen Behandlung psychischer Krankheiten nicht begrüßen? Noch 2006, auf einem Symposium zu Ehren Albert Hofmanns, warst du der Meinung, die Erforschung des serotonergen Nervensystems mache es möglich, psychische Störungen zu verstehen und zu behandeln. (Lacht) Ja, vor zehn Jahren war ich eben auch selbst noch ein überzeugtes «neurochemisches Selbst». Der Begriff «neurochemical self» stammt vom britischen Soziologen Nikolas Rose und ver­ dichtet sehr treffend die in der westlichen Welt dominierende Vorstellung, dass wir lediglich das Ergebnis der chemischen und physikalischen Pro­ zesse unseres Gehirns seien. Auf dieser Annahme beruht ja auch der Reduktionismus in der gegen­ wärtigen Psychiatrieforschung. Tatsächlich hatte ich 2006 noch die Vorstel­ lung, man könne Bewusstseinszustände letztlich auf neurobiologische Prozesse zurückführen und dies auch wissenschaftlich untersuchen. Von dieser Überzeugung bin ich längst abgekommen. Wissen­ schaftsideologisch habe ich gewissermaßen die Seiten gewechselt. Das war auch ein Lernprozess, beispielsweise zu erkennen, dass die meisten ver­ meintlich harten Fakten zur Biologie der Psyche nur unbewiesene Annahmen und vorläufige Inter­ pretationen sind – beruhend auf Messdaten aus der Hirnforschung, deren Qualität oft auch noch gro­ tesk schlecht ist. Mittlerweile bin ich der Überzeugung, dass sich die subjektive Erfahrungsqualität einer De­pression eben nicht auf eine Veränderung der Hirn­ chemie zurückführen lässt. Das ist viel zu einfach gedacht. Was in diesen Tagen in der Wissenschaft fehlt, ist eine umfassende, ganzheitliche Sicht auf

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den Menschen. Es hat hier wenig Sinn, das Gehirn als isoliertes Objekt im Labor zu untersuchen. Das Gehirn ist in einem Körper, dieser ist in ein soziales Umfeld eingebettet und dieses wiederum wird geprägt durch die politische und kulturelle Welt, in der wir leben. Und nur alles zusammen macht uns zu dem, was wir eben sind. In der Psychotherapieforschung mit Halluzi­ nogenen scheint man hier schon weiter zu sein. Es wird beispielsweise kaum bestritten, dass MDMA bei post-traumatischer Belastungsstörung sein volles therapeutisches Potential nur in Kombination mit einer tiefenpsychologisch fundierten Behandlung entfalten kann. Überhaupt ist der gegenwärtige biologische Reduktionismus eine ziemlich isolierte Eigenheit westlich-industrialisierter Gesellschaften. Ein Curandero in Peru wird sich wenig dafür interes­ sieren, welche biochemischen Signalwege durch die Einnahme von Ayahuasca ausgelöst werden. Für ihn ist es Mutter Ayahuasca, die den körpereigenen Heilungsprozess auslöst. Du hast dich zehn Jahre lang an der Universität Zürich mit der Pharmakologie des Psilocybins beschäftigt. Was hat dich dazu bewogen, dich in eine solche Nische der Wissenschaft zu begeben? Einerseits interessierte mich die neurowissen­ schaftliche Grundlagenforschung, andererseits eröffnete sich die Möglichkeit zur experimentellen Untersuchung des Bewusstseins. Halluzinogene wie Psilocybin und LSD sind zu diesem Zweck wie geschaffen, da sie an der Schnittstelle zwischen Biologie und Psyche operieren. Angesichts der höchst subjektiven Natur einer Triperfahrung frage ich mich allerdings, wie weit es überhaupt möglich ist, aus Halluzinogen-Experimenten allgemein­


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