Der Chemiker

Page 11

11

#10 / 2021 – 2022

„Zaubermaus“ wirbelt immer noch

V

or 30 Jahren bestritt Dariusz Wosz seine letzte Heimpartie für den HFC. Er war der erste und bisher teuerste Bundesliga-Transfer in der Geschichte der Rot-Weißen. Noch heute kickt der einstige Nationalspieler in einer Kreisliga-Mannschaft seiner neuen Heimat in Bochum. Schade, auch in diesem Winter fällt das Hallenturnier um den HalplusCup dem Coronavirus zum Opfer. Damit sind die Hoffnungen der Fans auf ein mögliches Wiedersehen mit Dariusz Wosz zerstoben. Der Ex-Profi bewies zuletzt im Januar 2018 mit dem Allstar-Team des HFC in der Erdgas-Arena, dass er immer noch mit technischen Kabinettstückchen aufwarten und konditionell mithalten kann. Kein Wunder, denn der 1,69 Meter große Dribbelkünstler spielt mit seinen 52 Jahren immer noch Fußball in der Kreisliga. Außerdem leitet er die Fußballschule des derzeitigen Erstligisten VfL Bochum, der zweiten Wahlheimat des früheren HFC-Idols. Jedes Jahr führt er mit seinem Trainerteam bis zu 100 Veranstaltungen in der ganzen Bundesrepublik und in Europa durch. „Eigentlich stehe ich nach wie vor jeden Tag auf dem Fußballplatz“, nennt er einen Grund, warum er immer noch fit ist. Das will Wosz auch am 9. Januar beim NRW-Traditionsmasters in Mülheim beweisen, wo er mit der VfLTraditionsmannschaft für Budenzauber sorgen soll, wenn den Veranstaltern bis dahin nicht noch die Corona-Lage einen Strich durch die Rechnung macht. Inzwischen ist es 30 Jahre her, da „Derek“, wie er seit seinen Anfängen bei Motor Halle gerufen wurde, vom HFC zum VfL Bochum in die Bundesliga gewechselt ist. Am 8. Dezember 1991 schnürte das damals 22-jährige Ausnahmetalent zum letzten Mal die Töppen für die Rot-Weißen im heimischen Kurt-Wabbel-Stadion. Es ging in der 2. Bundesliga gegen den SV Darmstadt 98. Sportdirektor Bernd Bransch übergab ihm einen Blumenstrauß und rund 2 800 Zuschauer verabschiedeten ihn mit Applaus. Wehmut machte sich breit und eine Ahnung, dass es der HFC ohne seinen Spielmacher schwer haben würde, sich in der zweiten Liga zu behaupten. Befürchtungen, die dann ja mit dem schmerzlichen Abstieg auch eintraten. Bis heute glauben viele HFC-Anhänger, dass dies nicht passiert wäre, wenn die „Zaubermaus“ bis Saisonende geblieben wäre. Doch auch Wosz, der bis zur Winterpause immerhin noch 22 Zweitliga-Partien für die Rot-Weißen bestritt und dabei fünf Tore schoss, hatte damals den Kopf nicht mehr richtig frei. Schuld daran war das Monate lange Tauziehen um ihn zwischen dem HFC und dem VfL Bochum. Der Sprössling einer Aussiedler-Familie aus Oberschlesien in Polen war in der letzten DDR-Oberliga-Saison von der Fußballfachzeitschrift „fuwo“ zum besten Spieler gekürt worden. Das weckte natürlich Begehrlichkeiten bei Bundesligavereinen. Vor allem Bochums Manager Hilpert hatte das Netz ausgeworfen, in dem sich der im Profigeschäft unerfahrene Wosz auch prompt verhedderte. Er hatte vor Saisonbeginn nicht nur beim HFC, sondern auch beim Erstligisten VfL unterschrieben. Lange rätselten die Fans, ob ihr Liebling

bleibt oder gehen muss. Bis der Deutsche Fußballbund (DFB) einen „salomonischen Spruch“ fällte: Dariusz Wosz sollte noch die Zweitliga-Vorrunde beim HFC absolvieren und dann zur Winterpause nach Bochum wechseln. Und die Transfersumme wurde deswegen von 1,5 Millionen D-Mark um 300 000 Mark reduziert. Die HFC-Chefetage hatte diesem Kompromiss zugestimmt in der Hoffnung, dass der technisch beschlagene Mittelfeldspieler noch mithilft, die Klasse zu halten. Leider ging das Kalkül nicht auf. Für Dariusz Wosz dagegen begann mit dem Umzug in den Ruhrpott eine Erfolgsstory, wie sie bis heute kein anderer hallescher Fußballer erlebte. Er war nicht nur der erste HFC-Spieler, der nach dem Mauerfall mit einem Profi-Vertrag in der Tasche in die Bundesliga wechselte (1976 waren Norbert Nachtweih und Jürgen Pahl nur durch Flucht in den Westen gelangt). Kein anderer Spieler der Rot-Weißen hat je wieder solch eine hohe Ablösesumme eingebracht wie die „Zaubermaus“. Fast hätte der HFC auch noch finanziell von seinem Wechsel zu Hertha BSC profitiert. Eine Klausel im Vertrag mit dem VfL Bochum besagte nämlich, dass dem halleschen Verein mindestens zehn Prozent vom Transfergewinn zugestanden hätten, wenn Wosz innerhalb einer bestimmten Frist weiterverkauft wird. Es gab sogar Anfragen von spanischen und italienischen Vereinen, so vom FC Valencia. Doch der Wechsel nach Berlin kam erst 1998 - und damit nach dem „Stichtag“ zustande, so dass der HFC leer ausging. „Mit den 1,5 Millionen, die wir da bekommen hätten, wären wir sofort schuldenfrei gewesen“, trauert der damalige HFC-Geschäftsführer Detlef Robitzsch dem entgangenen Batzen Geld noch immer ein wenig hinterher. Die „Zaubermaus“ schaffte es, in Bochum auf Anhieb Publikumsliebling zu werden - so wie schon zuvor beim HFC und später auch bei Hertha BSC. In der Saison 1996/97 wurde der Ex-Hallenser laut Wertung im Fußball-Magazin „Kicker“ bester Mittelfeldspieler der Bundesliga (Prädikat: Weltklasse). Nach sieben Einsätzen mit der DDR-Nationalelf holte ihn Berti Vogts auch in die DFB-Auswahl. Gleich bei seinem Debüt markierte er gegen Israel als überragender Akteur den 1:0-Siegtreffer. „So ein Einstand war ein Traum“, bekannte „Derek“ später. Insgesamt 17 Mal stand er im DFB-Kader. Bei der EM 2000 ließ ihn Teamchef Erich Ribbeck allerdings bei allen drei Vorrundenspielen auf der Bank schmoren. Wosz blieb zwölf Jahre beim VfL, lediglich unterbrochen durch drei Spielzeiten in Berlin. Mit dem Ruhrpott-Verein schaffte er zweimal den Sprung in den Uefa-Pokal. Der Dribbelkünstler absolvierte in seiner Laufbahn sage und schreibe 602 Spiele für den HFC, Bochum und Hertha, davon 324 in der Bundesliga. In dieser Zeit erzielte er 79 Tore, 20 davon für den halleschen Traditionsverein. „Der HFC wird mir immer am Herzen liegen“, sagte er bei seinem Besuch im August im Leuna-Chemie-Stadion zur Drittliga-Partie des HFC gegen Braunschweig. Und natürlich schaut Wosz am Sonnabend gespannt nach Halle, wo die Rot-Weißen gegen Würzburg alles daran setzen wollen, um einen Heimsieg zu landen. 


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.