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Ostfriesischen Landesmuseum Emden

Komplizenschaft

Die Sammeltätigkeit von „Kunst“ und Stadt Emden während der NS-Zeit im Fokus der Provenienzforschung Autor: Mag. Georg Kö, Provenienzforscher am Ostfriesischen Landesmuseum Emden

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Manche Ausstellungen mussten bereits in den ersten Gedanken an ihre Verwirklichung mehr als nur Vermittlungsarbeit leisten. Die kommende Sonderausstellung des Ostfriesischen Landesmuseums Emden über den Raub von Kulturgut in der NS-Zeit gehört dazu. Einerseits gilt es die lokalen Besonderheiten des Themas darzustellen: eine ausgeprägte Komplizenschaft – so auch der Haupttitel der Ausstellung – zwischen der Stadt Emden, der Gesellschaft für bildende Kunst und vaterländische Altertümer (damals kurz die „Kunst“) und Institutionen des NS-Regimes in Ostfriesland sowie den besetzten Niederlanden in der Planung, Durchführung und Bereicherung an einem der komplexesten Raubzüge der Geschichte. Andererseits bedarf es dazu auch eines Überblicks über die Hintergründe dieser kriminellen Handlungen und deren Kontext in einem perfi den Unrechtssystem, das der Nationalsozialismus errichtete. Beide Perspektiven, die Regionale und die Welthistorische müssen sich hier treffen, gruppiert um eine dritte Komponente, nämlich einer Auswahl konkreter Objekte, die Überreste jenes NS-Raubgutes sind und sich noch in den Sammlungen des Ostfriesischen Landesmuseums Emden befinden. Verbindendes Element ist hier die Provenienzforschung. Diese gilt mittlerweile wohl als etabliertes Fach der Kulturwissenschaften, das jedoch alleine ob seines Namens immer wieder Fragezeichen produziert. Der Niederländische Begriff dafür, „Herkomstonderzoek“, also „Herkunftsforschung“ ist hier wohl deutlicher und beschreibt auch, worum es dabei geht. Nicht nur für verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut, wie der ebenso sperrige Fachbegriff für geraubte Kulturgüter seit den späten 1990er Jahren ist, hat die Erforschung der Herkunft und der Geschichte von musealen Sammlungen besondere Bedeutung. Erst, wenn wir wissen, wer, wann, wie und unter welchen Umständen eine Sammlung in den Besitz eines Objektes gekommen ist, hat jenes auch einen konkreten Wert, als museales Stück oder auch als geraubtes Kulturgut. Die Provenienz, also die Herkunft, bestimmt, wie wir damit umgehen, ob wir sie überhaupt erwerben, wie wir sie ausstellen, welche Kontexte wir dazu präsentieren und letztlich, ob wir sie gegebenenfalls auch ihren wirklichen Eigentümerinnen und Eigentümern bzw. deren Erbinnen und Erben wieder zurückgeben wollen. All das versucht die Sonderausstellung „Komplizenschaft. Die Sammeltätigkeit von „Kunst“ und Stadt Emden während der NS-Zeit im Fokus der Provenienzforschung“ in einem didaktischen Experiment zusammenzuführen und dabei den Besucherinnen und Besuchern ihre Perspektive selbst einnehmen zu lassen. Die Schwerpunkte werden nicht mit dem pädagogischen Zeigefinger vorgegeben. Transparenz, Parallaxe – also die notwendige Perspektivität der Moderne – und Urteilskraft sind die Gestaltungsprinzipien. So sollen auf Augenhöhe jene Wahrheiten vermittelbar werden, die dem Menschen schlicht zumutbar sind, um hier auch an die bedeutenden Worte Ingeborg Bachmanns zu erinnern.

Inhaltlich wird deutlich werden, was vor über achtzig Jahren in Deutschland geschah und in der vernichtenden Konsequenz eines Terror-Regimes als das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte seinen Lauf nehmen sollte. Vorerst in Form physischer Gewalt auf den Straßen und bald auch mit diskriminierenden Rechtsvorschriften, die aus aufgeklärter Perspektive nur als Unrecht gelesen werden können, beginnt die unfassbare Tat.

Mit einer Novelle des „Reichsbürgergesetzes“ vom 15. September 1935 wurde nach den faktischen Ausgrenzungen und Verfolgungen auch juristisch zwischen „Reichsbürgern“ und „Staatsangehörigen“ unterschieden. „Reichsbürger ist nur der Staatsangehörige deutschen oder artverwandten Blutes, der durch sein Verhalten beweist, daß er gewillt und geeignet ist, in Treue dem deutschen Volk und Reich zu dienen.“ kann man da unter §2(1) unter anderem lesen. Am 14. November 1935 wurde in einer weiteren Novelle ergänzt „Ein Jude kann nicht Reichsbürger sein.“ (§4(1)) Mit zwei weiteren Verordnungen bilden diese Texte die so genannten „Nürnberger Rassengesetze“. Dieses manifeste Unrecht setzte jüdische Bürgerinnen und Bürger, aber auch all jene, die nicht „gewillt und geeignet“ erschienen, „Reichsbürger“ zu sein, umfassenden Diskriminierungen aus.

Der Weg von dieser institutionalisierten Stigmatisierung einer Bevölkerungsgruppe zum industriellen Massenmord an derselben ist jedoch nicht linear und auch nicht nur an der dahinterliegenden rassistischen mythologischen Geschichts- und Gesellschaftsauffassung festzumachen. Gleichwertig existierten konkrete ökonomische Interessen, die der massenhaften Ermordung von Menschen deren vollständige Beraubung vorangehen ließen. Raub und Mord bilden zwei voneinander untrennbare Seiten ein und desselben mörderischen Narrativs. Zwischen dem Frühjahr 1938 bis zu den Deportationen entstand ein komplexes Organisationssystem des Vermögensentzugs, das alle Betroffene am Ende mittellos, ja sogar noch mit Schulden hinterließ. Seit April 1939 mussten jüdische Bürgerinnen und Bürger ihr gesamtes Vermögen dem Finanzamt bekannt geben. „Vermögensanmeldung“ hieß dieser Vorgang. In einer Anordnung vom 24. November 1938 heißt es dazu, dass der „Einsatz des Anmeldepflichtigen Vermögens im Einklang mit der deutschen Wirtschaft sicherzustellen“ sei. (RGBl desselben Datums, S. 1668, §1) Spitze dieses Systems ist ein 1941 fertiggestelltes mörderisches „Kreislaufsystem“, das den Konnex aus Raub und Mord nicht deutlicher hervortreten hätte lassen können: „Das verfallene Vermögen soll zur Förderung aller mit der Lösung der Judenfrage in Zusammenhang stehenden Zwecke dienen.“ (RGBl 1941-I, 25. November 1938, S. 723, §3(2))

In diesem Kontext fällt das Licht auf das nationalsozialistische Emden der 1930er und 1940er Jahre: Eine Dienststelle des Finanzamts für die Einziehung von Vermögenswerten, ein radikal antisemitischer Oberbürgermeister, ein manischer nationalsozialistischer Multifunktionär, die Geheime Staatspolizei und nicht zuletzt viele Bürger*innen Emdens, die plötzlich nicht mehr fähig waren, Recht und Unrecht zu unterscheiden. Hinzu kommen Neid, Gier, Habsucht, Rassismus, latenter und neuer Antisemitismus und nicht zuletzt sehr viel Willfährigkeit. In diesem Umfeld, in dieser Zeit, an diesem Ort, da jüdischen Bürgerinnen und Bürgern und anderen Verfolgten des

Linke Seite: Akten des Kulturamts der Stadt Emden während der NS-Zeit, StAE KA 46, Foto: © Georg Kö Unten: Dokumentensammlung van Amerongen/Simon, geraubtes niederländisches Kulturgut, Archiv der Kunst A392/66d-1, Foto: © Georg Kö

NS-Terrors Schritt für Schritt die Lebensgrundlage entzogen und alles geraubt wird, was sie besitzen, gehen die altehrwürdige Stadt Emden und die damals gerade etwas über hundert Jahre gewordene Gesellschaft für bildende Kunst und vaterländische Altertümer einer für sie nicht ungewöhnlichen Tätigkeit nach: Dem Sammeln. Kunst und Kulturgüter werden auf so genannten „Judenauktionen“ und aus den Beständen des so genannten „Hollandgutes“ sowie auf anderen höchst zweifelhaften Wegen erworben – ohne Bedenken, organisiert, systematisch, ja sogar mit großer Verve und dem Argument des „Kulturgutschutzes“ stets auf den Lippen.

Die Spuren dieser systematischen Massenberaubung von Bürgerinnen und Bürgern, dieses ersten Schrittes hin zum größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte, befinden sich bis heute vielfach unbemerkt in Museen, Bibliotheken, Archiven, Sammlungen, aber auch in privaten Haushalten. Emden ist hier keine Ausnahme. Es sind die Möbel aus entzogenen Wohnungen und Häusern, Geschirr, aus dem die verfolgten Menschen aßen und tranken, Bilder, Vasen oder Skulpturen etc., die sie im Laufe ihres Lebens erwarben oder schon Jahrhunderte in ihren Familien als kulturellen Schatz von Generation zu Generation behüteten und weitergegeben hatten oder Kultgegenstände, mit denen sie beteten und auf ein besseres Leben hofften.

Von all dem existieren heute nur noch Überreste, auch in den Sammlungen des Ostfriesischen Landesmuseums Emden. Ohne jegliche Erinnerung an ihre ursprünglichen und rechtmäßigen Eigentümerinnen und Eigentümer überdauerten sie mehr als 75 Jahre in den wechselnden Magazinen des Museums als verborgene Erbschaft einer Epoche des Unrechts.

Diese Ausstellung berichtet also aus jener spezifischen Perspektive der Provenienzforschung vom Sammeln, Verwalten und Präsentieren jenes geraubten Kulturguts, so wie von den damit verbundenen Ereignissen, den Überresten einer zerstörten Kultur und den Menschen, die damit in Verbindung standen. Sie beleuchtet wesentliche Ausschnitte der Emder Zeitgeschichte, zeigt Überreste des Verbrechens, stellt wichtige zeitgenössische Akteurinnen und Akteure vor und macht Strukturen und Prozesse dieser besonderen Form der Beraubung im Kontext Ostfrieslands und der Niederlande transparent. Objektgeschichte wird hier im Kontext regionaler Geschichte und deren zeitbedingten Rahmenbedingungen präsentiert.

Inhalte für Ausstellungen, vor allem, wenn es sich um solch ein komplexes Thema handelt, fallen Kuratorinnen und Kuratoren jedoch nicht einfach so zu. Es gibt keine Handbücher dafür und schon gar keine Verzeichnisse oder Checklisten, wie so etwas zu inszenieren ist. Dieses Thema bedurfte erst ausgebreiteter Forschung und des Studiums der Quellen, der Objekte sowie der Regional- und der Institutionengeschichte, um überhaupt begreiflich und damit auch vermittelbar zu werden. Archive im In- und Ausland mussten konsultiert, längst vergessenes Material zu Tage gefördert und konkretes Wissen erst erarbeitet werden. Ermöglicht wurden die umfassenden Forschungsarbeiten, die dieser Ausstellung vorangegangen waren, durch ein vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste finanzierten und von der Stadt Emden sowie von „1820DieKunst“ getragenen Projektes zur Provenienzforschung, das die wissenschaftliche Untersuchung der Herkunftsgeschichte der Bestände des Ostfriesischen Landesmuseums Emden aus der NS-Zeit beinhaltet. Beide Träger des Museums stellen sich aktiv der historischen Verantwortung, die aus den Forschungsergebnissen erwächst und unterstützen das Projekt und natürlich die daraus als ein Ergebnis hervorgegangene Ausstellung in vollem Umfang.

Ostfriesisches Landesmuseum Emden Brückstraße 1 26725 Emden Tel. +49 (4921) 872058 landesmuseum@emden.de www.landesmuseum-emden.de

Oben: Ein geraubter Siddur (jüdisches Gebetbuch), ursprünglicher Eigentümer Simon Pels, Emden, Archiv der Kunst, A454/2. Foto: © Tobias Rentsch Unten: Möbellager des Ostfriesischen Landesmuseums Emden. Foto: © Georg Kö

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