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LWL-Museum für Kunst und Kultur, Münster

Liebe, Schmerz und Ekstase

LWL-Museum für Kunst und Kultur zeigt große Gefühle in der Ausstellung „Passion Leidenschaft“

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Neid und Wut, Liebe und Hass, Begehren und Eifersucht - starke Gefühle sind so alt wie die Menschheit selbst. Im westlichen Kulturkreis reicht die künstlerische Auseinandersetzung mit den menschlichen Emotionen und Leidenschaften bis in die Antike zurück. In der Ausstellung „Passion Leidenschaft. Die Kunst der großen Gefühle“ (9.10 bis 14.2.) schlägt das LWL-Museum für Kunst und Kultur in Münster zum ersten Mal mit 200 Exponaten einen Bogen bis in die heutige Zeit, vom Kindermord in Bethlehem bis zur aggressiven Propaganda von Trump.

„Gefühle prägen unsere Gesellschaft und unser Miteinander. In Krisenzeiten, wie aktuell der Corona-Pandemie, begleiten uns Angst und Schmerz oder auch Wut und Hoffnung“, erklärt Matthias Löb, Direktor des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL). „Die Ausstellung soll die Besucher emotional berühren und ihnen vor Augen führen, dass große Gefühle zeitlos sind.“ Die Darstellung herzzerreißender, zutiefst beglückender und bis ins Mark erschütternder Figuren und Szenen zieht sich als roter Faden durch die Ausstellung. Die Schau versammelt Gemälde, Skulpturen, Fotos und Videoinstallationen mit Werken von Peter Paul Rubens, Anthonys van Dyck, Camille Claudel, Auguste Rodin, Egon Schiele, Edvard Munch, Käthe Kollwitz, Bill Viola und vielen anderen Künstlerinnen.

Berühmte Künstler haben sich über die Jahrhunderte in ihren Werken mit den Schmerzen des antiken Laokoons, dem Rausch des Bacchus, den Leiden Christi, dem ekstatischen Taumel und den Qualen liebender Menschen befasst. „Heute gibt es bei uns eine Sehn-sucht nach tiefen Empfindungen - und dies trotz oder auch gerade wegen der Bilderflut in den sozialen Medien. Die Kunst vermag diese Leidenschaften am intensivsten zum Ausdruck zu bringen“, so Museumsdirektor Dr. Hermann Arnhold. „Die Ausstellung lädt alle ein mitzufühlen mit dem, was sie hier sehen. Und das ganz analog.“

2013 hatte die Kuratorin der Ausstellung, Dr. Petra Marx, die Idee für die 2.000 Jahre umfassende Schau über große Gefühle in der Kunst. Große Gefühle empfindet die Mittelalter-Expertin jetzt selbst: „Ich bin sehr glücklich, dass wir diese Ausstellung trotz der Pandemie realisieren konnten. Alle Leihgaben sind gekommen, auch die Werke aus Frankreich, Italien und Großbritannien. Wir haben lange gezittert.“

Oben: V. l. n. r. LWL-Direktor Matthias Löb, die Kuratorin Dr. Petra Marx und Museumsdirektor Dr. Hermann Arnhold vor Silvano Bertolins Abguss der Laokoon-Gruppe, 2006. © Lessing Museum Kamenz. Foto: © LWL/Hanna Neander

Rechte Seite: Ernst Ludwig Kirchner, Farbentanz I. Entwurf für den Festsaal im Museum Folkwang, 1932. Foto: © Museum Folkwang Essen -ARTOTHEK

In sechs Kapiteln erzählt die Ausstellung von Freude und Trauer, Hingabe und Angst, Liebe und Hass. Wie sich diese Gefühle in Gesichtern und Gesten niederschlagen, steht dabei im Zentrum der Schau. Dabei erschüttert der schmerzverzerrte Blick der Muttergottes, die ihren toten Sohn in den Armen hält (Anthonys van Dyck, um 1618/20) genauso wie der misshandelte Körper einer Frau (Nan Goldin, 1984).

Kapitel I: Body Language Der menschliche Körper im Spiegel der Leidenschaften

Das erste Kapitel der Ausstellung versammelt Gemälde, Skulpturen, Zeichnungen und Plakate aus allen Epochen, die ein möglichst breites Spektrum unserer Leidenschaften darstellen und hervorrufen sollen: Angst, Trauer, Hass, Liebe, Begierde, Hingabe, Sehnsucht, Ekstase, Scham.

Oben: Bill Viola, The Quintet of the Astonished, 2000, Videoinstallation, Kunstsammlung Nordrhein- Westfalen, Düsseldorf. © Bill Viola Studio. Foto: Kira Perov

Mitte: Robert Arnold, The Morphology of Desire, video, 1998, 6min. © Robert Arnold & LIMA Amsterdam

Unten: PauwelsFranck, gen. Paolo Fiammingo, aus der Serie »Amori«: »Il frutto dell‘ amore«, 1585/89. Foto: © KHM-Museumsverband

Bildende Kunst war und ist in vielerlei Hinsicht emotional – unsere Ausstellung konzentriert sich jedoch allein auf den menschlichen Körper als Ausdrucksmittel großer Gefühle. Dahinter steht die Vorstellung, dass die äußeren Bewegungen (Emotionen, von lat.: movere, bewegen) der Physis ein Spiegel der inneren Bewegungen der Psyche sind. Ein Großteil der zwischenmenschlichen Kommunikation – gerade in Hinblick auf die Vermittlung unserer seelischen Befindlichkeiten – läuft bewusst oder unbewusst über die Körpersprache. Dazu gehören alle Formen der Mimik respektive Gestik, also des Mienenspiels beziehungsweise der Bewegungen von Kopf, Armen, Händen und Beinen. Besonderes „sprechend“ ist bekanntlich der Blickkontakt. Unser Körper ist damit das zentrale Medium, um in uns verborgene Regungen in der Kunst festzuhalten und weiterzugeben.

Kapitel II: Große Gefühle und ihre Quellen von der Antike bis heute

Pathos und Passion, Affekt und Emotion, Gefühl und Empfindung – das zweite Kapitel gibt einen Überblick zu den Begrifflichkeiten und der Geschichte der Leidenschaften. Wie haben sich Künstler und Kunsttheoretiker – es handelt sich überwiegend um Männer – über die Epochen hinweg zur Wiedergabe menschlicher Befindlichkeiten in Malerei und Bildhauerei verhalten? Ausgangspunkt ist auch hier die antike Rhetorik, die Redekunst also, die nicht nur mittels Sprache, sondern auch durch Mienenspiel und Körpersprache die Zuhörenden überzeugen und zum Handeln bewegen will.

Kapitel III: Eros, Liebe, Lustmord. Das Drama der Geschlechter

Liebe, Lust und Leidenschaft – in diesem Dreiklang manifestieren sich die größten, als beglückend erlebten Emotionen der Menschheit. Mit der erotischen Anziehungskraft zwischen Mann und Frau beziehungsweise Mann und Mann oder Frau und Frau wird auch der Begriff der „Leidenschaft“ am häufigsten in Verbindung gebracht. Das dritte Kapitel bildet aus diesem Grund das Zentrum oder besser: das Herzstück der Ausstellung. Dabei geben die hier versammelten Kunstwerke nicht nur einen Eindruck von der Vielfalt der Veranschaulichung amouröser Spielarten, sondern spiegeln auch den sittlich-moralischen Zusammenhang ihrer jeweiligen Zeit.

Kapitel IV: Passionen, Martyrien, Ekstasen. Die Leidenschaften im westlichen Christentum

Gläubiges Denken und Handeln ist untrennbar mit starken menschlichen Regungen wie Inbrunst, Hingabe und Verzückung verknüpft. Im Zentrum des

Christentums steht die Vorstellung des zu Tode gepeinigten Gottessohns: Durch sein Erdulden und Ertragen irdischer Qualen, seine Passion (abgeleitet vom griechischen Pathos, Leiden), sind Sündenvergebung und ewiges Leben möglich. Das Wortspiel im Ausstellungstitel Passion Leidenschaft – eigentlich eine Dopplung derselben Vokabel – verweist auf diese Vorstellung.

Kapitel V: Bedeutung und Funktion von Emotionen in der Politik

Wie das Thema der religiösen Leidenschaften war und ist auch die Frage nach der Bedeutung der menschlichen Regungen in der Politik von großer Aktualität und Brisanz. Beide Bereiche sind in Europa immer wieder aufs Engste miteinander verknüpft.

Kapitel VI: Die Gefühlswelten der Künstler im Selbstporträt

Zum Abschluss der Ausstellung begegnen die Besucher nochmals ihren eigenen Leidenschaften, gespiegelt in der Selbstdarstellung ausgewählter Kunstschaffender. Eigenständige Selbstbildnisse gibt es in der europäischen Kunstgeschichte erst seit dem 15. Jahrhundert, als Maler und Bildhauer nicht mehr als zunftgebundene Handwerker, sondern als freischaffende Persönlichkeiten agierten.

Begleitprogramm

Begleitet wird die Ausstellung von einem Programm, das von der tänzerischen Interpretation von Gefühlen bis zum jungen Zweig der wissenschaftlichen Emotionsforschung reicht. Öffentliche Führungen finden täglich statt, Tickets dafür können online gebucht werden. Eine digitale Tour bereitet auf den Besuch vor.

Gefördert wird die Ausstellung vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, von der LWL-Kulturstiftung, der Ernst von Siemens Kunststiftung, der Rudolf-August Oetker-Stiftung und der Firma Brillux.

Oben: Anthonis van Dyck, Beweinung Christi, um 1618/20, Kunsthistorisches Museum Gemäldegalerie Wien. © KHM-Museumsverband Unten: Martha Rosler, POINT & SHOOT, a mourning thought (though I am more enraged than in mourning), 2016, Digital Print on vinyl. © Martha Roslerund GalerieNagel DraxlerBerlin/Köln/ München LWL-Museum für Kunst und Kultur Domplatz 10 48143 Münster Tel.: 0251 5907-201 museumkunstkultur(at)lwl.org www.lwl-museum-kunst-kultur.de

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