Magazin Museum.de Nr. 11

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ben werden muss – neben Konzeption und Sammlungslisten – zumindest die Vorstellung von »Raumcharakteren«. Diese unterscheiden sich beispielsweise in ihrem Sozialbezug, nach ihrem Psychologiebezug, aber auch in ihrem Bedeutungsproblem. Dies gilt grundsätzlich und nicht nur für Ausstellungen: Traditionell haben Räume, die beispielsweise durch Tanz, rituelle Handlungen, gemeinsames Essen, Schlafen, Musizieren o. ä. genutzt werden, entsprechende Raumcharaktere. In der Szenografie leiten sich »Raumbegriff« und »Raumerfassung« entsprechend der Betrachtung von Skulptur im realen Raum bei Kunst- und Architekturwissenschaften ab. Gerade von Kuratoren ist es oft nicht selbstverständlich, dass sich der Raum mit der Skulptur oder den Ausstellungsstücken innig verbindet und dass ein multidimensionaler »reeller« Raum entsteht, in dem sich der betrachtende Mensch bewegt.

hung von Räumen zu begreifen. Für eine planerische »Raumdramaturgie« gilt es, Zeit und Zeitlichkeit nicht im messbaren Sinne oder durch Vernunft geprägte Einleitung zu verstehen, sondern als menschliches Erleben. Und dieses findet mit der Gesamtheit der Sinne jedes Einzelnen statt. Die Planung muss davon ausgehen, dass es meist nicht nur um das intentionale, sondern um das phänomenale Bewusstsein geht – um Begriffe der Bewusstseinsforschung zu verwenden. Letzteres richtet eben nicht seinen Verstand ganz aufmerksam auf ein interessantes Ausstellungsstück aus, sondern es verweilt und verfährt im Raum und erfährt den unreflektierten Gesamteindruck. Besucherwege in Ausstellungen bilden in der Rezeption jedes Einzelnen unterschiedliche Raumfolgen, die es planerisch zu unterscheiden gilt. Sie wirken stark durch Dramaturgie, wie sie im Theater oder im Film lange bekannt sind. Einstimmungs-, Vertiefungs-, Studien-

Kleiderfassade Die Sozialpolitik Bismarcks als immaterielles Erbe für den heutigen Sozialstaat: Originalbüste vor der aus Einzelschicksalen gebauten Fabrikfassade

Von hoher Bedeutung ist die Kenntnis der anzunehmenden »Raumnutzung« durch Publikum. Dies gilt auch für die Fähigkeit zur Orientierung; diese wird geleistet in einem Zusammenwirken von signifikanten Übergängen, Spannungen und Lichtführungen. Raumerfahrung hat sich an den natürlichen Veranlagungen und Befindlichkeiten des Menschen zu orientieren. Das bedeutet, nicht vorrangig den geometrischen Raum, die Architektur und ihre objektive Ausdehnung und Maßhaltigkeit zu betrachten, sondern was wir als menschliche Umgebung, als erlebbare Rezeption verstehen. Diese durchaus subjektive und sinnliche Form der Betrachtung von Raum gilt es als Abfolge durch Bege-

und Verweilzonen, sowie Raum- und Lichtwechsel der Wegeführung müssen mit Szenografen entwickelt werden. Museen haben ihre »Schwerkraft« durch ihre Sammlungsbestände und ihr jeweiliger Bildungsauftrag liegt in der Vermittlung. Insofern kommt ihrer Gestaltung ein hoher Stellenwert zu. In ihren Angeboten stehen sie zunehmend in einer durch digitale Medien geprägten Welt. Hierbei zeigt sich bereits jetzt, dass die Erfahrung von Originalen und von persönlichem Erleben ein zunehmendes Bedürfnis wird. Dieses Potential ist für die Facharbeit der Szenografie eine große Herausforderung.

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