Autorenlesungen brasilien deutschland

Page 19

[vLadir Lemos]

im namen des Balls schweren herzens akzeptiere ich mein elendiges reservistendasein, sehe den anderen beim spielen zu und halte den mannschaftsgeist hoch. nur ab und zu, wenn nußbaumeder oder rinke zum Kopfball hochsteigen oder wenn merkel oder ostermaier die mauer dirigieren, dann ziehe ich auf der ersatzbank still und heimlich einen mittlerweile rostigen schraubenzieher aus meiner sporttasche und kratze mich damit leise kichernd am hinterkopf.

Ich schreibe mit der andacht von einem, der ein Gebet spricht. ich schreibe in seinem geheiligten namen. die erste erinnerung, die ich an einem Ball habe, erscheint mir als etwas, das bis auf die Vorfahren zurückgeht. es war einer dieser riesigen und unermesslich leichten Bälle, die kleine Kinder üblicherweise vom rummelplatz mitbrachten. ich erinnere mich nicht an das spiel. aber den lauten Knall, den er machte, als er an die wände der alten Garage sprang, den höre ich bis heute. ein wink des Tobens. eine erste Begeisterung. seine Farbe, ein rot, das ein kleines rendezvous mit rosa hatte. aus endlosen kleinen Quadraten gefärbt, die vom Gelb in ein unwahrscheinliches Blau spielten.

wenn ich es mir recht überlege… und die technische Qualität in rechnung stelle, die ihren Glanz verloren hat, so macht es doch sinn, dass die athleten sich plötzlich von ihm bedroht fühlen. und ich gehe sogar noch weiter. hinterhältig oder auch nicht, so ist er doch für alle gleich. der Ball besitzt einen noblen Geist, niemals würde er sich Privilegien einräumen lassen. den Ball seltsam zu finden, gehört praktisch zum spiel. ich erinnere mich, dass als Kind einen Ball fürs spiel auszuwählen, oftmals in streit ausartete. und wenn es gar ein spiel gegen die mannschaft aus der nachbarstraße war, dann erst recht. der arme Ball, der vom gegnerischen Team mitgebracht wurde, wurde regelrecht niedergemacht. man beschuldigte ihn alt zu sein, ohne luft, zu hart, zu viel oder zu wenig springend. im allgemeinen war es die heimmannschaft, die entschied welcher Ball genommen würde. wem wäre es nicht lieber, mit einem Ball zu spielen, an den man gewöhnt war?

SA | 12.10.2013 | 14H [ isT der Ball noch rund? – ZeiT, dass sich was drehT! ]

ich weiß nicht, wie es hier in deutschland ist. in Brasilien aber ist dieses Thema schon seit langem im Gespräch. ihr wisst schon, wie das ist. als wäre es noch nicht genug, ihn mit den Füßen zu malträtieren, jetzt beleidigen sie ihn auch noch und verleumden ihn. ich bin der meinung, dass ein Fußball unantastbar sein sollte. ihn im rückwärtsgang zu sehen, bereitet mir einige Verlegenheit. wo er doch so rund und anspruchsvoll ist. aber das war es nicht, was wir in unserem sogenannten land des Fußballs gesehen haben. schon seit einiger Zeit steht er in Frage. man beschuldigt ihn, zu leicht zu sein. ungehorsame Kurven zu machen, die nicht von dem diktiert wurden, der ihn getreten hat. eine Katastrophe. und man spricht nicht von den Bällen meiner Kindheit, man redet von den heutigen Bällen, von hightech-Bällen. wie kann man nur?

19


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.