26 Chronik
montaner dorfblatt 05/2013
Nachruf
Mit Leichtigkeit und Sinn für das Schöne: Barone Ernesto Das erste Mal, als ich „den Baron“ sah, war nach der Unterzeichnung des Mietvertrages, durch den ich zusammen mit meinen Geschwistern den Kalditscher Elsenhof auf zwanzig Jahre pachtete. Wir saßen in der Neumarktner Önothek zusammen, wir rauchten – damals durfte man das ja noch – beide die starken „Camel“ – und ich revidierte meine Vorstellungen davon, wie ein Schlossherr aufzutreten hatte. Mit uns, den praktischen Foppa-Geschwistern, saß da ein ganz besonderer Mensch. Einer, der es nicht nötig hatte, seine aristokratische Herkunft zu unterstreichen, was schon an seiner schlichten Kleidung – insbesondere erinnere ich mich an die aufgenähten Ellbogenflicken an der Schnürlsamtjacke – abzulesen war. In den Folgejahren hatten wir immer wieder Kontakt mit dem Barone Ernesto. Wir mussten die lästigen Alltagsdinge klären, die aus dem Mieter-Vermieter-Verhältnis halt erwachsen, und das ging ihm sichtlich auf die Nerven. Am liebsten erledigte der Baron das schriftlich, via Brief, meist aus Venedig, früher maschinegeschrieben, später mit dem Computer. Eine E-Mail haben wir von ihm nie erhalten. Dort hätte man auch die ganz besondere Unterschrift von Ernesto Rubin de Cervin Albrizzi, so der gesamte, klingende Name, nicht sehen können, die in ihrem Oszillieren immer zu Vergleichen inspirierte. Mich erinnerte diese Unterschrift, die im Laufe der Jahre immer gedrängter wurde und ein wenig einem Elektrokardiogramm ähnelte, einer mittelalterlichen Notenschrift. Vielleicht hatte mich aber auch die eigentliche Berufung unseres „Lehnherrn“, wie wir ihn unter uns oft nannten, nämlich die Musik und das Komponieren, zu dieser Assoziation geführt. Barone Ernesto, der sich unsretwegen mit gefrorenen Wasserleitungen, Straßenarbeiten oder Heizbrennern herumschlagen musste, lebte nämlich in Wirklichkeit für die Musik. Seinen Kunstsinn und seine Liebe für das Schöne haben wir in doch vielen Gesprächen, wenn das Praktische erst einmal abgehakt war, bei so manchem Glas Wein in der Elsenhof-Laube erspüren können. Und seine Achtsamkeit seinem Umfeld gegenüber: Besonders bedeutsam fand ich die kompromisslose Angewohnheit des Barons, die Südtiroler deutschen Ortsnamen zu verwenden, lange bevor das ein politisches Thema im Lande wurde. Er tat das nicht nur, weil er die deutsche Sprache liebte, sondern weil er, so glaube ich, diesem Land, seiner Geschichte und seinen Sprachen einen tiefen Respekt entgegenbrachte und dies auch dadurch zum Ausdruck bringen wollte, dass er die tolomei’schen Übersetzungen mied. Das Schloss, das früher, etwa in meinen Kinderjahren, nur zur Messe am Hl. Anna-Tag geöffnet wurde, wurde in den letzten Jahren zunehmend zu einem kulturellen Treffpunkt in unserem Dorf. Der Hausherr nutzte die Events niemals zur Selbstinszenierung, sondern blieb seinem Understatement auch bei diesen Anlässen treu. Als sich am Elsenhof unsere Zusammensetzung änderte und unsere neuen Nachbarn immer neue Gärten anlegten, kam Baron Ernesto öfter als vorher zu Besuch und erfreute sich, mit einer Mischung aus echter Bewunderung und Erheiterung, an unserer Gemeinschaft. Immer wieder schickte er seine Gäste aus dem Schloss zum Elsenhof, um sie Astrids Kräutergarten und Elkas Terrassenbeete bewundern zu lassen. Dabei erzählte er die Geschichte seiner Ahnfrau Elsa, die dem Hof ihren Namen gegeben und dieser Stätte wohl auch ihren Zauber eingehaucht hatte.
Baron Ernesto Rubin de Cervin Albrizzi war gerne Gastgeber des Schlosskonzertes der Musikkapelle Montan im Schloss Enn.
Die Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart lag auch den Gesprächen zugrunde, die wir in den letzten Jahren über politische Aktualitäten führten. Mein grünes Engagement gefiel ihm, so denke ich verstanden zu haben, ideell sehr wohl. Er war ein Bewahrer der Umwelt und dachte weltoffen und innovativ. Zugleich hielt er uns Grüne aber wohl auch für einen Haufen realitätsferner Idealisten, denen er die Gestaltung der Alltagspolitik nicht recht zutraute. Aber das hätte er, höflich wie er war, nie laut gesagt, ich habe das nur zwischen den Zeilen, aus der Leichtigkeit des Diskurses, heraushören wollen und es hat mich nie verletzt. Im letzten Sommer, als wir hier am Elsenhof ein großes Fest feierten, um unsere zwanzig glücklichen Jahre an diesem Ort zu begehen, haben wir auch den Barone eingeladen. Wie alle hatte auch er die Einladung bekommen, mit uns zu feiern und dabei selber den Teller mitzubringen, da wir nicht genug davon hatten. Am Tag vor dem Fest kam er zuweg, mit einer großen Tasche, und brachte uns zehn Teller als Leihgabe. „Avete scritto che vi servono i piatti“, sagte er. Wir haben die Gelegenheit genutzt und gemeinsam ein Glas getrunken und über die Zeit gesprochen, die verfliegt. Ob er dann beim Fest dabei sein würde, wusste er nicht, er hatte keine Lust auf großen Trubel. Trotzdem kam er dann auch beim Fest selber, mit mehreren Gästen, die ich dann erst bei der Beerdigung vor wenigen Wochen wieder gesehen habe. Und einige Tage nach dem Fest kam er dann die Teller wieder abholen. So haben wir eigentlich dreimal zusammen gefeiert. Ich glaube, das war zwar nicht so geplant, aber es passte gut in das Konzept unseres Barons, der die schönen Seiten des Lebens zu würdigen wusste. Leise und mit Stil und mit einem feinen Lächeln auf den Lippen. Es wird uns fehlen, wenn wir heuer im Sommer – hoffentlich zusammen mit Ernestos Kindern Giovanni, Almorò und Elisabetta - auf das Leben anstoßen werden. Auf das Leben und auf diesen interessanten Menschen, den es uns ein klein wenig hat kennenlernen lassen. Brigitte Foppa