Die Miesbacherin 23

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Ihr Elternhaus steht in Otterfing, Leo, Jahrgang 78, wohnt mit Familie in Warngau, der große Bruder Seppi, geboren 68, in Weyarn. Zwei schlanke, große, sportliche Burschen mit geradem Blick, einem nicht zu verleugnenden Anflug von charmanter Lausbübigkeit und mit ehrlich guter Laune sitzen auf dem Platz vor dem Warngauer Rathaus und blinzeln in die Herbstsonne. Wir treffen uns an der frischen Luft mit gebührendem Abstand zum Ratschen – die Ansteckungszahlen, geschlossene Caféhäuser und der gesunde Menschenverstand legen dies schlicht und ergreifend nahe. Was für ein Glück, dass dieser Herbst sich bisher so sonnig und wacker hält und uns kein kalter Novemberniesel einen Strich durch die Rechnung macht. In Gesellschaft dieser beiden scheint man sich eh automatisch auf der Sonnenseite des Lebens zu bewegen. Dabei haben sie vermutlich nicht weniger Pech oder mehr Glück als jeder andere auch, aber beiden scheint die Gabe innezuwohnen, das Beste aus allem zu machen, dankbar für das zu sein, was ihnen gelingt, und sich ganz einfach daran zu orientieren, was sich für sie in jedwedem Moment gut und richtig anfühlt, geradeaus und bei sich zu bleiben. Freilich klingt das einfacher und banaler, als es wahrscheinlich ist, denn manch eine Lebensentscheidung verlangt dann doch eine ordentliche Portion Mut oder aber souveränen Weitblick. Von wem sie diese Fähigkeiten haben? Wahrscheinlich von dem liebevollen Elternhaus und ganz bestimmt auch von der großen Schwester Antonia, einer sehr prägenden Frau im Leben der Brüder – im positiven Sinne, versteht sich. Leo Reisinger ist Schauspieler und Musiker, ein Künstler mit keinerlei Scheu davor, sich beispielsweise auch im Großmarkthandel als Ausfahrer zu verdingen oder in der

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Damenabteilung eines großen Münchner Sportgeschäfts Skikleidung zu verkaufen, wenn es denn Not tut. Inzwischen ist er aber gern und oft besetzter TV-Darsteller – so zum Beispiel aktuell als Hauptdarsteller in dem von der ARD produzierten Mehrteiler „Toni, männlich, Hebamme“. Und auch in dieser für viele Kulturschaffenden existentziell bedrohlichen Zeit hat er weiterhin Engagements für Filmaufnahmen und schreibt an zwei Drehbüchern. Aber der Weg bis hierher war keineswegs ein Spaziergang, sondern vielmehr ein kurviges Aben-

, o e L d n u i Sepp r e l d n ä h d a Fa hrr r e l e i p s u a h c u nd S teuer – also ganz nach Leos Geschmack. Eigentlich hat er ja Schreiner gelernt, fuhr als Zivi beim Rettungsdienst mit und verdingte sich als junger Mann leidenschaftlich in diversen Robinson Clubs von der Schweiz bis Griechenland, war mal Koch, mal Fahrrad- und Snowboard-Guide, mal Animateur und stieg dort in der Hierarchie bis zum Event-Chef auf. Mit der als Garagen-Spezl-Gelegenheitsband gegründeten achtköpfigen Formation „Mittendrin“, bei der er den Posten des Pianisten übernimmt, tourte er weltweit inklusive Gigs auf den Malediven. Als ihm eines Tages der Autor und Regisseur Robert Löhr attestierte, er sei kein bloßer Animateur, sondern


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