Projekt Goethequartier (Toolbox)

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Projekt Goethequartier


Die vorliegende Publikation ist ein Auszug aus dem Studienprojektbericht „Projekt Goethequartier“. Die vollständige Version mit umfassenden Analyse- und Evaluationsteilen, der Konzeptherleitung sowie Literatur-, Quellen-, und Abbildungsverzeichnissen können Sie unter http://issuu.com/michaelburij/docs/goethequartier-full runterladen. Weiterführende Links und Informationen sind auf der Facebook-Seite https://www.facebook.com/Goethequartier zu finden. Sie erreichen uns übrigens auch unter goethequartier@googlemail.com.


Projekt Goethequartier ...wie ein Bremerhavener Altbauviertel wieder ins Positive kippen könnte.

P3-Bericht (Auszug) Studiengang Bachelor Stadtplanung an der HafenCity Universität Hamburg Sommersemester 2011

Ralf Angermann Michael Burij Larissa Guschl Ludger Hellweg Immo Hüls Melanie Johns David Rademacher Stephan Strittmatter

Betreuer: Dipl.-Ing. Stefan Kreutz und Dipl.-Ing. Mario Abel


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Das Konzept, das wir, das „Projekt Goethequartier“, für den Ortsteil Goethestraße vorschlagen, besteht nicht aus einer fertigen, in sich geschlossenen Strategie, sondern besitzt die Form einer sogenannten „Toolbox“ (was auf Deutsch nichts anderes heißt als Werkzeugkasten). Dies bedeutet, dass die einzelnen Maßnahmen, die Tools oder Werkzeuge, vollkommen unabhängig voneinander funktionieren und somit jederzeit auch einzeln angewandt werden können. Warum das so sein soll, wird verständlich, wenn man einmal betrachtet, an wen sich dieser Maßnahmenkatalog in erster Linie richtet: Nicht an „die Stadt“ oder das Stadtplanungsamt, sondern an einzelne Personen oder kleine Gruppen, die in ihrem Viertel selbst etwas bewegen wollen. Und anders als die eben genannten Institutionen, sind solche Akteure normalerweise natürlich nicht in der Lage, langfristige, koordinierte Strategien umzusetzen und große Projekte zu stemmen, wie sie in stadtplanerischen Konzepten ansonsten häufig vorgeschlagen werden. Dazu fehlen neben den finanziellen Mitteln meist auch die personellen Ressourcen, ganz zu schweigen von der demokratischen Legitimation, die man braucht, um im Großen etwas zu verändern. Kleine Projekte hingegen benötigen oft nicht mehr als drei, vier engagierte Menschen mit viel Tatkraft und Enthusiasmus, eine überschaubare Summe an Geld und von Fall zu Fall vielleicht noch ein wenig guten Willen und Kooperationsbereitschaft seitens der Behörden, die das Ganze genehmigen müssen. Welche Kosten jedes der von uns vorgeschlagenen Tools mit sich bringt, wie lange die Umsetzung dauert, welche Rechtsform sich dafür anbietet, wo eventuelle Hürden und Hemmnisse liegen, an welchem Ort es möglicherweise verwirklicht werden könnte und vor allem, wo das jeweilige Projekt bereits erfolgreich funktioniert (hat) – all das soll in dem nun folgenden Katalog beantwortet werden. Dieser setzt sich zusammen aus einer steckbriefartigen Zusammenfassung aller 15 Tools, die anschließend dann ausführlich beschrieben werden. Zuvor allerdings möchten wir noch kurz jene vier Handlungsfelder vorstellen, denen sich die Maßnahmen und Projekte jeweils zuordnen lassen. Sie haben sich ergeben aus einer umfangreichen Analyse, die wir, eine Gruppe von Stadtplanungsstudenten der HafenCity Universität Hamburg, über Monate hinweg im Ortsteil Goethestraße durchgeführt haben. Trotzdem sind natürlich Sie, die Leser (und hoffentlich irgendwann auch Nutzer!) unseres Konzepts, der Toolbox, die eigentlichen Experten. Jedenfalls sofern Sie in Bremerhaven und vielleicht


sogar im „Goethequartier“ leben. Deshalb sind wir interessiert an allen Ideen und Vorschlägen Ihrerseits – spontanen, noch unausgegorene wie auch konkreten – und freuen uns darüber, wenn Sie uns diese mitteilen wollen. (Sie erreichen uns übrigens unter: goethequartier@ googlemail.com und finden uns auch auf Facebook). Schließlich ist es ja gerade das Prinzip der Toolbox, dass sie jederzeit erweitert werden kann – während andere Tools, die sich als unbrauchbar erweisen, daraus möglicherweise irgendwann auch wieder verschwinden.

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1) Möglichkeitsräume

Unter „Möglichkeitsräumen“ verstehen wir sämtliche Räume, ob in geschlossenen Gebäuden oder im Freien, die momentan nicht oder nicht ausreichend genutzt werden, aber in Zukunft für eine neue, zum Teil dauerhafte, zum Teil auch nur temporäre Nutzung infrage kommen. Da sie zumeist noch in keiner Weise festgelegt sind, stehen sie für alle Möglichkeiten offen, sie bieten Raum für verrückte Fantasien und wilde Träumereien, ebenso wie für sehr konkrete Planungen. Da sich andererseits jedoch nicht jede Idee an jedem Ort verwirklichen lässt und manche Räume für bestimmte Nutzungen besser geeignet sind als andere, haben wir eine kleine „Typologie der Möglichkeitsräume“ erstellt: Mit Hilfe von Piktogrammen, also kleinen symbolischen Bildern, wird die jeweilige Raumsituation dargestellt und durch jeweils ein beispielhaftes Foto illustriert. Und so betrachtet wird eine Baulücke vielleicht auf einmal zu einem „Möglichkeitsraum“ für eine abendliche Filmvorführung, ein leerstehendes Ladenlokal bietet Potential für ein neues, innovatives Geschäftskonzept, und wo heute noch ein abbruchreifes Gebäude steht, kann schon morgen ein Garten auf Zeit entstehen. Zum ersten ist da natürlich die klassische Baulücke, also eine Brachfläche, die entstanden ist, nachdem ein Gebäude aus einem Block herausgerissen wurde. Stand dieses Gebäude an einer Ecke, so hinterlässt sein Abriss eine „Ecklücke“, also eine Brachfläche, die zumeist deutlich größer ist und sich in exponierterer Lage befindet als eine Lücke innerhalb eines Blocks. Einzelne Flächen liegen auch bereits seit vielen Jahren brach und sind inzwischen mit hohen Bäumen bewachsen, was manche Nutzungen ausschließt. An anderen Stellen lassen sich möglicherweise der Blockinnenhof hinter der Lücke (oder zumindest Teile davon) in eine neue Nutzung mit einbeziehen. Schließlich gibt es das verlassene Ladenlokal und die leerstehende


Wohnung sowie nicht zuletzt die zukünftige bzw. entstehende Baulücke, das heißt Häuser, die in absehbarere Zeit abgerissen und dadurch schon heute vom „Schandfleck“ zum „Möglichkeitsraum“ werden.

Abbildung (1): Klassische Baulücke

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Abbildung (2): „Ecklücke“

Abbildung (3): Baulücke mit größerem Baum


Abbildung (4): Baul端cke inklusive Blockinnenhof

Abbildung (5): Leerstehendes Ladenlokal im Erdgeschoss

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Abbildung (7): Leerstehende Wohnung

Abbildung (6): Zuk端nftige bzw. entstehende Baul端cke


2) Kümmererkonzepte

Ein „Kümmerer“ ist ganz allgemein gesprochen ein Mensch, der sich für ein Projekt oder für seine Mitmenschen engagiert, der sich nicht mit den Gegebenheiten abfindet, sondern im Rahmen seiner Möglichkeiten etwas bewegen will, der Ideen hat, wie man die eigene Nachbarschaft, das eigene Viertel zum Positiven verändern kann, und diese dann auch umzusetzen versucht. Dazu wird er als Veranstalter und Organisator tätig, ist Ansprechpartner für andere Interessierte und animiert diese dazu, sich für seine Sache – die damit zur gemeinsamen Sache wird – einzusetzen. Neben Organisationstalent verfügt er zumeist über gute Kontakte zu verschiedenen Akteuren (oder ist in der Lage, diese rasch aufzubauen), er ist kommunikativ und hat, sofern bei dem Projekt Geld im Spiel ist, ein gewisses Grundverständnis in wirtschaftlichen und finanziellen Fragen. Dabei kann fast jeder ein Kümmerer sein, ob er nun im Rahmen seiner bezahlten Arbeit außergewöhnlich stark für ein bestimmtes Anliegen eintritt oder ob er ehrenamtlich, neben oder nach seinem Berufsleben aktiv wird. Und manchmal kann aus einer Tätigkeit als Kümmerer mit der Zeit sogar ein Beruf werden… Im Goethequartier und in Bremerhaven haben wir bei unserem Projekt eine ganze Reihe von Kümmerern kennengelernt: die Verantwortlichen der „theo“ beispielsweise, den Geschäftsführer der Stäwog, die Initiatoren des Mehrgenerationenhauses in der Goethestraße 43 und nicht zuletzt auch die außerordentlich engagierten Ehrenamtlichen und zu geringen Bezügen Angestellten des Rückenwind e. V., mit denen zusammen wir eine Kinder-Fotosafari veranstalten durften. Auch bei den Leher Sommer-Kulturwochen 2011, bei denen wir die Fotos der Kinder in der Kulturwohnung ausgestellt haben, sind uns solche Menschen begegnet, nicht zuletzt die Organisatoren dieser tollen Veranstaltungsreihe selbst. Darüber hinaus sind wir überzeugt, dass es viele weitere potentielle Kümmerer gibt, die Lust haben, ihren eigenen

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Beitrag zu leisten, dass ihre Nachbarschaft, ihr Quartier vorankommt. Ihnen wollen wir mit dieser Toolbox eine erste kleine Hilfestellung geben.

3) Lokale Ökonomien

Selbstverständlich gibt es auch Menschen, die es sich weder zeitlich noch finanziell leisten können, sich als Kümmerer zu engagieren, die sich um ihr eigenes berufliches Fortkommen sorgen müssen und daher voll auf ihre Arbeit konzentriert sind. Andererseits ist die Zahl derer, die keine Arbeit haben, im Ortsteil Goethestraße wie auch in Bremerhaven insgesamt enorm hoch, viele Jobsuchende hier hoffen zum Teil schon lange vergeblich darauf, in dieser Stadt eine Stelle zu finden. Dabei ist es gar nicht mal unbedingt so, dass diese Menschen nicht können. Im Gegenteil, viele von ihnen haben mal einen Beruf erlernt und würden gerne wieder darin arbeiten. Oder haben eine tolle Geschäftsidee, die sie unbedingt in die Tat umsetzen wollen. Um solchen Leuten den (Wieder-)Einstieg in den Job zu erleichtern, bietet „die theo“ auf einer ganzen Etage Räume für Existenzgründer an, wo diese zu sehr geringen Mieten ein Büro zur Verfügung gestellt bekommen, inklusive zwanglosem Kontakt zu anderen Selbstständigen, die sich in einer ähnlichen Situation befinden, etwa beim wöchentlichen gemeinsamen Frühstück. Dieses Konzept hat uns beeindruckt. Allerdings reichen die Kapazitäten der „theo“ bei weitem nicht aus, um allen, die sich darum bewerben, auch tatsächlich einen Raum anzubieten. Viele der potentielle Gründer müssen stattdessen mit der Warteliste vorliebnehmen und bekommen ihre Chance somit eventuell erst in einigen Jahren. Und damit bleibt


eine gute Idee für weitere Jahre in der Schublade, ein weiterer Mensch bleibt ohne bezahlte Arbeit und andere, denen er vielleicht irgendwann eine Stelle geboten hätte, müssen ebenfalls weiter warten. Neben Tools, die auf Kümmererkonzepten basieren enthält die Toolbox daher auch eine Reihe von Vorschlägen, die darauf abzielen, die lokalen Ökonomien, d. h. vor allem Existenzgründer und Selbständige, zu stärken – damit das Goethequartier irgendwann sein eigenes kleines „Wirtschaftswunder“ erlebt.

4) MarketingINSTRUMENTE

„Marketing? Das ist doch viel heiße Luft mit nichts dahinter!“ – so denken viele unwillkürlich, wenn sie diesen Begriff hören. Zumal, wenn es dabei um Städte geht. Denn eine Stadt ist doch nun einmal, was sie ist, ebenso wie auch ein Stadt- bzw. Ortsteil immer der gleiche bleibt, ob nun mit Marketing oder ohne. Oder etwa nicht? Wir sagen ganz klar, „Nein“, denn wir sind davon überzeugt, dass sich durch Marketing viel verändern lässt, weshalb dieses Instrument unserer Auffassung nach auch zu jedem guten Konzept dazugehört. Denn zum einen ist Marketing viel mehr als „Werbung“, auch wenn es damit umgangssprachlich häufig gleichgesetzt wird, zum anderen sehen wir, dass man beim Ortsteil Goethestraße gar keine „heiße Luft“ produzieren muss, denn dort ist bereits jede Menge vorhanden, auf das man aufbauen kann. Doch zunächst zur Frage, was Marketing – das ja ursprünglich aus der Welt der Unternehmen stammt – im Zusammenhang mit Städten oder Quartieren überhaupt bedeutet. Um an dieser Stelle nicht zu viel zu verraten (da gleich das erste Tool, Neighbourhood Branding, auf diesen Aspekt ausführlich eingeht), hier nur ein paar zentrale Gedanken: Wie wir alle wissen, besitzt jeder Stadtteil, jedes Quartier

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sein eigenes Image, seinen estimmten Ruf. Im Falle des Ortsteils Goethestraße ist es darum im Moment leider nicht zum Besten bestellt. Was zum Teil natürlich an den tatsächlich vorhandenen Problemen liegt, zum Teil aber auch an den Dingen, die andere Bremerhavener, von denen manche noch nie hier waren, über das Viertel erzählen. Die Menschen, die selbst hier leben, sehen einiges davon möglicherweise ganz anders, und mögen, trotz aller Schwierigkeiten, ihre Nachbarschaft alles in allem ganz gerne. Auch wir glauben, dass es sich rund um die Goethestraße im Grunde ziemlich gut wohnen lässt, dass dieses Viertel auf jeden Fall etwas Besonderes ist und deshalb eines Tages wieder richtig attraktiv sein kann, für junge Familien mit Kindern ebenso wie für Senioren, kurz, dass es unglaublich viel Potential besitzt. Und damit dies alle erfahren, damit auch die Menschen von Außerhalb in Zukunft wieder das Positive erkennen, dazu braucht es Marketing. Zum einen sind das natürlich die klassischen Werbemaßnahmen, zum anderen aber eben auch tolle Projekte und interessante Veranstaltungen – so wie etwa die Leher Sommer-Kulturwochen 2011.

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Katalog

Abbildung (8): Einordnung der Tools in die vier Oberkategorien

Katalog #01: Neighbourhood Branding #02: Leerstands- und Baulückeninformationssystemsystem #03: Temporäre Stadt #04: Bauspielplatz #05: Nachbarschaftsgärten/Interkulturelle Gärten #06: Laden zu verschenken #07: Probewohnen #08: Wächterhäuser #09: Mode aus dem Quartier #10: Öffentliche Hotspots #11: Coworking #12: Gastronomie #13: Zen-Garten #14: Altengerechtes Wohnen #15: Balkone in Baulücken

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Nutzungshinweise Die untenstehenden Symbole dienen der Orientierung innerhalb dieses Katalogs und sollen das Auffinden von Informationen erleichtern. Ihre jeweilige Bedeutung wird im Folgenden kurz erläutert. Neben diesem Symbol sind die jeweiligen Referenzbeispiele beschrieben. Es handelt sich hierbei um erfolgreiche Projekte, Maßnahmen oder Instrumente, deren Anwendung auch im Ortsteil Goethestraße in Frage kommt. Weshalb die Referenzbeispiele auf das Goethequartier übertragbar sind und wie sie sich dort umsetzen lassen, wird neben diesem Symbol erklärt. Die Euro-Symbole zeigen an, wie viel die Umsetzung des jeweiligen Tools voraussichtlich kostet. Je mehr davon markiert sind, desto höher die Kosten. Auch die Frage, ob eventuell Einnahmen zu erwarten sind, wird hier beantwortet. Welche Akteure das Tool umsetzen könnten und wer auf jeden Fall zu beteiligen ist, lässt sich unter diesem Punkt nachlesen. Hier finden sich Angaben zu Umsetzungszeitpunkt und -zeitraum. Eine Uhr symbolisiert, dass sich das Tool rasch umsetzen lässt, drei Uhren stehen für eine relativ lange Planungs- und Realisierungsphase. Neben diesem Symbol ist ein Vorschlag notiert, welche Rechtsform sich für das jeweilige Tool anbietet. Eventuelle Konflikte oder Hemmnisse, die der Umsetzung des Tools im Wege stehen könnten, sind hier aufgeführt. Außerdem gibt es Hinweise, wie damit umgegangen werden kann. Abschließend wird jedes Tools einer oder mehrerer der Oberkategorien zugeordnet, die oben beschrieben wurden. Also: Werden Möglichkeitsräume genutzt? Lässt sich das Tool für Marketingzwecke verwenden? Dient es der Förderung lokaler Ökonomien? Beinhaltet es Kümmererkonzepte? Der nun folgende Katalog enthält insgesamt 15 Tools. Zunächst werden diese jeweils auf einer Seite in Form eines kurzen Steckbriefs vorgestellt. Anschließend folgt eine ausführliche Beschreibung jedes einzelnen Tools.


Kurzübersichten #01: NEIGHBOURHOOD BRANDING Referenz: Beteiligungsverfahren in der niederländischen Gemeinde Hoogvliet, einer rund 20 km von Rotterdam entfernten Satellitenstadt, die unter einem schlechten Ruf litt. Ergebnis des Prozesses war eine signifikante Imageverbesserung. Übertragbarkeit und Implementierung: Der Ortsteil Goethestraße besitzt ebenfalls ein negatives Image. Daher bietet sich die Durchführung eines ähnlichen Verfahrens an, wie es im Rahmen von INTERREG IIIB entwickelt wurde. Die Marke „Goethequartier“ könnte hierbei ein erster Schritt auf dem Weg hin zu einem neuen Image sein. Finanzierung: Kosten fallen lediglich für Personal (Moderatoren), Veranstaltungsräume und Medienkommunikation an. Akteure: Erwünscht ist ein möglichst großer Teilnehmerkreis, bestehend aus Bewohnern des Viertels, Haus- und Grundstückseigentümern, Wohnungsgesellschaften, Einzelhändlern etc. Zeitpunkt und Dauer: Eine möglichst frühe Umsetzung wird empfohlen, die Durchführung dauert nur wenige Tage. Rechtsraum: Informelles Beteiligungsverfahren, das keine spezielle Rechtsform benötigt. Konflikte/Hemmnisse: Problematisch ist die heterogene Eigentümerstruktur im Viertel; in anderen Fällen litt die Moderation z. T. unter mangelnder Akzeptanz.

Übergeordnete Kategorie(n): Marketinginstrumente

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#02: Leerstands- und Baulückeninformationssystem Referenz: Elektronisches Baulückeninformationssystem in Berlin, Leerstandsmelder in Hamburg Übertragbarkeit und Implementierung: Direkte Übertragung des Berliner Beispiels möglich, Leerstandsmelder muss den Verhältnissen im Goethequartier angepasst werden. Baulückenkataster und freiwillige Angaben von Haus- und Wohnungseigentümern werden im Internet veröffentlicht. Hauptadressaten des Tools sind Zwischennnutzer. Finanzierung: Im günstigsten Fall (d. h. der Verwendung von Google Maps wie beim Hamburger Leerstandmelder) liegen die Kosten für die Einrichtung einer solchen Internet-Plattform bei maximal 1.000 Euro, der Betrieb ist ebenfalls sehr günstig. Akteure: Stadtplanungsamt, Grundstücks- und Immobilieneigentümer, ESG Lehe Zeitpunkt und Dauer: Das Tool sollte so zeitnah wie möglich umgesetzt werden, da es eine wichtige Basis für weitere Maßnahmen darstellt. Je nachdem, welches Programm dafür gewählt wird, kann ein solches Informationssystem innerhalb weniger Wochen einsatzbereit sein. Rechtsraum: Da die Umsetzung durch die Stadt erfolgt, ist keine besondere Rechtsform notwendig. Konflikte/Hemmnisse: Aufgrund der extrem heterogenen Eigentümerstruktur im Viertel ist die freiwillige Beteiligung eventuell gering. Fraglich ist zudem die Finanzierung.

Übergeordnete Kategorie(n): Möglichkeitsräume, lokale Ökonomien


#03: TEMPORÄRE STADT Referenz: Provisorische Sitzgelegenheiten im öffentlichen Raum (Pécs), befristeter Shared Space (Duisburg), temporäre Brücken (Istanbul), provisorische Grillplätze (Basel), Open Air-Kino (Hamburg) Übertragbarkeit und Implementierung: Denkbar sind von den Anwohner organisierte Filmvorführungen, Märkte, Feste, Ausstellungen, Musikfestivals etc. Ein Beispiel war auch die Einrichtung der „Kulturwohnung“ während den Leher Sommer-Kulturwochen (mit Fotoausstellung des „Projekts Goethequartier“). Finanzierung: Kosten variieren stark, je nach Veranstaltung. Von NullEuro-Projekten bis hin zu kostenintensiveren Events ist alles möglich. Finanzielle Einnahmen, die die Ausgaben decken, sind in Einzelfällen zu erwarten. Akteure: Veranstalter sind in erster Linie Vereine und Bewohnergruppen. Zeitpunkt und Dauer: Sehr kurzfristige Umsetzung möglich, zum Teil auch längere Planung notwendig. Charakteristisch für dieses Tool ist die begrenzte zeitliche Dauer aller Aktionen. Rechtsraum: Normalerweise keine Rechtsform notwendig, z. T. empfiehlt sich jedoch die Gründung eines eingetragenen Vereins oder einer BGR. Eine Genehmigung ist im Regelfall obligatorisch. Konflikte/Hemmnisse: Ordnungsrechtliche Vorschriften wie Brandschutz, sanitäre Anlagen etc. können ein Problem darstellen.

Übergeordnete Kategorie(n): Möglichkeitsräume, Marketinginstrumente, lokale Ökonomien, Kümmererkonzepte

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#04: Bauspielplatz Referenz: Die Idee der „Gerümpelspielplätze“ stammt ursprünglich aus Dänemark. Beispiele für Bauspielplätze in Deutschland sind der „RaBauKi“ in Siegen oder der „Kolle 37“ in Berlin. Übertragbarkeit und Implementierung: Im Ortsteil Goethestraße existieren viele konventionelle Spielplätze, diese werden aber vor allem von den älteren Kindern kaum genutzt. Die Zahl der Kinder ist überproportional hoch, viele stammen zudem aus sozial schwierigen Verhältnissen. Bauspielplätze ermöglichen die Gestaltung der eigenen Spielumgebung und verbinden dies mit pädagogischen Konzepten. Ein Grundtsück hierfür steht im Goethequartier zur Verfügung. Finanzierung: Die Kosten für die Realisierung sind nicht allzu hoch, der Betrieb kann jedoch nur auf ehrenamtlicher Basis organisiert werden.Hilfreich sind zudem Spendengelder und eine Teilfinanzierung über Fördermittel. Akteure: Optimale Kooperationspartner wären etwa der Rückenwind e.V. und das Jugendzentrum Lehe-Treff. Zeitpunkt und Dauer: Das Tool „Bauspielplatz“ lässt sich relativ zeitnah umsetzen, da ein passendes Grundstück vorhanden ist und für den Anfang nur wenig Material benötigt wird. Rechtsraum: Betrieben werden Bauspielplätze in aller Regel von einem eingetragener Verein. Konflikte/Hemmnisse: Eventuelle Konflikte mit Anwohnern aufgrund von Lärm sind nicht auszuschließen.

Übergeordnete Kategorie(n): Möglichkeitsräume, Marketinginstrumente, Kümmererkonzepte


#05: Nachbarschaftsgärten/ Interkulturelle Gärten Referenz: Die Nachbarschaftsgärten in der Josephstraße (Leipzig) und der „Prinzessinnengarten“ in Berlin sowie diverse interkulturelle Gärten. Übertragbarkeit und Implementierung: Wünschenswert wäre dieses Tool wegen des geringen Grünanteils im Quartier. Für die zahlreichen Migranten im Ortsteil Goethestraße könnten interkulturelle Gärten die Möglichkeit für eine bessere Integration bieten. Geeignete Brachflächen in Baulücken stehen zur Verfügung. Finanzierung: Die Anfangsinvestitionen belaufen sich auf rund 5.000 Euro für Geräte und Material. Weitere Kosten können durch Eigenleistung von Freiwilligen aufgefangen werden. Akteure: Eigenorganisation durch die Bewohner ist realistisch. Die jeweiligen Grundstücke müssen durch die jeweiligen Eigentümer (befristet) bereitgestellt werden; idealerweise hat die Stadt die Fläche zuvor erworben. Zeitpunkt und Dauer: Eine Umsetzung innerhalb weniger Wochen ist möglich, insbesondere, wenn nicht direkt in die Erde gepflanzt werden soll. Beste Zeitpunkt für den Beginn ist der Frühling. Rechtsraum: Die Pachtung des Grundstücks und die Vermietung der Parzellen an die einzelnen Nutzer wird meist von einem eingetragenen Verein übernommen. Konflikte/Hemmnisse: Um das Konfliktpotential mit den Grundstückseigentümern zu minimieren, sollte die Gartennutzung zeitlich befristet sein. Bei der Nutzung kann eine geringfügige Störung der unmittelbaren Anwohner nicht ausgeschlossen werden.

Übergeordnete Kategorie(n): Möglichkeitsräume, Marketinginstrumente, lokale Ökonomien, Kümmererkonzepte

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#06: LADEN ZU VERSCHENKEN Referenz: Wettbewerb „Laden zu verschenken“ in der Langen Straße in Rostock. Gesucht wurde das innovativste Geschäftkonzept, der Gewinner erhielt ein Ladenlokal mietfrei für ein Jahr. Übertragbarkeit und Implementierung: Der Ortsteil Goethestraße ist von hohem Ladenleerstand betroffen. Für eine Umsetzung des Konzepts eignet sich etwa ein leersteendes Ladenlokal an der Ecke Goethestraße/Kistnerstraße. Finanzierung: Beim Rostocker Referenzbeispiel fielen Kosten von ca. 18.000 Euro an, hauptsächlich für die Miete des Objekts. Angesichts der niedrigen Gewerbemieten in Bremerhaven kann diese Summe auch geringer ausfallen. Akteure: Veranstalter in Rostock war die Lokalzeitung, die ausführlich über den Wettbewerb berichtete. In Bremerhaven kommt daher die Nordsee-Zeitung infrage. Gewonnen werden muss auch ein Eigentümer, der Interesse hat, seine Immobilie für das Projekt zur Verfügung zu stellen. Zeitpunkt und Dauer: Realistisch sind ungefähr drei Monate von der Idee bis zum Ende des Wettbewerbs. Eine Umsetzung des Tools ist jederzeit möglich, sobald ein Ladenlokal gefunden ist. Rechtsraum: Abgeschlossen wird ein Pachtvertrag; die Teilnehmer des Wettbewerbs erkären ihr Einverständnis zur Medienarbeit. Konflikte/Hemmnisse: Erschwerende Faktoren sind unklare Besitzverhältnisse und eventuell mangelnde Bereitschaft seitens der Eigentümer.

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#07: PROBEWOHNEN Referenz: Probewohnen in der Innenstadt von Görlitz. Zur Verfügung gestellt wurde dabei eine voll eingerichtete Altbauwohnung, die eine Woche lang kostenfrei genutzt werden konnte. Übertragbarkeit und Implementierung: Aufgrund der vergleichbaren Situation, also der innenstadtnahen Lage in einem historischen Altbauviertel, würde sich dieses Projekt auch im Goethequartier anbieten. Mögliche Wohnungen sind zu Genüge vorhanden, müssten zuvor jedoch vermutlich renoviert werden. Finanzierung: Renovierung und Einrichtung verursachen gewisse Kosten, darüber hinaus muss die Miete getragen werden. Akteure: Die Wohnung könnte von der Stäwog bereitgestellt werden, das Stadtplanungsamt und das Designlabor kommen als Partner infrage, die das Projekt – ähnlich wie im Referenzfall – forschend begleiten. Zeitpunkt und Dauer: Probewohnen lässt sich zu jedem Zeitpunkt mit geringem Aufwand realisieren, die Dauer kann auf zunächst ein Jahr begrenzt werden. Rechtsraum: Die Rechtsform ergibt sich aufgrund des Veranstalters, etwa der Wohnungsgesellschaft Stäwog. Konflikte/Hemmnisse: Die individuelle Dauer des Probewohnens sollte eine Woche nicht übersteigen, zudem müssen die Bewerber sorgfältig ausgewählt werden, da andernfalls Probleme mit „Mietnomaden“ auftreten können, die die Wohnung dauerhaft zu nutzen beabsichtigen.

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#08: wächterhäuser Referenz: Das Referenzprojekt sind die „Wächterhäuser“ in Leipzig. Dort bekommen Nutzer leerstehender Altbauten den Mietpreis erlassen und bezahlen nur die Verbrauchskosten. Im Gegenzug kümmern sie sich um die Renovierung der Gebäude und verhindern Vandalismus. Der Gundsatz lautet also: „Erhalt durch Nutzung“. Übertragbarkeit und Implementierung: Aufgrund der ähnlichen Problematik im Ortsteil Goethestraße ist das Projekt für eine Implementierung bestens geeignet. Der Erfinder der „Wächterhäuser“, HausHalten e.V. in Leipzig, lädt zudem ausdrücklich dazu ein, das Konzept zu kopieren und stellt sämtliche Informationen zur Verfügung. Finanzierung: Die Anfangsinvestition für die Einrichtung der „Wächterhäuser“ sind recht hoch, durch ehrenamtliche Arbeit können aber zumindest die Betriebskosten beinahe auf Null reduziert werden. Akteure: Kooperationspartner können die Stadt Bremerhaven und die Stäwog sein, potentielle Nutzer wären die Bewohner. Zeitpunkt und Dauer: Planung und Umsetzung können einige Monate bis über ein Jahr in Anspruch nehmen. Rechtsraum: Ein eingetragener Verein ist die Rechtsform, die sich für solche Projekte als vorteilhaft erwiesen hat. Konflikte/Hemmnisse: Wiederum ist die heterogene Eigentümerstruktur ein Problem, auch ist die Bereitschaft seitens der Eigentümer, sich an Projekten wie diesen zu beteiligen, schwer einschätzbar. Von den Vereinsgründern erfordert das Tool viel Eigeninitiative und bedeutet einen hohen Zeitaufwand.

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#09: mode aus dem quartier Referenz: „Made auf Veddel“ in Hamburg. Migrantinnen aus einem sozial benachteiligten Stadtteil, die traditionelle Handarbeitstechniken beherrschen, fertigen in Zusammenarbeit mit einer Modemacherin Haute Couture. Übertragbarkeit und Implementierung: Auch im Goethequartier lassen sich, insbeondere unter den zahlreichen Bewohnern nicht-deutscher Herkunft, mit Sicherheit Personen finden, die über besondere Fähigkeiten im Handarbeitsbereich verfügen. Finanzierung: Keine großen Anfangsinvestitionen notwendig, da Arbeitsgeräte meist schon vorhanden sind. Im Idealfall lassen sich mit diesem Projekt Gewinne erzielen. Akteure: Bewohnerinnen des Quartiers mit besonderen Fähigkeiten in Handarbeitstechniken Zeitrpunkt und Dauer: Das Projekt ist an keinen zeitlichen Rahmen gebunden, es könnte also sofort initiiert werden. Ein kommerzieller Erfolg dürfte sich frühestens nach einem Jahr einstellen. Rechtsraum: Eine besondere Rechtsform ist anfangs nicht notwendig, es kann jedoch ein Verein gegründet werden. Bestehen irgendwann Gewinnabsichten, empfiehlt sich beispielsweise eine Offene Handelsgesellschaft (OHG). Konflikte/Hemmnisse: Eventuell sind Sprachbarrieren und kulturelle Differenzen zu überwinden, auch die Suche nach interessierten Personen gestaltet sich möglicherweise schwierig.

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#10: Öffentliche hotspots Referenz: Flächendeckende öffentliche WLAN-Netze an vielen Orten der Welt, z. B. in Estland. Darüber ist der kostenlose Zugang ins Internet möglich. Übertragbarkeit und Implementierung: Eine direkte Übertragbarkeit dieses Konzepts auf das Goethequartier ist jederzeit möglich, dabei stehen verschiedene technische Varianten zur Auswahl. Finanzierung: Je nach Variante entstehen kaum Kosten, angesichts der großen Vorteile erscheinen die Einrichtungskosten allemal gering. Akteure: Zwei Modelle sind denkbar: Entweder können Bewohner ihre privaten WLAN-Zugangspunkte zu einem „BürgerInnennetz“ verknüpfen oder die Stadt richtet (eventuell in Kooperation mit einem Unternehmen) im gesamten Viertel ein öffentliches Netz ein. Zeitpunkt und Dauer: Eine möglichst frühzeitge Umsetzung wird empfohlen, Planung und Realisierung benötigen nur sehr wenig Zeit. Rechtsraum: Die Umsetzung kann entweder als kommunales Projekt oder in Form einer GmbH erfolgen. Für BürgerInnennetze sind laut Gesetz sogenannte „Pico-Peering-Agreements“ für wechselseitige Datenweiterleitung erforderlich. Konflikte/Hemmnisse: Bei den BürgerInnennetzen stellen juristische Fallstricke und technische Schwierigkeiten gewisse Hürden dar.

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#11: coworking Referenz: Gute Beispiele mit jeweils leicht unterschiedlichen Konzepten sind das betahaus in Hamburg oder das Rockzipfel Eltern-Kind-Büro in Leipzig. Coworking bedeutet das Teilen von Arbeitsräumen und dazugehöriger Infrastruktur durch Selbständige und Freiberufler, die keine eigenes Büro benötigen. Übertragbarkeit und Implementierung: Im Goethequartier sind offenbar viele potentielle Existenzgründer vorhanden, denen jedoch die geeigneten Räume fehlen. Viele leerstehende Häuser oder einzelne ungenutzte Räume bieten sich als mögliche Coworking Spaces an. Finanzierung: Eine kostendeckende Bewirtschaftung ist möglich, allerdings fallen anfangs Kosten für Renovierung und Einrichtung an, damit die Räume überhaupt als Büro genutzt werden können. Akteure: Potentielle Existenzgründer können das Tool in Eigenregie nutzen, Institutionen wie die BIS oder „die theo“ sollten jedoch ihre Unterstützung anbieten. Zeitpunkt und Dauer: Da viele Existenzgründer dringend einen Raum suchen, sollte ein solches Projekt bald umgesetzt werden. Die Umsetzungsdauer beträgt rund ein Jahr. Rechtsraum: Als Rechtsformen infrage kommen eine GmbH oder ein eingetragener Verein. Konflikte/Hemmnisse: Im Moment stellt der Ortsteil Goethestraße sicherlich keine allzu prestigeträchtige Adresse dar. Die Anwesenheit heterogene Nutzergruppen in einem Raum kann zu Konflikten führen.

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#12: gastronomische Zwischennutzung Referenz: Die „Ponybar“ in Berlin. Welch zentrale Rolle gastronomischen Zwischennutzungen auf Brachflächen bei der Aufwertung von Stadträumen zukommt, lässt sich mittlerweile an vielen Orten beobachten. Sehr häufig sind „Raumpioniere“ die Auslöser für weitere innovative Nutzungen. Übertragbarkeit und Implementierung: Freiräume sind im Goethequartier reichlich vorhanden, andererseits fehlt es an Gastronomiebetrieben, die auch eine jüngere Klientel ansprechen. Um zudem Personen von außerhalb anzuziehen, sind solche Einrichtungen in hohem Maße geeignet. Finanzierung: Durch den Verkauf von Getränken und eventuell Speisen sind auf jeden Fall Einnahmen zu erwarten, so dass sich zumindest der Betrieb einer Zwischennutzung finanzieren lässt. Akteure: Die wesentlichen Akteure neben den Betreibern sind die Eigentümer der Brachflächen, die sich zu einer solchen Zwischennutzungslösung bereit erklären müssen. Zeitpunkt und Dauer: Eine kurzfristige Umsetzung ist jederzeit möglich. Allerdings kann das Genehmigungsverfahren einige Zeit in Anspruch nehmen. Rechtsraum: Auf jeden Fall ist eine Gaststättenerlaubnis einzuholen, die Betriebsformen der gastronomischen Einrichtungen sind variabel. Konflikte/Hemmnisse: Nutzungskonflikte (v. a. Lärmbelästigung) sind in einem dicht bebauten Wohngebiet wie dem Goethequartier nicht auszuschließen.

Übergeordnete Kategorie(n): Möglichkeitsräume, Marketinginstrumente, lokale ökonomien, Kümmererkonzepte

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#13: zen-garten Referenz: Zen-Garten in Gelsenkirchen, „Japanischer Garten Kaiserslautern e. V.“, Japanischer Garten im Erholungspark Marzahn in Berlin. Zen-Gärten stellen eine besondere Form der Gartengestaltung dar, die nicht auf die herkömmlichen Elemente setzt, sondern als Materialien Kies, Steine und Moos verwendet. Übertragbarkeit und Implementierung: Ein japanischer Steingarten in einer Baulücke würde einen überraschenden Akzent im Goethequartier setzen. Die Referenzbeispiele zeigen, dass sich für eine solches Projekt nicht nur exklusive, sondern auch ganz gewöhnliche Orte eignen. Finanzierung: Ein Zen-Garten ist im Unterhalt sehr günstig, da er nach dem Anlegen kaum Pflege benötigt. Für das Material müssen ebenfalls nur sehr geringe Kosten veranschlagt werden, bei den Referenzbesipielen betrugen sie maximal 5.000 Euro. Akteure: Einrichten könnte einen solchen Garten entweder die Stadt oder ein noch zu gründender Verein. Als Kooperationspartner kommt eventuell auch die Astrid-Lindgren-Schule in Betracht. Zeitpunkt und Dauer: Eine Realsierung dieses Tools ist jederzeit möglich und nimmt verlgleichsweise wenig Zeit in Anspruch. Rechtsraum: Dank des geringen Aufwands für die Einrichtung handelt es sich bei diesem Tool um eine potentielle Zwischennutzung. Dafür sind eine Nutzungsvereinbarung bzw. ein Pachtvertrag notwendig. Konflikte/Hemmnisse: Mit möglichen Nutzungskonflikten wie Zweckentfremdung und Vandalismus ist zu rechnen.

Übergeordnete Kategorie(n): Möglichkeitsräume, Marketinginstrumente, Kümmererkonzepte

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#14: ALTENGERECHTES WOHNEN Referenz: Mehrgenerationenhaus „Lebens(t)raum“ in der Goethestraße 43, ein Wohnprojekt in einem altengerecht sanierten Gründerzeitbau. Die überwiegend älteren Bewohner waren von Anfang an in die Planung einbezogen und entschieden sich bewusst für den innenstadtnahen und urbanen Standort. Übertragbarkeit und Implementierung: Das Modell des altersgerechten Wohnens stellt für das Goethequartier ein großes Potential dar. Dies hätte positive Effekte auf das gesamte Viertel. Finanzierung: Die Umsetzung dieses Tools ist mit sehr hohen Kosten verbunden, eine Refinanzierung über höhere Mieten ist im Moment nur zum Teil möglich. Akteure: Neben älteren Menschen, die ein solches Wohnprojekt offensiv verfolgen, braucht es für die Umsetzung das Engagement einer Wohnungsgesellschaft, etwa der Stäwog Zeitpunkt und Dauer: Die Durchführung von Projekten dieser Art würde sich in einem längeren Zeitrahmen abspielen. Rechtsraum: Eine bestimmte Rechtsform ist nicht notwendig: Während manche Wohnprojekte als e. V. oder GbR organisiert sind, verzichten andere auf eine rechtliche Absicherung und schließen ihre Mietvertrag direkt mit dem Vermieter ab. Konflikte/Hemmnisse: Das Imageproblem des Quartiers stellt im Moment noch eine recht hohe Hürde dar. Zudem ist die Finanzierung nur mit wohwollender Unterstützung einer Wohnungsgesellschaft möglich.

Übergeordnete Kategorie(n): Möglichkeitsräume, Marketinginstrumente, Kümmererkonzepte

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#15: BALKONE IN LÜCKEN Referenz: Vorbild für dieses Tool sind Architekturbeispiele aus LeipzigConnewitz und München. Diese innovativen Projekte zeigen, welche Qualitäten Balkonbrücken entwickeln können, zumal, wenn sie mit Kletterpflanzen dicht bewachsen sind. Übertragbarkeit und Implementierung: Die vorhandenen und zukünftig entstehenden Baulücken stellen einerseits ein Problem dar, andererseits können sie auch genutzt werden, um die Wohnungen in den benachbarten Gebäuden deutlich auzuwerten, damit diese für neue Mieter- bzw. Käuferschichten interessant werden. Finanzierung: Im Vergleich zu anderen Maßnahmen dieses Katalogs ist dieses Tool jedem Fall als relativ teuer einzuschätzen. Die Kosten müssen vom Eigentümer getragen werden. Akteure: Verantwortlich für dieses Projekt sind die Eigentümer selbst, Unterstützung könnte eventuell die ESG Lehe bieten. Zeitpunkt und Dauer: Die Einrichtung von Balkonen in Lücken ist erst zu einem Zeitpunkt denkbar, wenn sich der Immobilienmarkt im Quartier einigermaßen stabilisiert hat. Rechtsraum: Für ein solches Projekt ist lediglich eine Baugenehmigung erforderlich. Konflikte/Hemmnisse: Ein Hemmnis stellt vor allem der hohe planerische, finanzielle und zeitliche Aufwand dar.

Übergeordnete Kategorie(n): Möglichkeitsräume, Marketinginstrumente, lokale Ökonomien

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#01: NEIGHBOURHOOD BRANDING

Jeder Teilraum einer Stadt hat einen gewissen Ruf, ein Image. Dieses kann positiv oder negativ sein. Gilt ein Raum als „stigmatisiert“, leiden darunter seine Bewohner ganz erheblich: So entscheidet der Ruf eines Quartiers oftmals darüber, welche Chancen seine Bewohner erhalten und vor allem, welche nicht. Eine bestimmte Adresse kann die Verweigerung eines angestrebten Arbeitsplatzes oder die Exklusion aus einem sozialen Netzwerk bedeuten. Interessant dabei ist, dass sich häufig der Ruf eines Gebiets, also das Fremdbild, entscheidend von dem Bild unterscheidet, das die Bewohner dieses Gebiets selbst wahrnehmen (Selbstbild, Identität). Da das Image eines Quartiers oftmals durch die mediale Berichterstattung und Gerüchte bestimmt wird, kann ersteres deutlich negativer ausfallen, als das Selbstbild der Einwohnerschaft (vgl. Jung 2010). Aus der Sicht der Wohnungswirtschaft führen große Veränderungen, wie die wachsende Bedeutung von Wohnungsbestand, sich ändernde Präferenzen einer neuen Generation von Mietern sowie der Wandel vom Vermieter- zum Mietermarkt dazu, dass die Images von Quartieren für die erfolgreiche Stadtentwicklung immer relevanter werden. Besonders in den schrumpfenden Regionen (aber nicht nur dort) besteht die Aufgabe der Wohnungspolitik inzwischen nicht mehr in der quantitativen Bedarfsdeckung mit Wohnraum, sondern vielmehr in der Anpassung des Bestandes an die Bedürfnisse unterschiedlicher Mietergruppen. Ähnlich wie Menschen durch den Kauf bestimmter Produkte (Autos, Zeitschriften, elektronischer Geräte) ihren Lebensstil ausdrücken wollen, wählen sie Quartiere mit einem zu ihnen passenden Image aus. Bei der Vermarktung kann es daher keine Standardlösungen für alle Quartiere geben: Bestimmte Konsumentenmillieus suchen eher Sicherheit, Ordnung und Ruhe, andere wiederum Diversität und Erlebnissreichtum (PNDonline). Neighbourhood Branding ist eine Technik, die sich an der Markenbildung im Konsumbereich orientiert, die Marke wird allerdings nicht für ein Produkt, sondern für einen bestimmten urbanen Raum entwickelt. Im Brandingprozess erhält die Marke eine Leitbildfunktion, da sie grundsätzlich für alle baulichen und nicht-baulichen, sowie physischen


Abbildung (9): Impression von Hoogvliet

und nicht-physischen Aktivitäten in diesem Raum verwendet werden kann. Kern des Neighbourhood Branding ist dabei die Arbeit am Image des jeweiligen Raums. Mithilfe bestimmter Kommunikationsstrategien wird der Versuch unternommen, Einfluss auf Identität (Innensicht) wie Image (Außensicht) zu nehmen. Ziel ist die Steigerung der Sympathien für ein Quartier, wobei die Stärken und einzigartigen Merkmale hervorgehoben werden, so dass sich der entsprechende Ort nachhaltig zu einer Marke entwickeln kann (vgl. Jung 2010, Prediger 2011). Insbesondere werden dabei auch nachbarschaftsorientierte Strukturen unterstützt, was den Bewohnern ermöglicht, sich mit „ihrem“ jeweiligen Ort zu identifizieren. Darüber hinaus ist Neighbourhood Branding allerdings mehr als ein Marketing-Tool, da im Zuge dieses Prozesses zugleich ein Bild erarbeitet und kommuniziert wird, das von den Menschen im Quartier als gehaltvoll und richtig angesehen wird. Konkret demonstrieren lässt sich dieses Phänomen an der Gemeinde Hoogvliet, einer etwa 20 km von Rotterdam entfernten Satellitenstadt, die in den 1960er Jahren errichtet wurde und derzeit ca. 40.000 Einwohner zählt. Etwa ein Drittel des ursprünglichen Gebäudebestandes wurde bereits abgerissen und durch Neubauten ersetzt, nachdem die hier tätige Wohnungsbaugesellschaft Woonbron festgestellt hatte, dass für Hoogvliet eine Anpassung

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an die sich verändernden Wohnbedürfnisse notwendig ist, um die Konkurrenzfähigkeit des dortigen Wohnungsmarktes zu erhalten (Stadtentwicklung Zürich 2006). Zudem mussten in Hoogvliet jedoch auch emotionale Aspekte in die Planung miteinbezogen werden. Denn wie eine Umfrage im Vorfeld gezeigt hatte, resultierte die Unzufriedenheit der Bewohner im Normalfall nicht aus dem Zustand ihrer jeweiligen Wohnung, sondern vor allem aus dem negativen Image der Siedlung. Luftverschmutzung, Verkehrslärm, Plattenbauten mit kleinen grauen Wohnungen – das sind die Schlagworte, mit denen Hoogvliet im nahen Rotterdam assoziiert wurde. In deutlichem Kontrast dazu stand das Bild, das die Anwohner von ihrem Quartier zeichneten: ruhig, grün, fahrradfreundlich, mit stark ausgeprägten sozialen Netzwerken etc. Während des Branding-Prozesses führte man daher zum einen SWOT-Analysen sowie historische Gebietsanalysen durch, zum anderen ermittelte man darüber hinaus in einem Beteiligungsprozess (drei ganztägige Termine mit 70 Bewohnern) identitätsstiftende Kernbegriffe wie Selbstbewusstsein, Entschlossenheit, Gemeinschaft und Abenteuer, die in einem „Brandbook“ mit 200 atmosphärischen Fotos aus der Stadt illustriert wurden. Zudem entwickelten die Bewohner ein Logo und einen Slogan. Wie die Evaluation des Projekts gezeigt hat, verbesserte sich das Image der Großwohnsiedlung durch diese Maßnahmen ganz erheblich, wovon sowohl die Bewohner als auch die Investoren profitieren konnten. Besonders erfolgreich wurde das Verfahren im ebenfalls von Imageproblemen geprägten Quartier Schwamendingen in Zürich angewandt, und auch in Deutschland wird Neighbourhood Branding inzwischen als Planungsinstrument eingesetzt (Stadtentwicklung Zürich 2006). Die Erfahrung mit Neighbourhood Branding zeigt, dass dieses Tool ganz maßgeblich dazu beiträgt, neue Erkentnisse über ein Gebiet zu gewinnen. Selbst Spezialisten, die bereits jahrelang in einem Quartier gearbeitet hatten und es zu kennen glaubten, konnten nach dem Einsatz dieses Werkzeugs entscheidende Durchbrüche erzielen (PNDonline). Schließlich trägt Neighbourhood Branding auch dem ökonomischen Verwertungsgedanken Rechnung: Ebenso wie mit Hilfe von Marketingmaßnahmen in der Industrieproduktion die Nachfrage aktiviert wird, so wird hier durch Bildung einer Marke die Nachfrage für ein

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Abbildung (10): Imageplakate aus Hoogvliet

spezifisches Wohnprodukt gefördert. Um Leerstände und andere negative Effekte auf dem Wohnungsmarkt zu minimieren, müssen sich die Anbieter von Wohnungen sowie die Verantwortlichen in der Stadtentwicklung differenziert mit den Wünschen der Mieter und Käufer sowie denen der ansässigen und potentiellen Bewohner außeinandersetzen. Die dabei entwickelte Marke spricht zwar nicht jeden an, bei den Bewohnern eines Quartiers jedoch führt sie zu mehr Zufriedenheit, der Branding-Prozess kann Partizipation fördern und reduziert die Planungsunsicherheit (PNDonline; Jung 2010). Die Erfahrung aus Holland, wo das Werkzeug bereits seit 2000 erfolgreich praktiziert wird, zeigt, dass sich Neighbourhood Branding vor allem finanziell lohnt. So kam das niederländische Planungsbüro Ruimtelijk in einer Untersuchung zu dem Ergebnis, dass der Wert eines bebauten Grundstücks ungefähr zur Hälfte vom Image des Quartiers abhängt, in dem sich dieses befindet. Zudem stellte sich heraus, dass nach dem Einsatz des Tools in als schwierig geltenden Gebieten in vielen Fällen neue Bewohnerschichten angesiedelt werden konnten, die das Gebiet stabilisierten (PNDonline). Die Analyse der Projektgruppe zeigte, dass das negative Image neben der Spekulation mit Schrottimmobilien und dem Bevölkerungsrückgang in Bremerhaven die wichtigsten Ursache für die Probleme des Immobilienmarktes im Goethequartier ist. Die Experteninterviews brachten zudem die Erkenntnis, dass das Image des Quartiers deutlich schlechter ist als das Bild, das die Bewohner von ihm haben. Ein deutlicher Hinweis auf die negative Wirkung des Quartiers-Images ist die Tatsache, dass das Gebiet trotz seines Alleinstellungsmerkmals

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in Bremerhaven (gründerzeitliche Blockrandbebauung) sowie bedeutender tandortvorteile (Nähe zum Stadtzentrum und Wasser) – Faktoren, die in Städten wie Hamburg oder Berlin zu hohen Immobilienpreisen führen würden – unter Bremerhavenern als Wohnort eher unbeliebt bleibt. Die Leerstandsquote hier ist deutlich höher als in der übrigen Stadt und Investitionen für die Sanierungen bleiben weitgehend aus. Die Image-Verbesserung des Goethequartiers scheint vor diesem Hintergrund ein Schlüsselelement der behutsamen Aufwertung und Erneuerung dieses Gebiets zu sein (vgl. Jung 2010). Im Rahmen der Europäischen Gemeinschaftsinitiative INTERREG III B wurde, angelehnt an die Praktiken in Holland, anhand von fünf Großwohnsiedlungen eine praktikable Vorgehensweise für Neighbourhood Branding-Verfahren im deutschen Kontext entwickelt. In einem ersten Schritt werden die relevanten Akteure über das Verfahren informiert. In der zweiten Phase untersuchen die Teilnehmer die historische Entwicklung des Gebiets sowie die aktuell herrschende Stimmung. Parallel werden SWOT-Analysen erstellt und Interviews mit Interessensgruppen geführt. Schlüsselthemen werden identifiziert, Stärken und Schwächen des Gebiets, Hoffnungen und Frustrationen werden in Form von Kollagen und Cartoons festgehalten. In der dritten Phase erfolgt dann das eigentliche Branding: Ohne den Einfluss von Profis wird in moderierten Sitzungen die Identität des Raums erarbeitet und in Form von Bildern und Texten festgehalten. Sobald sich ein umfassendes Bild von den Stärken und Potentialen des Quartiers ergeben hat, kann dieses anhand der Kernwerte analysiert werden. Im letzten Schritt erfolgt die Implementierung: die Ergebnisse des Prozesses werden in die übrigen Maßnahmen integriert. Da die Marke fortan die Vision des Quartiers bildet, an deren Realisierung alle Akteure arbeiten können, muss sie diesen zunächst bekannt gemacht. Ab diesem Zeitpunkt wird „eine Markenkultur entwickelt, die sich wie eine Corporate Identity durch alle Handlungsfelder zieht“ (Jung 2010, S. 188). Zumindest einer der erwähnten Schritte, nämlich die AkteursInterviews, wurde bereits in der vorliegenden Arbeit durchgeführt und dokumentiert. Von der Projektgruppe werden zudem eine sinnvolle Abgrenzung des Gebiets, die der administrativen Einheit des Ortsteils Goethestraße entspricht, sowie ein neuer, medienwirksamer Name („Goethequartier“) vorgeschlagen. Der vorliegende Projektbericht kann

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somit als erste Hilfestellung oder Anregung bzw. als Ideenpool sowie als Grundlage bei der Umsetzung von Neighbourhood Branding im Goethequartier dienen. Ein weiterer Schritt könnte in diesem Zusammenhang zudem im Rahmen des Verfahrens gemacht werden: Den Bewohner bliebe es überlassen zu entscheiden, welche der anderen Tools im vorliegenden Katalog sie für ihr Quartier als geeignet erachten, welche sich mit ihrer Zukunftsvision nicht decken und welche weiterentwickelt werden müssen. Die Umsetzungskosten dieses Tools sind sehr niedrig einzuschätzen. Da es sich zunächst um ein Bürgerbeteiligungsverfahren handelt, müssen vorerst keine baulichen Maßnahmen durchgeführt werden. Lediglich die Personalkosten für Vorbereitung, Moderation und Dokumentation, die Kosten für PR und Werbung (vor dem Verfahren und danach) sowie die Räumlichkeiten, in denen das Verfahren durchgeführt wird, müssen berücksichtigt werden. Durch ehrenamtliches Engagement und die Nutzung der vorhandenen Ressourcen in der Verwaltung und der beteiligten Wohnungsgesellschaft (z. B. Moderation, Bereitstellung von Räumen etc.) können auch diese Kosten praktisch auf Null reduziert werden. Die Teilnahme (oder zumindest das Interesse) wichtiger Akteure (Anwohner, Grundstückseigentümer, Wohnungsbaugesellschaften, Investoren und Einzelhändler) ist für Neighbourhood Branding von entscheidender Bedeutung. Hierbei gilt: Je mehr Akteure bei der Umsetzung Engagement zeigen, desto größer ist die Wirkung, die die Maßnahme entfaltet (Prediger 2011). Zu empfehlen ist eine möglichst frühzeitige Durchführung der Maßnahme. Dadurch kann sich – nachdem eine Marke und eine Vision entwickelt wurden – die weitere Entwicklung des Quartiers an diesen zwei Säulen orientieren. Kostspielige Eingriffe in das Gebiet, die von den Bewohnern und anderen Akteuren gar nicht erwünscht sind und deswegen ihre Wirkung verfehlen, werden damit im Vorhinein vermieden, die weitere Entwicklung verläuft zielgerichteter und effizienter. Die Umsetzung selbst kann ebenfalls in einem sehr kurzen Zeitraum durchgeführt werden. Für Information und Koordination der beteiligten

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Akteure werden eventuell einige Wochen benötigt, das Verfahren selbst dauert den Referenzbeispielen zufolge nur wenige Tage. Bei Neighbourhood Branding handelt es sich um ein informelles Bürgerbeteiligungsverfahren. Eine besondere Rechtsform ist hierfür nicht vorgesehen und auch nicht notwendig. Bei den meisten Quartieren, in denen das Verfahren in der Vergangenheit durchgeführt worden ist, handelt es sich um Plattenbau- und Großwohnsiedlungen. Die Immobilien waren in der Regel im Eigentum einer einzigen oder einiger weniger Wohnungsgesellschaften. Dagegen könnte die extrem heterogene Eigentümerstruktur im Goethequartier womöglich ein Hindernis darstellen. Andererseits existieren keine Belege dafür, dass Neighbourhood Branding in Altbauquartieren, die ja in keinem Fall völlig homogene Eigentumsverhältnisse aufweisen, grundsätzlich nicht funktioniert. Vielmehr kann gerade dieses Merkmal in Verbindung mit der historischen Bedeutung des Ortes bei der Entwicklung einer erfolgreichen Marke eine entscheidende Rolle spielen. Wie in Gesprächen mit Teilnehmern einer früheren Beteiligungsveranstaltung in Lehe durchklang, hat der Einsatz einer externen Moderation dort bei vielen Bewohnern zu Ablehnung geführt. Um dies zu vermeiden empfiehlt es sich eventuell, mit der Moderation eine Person aus dem Gebiet zu betrauen. Neighbourhood Branding ist in erster Linie ein Marketingwerkzeug, das darauf abzielt, einen in einem schlechten Zustand befindlichen Wohnungsmarkt zu stabilisieren. Die Bedeutung, die weiche Standortfaktoren wie das Image eines Quartiers für die Wohnungswirtschaft besitzen, darf keineswegs unterschätzt werden. Andererseits allerdings darf es nicht beim reinen Marketing bleiben, vielmehr muss Neighbourhood Branding in Verbindung mit anderen Werkzeugen, klassischen wie innovativen, sinnvoll eingesetzt werden.

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#02: LEERSTANDS- und BAULÜCKen- INFORMATIONSSYSTEM

Vorbild für dieses Tool ist unter anderem das elektronische Baulückeninformationssystem in Berlin, das das Kataster aller in der Stadt bestehenden Baulücken und „mindergenutzten Flächen“ im Internet zugänglich macht und mithilfe von interaktiven Karten grafisch abbildet (vgl.: http://fbinter.stadt-berlin.de/blm). Neben der Lage sind sämtliche relevante Daten wie Flurstückgröße und Größe der bebaubaren Fläche angegeben, außerdem erhält der Interessent anhand von Fotos einen ersten Eindruck vom Grundstück und seiner Umgebung. Weitere Informationen betreffen die Eigentumsverhältnisse (im Eigentum der Stadt oder in privatem Eigentum?), die mögliche Nutzung, die Eignung für Baugemeinschaften/Baugruppen, die Nähe zum Wasser, zu Grünräumen und zu U- und S-Bahn sowie die planungsrechtliche Situation (Bebauungsplan vorhanden?, Sanierungs- oder Erhaltungsgebiet?, Denkmalschutz?). Zudem haben die Eigentümer die Möglichkeit, ihre (E-Mail-)Adresse anzugeben oder auf ihre Homepage hinzuweisen. Ein Link zur Bauberatung und zur Vermessungsbehörde ermöglicht den Nutzern die direkte Kontaktaufnahme mit der jeweils zuständigen Stelle auf Bezirks- oder Stadtebene. Außer über die Kartenfunktion können potentielle Investoren sowie Architekten und Bauherren auch mithilfe eines detaillierten Suchrasters nach Flächen mit bestimmten Standortfaktoren recherchieren. Neben den genannten Personengruppen wird das System auch von den Sachbearbeitern in den bezirklichen Stadtplanungsämtern als Instrument zur effizienten Verwaltung der Bauflächen genutzt. Die Zugriffszahlen auf die Internetseite lagen im ersten Jahr, 2002, bei durchschnittlich ca. 7.500 im Monat, Ende 2009 waren es bereits knapp 17.000 Nutzer. In dieser Zeit hat sich zudem der im System registrierte Grundstücksbestand deutlich reduziert, 260 Flächen mit insgesamt 110 ha konnten aktiviert werden (werkstatt-stadt.de). Ein weiteres Referenzprojekt ist der sogenannte Leerstandsmelder in Hamburg (www.leerstandsmelder.de), bei dem es sich im Gegensatz zum Baulückenmanagement in Berlin um eine private Initiative einer Gruppe von Künstlern und Stadtplanern handelt (zum jeweiligen rechtlichen Hintergrund, s. u.). Hierbei sind die Nutzer dazu aufge-

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rufen, Wohnungs- und Gewerbeleerstand mithilfe einer Checkliste zu registrieren und anschließend auf der Internet-Plattform des Projekts einzutragen. Die entsprechenden Orte werden dann jeweils auf einer Karte markiert, die einen interaktiven Zugang zu den steckbriefartig aufgelisteten Daten ermöglicht, also Lage, vorherige Nutzung (Wohnen, Büro, Gewerbe), Umfang und Dauer des Leerstands, Eigentümer (öffentlich/privat) etc. Ergänzt werden diese Informationen durch Fotos der jeweiligen Gebäude. Beide der vorgestellten Internetprojekte lassen sich – in unterschiedlicher Weise, doch nach Möglichkeit kombiniert – auf das Goethequartier bzw. Bremerhaven als Gesamtstadt übertragen. Ein Baulückenkataster liegt beim Stadtplanungsamt vor, ist aber momentan nicht öffentlich zugänglich. Die rechtliche Grundlage für eine Veröffentlichung auch im Internet bildet das Baugesetzbuch (BauGB), in dem es unter § 200 Abs. 3 heißt: „Die Gemeinde kann sofort oder in absehbarer Zeit bebaubare Flächen in Karten oder Listen auf der Grundlage eines Lageplans erfassen, der Flur- und Flurstücksnummern, Straßennamen und Angaben zur Grundstücksgröße enthält (Baulandkataster). Sie kann die Flächen in Karten oder Listen veröffentlichen, soweit der Grundstückseigentümer nicht widersprochen hat. Die Gemeinde hat ihre Absicht zur Veröffentlichung einen Monat vorher öffentlich bekanntzugeben und dabei auf das Widerspruchsrecht der Grundstückseigentümer hinzuweisen“ (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin). In Berlin hat die Erfahrung gezeigt, dass nur wenige Eigentümer von diesem Recht Gebrauch machen. Umgekehrt haben aber einige die Möglichkeit genutzt, ihre Adresse bzw. einen E-Mail-Kontakt anzugeben, um so für potentielle Interessenten unmittelbar erreichbar zu sein. Auch der direkte Link zu den Planungs- und Genehmigungsbehörden darf als vorbildlich gelten, da dies eine zeitaufwendige Suche nach den jeweils zuständigen Stellen erspart. Im Gegensatz zu Berlin, das in den vergangenen Jahren ein konstantes, wenn auch moderates Bevölkerungswachstum vorzuweisen hat, sollte der Hauptfokus des Bremerhavener Baulückenmanagementsystems momentan (!) nicht auf einer möglichen Bebauung der verzeichneten Brachengrundstücke liegen, sondern auf deren temporärer Nutzung. Adressaten wären also nicht primär potentielle Investoren und Bauherren, sondern Zwischennutzer, weshalb auch die Kategorien des Berliner Vorbilds dahingehend angepasst werden müssten (d. h. zum Beispiel Art der möglichen

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Abbildung (11): Hamburger Leerstandsmelder

Zwischennutzung, eventuelle Konflikte, Ansprechpartner bei den Behörden etc.). Idealerweise müsste das Baulückenkataster mit dem ebenfalls vorhandenen – wenn auch nicht mehr gleichermaßen intensiv gepflegten – Leerstandskataster der Stadt Bremerhaven verknüpft werden. Dazu bietet allerdings das Baugesetzbuch keine rechtliche Grundlage, da eine Veröffentlichung solcher Daten einen zu starken Eingriff in die Privatsphäre der Eigentümer darstellen würde. Das Hamburger Beispiel basiert, wie oben dargestellt, daher auch nicht auf offiziellen Daten, sondern auf Informationen aus der interessierten Öffentlichkeit. Angesichts der völlig unterschiedlichen Situation – in Hamburg erklärt sich das große Interesse an der Leerstandsthematik aus dem enormen Nachfragedruck, der auf dem Wohnungsmarkt lastet – ist mit einer ähnlichen Beteiligung der Bevölkerung im Goethequartier kaum zu rechnen. Erfolgversprechender erscheint daher ein System, das auf den freiwilligen Angaben der Eigentümer basiert, wie das etwa beim Einzelhandels-Informations-System (EIS) der Stadt Aachen der Fall ist (Stadt Aachen), und das sich eventuell zunächst auf die Erfassung von leerstehenden Ladenlokalen und anderen gewerblich nutzbaren Flächen beschränkt. In einem weiteren Schritt kann eine solche Online-Plattform um Wohnungsleerstände erweitert werden, die von

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Eigentümern, die noch nicht resigniert haben, selbst gemeldet werden. Dieses System sollte ebenfalls primär Informationen zu einer möglichen Zwischennutzung enthalten. Die Kombination der beiden Instrumente Brachflächenkataster und (freiwilliges) Leerstandskataster ergäbe dann ein umfassendes interaktives Datenbanksystem aller temporär nutzbaren „Möglichkeitsräume“ – wodurch eine spätere reguläre, also dauerhafte Nutzung natürlich keineswegs ausgeschlossen wäre, sondern im Gegenteil sogar befördert würde. Da dieses Tool zumindest teilweise im Baugesetzbuch rechtlich verankert ist, kommt für die Finanzierung in erster Linie natürlich die Stadt Bremerhaven infrage, die dazu eventuell auf finanzielle Mittel aus dem EFRE-Programm 2007-2013 zurückgreifen könnte. Dafür sind „ökonomische[...], soziale[...] und ökologische[...] Kriterien“ (Land Bremen 2011) ausschlaggebend, die in diesem Fall erfüllt wären. Da von der Maßnahme auch die Eigentümer im Goethequartier (bzw. in der Gesamtstadt) profitieren würden, erscheint eine Beteiligung von dieser Seite nicht ausgeschlossen, allerdings sind viele dieser Personen finanziell dazu wohl nicht (mehr) in der Lage. Im günstigsten Fall, also der Verwendung von Google Maps wie beim Hamburger Leerstandsmelder, liegen die Kosten für die Einrichtung einer solchen Internet-Plattform bei rund 1.000 Euro, hinzu kommen Host-Kosten, die zwischen 5 Euro pro Jahr und maximal 50 Euro im Monat liegen, je nach Anbieter und zur Verfügung stehender Leistung. Die gelegentlichen Kosten für die Wartung der Website durch einen Programmierer sind ebenfalls eher zu vernachlässigen, falls diese Kompetenz nicht beim Stadtplanungsamt vorhanden ist, könnte eventuell auch eine freiwillige Person diese Aufgabe unentgeltlich übernehmen. Dieses Tool ist das einzige innerhalb des Katalogs, bei dem die Initiative nur vom Stadtplanungsamt ausgehen kann. Für die konkrete Umsetzung fehlen eventuell die personellen Ressourcen, daher müsste diese Aufgabe gegebenenfalls extern, also an ein privates Büro oder einen sonstigen Dienstleister vergeben werden. Die Mitwirkung der Grundstücks- und Immobilieneigentümer ist wünschenswert, Interesse an einer engen Zusammenarbeit hätte aus nachvollziehbaren Gründen auf jeden Fall die Eigentümerstandortgemeinschaft (ESG) Lehe.


Das Tool sollte so zeitnah wie möglich umgesetzt werden, da es eine wichtige Basis für weitere Maßnahmen darstellt. Je nachdem, welches Programm dafür gewählt wird, d. h. wie aufwendig sich die technische Umsetzung gestaltet, kann ein solches Informationssystem innerhalb weniger Wochen einsatzbereit sein. Im Folgenden ist eine regelmäßige Aktualisierung und Erweiterung notwendig, die im einfachsten Fall jedoch keinerlei technologischer Sachverstand erfordert. Da die Umsetzung durch die Stadt erfolgt, ist keine besondere Rechtsform notwendig. Das Hauptproblem bei diesem Tool dürften eventuelle Finanzierungsprobleme sein, außerdem erscheint fraglich, ob bei der Stadt Bremerhaven und dem Stadtplanungsamt der nötige (politische) Wille für ein solches Projekt vorhanden ist. Ein weiteres Hindernis stellt zudem die extrem heterogene Eigentümerstruktur im Quartier dar. Als rein virtuelles Tool, nutzt ein Leerstands- und Baulückeninformationssystem zwar keine Möglichkeitsräume, schafft aber eine wichtige Grundlage für andere Tools, d. h. Projekte, aus dieser Kategorie und beschleunigt deren Realisierung. Zudem ist ein Leerstands- und Baulückeninformationssystem in höchstem Maße dazu geeignet, lokale Ökonomien zu fördern, indem es die Suche nach gewerblich nutzbaren Räumen stark vereinfacht. Durch eine entsprechende Gestaltung der Online-Plattform können schließlich auch Marketingeffekte erzielt werden.

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#03: TEMPORÄRE STADT

Der Begriff „temporäre Stadt“ wird in der aktuellen Stadtplanungsdebatte häufig verwendet. Er beschreibt zeitlich begrenzte Veranstaltungen oder Installationen, die sich über einen klar definierten Zeitraum an einem bestimmten Ort im städtischen Raum befinden. Der planerische Hintergrund dieses Konzepts lässt sich wie folgt beschreiben:„Die Aufgabe der Architektur und Stadtplanung besteht heute nicht mehr allein darin, neue Räume für geforderte Nutzungen zu schaffen, sondern parallel dazu Strategien zur Aktvierung existierender Stadträume zu entwickeln. Urbanistische Projekte bedeuten hier nicht die Implementierung einer dauerhaften Struktur, sondern das Initiieren und Auslösen nachhaltiger räumlicher Aneignungsprozesse“ (P2 Temporäre Stadt, HafenCity Universität Hamburg). Somit ist die „temporäre Stadt“ ein Instrument, um beispielsweise vernachlässigte oder „vergessene“ Stadträume wieder zu aktivieren. Im Jahr 2010 wurden in den drei damaligen europäischen Kulturhauptstädten Pécs, Istanbul und dem Ruhrgebiet in einem Studentenwettbewerb innovative Lösungen zu diesem Thema befördert. Primär ging es dabei darum, Stadträume durch temporäre Installationen oder sonstige Ideen miteinander zu verbinden und erlebbar zu machen. In Pécs, der fünftgrößten Stadt Ungarns, etwa versuchte man, mithilfe von Hockern, die im öffentlichen Raum aufgestellt wurden, eine Verbindung zwischen zwei städtebaulich getrennten Teilen der Stadt herzustellen. Die Anwohner und Besucher konnten die Sitzgelegenheiten selbst platzieren und nach Belieben nutzen, wodurch das Ziel, die räumliche Barriere zu überwinden, erreicht wurde. Im Ruhrgebiet wollte man den Duisburger Innenhafen an die Innenstadt anbinden, von der er normalerweise durch eine stark frequentierte Verkehrstrasse abgeschnitten ist. Im Zuge des Kulturhauptstadtjahrs entstand auf dieser Straße ein „Shared Space“, also ein Verkehrsraum, in dem alle Teilnehmer gleichberechtigt und daher gezwungen sind, einander zu respektieren. Zwar wurden die Autofahrer durch die neuen Nutzer, das heißt Fußgänger und Radfahrer, die sich auf ihrer angestammten Straße bewegen, etwas ausgebremst, doch durch die vereinfachte räumliche Zugänglichkeit der Innenstadt konnte

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Abbildung (12): Open Air-Kino

tatsächlich eine städtebauliche Brücke zwischen dieser und dem Innenhafen geschaffen werden. In Istanbul schließlich sollte ein altes Hafenareal belebt werden, in dem Stadtplaner viel Potential sahen. Dazu wurden schwimmende Flöße ins Hafenbecken eingelassen, die viele Besucher anzogen, wodurch das Areal in den Mittelpunkt der städtischen Wahrnehmung rückte und den Bürgern somit nachhaltig ins Gedächtnis gerufen wurde (P2 Temporäre Stadt). Neben diesen neuartigen, relativ spektakulären Ideen, die in universitären Wettbewerben erdacht wurden und teilweise erhebliche Kosten verursachten, funktioniert die „temporäre Stadt“ aber auch auf einer niederschwelligeren Ebene: So lassen sich zum Beispiel jegliche Feste, Ausstellungen, Märkte und Festivals diesem Instrument zuordnen. Besonders populär sind in den vergangenen Jahren zudem sommerliche Open Air-Filmvorführungen geworden. In Hamburg etwa wird an manchen Abenden der Rathausmarkt, also ein Ort, der sich natürlich bereits voll im städtischen Bewusstsein befindet, zum Freiluftkino. Ähnliches geschieht jedoch auch in Wilhelmburg, einem sozial eher benachteiligten Stadtteil, wo ebenfalls ein temporäres Kino existiert, das dazu beitragen soll, der Öffentlichkeit die räumlichen Potentiale des Stadtteils zu vermitteln. An anderen Orten, etwa in Basel, haben

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sich beispielsweise Grillplätze auf Zeit als sehr erfolgreich erwiesen, auch Lesungen und Ausstellungen an ungewöhnlichen Orten sind beliebte Projekte im Kontext der „temporären Stadt“. Grundsätzlich sind der Kreativität bei diesem Tool kaum Grenzen gesetzt; eventuelle Konflikte werden alleine schon dadurch entschärft, dass es sich jeweils nur um eine zeitweilige Aktion handelt, ein Experiment, das nach einigen Tagen, Wochen oder Monaten wieder endet und auch vorher jederzeit abgebrochen bzw. gegebenenfalls modifiziert werden kann. Sehr häufig nutzen Events aus dem Bereich der „temporären Stadt“ natürlich Brachflächen, da hier meist geringere Konflikte mit anderen, regulären Nutzungen auftreten als im öffentlichen Raum. Auch für die Eigentümer einer solchen Fläche kann eine Zwischennutzungslösung vielfach von Vorteil sein, und das gleich in zweierlei Hinsicht: Zum einen müssen sie nicht fürchten – wie das bei einer dauerhaften, doch finanziell ebenfalls wenig attraktiven Nutzung der Fall wäre –, dass sie bei einem lukrativeren Angebot für ihr Grundstück die Zwischennutzer nur schwer wieder loswerden. Zum anderen rückt damit ihre Brachfläche wieder verstärkt in den Blickpunkt der Öffentlichkeit – und damit auch von Personen, die eventuell an einer dauerhaften und wirtschaftlichen tragfähigen Nutzung interessiert sind. Veranstaltungen von einer ähnlichen Dimension wie in den Kulturhauptstädten (die als Referenz für die „temporäre Stadt“ vor allem deshalb gewählt wurden, weil der Begriff in diesem Zusammenhang geprägt wurde), sind im Goethequartier eher unwahrscheinlich und nach unserer Einschätzung auch gar nicht nötig. Denn während es in Pécs, Istanbul und dem Ruhrgebiet um großräumliche Problemlösungen ging, stellt sich die Situation rund um die Goethestraße herum vollkommen anders dar: Baulücken und Leerstand sind zwar ebenfalls eine städtebauliche Herausforderung, verlangen aber eher nach kleinmaßstäblicheren Lösungsansätzen. Überschaubare Projekte wie Filmvorführungen, Feste, Kunstausstellungen und Musikfestivals lassen sich zudem von den Anwohnern selbst organisieren und umsetzen. Der Austausch der Bürger untereinander wird gefördert, und auch sonst eher inaktive Personen werden eventuell zum Mitmachen animiert. Andererseits erfordert „temporäre Stadt“ aber eben auch Kreativität, Engagement und Einsatz, ein fertiges Konzept für das Was, Wo und Wie der Umsetzung gibt es meist nicht. Einen kleinen Beitrag im Sinne der „temporären Stadt“ haben wir, das „Projekt Goethequartier“, im Rahmen unserer Projektarbeit im Ortsteil

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Goethestraße übrigens selbst geleistet: In Kooperation mit der Aktion Rückenwind e. V., einer Nachmittagsbetreuungseinrichtung für Kinder aus dem Stadtteil, wurde eine Fotosafari veranstaltet, bei der die Kinder mit Einwegkameras besonders schöne und besonders hässliche Orte im Quartier fotografieren sollten. Anschließend wurden die Ergebnisse aufbereitet und im Rahmen der Leher Sommer-Kulturwochen in der „Kulturwohnung“ präsentiert. Ein temporäres Projekt aus dem Bereich Kunst und Kultur also, das gleich auf doppelte Weise einen vernachlässigten Raum ins Rampenlicht zu rücken hilft: Einerseits durch Zwischennutzung einer zuvor leerstehenden Wohnung, andererseits aber auch durch die neuen, zum Teil überraschenden Blickwinkel auf das Viertel, die den Besuchern beim Betrachten der Kinderfotos vermittelt wurden. Angaben über die zu erwartenden Kosten lassen sich an dieser Stelle kaum machen, da diese immer abhängig sind von Art und Größe des Projekts. Um das Beispiel Open Air-Kino zu nehmen: Bereits mit einem Beamer und einem Bettlaken lässt sich praktisch kostenlos eine kleine Filmvorführung organisieren. Wenn jedoch finanzielle Mittel bereit stehen, können dazu auch eine Leinwand, ein Filmprojektor und eine Bühne aufgebaut werden. In solch einem Fall lassen sich gegebenenfalls natürlich auch Einnahmen erzielen, die zumindest die entstandenen Kosten decken. Auch der unbezahlte Einsatz freiwilliger Helfer kann bei vielen Projekten dazu beitragen, die Ausgaben zu minimieren. Wie schon bei der Frage nach den Kosten sind angesichts der Fülle möglicher Projekte Angaben hinsichtlich der zu beteiligenden Akteure ebenfalls nur schwer möglich. Generell bietet sich für kulturelle Events natürlich das Kulturbüro Lehe als Kooperationspartner und eventueller Mitorganisator an, darüber hinaus besteht von Fall zu Fall sicherlich auch Interesse seitens des Stadtplanungsamtes. Als eine der Institutionen, die eventuell Räume zur Verfügung stellen können (u. a. auch einen großen Saal mit Bühne), kommt im Goethequartier grundsätzlich „die theo“ in Betracht. Bei Freiluftveranstaltungen müssen selbstverständlich die Eigentümer des betreffenden Grundstücks einwilligen. Ist eine sonstige öffentliche Genehmigung erforderlich, sind zusätzlich die entsprechenden Ämter und Behörden zu kontaktieren. Veranstaltungen, die Lärm erwarten lassen, sollten darüber hinaus unbedingt mit den Anwohnern abgestimmt werden.

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Auch hier gilt das Gleiche wie für Kosten und Akteure. „Temporäre Stadt“ impliziert allerdings bereits, dass das Entsprechende Projekt zeitlich begrenzt ist, dauerhafte Einrichtungen zählen daher nicht zu diesem Tool. Veranstaltungen unter freiem Himmel werden vorwiegend im Sommerhalbjahr stattfinden, da sie meist stark witterungsabhängig sind. Für Privatpersonen gilt, dass Veranstaltungen grundsätzlich organisiert werden dürfen, solange keine Gewinnabsicht besteht, lediglich eine Aufwandsentschädigung kann erhoben werden. Einem eingetragener Verein ist es zudem erlaubt, kostendeckend zu arbeiten. Falls Gewinnabsichten bestehen, kann ein Unternehmen mit Rechtsform gegründet werden, etwa eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, für die keine Einlagen notwendig sind. Die „Möglichkeitsräume“, die für das Tool „temporäre Stadt“ infrage kommen, können sowohl Baulücken als auch leerstehende Wohnungen bzw. Ladenlokalen sein. Für Veranstaltungen im öffentlichen und halböffentlichen Raum erteilt dabei grundsätzlich das Ordnungsamt die benötigte Genehmigung. Ist von der Planung eine Fläche oder ein Raum betroffen, der sich in privatem Eigentum befindet, müssen beim Liegenschaftsamt Auskünfte über die Eigentumsverhältnisse eingeholt werden. Wurden die Eigentümer informiert, können sie ihre Erlaubnis zur Durchführung eines Events, dem Aufstellen einer Installation etc. geben. Abhängig von Größe, Art und Ort einer Veranstaltung sind ordnungsrechtliche Vorschriften zu Brandschutz, Fluchtmöglichkeiten, Lärmschutz, sanitären Anlagen usw. zu beachten. Darüber hinaus sind Konflikte mit Anwohnern nie ganz auszuschließen. Die meisten der Projekte, die im Rahmen dieses Tools vorstellbar sind, werden auf die eine oder andere Weise Möglichkeitsräume nutzen. Die Initiative für eine Veranstaltung geht in aller Regel von einem Kümmerer aus, der sich stark mit seinem Projekt identifiziert und deshalb auch im weiteren Verlauf einen Großteil der organisatorischen Aufgaben übernimmt, also Helfer rekrutiert, Räume sucht, Genehmigungen einholt, Werbung macht, Kooperationspartner gewinnt etc.

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Zur Stärkung der lokalen Ökonomie können kulturelle und künstlerische Events höchstens indirekt beitragen, die Projekte selbst haben normalerweise keine Gewinnabsicht, sind also nicht primär wirtschaftlich orientiert. Veranstaltungen aus dem Spektrum der „temporären Stadt“ eignen sich in höchstem Maße als Marketinginstrumente, da sie aufgrund ihres meist deutlich innovativen und kreativen Gehalts häufig ein Bild des Raumes vermitteln, das dem Bekannten vollkommen widerspricht. Speziell in „Problemvierteln“ können sie damit zu einer Imageverbesserung beitragen helfen, zumal sich zu solchen Anlässen gegebenenfalls auch Personen von außerhalb einfinden. Daneben fördern besondere Ereignisse, insbesondere Feste, das Zusammengehörigkeitsgefühl der Bewohner und tragen so in hohem Maße zur Stärkung der Identifikation mit „ihrem“ Viertel bei. War eine Veranstaltung erfolgreich, kommt außerdem noch der Stolz auf das Erreichte hinzu, der die Beteiligten dazu animiert, sich auch künftig für ihre Nachbarschaft zu engagieren.

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#04: BAUSPIELPLATZ

Von herkömmlichen Spielplätzen unterscheiden sich Bauspielplätze dadurch, dass Kindern dort die Möglichkeit gegeben wird, die vorhandenen Geräte nicht nur passiv zu nutzen, sondern ihre Spielumgebung aktiv (mit) zu gestalten. Beispielsweise können sie Holzhütten bauen, Lagerfeuer machen, ihre Fahrräder reparieren, den Garten bepflanzen, Nistkästen basteln, Metall und Holz bearbeiten und vieles mehr. Dazu bekommen sie Baumaterialien und Werkzeug zu Verfügung gestellt und erhalten, wenn nötig, Hilfe von Erwachsenen. Teil des Konzepts ist häufig ein pädagogischer Ansatz: So sollen die Kinder auf dem Bauspielplatz lernen, Respekt und Rücksicht aufeinander zu üben, ohne Gewalt jeglicher Art miteinander umzugehen und gemeinsam Aufgaben zu bewältigen. Zugleich ist es das Ziel, dass die Kinder dabei ihre eigenen körperlichen Grenzen erfahren sowie lernen, mit Rückschlägen umzugehen und durch Ausdauer zu einem selbstgesteckten Ziel zu gelangen. Durch den erzielten Erfolg gewinnen sie Selbstbestätigung und Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Vorbild für diese Form der Abenteuerspielplätze sind die sogenannten „Gerümpelspielplätze“, die in Dänemark eine lange Tradition besitzen. Deren Konzeption resultiert aus den Erkenntnissen des Landschaftsarchitekten C. Th. Sorenson, der Kinder beim Spielen auf Baustellen und Schrottplätzen beobachtete. Mitte der 60er Jahre kam die Idee nach Deutschland, als viele Erwachsene die bis dahin geltenden Erziehungskonzepte, die fantasielosen Spielplätze sowie die Funktionalisierung öffentlicher Räume hinterfragten und nach Alternativen suchten, um ihren Kindern wieder sinnliche Erfahrungen zu ermöglichen und ihr Geschick, ihre Ausdauer, Kreativität und Fantasie zu fördern (RaBauKi). Eher temporären Charakter hat das Bauspielplatz-Projekt „RaBauKi“ in Siegen, im Zuge dessen seit 16 Jahren jeweils für drei Wochen in den Sommerferien eine Wiese zu einer kleinen Stadt aus Hütten, Buden und anderen Bauwerken verwandelt wird. Aufgrund der begrenzten Teilnehmerzahl von 150 Kindern müssen die Plätze verlost werden. Gemeinsam mit circa 25 ehrenamtlichen Helfern sowie Lehramts- und Sozialpädagogikstudenten wird den Kindern ein vielfältiger Lern- und

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Abbildung (13): Eine der Aktivitäten auf einem Bauspielplatz

Erfahrungsraum geboten, bei welchem die Kinder nicht nur Hütten bauen sondern auch zusammen kochen und spielen. Am Ende gibt es ein großes Fest, zu welchem auch die Eltern eingeladen werden. Der ehrenamtliche Verein RaBauKi e. V. finanziert sich neben öffentlichen Mitteln aus Geld- und Sachspenden. Für die Kinder ist die Teilnahme am Bauspielplatz kostenlos. Auch in Berlin-Prenzlauer Berg gibt es seit 1990 einen Bauspielplatz, den Kolle 37, zwischen Jüdischem Friedhof und Kollwitzstraße. Zur Zeit seiner Gründung verstand sich der Bauspielplatz vor allem als Freizeiteinrichtung mit vorrangig handwerklichen Angeboten. Im Laufe der Zeit, angeregt durch den Kontakt mit den Kindern, die zum großen Teil aus problembelasteten, sozial benachteiligten Familien stammen, wurde dieses Angebot erweitert, um diesen Kindern besondere Aufmerksamkeit widmen zu können. Das Bezirksamt fördert das Projekt durch die Finanzierung von 3,5 Stellen für pädagogische Mitarbeiter und einer Zivildienststelle. Desweiteren wurde der Bauspielplatz mit Mitteln des Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung im Rahmen des URBAN-Programmes finanziert sowie durch Spenden mehrerer großer gemeinnütziger Organisationen, wie etwa der Stiftung Deutsches Hilfswerk oder der Deutschen Klassenlotterie (Kolle 37). Der Bauspielplatz steht den Kindern ganzjährig am Nachmittag zur Verfügung, er

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ist, ebenso wie der „RaBauKi“, kostenlos und ist als offene Einrichtung konzipiert, an der jeder partizipieren darf. Der Samstag ist jeweils Familientag, an dem sich auch die Eltern handwerklich betätigen dürfen, zudem gibt es einen täglichen Mittagstisch. Die Aktivitäten, die auf dem Programm stehen, reichen von Backen, Filzen, Schmieden und kreatives Gestalten über Bogenschießen, Klettern und Akrobatik bis hin zur Tierpflege. Jugendliche nutzen vor allem das Angebot des kostenlosen Musikproberaums, außerdem bietet der Bauspielplatz gute Voraussetzungen, etwas über die Natur und ihre Kreisläufe zu erfahren: In vielen Winkeln und Nischen gedeiht eine große Artenvielfalt an Pflanzen, Vögeln und Insekten, so dass Themen wie Ökologie, Nachhaltigkeit und Umweltschutz den Kindern selbstverständlich und spielerisch vermittelt werden. Ein Highlight des „Kolle 37“ stellt das jährlich stattfindende Hüttenbaufestival dar, bei dem Gruppen von drei bis sieben Kindern in einem Zeitraum von sechs Wochen ihre selbst entworfene Hütte errichten. Im Goethequartier gibt es zwar eine Menge Spielplätze, dennoch scheinen viele der zahlreichen Kinder im Viertel ihre Zeit am liebsten auf der Straße zu verbringen. Die meisten der vorhandenen Spielplätze werden, so die Erfahrung, als eher langweilig und fantasielos empfunden und daher trotz mangelnder Alternativen selten genutzt. Tatsächlich sind die konventionellen Spielgeräte starr und unbeweglich, in Beton zementiert, und lassen den Kindern daher kaum Freiraum zu eigener Gestaltung. Besonders angesichts der dichten gründerzeitlichen Bebauung des Quartiers, in dem die meisten Kinder zudem in Mietwohnungen zu Hause sind und es keinen Wald oder größere Freiflächen gibt, wäre es wichtig, einen Ort zu schaffen, an dem die Kinder (und jüngeren Jugendlichen) selbstbestimmt spielen können Und Raum haben, ihrer Energie freien Lauf zu lassen. Wie die Referenzbeispiele zeigen, ist ein Bauspielplatz dank seiner Kombination aus Freiflächen und handwerklicher Angebote, hervorragend dazu geeignet, Freizeitgestaltung und sozialpädagogische Aspekte wirksam miteinander zu verbinden. Besonders geeignet erscheint ein solcher Ansatz angesichts der sozialen Situation im Goethequartier: Die Kinderarmut hier beträgt rund 40 Prozent, viele Eltern sind alleinerziehend, es herrscht zum Teil eine hohe Suchtproblematik und viele der Kindern können dem Regelunterricht aufgrund von Sprachdefiziten und fehlender Unterstützung von zuhause nicht


Abbildung (14): Verortung des Tools „Bauspielplatz“

folgen (Rückenwind e. V.). Aus eigener Erfahrung können wir zudem sagen, dass viele der Kinder im Quartier wenig Vertrauen in ihre Fähigkeiten besitzen, sich andererseits aber durch Neugierde und Ausdauer auszeichnen und durchaus ihre Potentiale haben. Durch einen Bauspielplatz können diese Fähigkeiten gestärkt werden: Die Kinder im Goethequartier würden mehr Selbstvertrauen erlangen und soziales, gemeinschaftliches Handeln erlernen. Aus Gesprächen mit den Betreuerinnen des Rückenwind e. V. wissen wir, dass die Nachmittagsbetreuung mit bis zu 90 Kindern ihre Kapazitätsgrenzen erreicht hat. Ein Bauspielplatz würde hier ein sinnvolles Ergänzungsangebot darstellen, besonders auch für ältere Kinder, die der Verein mit seinem Angebot nicht mehr erreicht und die noch zu jung sind für den Jugendtreff. Anstatt auf der Straße zu spielen würde der Bauspielplatz hier eine spannende Alternative darstellen. Um den Bauspielplatz umzusetzen, wird vor allem viel Platz benötigt. Zwischen Zollinlandstraße und Meidestraße befindet sich ein großes öffentliches Areal, eine Rasenfläche, neben dem sich ein offenbar wenig genutzter Spielplatz befindet, der in einen zukünftigen Bauspielplatz integriert werden könnte.

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Wie die Referenzbeispiele zeigen, kann solch ein Projekt nur auf ehrenamtlicher Basis gestemmt werden, hilfreich sind zudem Spendengelder und eine Teilfinanzierung über Fördermittel. Andererseits können die Kosten relativ niedrig gehalten werden, wenn das Holz und sonstige Baumaterialien gespendet werden. Die Fläche müsste zudem natürlich von der Stadt zur Verfügung gestellt werden. Wichtige Akteure im Quartier, die momentan in der Kinder- und Jugendarbeit aktiv sind und von deren Erfahrung man somit profitieren könnte, sind der Rückenwind e. V. sowie das Jugendzentrum Lehe-Treff. Eine enge Kooperation mit diesen beiden Einrichtungen ist vor allem deswegen zu empfehlen, weil der Bauspielplatz das bereits vorhandene Angebot im Goethequartier sinnvoll erweitern und ergänzen kann, jedoch keinesfalls eine Konkurrenz zu bestehenden Institutionen darstellen soll. Der Rückenwind e. V. als möglicher Partner besitzt zudem schon Expertise im Bau von Holzhütten mit Kindern, da eine solche Aktion bereits im eigenen Garten durchgeführt wurde. Desweiteren wäre es denkbar, dass ein lokaler Handwerksbetrieb die Patenschaft für das Projekt übernimmt und den Kindern mit Fachwissen und Material zur Seite steht. Auch sonstige Bildungs- und Betreuungseinrichtungen, wie zum Beispiel die Astrid-Lindgren-Schule, könnten in das Projekt miteinbezogen werden und – wie andernorts der Fall – den Bauspielplatz am Vormittag für diverse Aktivitäten mit Klassen oder Kindergartengruppen nutzen. Das Tool „Bauspielplatz“ lässt sich relativ zeitnah umsetzen, da ein passendes Grundstück zur Verfügung steht und für den Anfang nur wenig Material benötigt wird. Für die Gründung des Bauspielplatzes ist es ratsam, dass sich alle Interessierten, vor allem natürlich Eltern, idealerweise angeführt von einem „Kümmerer“, in einem gemeinnützigen Vereins zusammenschließen. Dadurch wird der Austausch von Ideen gefördert und das Projekt beschleunigt, zugleich hilft eine starke Organisation dabei, Hemmnisse zu beseitigen und die Finanzierung zu erleichtern. Desweiteren muss mit der Stadt ein Zwischennutzungsvertrag geschlossen werden, der den Bauspielplatz zunächst einmal temporär – beispielsweise auf ein Jahr – beschränkt. Falls auf dem Areal zukünftig anderes geplant werden sollte, kann der Spielplatz rasch wieder abgebaut werden, ansonsten ließe sich der Vertrag mit dem Einverständnis der beiden Vertragspartner, beliebig oft verlängern.

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Wo gehobelt wird, da fallen Späne – und natürlich entsteht auch Lärm, d. h., Konflikte mit Anwohnern sind nicht auszuschließen. Allerdings ist an der betreffenden Stelle bereits ein Spielplatz vorhanden, der, falls er gemäß seiner Bestimmung intensiv genutzt würde, auch jetzt schon eine Geräuschkulisse erzeugen würde, außerdem ist das Quartier in Teilen bereits jetzt durch Mischnutzung geprägt, so dass sich der Unterschied in Grenzen halten dürfte. Eine Lösung wäre, die Öffnungszeiten auf wenige Stunden am Nachmittag zu beschränken, um die Lärmbelastung einzudämmen. Desweiteren müssten sich Erwachsene finden, die den Bauspielplatz innerhalb der Öffnungszeiten betreuen, da sonst die Verletzungsgefahr zu groß ist. Ein allgemeines Problem ist zudem Vandalismus: Der Rückenwind e.V. etwa verlor im Frühjahr 2010 drei Hütten durch mutmaßliche Brandstiftung. Aus diesem Grund sollte der Bauspielplatz außerhalb der Öffnungszeiten unzugänglich sein. Das Tool „Bauspielplatz“ stellt eine neue, intensive Nutzungsmöglichkeit für einen momentan stark untergenutzten bis gar nicht genutzten Freiraum im Quartier dar, fällt also unter die Kategorie „Möglichkeitsraum“. Auf jeden Fall bedarf es für Realisierung wie Betreuung eines solchen Platzes mehrerer „Kümmerer“, die sich der pädagogischen und handwerklichen Erziehung der Kinder annehmen und Spaß haben an der gemeinsamen Arbeit mit jungen Menschen. Nicht zuletzt besitzt das Tool auch unter Marketinggesichtspunkten eine große Bedeutung, da sich viele Eltern, besonders in größeren Städten, einen Ort wünschen, an dem ihre Kinder sich wohlfühlen und in sicherer Umgebung spielerisch lernen, ihrer Kreativität Ausdruck zu verleihen. Das Projekt Bauspielplatz kann, wie auch das Beispiel in Siegen zeigt, Ausstrahlkraft weit über das Quartier hinaus entfalten.

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#05: NACHBARSCHAFTSGÄRTEN/ INTERKULTURELLE GÄRTEN In Deutschland noch vor wenigen Jahren als innovative Idee gefeiert, gehören gemeinschaftlich genutzte Gärten in der Großstadt inzwischen längst zum Standardrepertoire, wenn es um die (temporäre) Nutzung innerstädtischer Brachflächen geht. Ihren Ursprung hat die urban gardening-Bewegung in den USA, wo bereits in den 1970er Jahren erste Gemeinschaftsgärten (community gardens) entstanden, unter anderem in New York, das damals zu großen Teilen im wirtschaftlichen Niedergang begriffen war. In jüngerer Vergangenheit boomt dieses Konzept vor allem im ehemals industriell geprägten Nordosten des Landes, wo zahlreiche Städte schon seit Jahrzehnten mit dem Phänomen der Schrumpfung konfrontiert sind. Typischerweise trifft dieser Prozess zuerst und am stärksten die Wohngebiete im Stadtzentrum, die Stück für Stück entvölkert werden. Während sich die Wohlhabenderen in die – auch bei schrumpfenden Städten wie Detroit häufig florierenden – suburbanen Einfamilienhaussiedlungen zurückziehen, bleiben insbesondere ärmere, zumeist den ethnischen Minderheiten zugehörige Bevölkerungsgruppen zurück. Innerhalb Deutschlands kann für Bremerhaven zum Beispiel Leipzig als Vorbild dienen, da dort ebenfalls innenstadtnahe Altbauquartiere von Bevölkerungsschwund und nachfolgendem Leerstand bzw. Abriss betroffen sind. Um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten, entstanden 2004 im Stadtteil Lindenau auf Initiative des dortigen Stadtteilvereins die Nachbarschaftsgärten in der Josephstraße, die ehemals verwahrloste und vermüllte Brachengrundstücke nutzen. Ziel des Projekts war dabei „nicht die Schaffung von dauerhaftem Grün, sondern eine stadträumliche und soziale Aufwertung dieses stark von Perforation geprägten Gebietes als Beitrag zur langfristigen Etablierung neuer Wohnmodelle“ (Leipziger Westen). Am Anfang des Projekts stand die Recherche nach den Grundstückseigentümern und die anschließende Kontaktaufnahme. Stellvertretend für die Gartennutzer schloss der Stadtteilverein Lindenau daraufhin mit den diversen Eigentümern Nutzungsvereinbarungen, die die unentgeltliche Nutzung der Grundstücke für Nachbarschaftsgärten

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Abbildung (15): Prinzessinengarten Berlin

gewährleisten. Die Verträge verlängern sich jeweils automatisch um ein Jahr, sofern sie nicht gekündigt werden. Eine Kündigung ist allerdings nur im Falle einer unmittelbar bevorstehenden Bebauung zulässig. Beim Anlegen des Gartens halfen neben den Mitgliedern des Bürgervereins auch Bewohner des Stadtteil sowie Jugendliche, die Sozialstunden ableisten mussten. Die Finanzierung erfolgte über das EU-Programm URBAN II sowie zum überwiegenden Teil durch ehrenamtliche Tätigkeit und Sachspenden. Entscheidend hierbei war die tägliche Berichterstattung in der lokalen Presse, die dazu beitrug, alle Bewohner des Stadtteils zu informieren, Spenden zu akquirieren und weitere Bürger zum Mitmachen zu motivieren. Die Gartenparzellen, die nicht durch Zäune abgegrenzt werden (dürfen), werden jedes Jahr im Februar neu vergeben, die Aufteilung erfolgt dabei in Absprache mit bereits aktiven Nutzern. Die Nutzung der Gärten ist – abgesehen von einem einmaligen Anteil von 45 Euro am Wasserverbrauch – kostenfrei. Um Vandalismus zu verhindern, ist das gesamte 500 qm große Grundstück nur durch ein abschließbares Tor zugänglich, zudem kümmert sich ein ehrenamtlicher Verantwortlicher darum, dass einzelne Parzellen nicht verwahrlosen, d. h., er spricht

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Nutzer, die ihren Teil des Grundstücks offensichtlich nicht mehr pflegen, bei Bedarf direkt an. Die erhofften positiven sozialen Folgen haben sich nach Angaben des Stadtteilvereins bereits eingestellt: So zog beispielsweise eine Familie mit fünf Kindern in ein Gebäude direkt neben den Nachbarschaftsgärten, weil ihr die Aussicht auf eine grüne Umgebung sowie die Möglichkeit der gärtnerischen Betätigung direkt vor der Haustür attraktiv erschien. Unter den unzähligen Gartenprojekten, die in Berlin verwirklicht werden, hat in den vergangenen Jahren insbesondere der 2009 gegründete „Prinzessinnengarten“ im Stadtteil Kreuzberg eine relativ große Bekanntheit erlangt. Vorbildlich ist er vor allem aufgrund seines dezidiert temporären Charakters sowie seiner ökonomischen Tragfähigkeit. Das gemeinnützige Unternehmen ‚Nomadisch Grün‘, das die rund 6.000 qm große Brachfläche am Moritzplatz vom Berliner Liegenschaftsfond gepachtet hat, versteht sich zwar in erster Linie als eine Einrichtung zur „Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit in den Bereichen Umweltschutz, Biodiversität, Gesundheitsfürsorge, Klimaschutz und nachhaltige Stadtentwicklung“ (Nomadisch Grün), daneben steht jedoch auch ein gewerblicher Ansatz, der sich in einer Gartengastronomie und der Direktvermarktung des Gemüses äußert. Zudem akquirieren die Betreiber Fördergelder für ihre diversen Bildungs-, Jugend- und Umweltprojekte und vergeben für 55 Euro pro Jahr Patenschaften für jeweils ein Gemüsebeet. Diese Beete bestehen aus recycelten Industriekörben, die zusammen ein transportables und modulares System bilden, das das Projekt mobil und gleichzeitig vom Boden unabhängig macht, wodurch zugleich der Anbau nach Biokriterien gewährleistet ist. Gemäß ihres sozialen und kulturellen Anspruchs veranstalten die Betreiber des „Prinzessinnengartens“ kollektive Gartenbauaktionen, an denen jeweils mehrerer hundert Anwohner und sonstige Interessierte teilnehmen, eine regelmäßige „Gartensprechstunde“, ein Kulturprogramm, Bildungsangebote für Kinder und Jugendliche etc. Auf diese Weise werden unterschiedliche städtische Kulturen, Milieus und Lebensformen einbezogen, was letztlich die Nachbarschaft in dem sozial schwachen Quartier stärkt und aktiviert.Als weitere Argumente für die urbane Landwirtschaft lassen sich die kostengünstige Versorgung mit gesunden, frischen Lebensmitteln sowie die dadurch bedingte Steigerung der Lebensqualität anführen, hinzu kommt die Attraktivitätssteigerung durch mehr

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Grün in der Stadt. Aspekte wie die Verkürzung von Transportwegen, also die Reduktion von Verkehr und CO2 sowie die Verbesserung des Mikroklimas spielen im Kontext des Goethequartiers dagegen eine eher untergeordnete Rolle. Die Integration von Bewohnern mit kulturell vollkommen unterschiedlichen Hintergründen ist das primäre Ziel der interkulturellen oder internationalen Gärten, die seit einigen Jahren das Spektrum der Gartenprojekte bereichern. Referenzbeispiele hierzu finden sich zahlreich auf der Website der Stiftung Interkultur (www.stiftung-interkultur.de), die ein informelles Netzwerk für sämtliche Gärten dieses Typs in Deutschland, Österreich und der Schweiz darstellt und viele nützliche Tipps anbietet sowie Praxisseminare veranstaltet. Insgesamt sind unter diesem Dach momentan 112 Interkulturelle Gärten organisiert, 65 weitere sind nach Angaben der Stiftung derzeit in Planung, darunter einer in Bremerhaven-Wulsdorf. Welche potentiellen Vorteile und Chancen sich aus innerstädtischen Gärten speziell für Migranten ergeben, schildert die Stiftung Interkultur vor dem Hintergrund jahrelanger Erfahrung: Zum einen stammen diese Menschen häufig aus kleinbäuerlichen Verhältnissen oder bringen sonstige Erfahrungen in Gartenwirtschaft oder Handwerk mit, sind also an Subsistenzwirtschaft gewöhnt und aufgrund ihrer begrenzten finanziellen Mittel zum Teil sogar darauf angewiesen. Dadurch, dass sie auch in der neuen Heimat ihre spezifischen Fähigkeiten einbringen können, ergeben sich zudem Erfolgserlebnisse, die insbesondere für sozial benachteiligte Menschen von großer Bedeutung sind. Darüber hinaus stellen Interkulturelle Gärten im Idealfall Anknüpfungspunkte für eine stärkere Integration in den Arbeitsmarkt dar und sind der beruflichen Orientierung Jugendlicher förderlich. Auch das bei Migranten häufig vermisste bürgerschaftliche Engagement kann sich in diesem Rahmen eventuell leichter entfalten. Nicht zuletzt bietet die Vielfalt der Pflanzen und der damit zubereiteten Gerichte die Chance des interkulturellen Austauschs zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft. Das gemeinsame Essen, das in den Interkulturellen Gärten stattfindet, wird so zum verbindenden Element. In diesem Zusammenhang weist die Stiftung Interkultur darauf hin, dass es sich vielfach bewährt habe, gewisse Quoten für die Nutzung der Parzellen einzuführen, um auf diese Weise zu verhindern, dass sich bestimmte Gruppen bewusst abschotten (Stiftung Interkultur).

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Abbildung (16): Urban Gardening in Brooklyn, New York

Insbesondere das Leipziger Beispiel erscheint für den Ortsteil Goethestraße relevant, da Ausgangssituation (schrumpfende Stadt) wie Lage (Altbauquartier) sehr ähnlich sind. Die einzelnen Realisierungsschritte können daher im Grunde übernommen werden. Als vorbildlich darf vor allem die dortige Nutzungsvereinbarung gelten, die bei konkreten Plänen für eine Neubebauung die rasche Kündigung vorsieht, während eine willkürliche bzw. prophylaktische Vertragsauflösung ausgeschlossen ist. Das Modell des interkulturellen Gartens könnte zudem für das Goethequartier interessant sein, da hier der Anteil an Menschen mit nicht-deutscher Herkunft besonders hoch ist. Als konkreter Ort für die Realisierung kommt im Prinzip jede Baulücke infrage, die Größe spielt dabei keine entscheidende Rolle. Hinsichtlich der Lage stellen sich jedoch zwei Fragen, die miteinander zusammenhängen: Erstens, soll der Garten etwas abseits angelegt sein, also ruhig und geschützt, oder sich an einer eher exponierten und damit publikumswirksamen Stelle befinden? Und zweitens, soll er primär von den unmittelbaren Anwohnern genutzt werden oder, im Idealfall, eine Art Treffpunkt für die Menschen aus dem gesamten Goethequartier bilden? Im zweiten Fall würde sich das große Grundstück gegenüber

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der „theo“ (oder ein Teil davon) anbieten, wobei zu berücksichtigen ist, dass diese Einrichtung selbst auf die Freifläche spekuliert, um sie als Parkplatz nutzen zu können. Zudem könnte das Areal eventuell wieder bebaut werden, was einer temporären Gartennutzung allerdings nicht im Wege steht. Wie die Beispiele zeigen, entstehen vor allem zu Beginn des Projekts gewisse Kosten, die jedoch größtenteils durch Eigenleistung von Freiwilligen aufgefangen werden können. Die Stiftung Interkultur rechnet mit Anfangsinvestitionen von 5.000 bis 9.000 Euro für Geräte und Material (Stiftung Interkultur), darin enthalten sind aber auch Posten, die nicht in jedem Fall notwendig sind. Die Pofitorientierung spielt nur bei den allerwenigsten Gartenprojekten eine Rolle, Gewinne lassen sich realistischerweise nur auf größeren Grundstücken erzielen. Relevante Akteure sind zunächst einmal die jeweiligen Grundstückseigentümer; idealerweise ist dies die Stadt, die die Fläche zuvor erworben hat. Darüber hinaus müssen auf jeden Fall die unmittelbaren Anwohner einbezogen werden, da sie durch die Nutzungsänderung voraussichtlich beeinträchtigt sind. Je nachdem, wie viele (ehrenamtliche) Mitarbeiter zur Verfügung stehen, kann eine Brachfläche innerhalb weniger Wochen für die Gartennutzung vorbereitet werden. Zeitaufwändig gestaltet sich vor allem die Bearbeitung bzw. der Austausch des Bodens, falls direkt ins Erdreich gepflanzt werden soll. Werden andere Pflanzbehältnisse benutzt, bedarf es dagegen nur einer sehr kurzen Vorbereitungszeit. Es empfiehlt sich, mit den ersten Schritten im Winter zu beginnen, damit die Beete rechtzeitig zu Beginn des Frühjahrs zur Verfügung stehen. Als rechtlicher Rahmen bietet sich am ehesten ein eingetragener Verein an, der das gesamte Grundstück vom Eigentümer (unentgeltlich) pachtet und zeitlich befristet an die Nutzer vergibt. Um das Konfliktpotential mit den Grundstückseigentümern zu minimieren, ist es entscheidend, diese davon zu überzeugen, dass die Gartennutzung auf eine zeitliche Befristung hin ausgelegt ist und jederzeit beendet werden kann. Empfehlenswert sind daher Nutzungsvereinbarungen nach dem Beispiel Leipzigs sowie bewusst temporäre Pflanzbehältnisse wie im „Prinzessinnengarten“. Sofern

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sich das entsprechende Grundstück im Besitz der Stadt Bremerhaven befindet, ist allerdings fraglich, ob eine gärtnerische Zwischennutzung für die Verantwortlichen überhaupt in Frage kommt. Bei der Nutzung selbst schließlich kann eine geringfügige Störung der unmittelbaren Anwohner – je nach Lage des entsprechenden Grundstücks – nicht ausgeschlossen werden. Sämtliche denkbare Gartenprojekte sind primär natürlich unter dem Aspekt der Nutzung von Möglichkeitsräumen zu betrachten, da sie in Baulücken bzw. auf Brachflächen angesiedelt sind. Allerdings lassen sich damit auch Marketingabsichten verfolgen, da innerstädtische Garten-Initiativen, trotz des Booms der vergangenen Jahre, auf lokaler Ebene immer noch eine gewisse Aufmerksamkeit erzeugen dürften. Da Gärten zudem für die meisten Menschen extrem positiv besetzt sind, ist damit zu rechnen, dass ein solches Projekt das Image des Quartiers deutlich aufwertet. Insbesondere in der Planungs- und Vorbereitungsphase braucht es Menschen, die sich für ein relativ umfangreiches Projekt wie dieses einsetzen. Auch danach kann, wie die Referenzbeispiele zeigen, auf die Betreuung durch einen „Kümmerer“ vermutlich nicht völlig verzichtet werden, da ansonsten völlige Vernachlässigung durch einige Nutzer und eventuell Vandalismus drohen. Die lokalökonomische Bedeutung eines Gemeinschaftsgartens beschränkt sich in aller Regel auf die Eigenversorgung der beteiligten Anwohner. Wie das Beispiel des „Prinzessinnengartens“ zeigt, kann jedoch ein solches Projekt bei entsprechender Größe auch mit (beschränktem) kommerziellem Hintergrund betrieben werden.


#06: LADEN ZU VERSCHENKEN

Ein überaus interessantes Projekt zur Belebung einer Einkaufsstraße lief im Frühjahr 2011 in Rostock an: Dort initiierte das städtische Wohnungsunternehmen WIRO in Kooperation mit der Ostsee-Zeitung unter dem plakativen Namen „Laden zu verschenken“ einen Ideenwettbewerb, bei dem die Teilnehmer ihre Geschäftsidee für einen Laden in der Langen Straße 5 einreichen konnten. Prämiert wurde das beste Konzept, das selbstverständlich einen Geschäftsplan enthalten musste, anhand dessen unter anderem Finanzierung und wirtschaftliche Tragfähigkeit beurteilt werden konnten. Der Gewinner des Wettbewerbs konnte ab Juni das 86 Quadratmeter große Geschäft beziehen, die Jahresnettokaltmiete von ca.18.000 Euro wurde ihm von der WIRO für ein Jahr erlassen. Die Jury des Wettbewerbs bestand aus Vertretern von Politik, Wirtschaft und Medien, zudem berichtete die Ostsee-Zeitung als Mitveranstalter ausführlich über dieses Projekt und spendiert nach eigenen Angaben dem Sieger ein öffentlichkeitswirksames, auf die Idee zugeschnittenes Werbekonzept (WIRO, Ostsee-Zeitung). Das Projekt richtete sich ausdrücklich an Existenzgründer, daher durfte im Zusammenhang mit der Idee zuvor weder eine Gewerbeanmeldung vorgelegen haben, noch durfte das Konzept in der Vergangenheit bei einem anderen Wettbewerb eingereicht worden sein. Um die Existenzgründung zu unterstützen, bot die WIRO dem Gewinner nach dem Wettbewerb eine fachliche Beratung an (WIRO). Erstmals über das Projekt berichtet hatte die Ostsee-Zeitung Anfang März 2011, nach Angaben der WIRO waren zudem rund vier Wochen Vorbereitungszeit notwendig. Die Idee zu dem Wettbewerb stammte von einer Mitarbeiterin der Wohnungsgesellschaft, die Gewerbefläche, die im Rahmen dessen zur Verfügung gestellt wurde, befand sich bereits im Bestand der WIRO (WIRO, Ostsee-Zeitung). Im Zuge der Analyse, die die Projektgruppe im Ortsteil Goethestraße durchführte, zeigte sich, dass Ladenleerstand hier ein Problem darstellt, für das bislang keine befriedigende Lösung gefunden wurde – eine Einschätzung, die unter anderem von Holger Kattert vom Designlabor

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Abbildung (17): Das Ladenlokal in Rostock

Bremerhaven bestätigt wurde. Außerdem ergab die Analyse, dass Existenzgründer für die wirtschaftliche Entwicklung im Ortsteil Goethestraße eine weit größere Rolle spielen könnten als bisher. Beide dieser Erkenntnisse versucht das Tool „Laden zu verschenken“ zu verbinden. Für die Implementierung des Projekts sollte ein strategisch günstiger Ort gewählt werden. Infrage kommt beispielsweise ein leerstehendes Ladenlokal an der Ecke Goethestraße/Kistnerstraße, das momentan das einzig nicht genutzte in der Goethestraße ist. Der Laden befindet sich in einem sanierungsbedürftigen Gebäude mit sieben Wohneinheiten und einer Gewerbeeinheit, das derzeit im Rahmen einer Zwangsversteigerung durch die wesDA Consulting Real Estate Vertriebsgesellschaft mbH verkauft wird (wesDA). Dieses Gebäude könnte aufgrund seiner Lage an der Grenze zwischen dem relativ belebten nördlichen Abschnitt der Goethestraße und dem südlichen Teil, der rein dem Wohnen vorbehalten ist (die Zäsur bildet hier die Kistnerstraße), eventuell eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung des Quartiers spielen. Die Umsetzung eines öffentlichkeitswirksamen Projekts wie „Laden zu verschenken“ an dieser Stelle wäre zudem ein sinnvoller Beitrag zur Aufwertung des Gebiets. Sollte sich die Durchführung hier nicht realisieren lassen, sind natürlich auch andere

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RÜCKENWIND

KISTNERSTRASSE

Z O (18): L L Verortung I N L A Ndes D Tools STR ASS Abbildung „Laden zuEverschenken“

Standorte denkbar, beispielsweise in der Hafenstraße, die ebenfalls Ladenleerstand zu verzeichnen hat. Neben der Nachnutzung eines einzelnen leerstehenden Ladens ließe ein Ideenwettbewerb wie der eben beschriebene weitere positive Effekte für das Gebiet erhoffen: Da die Teilnehmer mit der Erstellung eines Geschäftsplans (in den unter Umständen viel Zeit investiert wurde) bereits den ersten Schritt in Richtung einer Existenzgründung unternommen haben, könnten sich einige von ihnen, die nicht den ersten Platz erreicht haben, dazu entschließen, ihr Konzept an einem anderen Ort umzusetzen. Auf diese Weise werden durch das Tool möglicherweise private Existenzgründungen generell gefördert und somit die lokalen Ökonomien auch indirekt unterstützt. Die Kosten der Jahresnettokaltmiete beim Referenzbeispiel aus Rostock belaufen sich auf 18.000 €, zuzüglich einiger Kosten für die Vorbereitung des Projekts, die allerdings von der veranstaltenden Wohnungsgesellschaft als eher niedrig eingeschätzt wurden. Zu beachten ist allerdings, dass sich das Ladenlokal in der Langen Straße bereits vor Beginn des Wettbewerbs im Bestand der WIRO befand, während das von uns für die Umsetzung eines solchen Projekts

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Abbildung (19): Leerstehendes Ladenlokal in der Goethestraße

empfohlene Gebäude erst noch zwangsversteigert wird. Der Mindestkaufpreis beträgt dabei 70.000 €. (Ostsee-Zeitung, wesDA). Die tatsächlichen Kosten der Implementierung des Tools „Laden zu verschenken“ hängen stark von der Art der Durchführung ab und sind nur schwer abzuschätzen. Denkbar wäre etwa, dass die Stäwog, die grundsätzlich am Kauf einiger Gebäude im Ortsteil Goethestraße interessiert ist, das Haus inklusive des Ladens erwirbt, um dann das Erdgeschoss dafür zu nutzen, einen ähnlichen Wettbewerb umzusetzen. Auch wenn hierbei neben dem Kaufpreis noch zusätzliche Kosten für die Gebäudesanierung anfallen würden, erscheint diese Variante besonders empfehlenswert, da so das Ladenprojekt mit einem beispielhaften Wohnprojekt in den oberen Geschossen gekoppelt werden könnte. Ein alternatives Szenario sähe so aus, dass das Gebäude zunächst von einem beliebigen Käufer erworben wird, an den anschließend der Wettbewerbsveranstalter, eventuell das Stadtplanungsamt, herantritt, um ihm die Durchführung des beschrieben Projekts anzubieten. Für den Neueigentümer könnte dies attraktiv sein, da ein Geschäft mit

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einem tragfähigen Konzept langfristig den Leerstand des Ladenlokals verhindert und zugleich die gesamte Immobilie aufwertet. Bei dieser Variante könnten die Kosten für die Anwendung des Tools entscheidend minimiert werden, zugleich kommen jedoch andere Unwägbarkeiten hinzu, da erfahrungsgemäß die Bereitschaft des Eigentümers zur Beteiligung an einem solchen Projekt nicht vorausgesetzt werden kann. Das Beispiel aus Rostock zeigt, dass es für solch ein Projekt lediglich zweier Parteien bedarf, die beide allerdings von großer Bedeutung sind: Zum einen ist das der Eigentümer des fraglichen Objekts, je nach Ausgang der Zwangsversteigerung wäre das im Goethequartier die Stäwog, die Stadt oder ein Dritter. Im letzteren Fall sollte die Rolle des Vermittlers und des Projektinitiators im Idealfall vom Stadtplanungsamt übernommen werden. Zum anderen ist für eine erfolgreiche Durchführung eine hohe Medienpräsenz entscheidend, entsprechend der Ostsee-Zeitung in Rostock käme im Ortsteil Goethestraße natürlich die Nordsee-Zeitung als Kooperationspartner infrage. In Rostock dauerte der Wettbewerb rund drei Monate, inklusive vier Wochen Vorbereitungszeit. Eine vergleichsweise schnelle Umsetzung scheint also möglich. Dass das empfohlene Objekt bereits zum Verkauf steht und momentan nicht vermietet ist, spricht ebenfalls für eine zügige Durchführung. Nach Abschluss des Wettbewerbs kann ein gewöhnlicher Pachtvertrag zwischen dem Besitzer und dem Nutzer abgeschlossen werden. Alle Teilnehmer müssen zudem eine „Einverständniserklärung zur Medienarbeit“ unterzeichnen, in der sie sich mit der Presseberichterstattung auch über ihre Person einverstanden erklären. Die Besitzverhältnisse im Ortsteil Goethestraße stellen wohl die größte Hürde bei der Implementierung des Tools „Laden zu verschenken“ am empfohlenen Ort dar. Die Lösung dieses Problems (Zwischenerwerb durch die Stadt) ist aufgrund der Immobilienspekulation oftmals mit einem erheblichen finanziellen Aufwand verbunden. Sollte das Objekt dagegen von einem Dritten erworben werden, der von einer Kooperation überzeugt werden kann, weil er statt an einer kurzfristigen Gewinnerzielung an einer nachhaltigen ökonomischen

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Verwertung interessiert ist, steht einem solchen Projekt kaum etwas im Wege. Falls hingegen kein Interesse des Eigentümers an einem solchen Wettbewerb besteht, müsste die Maßnahme an einem Ort mit günstigeren Besitzverhältnissen umgesetzt werden. Da der Schwerpunkt des Tools „Laden zu verschenken“ auf der Unterstützung der Existenzgründer liegt, dient es vor allem der Förderung der lokalen Ökonomie. Das Ladenlokal an der Ecke Goethestraße/Kistnerstraße stellt aufgrund des derzeitigen Leerstands eindeutig einen Möglichkeitsraum dar. Durch das Tool kann dieser nachhaltig aktiviert werden, die Art seiner Nutzung ergibt sich dabei aus dem Konzept des künftigen Mieters. Die intensive Medienberichterstattung über ein solches Projekt erhöht nicht nur die Chancen auf eine rege Beteiligung und auf einen ökonomischen Erfolg des zukünftigen Nutzers, sondern wirkt sich zweifellos auch positiv auf das Image des gesamten Quartiers aus.

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#07: PROBEWOHNEN

In der historischen Innenstadt von Görlitz können seit 2008 sämtliche Interessierte – Familien, Alleinerziehende mit Kindern, Lebensgemeinschaften, Ehepaare ohne Kinder, Singles und Senioren – unter dem Motto „Schau doch mal rein! Probewohnen“ eine Woche lang sanierte und voll eingerichtete Wohnungen mietfrei nutzen. Das Projekt wurde unter der Federführung der TU Dresden in Zusammenarbeit mit dem Görlitz Kompetenzzentrum Revitalisierender Städtebau, der Stadt Görlitz und der WBG Wohnungsbaugesellschaft Görlitz ins Leben gerufen und mit Mitteln des Bundes aus dem Forschungsprogramm „Experimenteller Wohnungs- und Städtebau“ (ExWoSt) gefördert. Insgesamt gab es über 750 Bewerber aus ganz Deutschland und dem angrenzenden Ausland, die das Angebot annehmen wollten. Aufgrund dieses großen Interesses entschlossen sich die drei Projektpartner zur Fortsetzung des Programms bis 2010, so dass letztlich 120 Personen, Paaren und Familien eine Teilnahme ermöglicht werden konnte. Während die WBG Wohnungsbaugesellschaft Görlitz mbH die Organisation übernahm, führte das Kompetenzzentrum die wissenschaftliche Begleitstudie durch, für die jeder erwachsene Teilnehmer befragt wurde. Ziel der gesamten Aktion war es, Görlitzern wie auch Ortsfremden die Vorteile und die Lebensqualität aufzuzeigen, die mit dem Leben in der Görlitzer Innenstadt verbunden sind. Durch die Erprobung bzw. Simulation des Wohnalltags konnten dabei eigene Wohnerfahrungen gemacht werden, außerdem erhofft man sich von den „Probewohner“ Hinweise für die weitere Quartiersentwicklung. Angesichts des hohen baukulturellen Werts der historischen Innenstadt ist eine Verbesserung der dortigen Wohnqualität wie auch des Images dieses Stadtraums von großer Bedeutung: „Nur auf dieser Basis gelingt die Erhaltung und zukunftsorientierte Nutzung älterer Häuser in der Innenstadt von Görlitz“ (Stadtforschung TU Bremen). Aufgrund des großen Erfolgs des Projekts erhielt die Initiative „Probewohnen“ 2009 den Nationalen Preis für integrierte Stadtentwicklung und Baukultur. Aufgrund der vergleichbaren Situation, also der Lage des Gebiets in einem historischen Innenstadtgebiet und der hohen Leerstandsquote,

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G ADOLFSTRASSE

STNERSTRASSE

RÜCKENWIND

Abbildung (20): Verortung des Tools „Probewohnen“ Vorkaufsortsgesetz § vom betroffene Gebäude

Einzelhandel würde sich dieses Projekt auch im Goethequartier anbieten. Momentan gibt es bereits ein ähnliches Projekt, das leerstehende Immobilien als Ferienwohnungen offeriert. Der Ansatz des Probewohnens würde Restaurant allerdings noch weiter greifen: Zum einen würde das Projekt Leute Café anlocken, die bislang nicht die Absicht hatten, Bremerhaven zu Kneipe besuchen, zudem würden der Charme des Gründerzeitquartiers ins Bewusstsein rücken und die Leerstandsproblematikt thematisiert Friseur werden, es ließe sich mediale Aufmerksamkeit erzielen und die InterBegrünung views mit den Probanden könnten eventuell dabei helfen, Potentiale OLLINLANDSTRASSE aufzudecken. Das Probewohnen wäre somit auch Forschungsge- gestaltete Gärten genstand und würde dazu beitragen, elementare Fragen zu klären, physische Barrieren wie sich die Wertschätzung des Ortsteils Goethestraße sowie seine Schlüsselgebäude Wohnqualität verbessern lassen und welche gestalterischen VerändePassanten rungen damit verbunden sind. spielende Kinder

Als erster Schritt ist es natürlich notwendig, eine passende Immobilie Brachfläche für das Projekt ausfindig zu machen. Auf der Website der Wohnungsgesellschaft Stäwog steht momentan beispielsweise eine 67m2 große Wohnung im Herzen des Goethequartiers in einem schönen sanierten Gründerzeitgebäude leer. Das Objekt befindet sich in der Adolfstraße. Da die betreffende Wohnung aufgrund der momentanen Leerstandsproblematik im Quartier vermutlich für einen längeren Zeitraum nicht regulär vermietet werden kann, entstünden durch das Probewohnen nur relativ geringe Kosten, etwa für den organisatorischen Aufwand und die eventuell notwendige Renovierung. Andererseits würde die

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Abbildung (21): Probewohnen in der historischen Altstadt von Görlitz

Aktion der Stäwog voraussichtlich viel mediale und öffentliche Aufmerksamkeit bescheren, die sich mittelfristig auch ökonomisch auszahlen dürfte. Zudem befände sich die Wohnung durch die Renovierung in bestem Zustand, so dass sie bei Interesse sofort vermietet werden könnte. Für die Möblierung der Wohnung würde es sich anbieten, ortsansässige Möbelgeschäfte oder Möbeltischlereien um Ausstellungsstücke zu bitten, um die Wohnung komfortabel und gemütlich einrichten zu können (im Unterschied zu Görlitz, wo ausschließlich IKEA-Möbel verwendet wurden). Die Renovierung könnten Bremerhavener Handwerksbetriebe übernehmen und im Gegenzug dafür als Sponsoren wirksame mediale Aufmerksamkeit genießen. Als Hauptakteur, der die Wohnung bereitstellt, kommt in erster Linie natürlich die Stäwog in Frage, das Stadtplanungsamt wäre wichtig bei der Koordinierung und Organisation des Projekts. Außerdem könnte das Designlabor die Aktion begleiten und auch die Befragung der Probanden sowie die Auswertung der gesammelten Daten übernehmen. Zudem müssten Sponsoren gefunden werden, die Möbel zur Verfügung stellen und Handwerksarbeiten übernehmen. Eventuell könnte auch das gesamte Projekt „Probewohnen“ unter Federführung des Designlabors stattfinden (in Kooperation mit der Stäwog natürlich) und unter dem Titel „Verlorene Orte 3“ die Forschungsreihe dieser Einrichtung mit dem Thema Leerstände im Wohnungsbereich fortsetzen. Damit würde das Projekt zweifellos auch

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einen besonders hohen kreativen und innovativen Gehalt bekommen. Beispielsweise könnten die Möbelstücke und Accessoires für die Wohnung von den Stipendiaten des Designlabors in Eigenregie hergestellt werden, zudem würden die Ergebnisse der Aktion anschließend in einem Projektbericht veröffentlicht werden. Das Tool „Probewohnen“ sollte baldmöglichst in Angriff genommen werden, da es relativ einfach und mit wenig finanziellem Aufwand umzusetzen ist, bei den Teilnehmern jedoch interessante Erfahrungen zutage fördert und auch den veranstaltenden Institutionen eventuell zu neuen Erkenntnissen verhilft. Zudem bringt solch ein Projekt auf jeden Fall mediale Aufmerksamkeit für das Goethequartier mit sich. Hinsichtlich der zeitlichen Dauer kann die Aktion zunächst auf einen einjährigen Zeitraum beschränkt werden, bei großer Nachfrage lässt sich das Projekt nach Belieben verlängern. Wenn das Projekt in Kooperation mit der Stäwog erfolgt, ergeben sich keinerlei rechtlichen Probleme, da die Wohnungsgesellschaft auf diesem Gebiet viel Kompetenz und Erfahrung mitbringt und im Allgemeinen gegen Schäden etc. bereits gut abgesichert ist. Die Dauer des Probewohnens sollte eine Woche nicht übersteigen, außerdem müssen die Bewerber sorgfältig ausgewählt werden, da andernfalls eventuell Probleme mit sogenannten „Mietnomaden“ auftreten, die die Wohnung dauerhaft zu nutzen beabsichtigen. Zum einen nutzt das Tool „Probewohnen“ einen Möglichkeitsraum und zeigt durch attraktive Zwischennutzung dessen Potential auf. Zum anderen lässt es sich unter die Kategorie der Förderung lokaler Ökonomien einordnen, da es sich aktiv damit beschäftigt, wieder eine funktionierende Immobilienstruktur und damit Perspektiven für Mieter und Vermieter im Quartier zu schaffen. Nicht zuletzt beinhaltet es einen Marketingaspekt, da es mediale Aufmerksamkeit verschafft und der Außenrepräsentation dient.


#08: WÄCHTERHÄUSER

Große mediale Aufmerksamkeit erfuhr in jüngster Zeit das Projekt des 2004 in Leipzig gegründeten Vereins HausHalten e. V. Engagierte Stadtplaner, Architekten und Geographen haben sich dabei zum Ziel gesetzt, Altbaugebäude in städtebaulich wichtigen Lagen vor dem Verfall zu bewahren. Hintergrund der Aktion ist die seit 1990 erfolgte Sanierung von circa 80 Prozent der gründerzeitlichen Bebauung in Leipzig, die einherging mit einem Rückgang der Bevölkerung um rund 100.000 Einwohner im selben Zeitraum. Infolge dessen stehen derzeit etwa 45.000 Wohnungen in der Stadt leer. Durch das extreme Überangebot an Wohnraum besteht vielerorts kaum eine Chance auf reguläre Wiedernutzung, zugleich führt der Leerstand nicht nur zu einem schnelleren Verfall der Gebäudesubstanz, sondern bringt die Eigentümer oftmals auch in eine schwierige finanzielle Lage. Um den Verlust zumindest der denkmalgeschützten Gebäude zu vermeiden, hat es sich HausHalten e. V. zur Aufgabe gemacht, Eigentümer leerstehender Gebäude und kreative Raumsuchende zusammenzubringen: Die einen werden von ihren Betriebskosten entlastet und erhalten von den Nutzer Leistungen wie Instandhaltung und Kontrolle, die anderen bekommen ihrerseits viel Fläche für wenig Geld zur Verfügung gestellt. Mit diesem Modell wird Vandalismus verhindert, und entstehende Witterungsschäden werden von den Nutzern zügig gemeldet oder eigenständig behoben. Der Leitgedanke der „Wächterhäuser“ lautet somit: „Gebäudeerhalt durch Nutzung“. Konkret sieht es so aus, dass sich Interessenten bei dem Verein mit einem Konzept für ein „Wächterhaus“ bewerben können. Bevorzugt werden besonders kulturelle, soziale und gewerbliche Nutzungen, da man davon ausgeht, dass sie eine positive Ausstrahlung auf das Quartier haben. Wohnnutzung ist aus diesem Grund nur in Verbindung mit Gewerbenutzung möglich. Die Nutzer, die vor Einzug Mitglieder des Vereins werden müssen, bezahlen in der Regel keine Mietkosten, lediglich Betriebskosten und Vereinsbeiträge. Besonders in den ersten Monaten werden sie zudem in organisatorischen und bautechnischen Fragen unterstützt, außerdem stellt der Verein über die gesamte Nutzungsdauer Werkzeug für Reparaturarbeiten zur Verfügung. Generell übernimmt HausHalten e. V. neben der Vermittlung auch eine beratende Funktion: Eigentümern in besonders schwieriger

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Abbildung (22): Eines der Wächterhäuser in Leipzig

Lage beispielsweise wird geholfen, Fördermittel zur Sicherung ihrer Gebäude zu beantragen. Zugleich werden vom Verein offensiv solche Nutzer („Hauswächter“) angeworben, die mit fachlicher Unterstützung in der Lage sind, die Immobilienobjekte in einen nutzbaren Zustand versetzten. Dabei wird auch auf das Wissen und Können der lokalen Bevölkerung und des Handwerks zurückgegriffen, kleinere Arbeiten an den Häusern werden zudem von langzeitarbeitslosen Jugendlichen im Rahmen von Qualifizierungsmaßnahmen durchgeführt (HausHalten e. V.). Die Wohndauer in „Wächterhäusern“ ist zumeist begrenzt auf fünf Jahre, das Modell stellt also eine befristete Zwischennutzungslösung dar. Allerdings hat der Eigentümer die Möglichkeit, sein Objekt auch vorzeitig auf den klassischen Immobilienmarkt zurückzuführen, weshalb für beide Parteien eine Kündigungsfrist von vier Wochen gilt. Das Projekt ist mittlerweile so erfolgreich, dass alleine in Leipzig bereits 13 solcher Wächterhäuser existieren, daneben interessieren sich auch andere ostdeutsche Städte (sowie zunehmend solche im Westen) für das Konzept. So wurden beispielsweise in Erfuhrt, Chemnitz und Magdeburg Vereine nach dem Modell von HausHalten e. V. gegründet

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RÜCKENWIND

KISTNERSTRASSE

Z O (23): L L Verortung INLAN D Tools STR ASS Abbildung des „Laden zu E verschenken“

und es entstanden erste Wächterhäuser (HausHalten e. V., HausHalten Magdeburg e. V., Stadthalten-Chemnitz e. V.). HausHalten e. V. in Leipzig lädt ausdrücklich dazu ein, das Konzept „Wächterhäuser“ zu kopieren. Aufgrund einer ähnlichen Problematik im Goethequartier (Leerstand und Verfall der gründerzeitlichen Bebauung) eignet sich das Konzept ganz offensichtlich für die Implementierung in diesem Gebiet. Da Eckgebäude in der hauptsächlich von Altbau gebildeten Blockrandstruktur eine herausgehobene Bedeutung haben, d. h. entscheidend für das Straßenbild sind, sollten diese zuerst als potentielle „Wächterhäuser“ geprüft werden. Zumal sie sich aufgrund eher ungünstiger Grundrisse und einem relativ kleinen Innenhofgrundstück regulär besonders schwer vermieten lassen und damit mehr als andere Gebäude vom Verfall bedroht sind. Konkret könnte sich etwa das als „Schlüsselgebäude“ identifizierter Objekt an der Ecke Goethestraße/ Kistnerstraße für die Umsetzung des Tools „Wächterhaus“ anbieten, doch auch andere Immobilien müssten natürlich auf ihre Eignung geprüft werden.

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Abbildung (24): Wächterhaus in Leipzig-Lindenau

Für die Übertragung des Leipziger Konzepts auf andere Städte gibt es bei HausHalten e. V. eine Ansprechperson, die Beratung interessierter Kommunen übernimmt das Bildungs- und Kompetenzzentrum des Vereins. Zudem wurde ein Maßnahmenkatalog für die Errichtung eines „Wächterhauses“ erarbeitet, der an dieser Stelle kurz skizziert werden soll: 1. Zunächst werden geeigneter Objekte identifiziert, danach erfolgt die Kontaktaufnahme mit den Eigentümern. Diesen wird der Projektansatz vorgestellt und somit eine Möglichkeit aufgezeigt, ihrer häufig ausweglosen Situation zu entkommen. Anschließend folgen die Einschätzung des baulichen Zustands sowie die Erstellung eines fachlich fundierten Gutachtens über die unumgänglichen Sicherungsmaßnahmen. 2. In einem nächsten Schritt wird der rechtliche Rahmen des jeweiligen Projekts festgelegt. Auf Grundlage der abgeschlossenen Verträge können Zuschüsse und Fördermittel zur Gebäudesicherung an den Hauseigentümer gewährt werden.

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3. Danach werden Nutzer mit einem für das konkrete Gebäude passenden Konzept gesucht und die erforderlichen Sicherungs- bzw. Instandsetzungsmaßnahmen durch Fachfirmen durchgeführt. Nun kann die Übergabe der Immobilie an die „Hauswächter“, die vom Verein beraten unterstützt werden, erfolgen. 4. Um den Ansatz des „HausHaltens“ insgesamt bekannt zu machen und zugleich positive Auswirkungen für das Quartier zu erzielen, bietet sich eine öffentlichkeitswirksame Eröffnung des Hauses, etwa mit einem Straßenfest, an (HausHalten e. V.). Für die erfolgreiche Einrichtung der „Wächterhäuser“ bedarf es natürlich gewisser Anfangsinvestitionen Allerdings können diese durch Einbeziehung von Fördermitteln und ehrenamtlicher Arbeit (zumindest theoretisch) beinahe auf Null reduziert werden. Obwohl prinzipiell ganz unterschiedliche Akteure für die Einrichtung der Wächterhäuser denkbar wären, etwa die Stadt selbst, die Stäwog, einzelne Eigentümer etc., scheint sich am ehesten das Modell aus Leipzig anzubieten: ein zu diesem Ziel gegründeter Verein aus engagierten Bürgern, die die gründerzeitliche Bausubstanz ihrer Stadt bzw. ihres Viertels erhalten wollen. Fachwissen in den Bereichen Architektur, Bauingenieurwesen, Stadtplanung oder Jura wäre dabei zwar von Vorteil, ist allerdings keine unbedingte Voraussetzung, da auf die grundsätzlichen, vielfach erprobten Verfahrensweisen sowie auf alle notwendigen rechtlichen Instrumente, die in Leipzig erarbeitet wurden, zurückgegriffen werden kann. Die Vorbereitung des Projekts kann einige Zeit in Anspruch nehmen, da viele Aspekte geklärt werden müssen. Die konkrete Zeitspanne, die etwa zwischen einigen Monaten und über einem Jahr variieren dürfte, häng dabei von vielen Faktoren ab: der Suche nach Eigentümern, der Zusammenstellung der beteiligten Personen, der Bereitstellung von Fördermitteln etc. Entscheidend ist jedoch, dass kaum etwas dagegen spricht, mit der Umsetzung sofort zu beginnen. Ein eingetragener Verein ist die Rechtsform, die sich für solche Projekte als vorteilhaft erwiesen hat. Den grundsätzlichen rechtlichen Rahmen für die Wächterhäuser stellt zudem die sogenannte „Gestattungsvereinbarung Haus“ zwischen dem Eigentümer und dem zuständigen

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Verein/Akteur dar. Hierdurch wird die Übergabe der Nutzungsrechte an den Verein für einen bestimmten Zeitraum – in der Regel fünf Jahre – festgelegt. Die Eigentumsrechte und -pflichten werden dabei nicht berührt; ein Verkauf oder eine herkömmliche Sanierung beispielsweise sind weiterhin (auch während der Vertragszeit) möglich. Zwischen dem Verein und den Nutzern werden sodann Unternutzungsverträge abgeschlossen. In der Folge kann sich daraus ein direktes, reguläres Vertragsverhältnis ergeben (HausHalten e. V.). Ab dem Zeitpunkt, da der Wunsch entsteht, das Tool „Wächterhäuser“ im Goethequartier zu implementieren, bis zur Eröffnung des ersten Hauses sind sicherlich einige Hürden zu überwinden. So ist beispielsweise nicht sicher, ob der Eigentümer einer ins Auge gefassten Immobilie erfolgreich ermittelt werden kann und ob seinerseits die Bereitschaft zur Mitwirkung an dem Projekt besteht. Zudem müsste zunächst sichergestellt sein, ob in Bremerhaven überhaupt genügend Personen vorhanden sind, die willens und in der Lage sind, einen Verein zu gründen und dessen Arbeit voranzutreiben. Durch die umfangreiche Vorleistung des HausHalten e. V. in Leipzig steht allerdings ein nicht zu unterschätzender Pool an Know-how bereit, der bei der Lösung möglicher Probleme hilfreich sein kann. Das Tool deckt wie kaum ein anderes alle übergeordneten Kategorien ab, die für das Quartier als ausschlaggebend ermittelt wurden. Zunächst einmal werden durch die Wächterhäuser „Möglichkeitsräume“, d. h. hier Wohnungsleerstand, nachhaltig aktiviert und für einen für das Quartier positiven Zweck eingesetzt. Lokalökonomische Wirkung entfaltet das Tool durch seine eindeutige Orientierung an gewerblicher und kultureller Nutzung. Auch die Einbeziehung lokaler Handwerksbetriebe und die Zusammenarbeit mit der Arbeitsagentur verfolgt das Ziel, die Wirtschaftskraft im Quartier zu stärken. Die Berichterstattung über das innovative und medienwirksame Projekt kann das Image des Quartiers zu verbessern helfen. Wird das Tool, wie empfohlen, von Bremerhavener Bürgern umgesetzt, so fällt es zudem in die Kategorie „Kümmerkonzepte“, die als besonders wichtig erachtet wird im Hinblick auf die Vision einer aktiven städtischen Gesellschaft.

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#09: MODE AUS DEM QUARTIER

Der kleine Hamburger Stadtteil Veddel, auf einer Elbinsel im Hafengebiet gelegen, ist äußerst multikulturell geprägt und wird in der Öffentlichkeit zumeist als sozialer Brennpunkt wahrgenommen. Das „Förderwerk Elbinseln e.V.“ jedoch suchte 2008 nach den Potentialen der dort lebenden Menschen und entdeckte, dass viele der Migrantinnen ausgesprochen gute Näherinnen sind und zum Teil Techniken beherrschen, die andernorts längst in Vergessenheit geraten sind. Daraufhin initiierte man – finanziert durch Gelder der Internationalen Bauausstellung Hamburg (IBA) – ein Bewerbungs- und Ausbildungsprogramm, das sich als so erfolgreich erwies, dass im folgenden Jahr, 2009, mit finanzieller Unterstützung der EU-Initiative „Lokales Kapital für soziale Zwecke – Stärken vor Ort“ ein Werkstatt-Atelier im Stadtteil Veddel eingerichtet wurde. Es folgte, ermöglicht durch Privatspenden und Förderprogramme, die Gründung einer Produktionsgenossenschaft, aus der schließlich in Kooperation mit der Hamburger Modedesignerin Sibilla Pavenstedt das integrative Projekt „Made auf Veddel“ hervorging. Im Herbst 2010 wurde dieses an die Pavenstedt & Pauli GmbH übertragen, die sich dazu verpflichtet hat, es mindestens bis 2013 im Sinne der Initiatoren weiterzuführen. Als Ergebnis dieser Zusammenarbeit entsteht nun auf der Veddel aufwendige, multikulturell inspirierte Haute Couture. Als echter Verkaufsschlager erwies sich daneben zur Advents- und Weihnachtszeit individuell gefertigter Christbaumschmuck, der in Hamburger Boutiquen verkauft wurde. Die Teilnehmerinnen, Frauen aus aller Welt, profitieren von dem Projekt in mehrfacher Hinsicht: Zum einen wird ihnen ermöglicht, ihre handwerklichen Fähigkeiten einzusetzen und weiterzuentwickeln, zum anderen gewinnen sie im Zuge dessen einen engeren Bezug zum eigenen Stadtteil und fühlen sich dadurch stärker integriert. Auch im Goethequartier leben viele Menschen nicht-deutscher Herkunft, weshalb man davon ausgehen kann, dass auch unter ihnen die eine oder andere Person zu finden ist, die über besondere Fähigkeiten in einer der diversen Handarbeitstechniken verfügt. Allerdings muss das Referenzprojekt „Made auf Veddel“ an die lokalen Gegebenheiten in Bremerhaven angepasst werden, da hier beispielsweise nicht

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Abbildung (25): Eine Näherin fertigt Weihnachtsschmuck

dieselben potentiellen Käuferschichten wie in Hamburg existieren. Deswegen empfiehlt es sich, das Tool „Mode aus dem Quartier“ (zunächst) auf einer weit niedrigeren Ebene anzusiedeln und andere Kooperationspartner, Kunden und Vertriebswege eventuell erst zu einem späteren Zeitpunkt ins Auge zu fassen. Zunächst einmal sollte es darum gehen, einen losen Kreis aus talentierten Menschen mit Handarbeitsfähigkeiten zu bilden, der anfangs als informelles Netzwerk fungiert und dem persönlichen und fachlichen Austausch dient. Dafür müssen zunächst weder Räume gemietet werden, noch ist es notwendig, einen Verein, eine Genossenschaft o. Ä. zu gründen. Möglicherweise findet sich unter den Beteiligten bereits eine Person, die gemeinsam mit anderen eigene Entwürfe umsetzen möchte. Falls nicht, könnten etwa Privatpersonen gesucht werden, die Interesse an einer kostengünstigen Fertigung ihrer selbstentworfenen Kreationen haben. Dabei ist allerdings darauf zu achten, dass dies explizit unter einem eigenen Namen geschieht (der optimalerweise Bezug nimmt auf den Herkunftsort), da es mittelfristig das Ziel sein muss, die „Mode aus dem Goethequartier“ zu einer eigenen „Marke“ zu machen – nicht notwendigerweise im rechtlichen Sinne, aber zumindest inoffiziell. Als Kooperationspartner infrage kommen eventuell auch Absolventen des Studiengangs „Mensch und Mode“ der Hochschule für Künste

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Abbildung (26): Vorlage für eine Suchanzeige

Bremen, die sich nach dem Studium selbständig zu machen versuchen und dabei zum größten Teil über wenig finanzielle Mittel verfügen. Sollte es irgendwann gelingen, das Projekt kommerziell so erfolgreich zu gestalten, dass Einnahmen erzielt werden, kann schließlich auch über die Anmietung eigener Räume nachgedacht werden. Ein geeigneter Ort hierfür wäre beispielsweise das unter Tool #08 erwähnte potentielle „Wächterhaus“ an der Ecke Goethestraße/Kistnerstraße, da dieses Konzept ausdrücklich eine Mischung aus Wohnen und Gewerbe vorsieht. Da Menschen mit besonderer Begabung für textile Handarbeit im Normalfall eine Nähmaschine besitzen, sind keine größeren Anfangsinvestitionen notwendig. Für das Anbieten der eigenen Dienstleistungen eignen sich Anzeigen, Aushänge, Flyer etc., die ebenfalls nur recht geringe Kosten verursachen, hinzu kommt kostenlose Mund-zu-MundPropaganda und eventuell ein Internetauftritt. Ob mit diesem Projekt, ähnlich wie in Hamburg, Gewinne zu erzielen sind, lässt sich wegen der mangelnden direkten Vergleichbarkeit vieler Faktoren im Vorfeld nicht abschätzen. In diesem Zusammenhang muss allerdings immer berücksichtigt werden, dass bei „Made auf Veddel“

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Abbildung (27): Eine Modenschau

wesentlich höhere Investitionen getätigt wurden, die durch Stiftungund Fördergelder aufgebracht wurden. Selbstverständlich bietet sich die Beantragung von Mittel aus Initiativen wie „Lokales Kapital für soziale Zwecke - Stärken vor Ort“ auch für das Goethequartier an, dazu muss das Projekt zunächst einmal allerdings einen hohen Konkretisierungsgrad erreicht haben und konzeptionell ausgearbeitet werden. Falls es gelingt „Mode aus dem Quartier“ bis auf eine kommerziell erfolgreiche Stufe zu führen, sind natürlich auch Einnahmen zu erwarten, da handgearbeitete Textilwaren prinzipiell begehrt sind. Im Vordergrund steht aber zunächst der integrative Gedanke. Personen, die über besondere Handarbeitskenntnisse verfügen, können eventuell in der Moschee im Viertel, in Kulturvereinen oder dem Frauencafé in der Goethestraße geworben werden. Die Vorlage einer solchen Anzeige inklusive Übersetzungen ins Türkische und Arabische, findet sich in Abbildung 26. Außerdem ist das Tool „Mode aus dem Quartier“ in besonderem Maße auf „Kümmerer“ angewiesen, die bei diesem Projekt die Initiative übernehmen, d. h. potentielle Kunden akquirieren, Kontakte suchen (bzw. bereits über diese verfügen), die Verständigung innerhalb der Gruppe organisieren etc.


Das Projekt ist an keinen zeitlichen Rahmen gebunden, könnte also sofort initiiert werden. Ein kommerzieller Erfolg dürfte sich frühestens nach einem Jahr einstellen, bis die „Marke“ in Bremerhaven sowie, idealerweise, auch darüber hinaus ansatzweise etabliert ist, kann ein weiteres Jahr oder mehr vergehen. Eine besondere Rechtsform ist anfangs nicht notwendig, es kann jedoch ein eingetragener Verein gegründet werden. Bestehen irgendwann Gewinnabsichten, empfiehlt sich beispielsweise eine Offene Handelsgesellschaft (OHG). Sofern die Beteiligten aus unterschiedlichen Kulturen kommen, sind aller Voraussicht nach gewisse Sprachbarrieren und kulturelle Differenzen zu überwinden, auch die erste Kontaktaufnahme, d. h. die Suche nach interessierten Personen, gestaltet sich eventuell schwierig. Je nach Gruppengröße muss außerdem ein geeigneter Raum gefunden werden; infrage kommen hier sicherlich die „theo“ sowie möglicherweise das Frauencafé. Die größte Hürde dürfte jedoch das Herantragen des Angebots an mögliche Kunden darstellen, auf diesem Feld muss der „Kümmerer“ also besonders aktiv sein. Das Tool lässt sich zunächst einmal in die Kategorie „Kümmerkonzepte“ einordnen, da der Schwerpunkt bei diesem Projekt vor allem zu Beginn auf der sozialen Integration liegt und das Projekt viel persönliches Engagement benötigt. Im Idealfall gewinnt die „Mode aus dem Quartier“ auch eine lokalökonomische Bedeutung und kann damit zugleich zur Nutzung von Möglichkeitsräumen beitragen. Schließlich hätte eine Marke, die Bezug nimmt auf das Goethequartier, auch unter Marketinggesichtspunkten eine positive Wirkung auf das Image des Viertels.

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#10: ÖFFENTLICHE HOTSPOTS Die Fähigkeit, Informationen zu finden, zu verarbeiten und auszutauschen ist im 21. Jahrhundert zweifellos eine Grundvoraussetzung für sozialen und ökonomischen Erfolg. Unumstritten ist mittlerweile auch, dass das Internet als eine Metatechnologie die Schlüsselrolle in der Informationsgesellschaft spielt. Für Privatpersonen wird ohne Internetverbindung der Zugang zu vielen Verdienstmöglichkeiten, beruflichen Netzwerken und Konsummärkten erheblich erschwert, zum Teil sogar unmöglich gemacht. Zugleich zeigen empirische Studien, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen (in den Industrieländern sind es Frauen, ethnische Minderheiten, Menschen mit niedriger Bildung und geringem Einkommen, Bewohner des ländlichen Raums und Ältere) bei der Internetnutzung unterrepräsentiert sind. Dieses gesellschaftliche Phänomen wird als „Digitale Spaltung“ oder „Digitale Kluft“ bezeichnet. Da sich die Ungleichheit beim Zugang zum Internet zudem nachhaltig negativ auf die übrigen Lebensbereiche auswirkt, kann bzw. muss die Bekämpfung der „Digitalen Spaltung“ durchaus als öffentliche Aufgabe gesehen werden (Hiesmeir u.a. 2011). Viele Gemeinden stellen sich dieser Aufgabe bereits und fördern neben Internet-Einsteigerkursen beispielsweise den Ausbau der kostenlosen Internet-Infrastruktur. Eines der ersten Projekte dieser Art existiert seit Dezember 2002 in Hamburg: HOTSPOT HAMBURG ist ein Projekt der Initiative Hamburg@work in Kooperation mit der Deutschen Telekom, Fujitsu Siemens Computers, Datenlotsen-Informationssysteme und Siggelkow Computer und ermöglicht mittlerweile vielerorts einen drahtlosen Internetzugang. Zwar richtet sich das Angebot vor allem an Touristen, kann und wird jedoch auch von den Anwohnern genutzt (Hamburg Tourismus, Flensburg Online). Ein weiteres Pilotprojekt ist die „Hotspot-Initiative“ der österreichischen Stadt Linz. Hier wurden an 130 öffentlichen Gebäuden und Orten Verbindungsstationen für den Einstieg ins Internet per Funknetz eingerichtet. Zusätzlich gibt es an ausgewählten Orten auch kostenlose Leihlaptops (Hiesmeir u.a. 2011).

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Abbildung (28): Beschilderung eines Hotspotbereichs

Weltweit bekannt ist zudem das Angebot des Konzerns Starbucks: In mehr als 6.800 ihrer amerikanischen Filialen betreibt die KaffeehausKette eine Mediennetzwerk, bei dem die Besucher über das Internet auch Zugriff auf zahlreiche Musik- und E-Book-Angebote haben. In den deutschen Filialen ist die Internetnutzung allerdings auf zwei Stunden begrenzt. Dieses Beispiel zeigt, dass die Aufenthaltsqualität durch kostenfreien Internetzugang so gesteigert wird, dass sich die Einrichtungskosten im Hinblick auf die ökonomischen Vorteile häufig sehr relativieren (Süddeutsche Zeitung). Das größte Projekt dieser Art kommt allerdings aus Estland: Der kostenlose Internetzugang ist in dem baltischen Staat ein verfassungsmäßiges Grundrecht. Mit über 1.000 Zugangspunkten wird hier praktisch das gesamte Land mit einer schnurlosen Internet-Infrastruktur erschlossen, rund die Hälfte der Punkte ist kostenfrei (Hamburger Abendblatt). Bremerhaven verfügt zwar bereits über einige kostenfreie Hotspots, allerdings handelt es sich überwiegend um kommerzielle Angebote, also um solche in Cafés oder Hotels. Außerdem befinden sich alle Angebote außerhalb des Ortsteils Goethestraße (Cityreview).

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Abbildung (29): Schematische Darstellung einer Hotspot-Infrastruktur

Unsere Analyse der Bevölkerungsstruktur hat ergeben, dass jedoch gerade hier viele der Bevölkerungsgruppen leben, die bei der Internetnutzung in der Regel unterrepräsentiert bleiben, insbesondere ethnische Minderheiten und Menschen mit geringem Einkommen. Eine Hotspot-Initiative im Goethequartier könnte also zugleich ein wichtiger Beitrag zur Bekämpfung der „Digitalen Spaltung“ wie zur Aufwertung des Gebiets und zur Tourismusförderung sein. Bei der Umsetzung gibt es grundsätzlich zwei unterschiedliche Ansatzpunkte: Die Umsetzung seitens der Kommune (Stadtnetz) oder das sogenannte „BürgerInnennetz“. Bei der technischen Implementierung eines Stadtnetzes bietet sich die sogenannte „vermaschte Topologie“ an. Dabei werden mehrere Zugangspunkte (oder Access-Points) in einem Netzwerk zusammengeschlossen, wobei sich jeder Punkt in Reichweite von zwei anderen befindet. Auf diese Weise kann ein größerer Versorgungsbereich mit Wireless LAN (WLAN) abgedeckt werden als bei anderen Technologien, die Einrichtung ist kostengünstiger, weil weniger Kabel benötigt werden, zudem kann so ein höherer Grad an Zuverlässigkeit hergestellt werden, da der Ausfall eines Knotens durch die anderen Knoten im Netzwerk abgefangen wird (Vachon u.a. 2009). Der zweite Ansatz, das „BürgerInnennetz“ existiert zum Beispiel bereits in London, Wien, Graz und in fast allen deutschen Großstädten. Seine Verbreitung wird allerdings durch den geringeren Bekanntheitsgrad etwas gehemmt. Grundlage dieser Technologie ist die Verbindung von privaten WLAN-Knoten seitens der Internetnutzer oder durch Vereine. Dabei wird der eigene Zugang kostenlos anderen Nutzern zur Verfügung gestellt, der Zusammenschluss erfolgt in der Regel selbstorganisiert. Bei genügend Teilnehmern entsteht auf diese Weise ein Netzwerk, das ganze Stadtteile umfassen kann und sämtlichen Mitgliedern einen mobilen Internetzugang ermöglicht. Die Abhängigkeit von einem Provider wird auf diese Weise überwunden. Unter www. freifunk.net wird die Funktionsweise und die Einrichtung eines „BürgerInnennetzes“ näher beschrieben (Hiesmeir u.a. 2011). Im Falle eines Stadtnetzes ist die Investition seitens der Gemeinde notwendig, angesichts der enormen positiven Auswirkungen werden

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Abbildung (30): Internetnutzung im öffentlichen Raum

diese eher geringen Ausgaben aber als sinnvoll erachtet. Da durch die Maßnahme auch die Privatwirtschaft in dem jeweiligen Gebiet profitiert, könnte die Finanzierung zudem durch die städtische Wirtschaftsförderung erfolgen. Auch die Einbeziehung von EU-Fördergeldern für Tourismusprojekte sowie eine eventuelle Mischfinanzierung sind denkbar. Eine Kooperation mit privaten Akteuren ist möglich, aber nicht vollkommen unbedenklich. Das Beispiel San Francisco, wo die Stadt eine Kooperation mit dem Konzern Google einging, hat gezeigt, dass bei diesem Modell ein Potential für Missbrauch durch die privaten Partner besteht. So wurden persönliche Nutzerdaten im großen Umfang gesammelt, um durch personifizierte und ortsgebundene Werbeanzeigen das Projekt zu refinanzieren. Ein „BürgerInnennetz“ erfordert dagegen keine städtischen Investitionen, wie die Erfahrungen aus Deutschland zeigen, werden im Grundsatz lediglich ein alter Computer, eine selbstgebastelte Antenne und etwas Kabel benötigt, um ein Haus mit 35 Bewohnern für weniger als vier Euro pro Person und Monat mit Bandbreitinternet zu versorgen (Hiesmeir u.a. 2011).

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Die Akteurskonstellation variiert je nach Umsetzungsform: Eine kommunale Durchführung im Alleingang ist ebenso möglich, wie eine Kooperation mit der technisch ausgerichteten Hochschule Bremerhaven oder privaten IT-Unternehmen. Im Falle des „BürgerInnennetzes“ erfolgt die Umsetzung durch die Bewohner im Ortsteil selbst. Zu empfehlen sind bei dieser Variante Angebote zur technischen und juristischen Unterstützung der Anwohner. Im Hinblick auf die eher niedrigen Kosten, die sehr kurze Planungsund Ausführungsdauer sowie die gleichzeitig zu erwartenden großen positiven Auswirkungen empfiehlt sich eine frühzeitige Umsetzung. Denkbare Rechtsformen sind: die Realisierung als ein kommunales Projekt sowie die Umsetzung durch einen zu diesem Zweck gegründeten Verein oder eine GmbH. „BürgerInnennetze“ erfordern eine spezielle Vertragsform, die sogenannten „Pico-Peering-Agreements“ für wechselseitige Datenweiterleitung (Hiesmeir u.a. 2011). Für das Projekt lassen sich einige wenige Hemmnisse identifizieren: Zum einen ist die anonyme Nutzung von Hotspots in Deutschland aus juristischen Gründen untersagt, daher ist eine Anmeldung zumindest mit Nachnamen und einer beliebigen E-Mail-Adresse notwendig. Dadurch kann einerseits die Nutzungsbereitschaft sinken, andererseits bedarf es eines zusätzlichen Aufwands, um eine funktionierende Datenbank der angemeldeten Nutzer und ein Registrierungsinterface einzurichten (Hamburg Tourismus). Was die „BürgerInnennetze“ angeht, so hat sich erwiesen, dass – trotz der theoretisch recht einfachen Installation – die technische Umsetzung häufig eine immense Hürde darstellt, weshalb solche Freifunknetze bislang auch erst wenig Verbreitung gefunden haben. Zudem wirken die rechtlichen Aspekte auf Laien oftmals abschreckend, eine technische und juristische Beratung der Bürger erscheint deswegen unerlässlich (Hiesmeir u.a. 2011).

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Wie eine eigene Analyse der WLAN-Zugangspunkte im Goethequartier ergab, lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt voraussichtlich noch kein Bürgernetz einrichten, da die dafür notwendige kritische Maße an Nutzern noch nicht erreicht ist. Somit empfiehlt sich die Umsetzung des Tools in Form eines Stadtnetzes. Insbesondere in diesem Fall stellt die Maßnahme eine indirekte Förderung der lokalen Wirtschaft dar, vor allem die Aufenthaltsqualität in gastronomischen Betrieben und im öffentlichen Raum wird durch den flächendeckenden Internetzugang erheblich verbessert. Bei einer baldigen Umsetzung, würden die öffentlichen Hotspots zudem in Bremerhaven ein Novum bedeuten und für das Goethequartier ein Alleinstellungsmerkmal schaffen. Nicht zuletzt könnten auch Existenzgründer auf die Einrichtung eines eigenen Internetanschlusses verzichten. Selbstverständlich kann flächendeckender Internetzugang auch für offensives Stadtteilmarketing genutzt werden: Öffentliche Hotspots bringen nicht nur einen höheres Maß an Aufenthaltsqualität und ökonomische Standortvorteile für den Einzelhandel, sondern sind auch für Touristen von Interesse. Für die erfolgreiche Umsetzung des Zugangs als ein BürgerInnennetz scheint die Unterstützung der Anwohner in technischen und juristischen Fragen von enormer Bedeutung zu sein. Eine mit diesen Fragen vertraute Person aus dem Ortsteil könnte eine ideale Lösung beim Abbau der identifizieren Hemmnisse darstellen.

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#11: COWORKING

Coworking (auch Co-working, auf Deutsch „zusammen arbeiten“) bezeichnet das Teilen eines Büros oder Arbeitsraumes, des Coworking-Space, sowie der damit verbundenen Infrastruktur. Im Unterschied zur Beschäftigungskonstellation in einem typischen Büro arbeiten die einzelnen Coworker meist nicht in derselben Firma oder für denselben Arbeitgeber, sondern sind Selbstständige und Freiberufler, die mit ihrer Arbeit häufig nicht an einen festen Ort gebunden sind. Auch für Leute die ansonsten zuhause arbeiten, stellt Coworking eine attraktive Alternative da. Die Vorteile sind dabei nicht nur finanzieller Art: Hinzu kommt, dass man zwar alleine arbeitet, sich dabei jedoch in einer belebten, gut ausgestatteten Arbeitsumgebung befindet. Die so entstehenden Kontakte wiederum fördern nebenbei die Kommunikation mit anderen selbständig Beschäftigten aus ähnlichen oder völlig anderen Arbeitsfeldern, woraus sich nicht selten Synergieeffekte ergeben. Zudem veranstalten einige dieser Einrichtungen auch gemeinsame Workshops oder Seminare (Coworking Wiki). Ein Beispiel für einen solchen Coworking Space ist das „betahaus“ in Hamburg, das seit 2009 besteht und zurückgeht auf die Initiative mehrerer Selbständiger und Freiberufler, die gemeinsam das Konzept entwickelten und umsetzten. Momentan gibt es in zwei Räumen insgesamt 44 Arbeitsplätze, die flexibel vermietet werden: Einen Arbeitsplatz gibt es für einen Tag, eine Woche oder auch einen ganzen Monat, daneben steht ein Konferenzraum zur Verfügung. Ein Tagesticket (9-17 Uhr) kostet 17 Euro, die monatliche Nutzungsgebühr beträgt 249 Euro, auch eine 24-Stunden-Nutzung ist gegen einen geringen Aufschlag möglich. Im Preis bereits inbegriffen ist die Nutzung der gesamten Infrastruktur: Hochgeschwindigkeitsinternet, WLAN, Drucker, Scanner, Kopierer, Fax sowie eine kleine Bar, an der kostengünstig Kalt- und Heißgetränke erworben werden können (betahaus Hamburg) Ein weiteres Referenzbespiel für das Tool „Coworking“ ist das „Rockzipfel Eltern-Kind-Büro“ in Leipzig. Die Besonderheit hier ist, dass arbeitenden Eltern ihre Kinder zur Arbeit mitbringen können, wo diese von anderen Coworkern wechselseitig betreut werden. Die Eltern


Abbildung (31): Beispiel für einen Coworking Space :

geben dabei ihre Verantwortung nicht ab, sondern haben ihre Kinder in der Nähe und können jederzeit mit ihnen in Kontakt treten. In diesem Coworking-Space stehen sieben Räume zur Verfügung, darunter auch Ruheräume, Wickel- und Spielzimmer (Rockzipfel). Unter vielen Coworking-Spaces gibt es im Übrigen sogenannte „Roaming-Vereinbarungen“: So kann man z. B. mit einem Monatsticket des „betahauses“ Hamburg auch die gleichnamige Einrichtung in Berlin nutzen und wird somit in der Wahl seines Arbeitsortes noch flexibler. Ein Coworking-Space könnte im Goethequartier in einem leerstehenden Ladenlokal oder einer Erdgeschosswohnungen, aber auch in einem komplett unbenutzten Gebäude eingerichtet werden. Mögliche Standorte hierfür sind im zahlreich vorhanden, eine Immobilie, die sich beispielsweise besonders anbietet, ist das Gebäude an der Ecke Goethestraße/Kistnerstraße. Eine große potentielle Nutzergruppe stellen dabei die Existenzgründer im Quartier dar, von denen einige momentan für eine befristete Dauer die Existenzgründeretage in der „theo“ nutzen, für die jedoch wiederum eine Warteliste existiert. Ähnlich wie in Hamburg sollte sich eine Gruppe möglicher Coworker zusammenfinden und gemeinsam ein Konzept entwickeln. Die Initiative dazu

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könnte etwa auch von der „theo“ ausgehen, indem Personen von der Warteliste und Nutzer, die aufgrund des Endes ihrer auf fünf Jahre beschränkten Mietzeit in absehbarer Zeit ausziehen müssen, aktiv miteinander in Kontakt gebracht werden, beispielsweise im Rahmen eines Existenzgründerseminars. Zur Einrichtung eines Coworking-Space sind zunächst einmal Investitionen in die Arbeitsinfrastruktur notwendig. Dem Beispiel der „theo“ folgend, könnte sich die Möblierung jedoch auf einen einfachen Schreibtisch, einen Bürostuhl und einen kleinen Schrank bzw. ein Regal pro Arbeitsplatz beschränken, wodurch sich die Kosten deutlich eingrenzen lassen. Größere finanzielle Aufwendungen sind darüber hinaus notwendig, um die Räumlichkeiten zu renovieren und in einen Zustand zu bringen, der die Nutzung als Büro ermöglicht. Bewirtschaftet werden kann ein Coworking-Space bei entsprechender Auslastung kostendeckend, zudem lassen sich die Anfangsinvestitionen wieder hereinholen. Für einen eventuellen Betreiber ist es auch möglich, kleinere Einnahmen zu erzielen Die zentralen Akteure sind die potentiellen Coworker selbst. Bei der Entwicklung und Umsetzung eines solchen Konzepts kann die Wirtschaftsförderung Bremerhaven sowie „die theo“ Hilfestellung geben. Desweiteren empfiehlt es sich, einem der deutschlandweiten Netzwerke beizutreten, die sich mittlerweile gebildet haben (mehr dazu unter www.coworking.de). Bei der Anmietung eines geeigneten Raumes könnten die Stäwog und das Stadtplanungsamt ein wichtiger Partner sein. Ein Coworking-Space könnte im Goethequartier jederzeit entstehen. Wichtige vorbereitende Schritte wie die Erarbeitung eines Konzepts, die Schaffung aller nötigen rechtlichen Voraussetzungen (also z. B. die Gründung eines Vereins oder einer Gesellschaft) sowie die Suche nach geeigneten Räumen dürften rund ein Jahr beanspruchen. Das Projekt kann als eigenständige Firma im Handelsregister der Stadt Bremerhaven als GmbH eingetragen werden, ebenso ist die Organisation als Verein denkbar. Eine gewisse Herausforderung stellt das Finden geeigneter Räumlichkeiten dar. Viele Gebäude im Goethequartier haben einen hohen Renovierungsbedarf, bei leerstehenden Wohnungen kann zudem

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Abbildung (32): Arbeit in einem Coworking Space

oftmals nicht einmal der Eigentümer ausfindig gemacht werden. Sollte ein geeigneter Raum gefunden werden, können die Renovierungskosten eventuell das Budget der Beteiligten übersteigen. Für Selbständige, die Kundenkontakt haben oder auf eine prestigeträchtige Adresse angewiesen sind bzw. Wert legen, könnte das momentane Imageproblem des Viertels unter Umständen ein Problem darstellen. Konflikte während der Nutzung schließlich sind nie völlig auszuschließen, da in Coworking-Spaces häufig sehr heterogene Berufsgruppen und unterschiedlche Arbeitsweisen aufeinandertreffen. Allerdings lässt sich in diesem Zusammenhang das Konfliktpotential bereits im Vorfeld minimieren, indem sich Nutzer aus ähnlichen Beschäftigungsfeldern zusammentun.

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Dieses Tool nutzt mit leerstehenden Wohnungen oder Ladenlokalen Möglichkeitsräume im Quartier. Zudem dient es der Unterstützung und Förderung von Existenzgründungen, ist also von hoher Relevanz für die lokalen Ökonomien. Sollte ein Coworking-Space im Goethequartier eingerichtet werden, wäre dies der erste in Bremerhaven, woraus sich auch Potential für Marketingmaßnahmen ergäbe. Immerhin handelt es sich hierbei um eine innovative und äußerst zukunftsträchtige Form der Arbeitsorganisation.

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#12: GASTRONOMISCHE ZWISCHEnNUTZUNG Auch wenn ihre Dauer begrenzt ist, tragen Zwischennutzungen häufig zur räumlichen Entwicklung bei: Indem sie auf soziale Prozesse Einfluss nehmen, prägen sie den Ort, an dem stattfinden, über den Zeitraum ihres Bestehens hinaus. Ein temporär genutzter Ort kann sich im Zuge dessen dauerhaft im städtischen Kontext verankern. Zudem verkörpern Zwischennutzer meist innovative, urbane Lebensstile, die durch sie entstehende Nachfrage kann nicht mehr mittels der zuvor existenten, etablierten Angebotsstrukturen abgedeckt werden, woraus wiederum auch längerfristigen Nutzungen ökonomische Vorteile ziehen. Zwischennutzungen finden in der Regel auf Flächen statt, für die sich zum entsprechenden Zeitpunkt keine reguläre, d. h. wirtschaftliche, Verwertung findet. Zugleich gilt: Je intakter die umliegende Infrastruktur, je besser die Anbindung und je dichter das Netz an potentiellen Akteuren ist, desto erfolgreicher kann eine Zwischennutzung realisiert werden. Ideale Bedingungen bestehen daher in Quartieren mit hoher Zentralität, guter Anbindung und einem Bewohnermilieu, das Zwischennutzungen annimmt. Am Beispiel Berlins zeigt sich, dass es vor allem junge Bewohner und Zugezogene sind, die imstande sind, sich ungenutzte Räume schnell anzueignen. Angestammte Bewohner hingegen brauchen dazu gewisse Anreize. Denn neben den Eigenschaften des Ortes spielen für die Initiierung einer Zwischennutzung die Bereitschaft zu Eigenleistung sowie gegenseitige Unterstützung, Kreativität und ein gut funktionierendes Netzwerk eine wesentliche Rolle. Wenn erst einmal ein Zwischennutzungsprojekt besteht und sich etabliert hat, kann dies eine Art Kettenreaktion ähnlicher Projekte auslösen: Das Vorhandensein neuer Konsumenten führt dazu, dass sich weitere Zwischennutzungen ansiedeln, die Konzentration bewirkt Konkurrenz, die sich mittelfristig positiv auf den gesamten Standort auswirkt (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin 2007). Der sogenannte Spreeraum-Ost in Berlin gilt als eines der bekanntesten Beispiele für eine intensive Zwischennutzung, zwischen Michaelbrücke und Elsenbrücke hat sich in den letzten Jahren eine einzigartige Dichte an Projekten aus diesem Bereich entwickelt. Ausschlaggebende Faktoren waren unter anderem die zentrale Lage, die bis dahin eher

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Abbildung (33): Der BundesPresseStrand in Berlin

schleppend verlaufene wirtschaftliche Situation des Gebiets, die gute Anbindung und die Verfügbarkeit sehr unterschiedlicher Flächen. Eine entscheidende Rolle unter den diversen Typen temporärer Nutzung kommt dabei der Gastronomie zu, da gastronomische Angebote Konsumenten aus allen Bevölkerungsgruppen anlocken; es werden mehr Milieus angesprochen als beispielsweise durch ein Sportangebot auf einer Konversionsfläche. Eine der populärsten gastronomischen temporären Nutzungen in Berlin ist die Ponybar in Berlin-Mitte, Alte Schönhauser Straße 44. Das Projekt wurde 2001 zuerst als „Gastronomischer Garten“ in einer Baulücke realisiert, 2003 übernahmen die Betreiber der Ponybar den heutigen Garten. Das Gewerbe hat zwei Geschäftsführer, drei Angestellte und wird als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) betrieben. Konsumenten sind vorwiegend junge Leute, darunter ein Drittel Touristen und zwei Drittel Berliner. Eine gastronomische Zwischennutzung in einer Baulücke wäre Teil einer Strategie, mit der eventuell auch Bevölkerungsgruppen von außerhalb ins Quartier gelockt werden könnten. Da zudem die vorhandene Angebotsstruktur momentan nur unzureichend die Nachfrage der jungen Bewohner aus dem Ortsteil selbst bedient,

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erscheint auch unter diesem Gesichtspunkt eine solche Nutzung als wünschenswert. Je nachdem, wie viel Kapital zur Verfügung steht, welcher Aufwand betreiben werden soll und welcher zeitliche Rahmen ins Auge gefasst wird, können unterschiedliche Konzepte realisiert werden: Ein GartenCafé wie die Pony Bar in Berlin etwa wird man nur saisonal betreiben können. Die räumliche Intervention, die damit verbunden ist, würde sich auf Möbel, Sonnenschirme, ein Toilettenhäuschen und einen überdachten Tresen beschränken. Für die Zubereitung von Getränken wäre zudem ein Strom- und Wasseranschluss notwendig. Bei der Suche nach einem geeigneten Ort ist weniger der Ist-Zustand des Grundstücks entscheidend als vielmehr die Idee hinter dem geplanten Konzept. Andererseits wird die ursprüngliche Idee in der Regel maßgeblich durch den Ort beeinflusst, so dass es also im Wesentlichen darum geht, zu ergründen, welche Inspiration ein Raum vermittelt und wie er andererseits an die Idee angepasst werden kann. Der nächste entscheidende Schritt für die Realisierung ist das Herantreten an bzw. die Suche nach dem jeweiligen Eigentümer des Grundstücks. Dabei kann das Vermessungs- und Katasteramt Bremerhaven behilflich sein, bei dem alle Liegenschaften und deren Eigentümer verzeichnet sind. Konkret infrage kommt im Goethequartier jede bestehende und zukünftige Baulücke, die weder zu groß ist (da darunter die Atmosphäre einer gastronomischen Zwischennutzung leidet) noch zu klein (da in diesem Fall nicht genügend Platz zur Verfügung steht). Auch eine ruhige und abgeschiedene Lage ist wegen des mangelnden Publikumsverkehrs nicht zu empfehlen, dagegen stellt Baumbestand kein Problem dar, sondern wird vielfach sogar erwünscht sein. Sehr zentral gelegen ist beispielsweise ein Brachengrundstück in der Uhlandstraße, sehr nah zur Goethestraße, das sich zudem direkt hinter dem Frauencafé befindet, so dass möglicherweise dessen Infrastruktur mit genutzt werden könnte. Durch den Verkauf von Getränken und eventuell Speisen sind auf jeden Fall Einnahmen zu erwarten, so dass sich zumindest der Betrieb der Zwischennutzung finanzieren lässt. Trotzdem sind eine detaillierte Kostenaufstellung und eine realistische Finanzierungsplanung vorweg zu empfehlen, ein Businessplan ist zudem ein gängiges und wichtiges Instrument, das für die Beantragung eventueller Kredite und die Akquirierung von Fördermittel unerlässlich ist. Bei diesem Schritt kann

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möglicherweise „die theo“, die über eine hohe Kompetenz im Bereich Existenzgründung verfügt, behilflich sein. Der Kostenaufwand vor Eröffnung kann je nach Ausstattung und Aufwand unterschiedlich ausfallen. Zu berücksichtigen ist dabei allerdings, dass Firmen häufig zu Marketingzwecken Mobiliar und andere Sponsoring-Materialien zur Verfügung stellen, wodurch die Kosten für die Einrichtung einer temporären Nutzungen erheblich gesenkt werden können. Meist sind dies Getränkelieferanten bzw. -hersteller, die damit den Abschluss von Verträgen über die Versorgung der gastronomischen Einrichtung mit ihren Produkten verbinden. Hierbei ist selbstverständlich die beschränkte Laufzeit der jeweiligen Zwischennutzung zu bedenken. Der wichtigste Akteur ist zunächst einmal der Eigentümer der jeweiligen Brachfläche, ohne dessen Einverständnis eine Umsetzung natürlich unmöglich ist. Eine befristete Nutzung hat dabei den Vorteil, dass sie kaum Veränderungen am Grundstück selbst mit sich bringt und zeitnah wieder entfernt werden kann, was den Vorstellungen eines Eigentümers entgegenkommt, der mittelfristig auf eine lukrativere Nutzung seiner Fläche spekuliert bzw. hofft. Als Vermittler, der in dieser Hinsicht Vertrauen schaffen kann, kommt die ESG Lehe in Betracht, zumal sich der Verein bereits seit geraumer Zeit mit dem Thema beschäftigt und das nötige Netzwerk besitzt. „Die theo“ steht bei Fragen zum Thema Existenzgründung zur Seite und stellt eventuell Räume für die Planungsphase zur Verfügung. Was bei temporären Projekten immer eine Rolle spielt, sind persönliche Netzwerke, Freunde, Bekannte und Nachbarn, die angesichts des meist engen finanziellen Rahmens als freiwillige Helfer willkommen sind. Zudem schafft dies ein Gefühl der Zugehörigkeit, sowohl in Bezug auf die Nutzung als auch den jeweiligen Ort. Die Umsetzung dieses Tool an sich nimmt nicht viel Zeit in Anspruch. Was man aber berücksichtigen sollte, ist die Vorlaufzeit: Die Kommunikation mit dem entsprechenden Grundstückseigentümer kann sich unter Umständen schwierig und langwierig gestalten und auch für das Genehmigungsverfahren sollte etwas Zeit eingeplant werden. (Hierbei gilt es zu berücksichtigen, dass gastronomische Nutzungen, die auf die Zubereitung von warmen Speisen verzichten, vom Gewerbeamt weitaus schneller genehmigt werden als solche mit „warmer Küche“,

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da sie wesentlich weniger Auflagen erfüllen müssen.) Ein durchdachtes Konzept erleichtert und beschleunigt dabei die Vorbereitungsphase. Für eine saisonale Nutzung sollte man dafür mit mindestens drei Monaten kalkulieren, besser erscheint allerdings ein Planungszeitraum von sechs. Bei einer gastronomischen Nutzung werden Getränke und teilweise Speisen angeboten, daher muss beim Wirtschaftsamt eine Gaststättenerlaubnis beantragt werden. Für Veranstaltungen kann eine einfache Gestattung erteilt werden, sie gilt bis zu sechs Wochen. Die Gebühren richten sich nach der Größe des Betriebes, die Einhaltung von Hygieneauflagen wird vom Gesundheitsamt kontrolliert. Mit dem Grundstückseigentümer kann, wie im Fall der Ponybar, eine mündliche oder auch schriftliche Nutzungsvereinbarung getroffen werden, die Betriebskosten (von 1.000 Euro im Jahr beim Berliner Beispiel) und die notwendige Haftpflichtversicherung tragen dabei die Nutzer. Die Genehmigung für die Nutzung erfolgte durch das Gewerbeamt. Jede temporäre Nutzung muss zudem die gesetzlichen Sicherheitsvorschriften beachten: Die Fläche darf beispielsweise nur dann Dritten zugänglich gemacht werden, wenn deren Schutz gewährleistet ist, bei Nichtbeachtung kann es zu Schadensersatzansprüchen kommen. Folgende Aspekte sollten daher beim Thema Sicherheit von Zwischennutzungen u. a. berücksichtigt werden: Bodenqualität/ Schadstoffe, schadhafte Einzäunung (Verkehrssicherungspflicht), Baumbestand (Instandhaltungspflicht), Streupflicht bei Winterbetrieb und Straßenreinigung. Einer der häufigsten Gründe, dass temporäre Nutzungen scheitern, ist, wie an dieser Liste nachvollziehbar wird, die umfangreiche Versicherungspflicht: Fast immer besteht das Amt auf einer Haftpflichtversicherung für das Grundstück und/oder eine Veranstalter-Haftpflichtversicherung, die aber dank bestimmter vertraglicher Regelungen jedoch auch beim Grundstückseigentümer verbleiben kann. In vielen Fällen kommt es nicht zu einer temporären Nutzung, obgleich Flächenpotentiale bestehen. Die Gründe hierfür liegen entweder beim Eigentümer oder aber im Ort begründet, beispielsweise wenn dieser zu große Anpassungen erfordert.

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Grundstückseigentümer sind selbstverständlich immer an einer möglichst rentablen Nutzung ihrer Liegenschaft interessiert und stehen daher Zwischennutzungen häufig kritisch gegenüber, auch wenn keine andere Lösung in Sicht ist. Insbesondere wenn der Aufwand für Verwaltung und Betreuung in keinem angemessenen Verhältnis zu Mieteinnahmen und eingesparten Unterhaltskosten stehen, werden die Eigentümer temporären Nutzungen nur widerwillig zustimmen. Nutzungskonflikte (v. a. Lärmbelästigung) sind in einem dicht bebauten Wohngebiet wie der Goethequartier nicht auszuschließen, daher ist eine abendliche Bewirtung schwierig. Das Tool deckt alle übergeordneten Kategorien ab, die für das Quartier als ausschlaggebend ermittelt wurden. Zwischennutzungen aktivieren Möglichkeitsräume, sie haben beispielhaften Charakter und stecken, wie bereits erwähnt, den sie umgebenden Raum häufig regelrecht an. Lokalökonomische Wirkung entfaltet das Tool durch seine eindeutig gewerbliche Orientierung. Gastronomische Nutzungen binden die lokale Kaufkraft und generieren im Idealfall zusätzliche von außen. Die Berichterstattung über das medienwirksame Projekt kann das Image des Quartiers verbessern helfen. Eine eigene Internetseite oder der Eintrag auf Webseiten, die gastronomische Angebote auflisten (z. B. Qype), tragen ebenfalls zu seiner Breitenwirkung bei. Nicht zuletzt werden auch die Bewohner aktiviert und entwickeln dank der vor der eigenen Haustür vorhandenen Gastronomie eine stärkere Bindung an ihr Quartier. Wird das Tool, wie empfohlen, von Bremerhavener Bürgern umgesetzt, so fällt es zudem in die Kategorie „Kümmerkonzepte“, die als besonders wichtig erachtet wird im Hinblick auf die Vision einer aktiven städtischen Gesellschaft.


#13: ZEN-GARTEN

Zen-Gärten werden im japanischen „kare san sui“ genannt, was übersetzt soviel heißt wie „trockene Landschaft“. Mithilfe einfachster Elemente – erlaubt sind lediglich Kies oder Sand, größere Steine und Moos – wird dabei versucht, das „innere Wesen“ der Natur nachzuformen. Diese spezifische Landschaftsarchitektur wurde in Japan in der späten Kamakura Phase (1185-1333) entwickelt und beruht auf den Lehren des Zen-Buddhismus (Seike u. a. 1983). Zen-Gärten zeichnen sich durch ihre besondere Schlichtheit und Abstraktion aus und entfalten doch aus jeder Perspektive eine neue Spannung und Ästhetik. Bevorzugt werden asymmetrische Arrangements und Gruppierungen von Elementen in ungerader Zahl. Da diese nicht gleichmäßig aufzuteilen sind, verhindern sie, dass der Garten allzu vollkommen wirkt und erinnern damit an das Ungeordnete der Natur. Gegensätze sind in der japanischen Gartengestaltung zwar sehr wichtig, dennoch müssen alle Elemente in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen, um Stille und Entspannung zu vermitteln. Ganz ähnlich wie bei der japanischen Tuschzeichnung werden auch im Garten „weiße Flächen“ ausgespart, um ein Gleichgewicht zu schaffen und der Phantasie des Betrachters Raum zu geben (Nitschke 1993). Einer der berühmtesten Zen-Gärten ist der Ryoanji in Kyoto, Japan, welcher durch seine Einfachheit und Mystik besticht. Auch in Deutschland findet die japanische Gartenkunst immer größeren Anklang, gute Beispiele finden sich u. a. in Gelsenkirchen, Kaiserslautern und Berlin. In Gelsenkirchen etwa wurde das lange vernachlässigte und im Laufe der Zeit zugewucherte „Alpinum“ am Rande des Stadtgartens freigelegt und dient nun als Kulisse für einen japanischen Steingarten. Ehemals sprudelte aus den Felsen Wasser, floss in einen kleinen Bachlauf und mündete dann in einen See. Nun wird die Szenerie – auch aus Kosten- und Aufwandsgründen – durch Kies und Steine nachgestellt. Das Anlegen dieses Japanischen Steingartens hat gerade einmal 5.000 Euro gekostet, neben den Stadtdiensten waren noch eine Steinmetzfirma sowie einige weitere Betriebe beteiligt, welche Elemente für den Garten stifteten. Die Umsetzung zeigt, dass man auch mit bescheidenen Mitteln viel erreichen kann, wenn gute Ideen vorhanden

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Abbildung (34): Ryonanji-Garten in Kyoto, Japan :

sind und sich einige Akteure zusammenschließen. Um die tägliche Pflege des Zen-Gartens kümmert sich im Rahmen einer Patenschaft ein benachbartes Hotel, welches selbst von der neuen Anlage profitiert (Der Westen). Anders als der Japanische Garten in Gelsenkirchen, wurde der in Kaiserslautern auf private Initiative hin angelegt: 1997 gründeten zunächst 18 Mitglieder den Verein „Japanischer Garten Kaiserslautern e. V.“, der für zunächst 30 Jahre ein Gartenareal am Standort Abendsberg von der Stadt Kaiserslautern pachtete. Zwar war und ist allein der Verein für die Entwicklung und Gestaltung des Gartens verantwortlich, doch steht dieser als öffentliche Anlage allen Bürgern zur Naherholung zur Verfügung. Wesentliche Ziele der Vereinssatzung sind nicht nur die bauliche Weiterentwicklung des Gartens, sondern auch die Nutzung des Gartens als Forum zur Förderung der japanischen Garten- und Lebenskultur sowie der internationale Austausch zwischen Deutschland und Japan, insbesondere mit der Partnerstadt Kaiserslauterns, Bunkyo-ku, einem Stadtteil von Tokio (Japanischer Garten Kaiserslautern e.V.). Nach zweieinhalbjähriger Bauphase, in der der Verein Unterstützung durch ABM-Kräfte erhielt, wurde 1999 der erste Abschnitt des Japanischen Gartens eröffnet. 2004 kam – dank finanzieller Unterstützung durch die Kunst- und Kulturstiftung der

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Abbildung (35): Japanischer Garten in Kaiserslautern

Stadtsparkasse Kaiserslautern – während eines zweiwöchigen Gartenbauseminars unter Leitung eines japanischen Gartenbaumeisters zu der bestehenden Anlage noch ein Zen-Garten hinzu. Inzwischen, 2011, hat der Verein über 800 Mitglieder, und der Japanische Garten in Kaiserslautern gilt als einer der größten Europas sowie als eine der Hauptattraktionen der Stadt. In Berlin schließlich entstand im Erholungspark Marzahn, im Rahmen des Projekts „Gärten der Welt“, ein Japanischer Garten, dessen Hauptteil im kare san sui-Stil, also als Zen-Garten, konzipiert ist und ein schönes Beispiel der japanischen Landschaftsarchitektur darstellt (GrünBerlin). Ein Zen-Garten in einer Baulücke würde neben den existierenden Grünflächen (und den hoffentlich zukünftig entstehenden Nachbarschaftsgärten) eine neue Form der Freiraumgestaltung in das Quartier bringen. Diese stellt eine zugleich unkonventionelle wie preisgünstige Alternative zu etwaigen Betonflächen dar, wie sie in den vergangenen Jahren hauptsächlich aus Kostengründen andernorts im Viertel angelegt wurden. Die Besonderheit einer solchen japanischen Steingartenanlage ist, dass unsere üblichen Assoziationen zu Grünflächen aufgebrochen werden, da wir hier mit ungewohnten ästhetischen

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Kategorien und einer untypischen Nutzung konfrontiert werden. Dass sich diese exotische Gattung der Landschaftsarchitektur aber durchaus auch auf das Goethequartier übertragen lässt und nicht etwa zu schick oder weithergeholt ist, zeigen die Referenzbeispiele aus anderen deutschen Städten. Der Reiz dieses Tools liegt ja gerade darin, dass etwas vollkommenes Neues, Exotisches geschaffen wird, das die Bewohner herausfordert, zum Nachdenken anregt, das das Quartier aufwertet und eventuell Besucher von außerhalb anzieht. Ein japanischer Zen-Garten benötigt nur eine geringe Fläche, sollte aber an einem halbwegs geschützten und ruhigen Ort liegen. Optimal dafür geeignet wäre eine Baulücke, in der sich ein kleiner, idyllischer Mikrokosmos schaffen ließe, welcher aufgrund des Zugangs nur von einer Seite seine Stille bewahren könnte. Infrage kommen dafür beispielsweise zwei Baulücken in der Heinrichstraße. Eine davon ist zwar mit Bäumen bewachsen, diese könnten aber möglicherweise in den Garten integriert werden. Ein entscheidender Vorteil eines Zen-Gartens ist, dass er im Unterhalt äußerst unaufwendig ist, da er, nachdem er einmal angelegt wurde, in seinem ursprünglichen Zustand verbleiben kann, ohne jemals gegossen oder sonst wie intensiv gepflegt werden zu müssen. Die Instandhaltung konventioneller öffentlicher Freiflächen und Grünanlagen ist dagegen für die Stadt häufig sehr kostenintensiv. Auch für die Einrichtung eines japanischen Steingartens fallen keine größeren Summen an, benötigt werden lediglich einige massive Steine, Moos und jede Menge Kies – jeweils im ursprünglichen Sinn des Wortes! – sowie ein kleiner Bagger. Wasserelemente, Blumen, Pflanzen oder Bäume sind in der Zen-Philosophie dagegen nicht vorgesehen, weshalb umfangreiche Bodenarbeiten, die bei Baulücken unter Umständen ein besonderes Problem darstellen könnten, völlig entfallen. Getragen werden müsste das Projekt wohl von der öffentlichen Hand, d. h. der Stadt Bremerhaven, möglicherweise ließe sich für eine solch prestigeträchtige Anlage aber auch ein Sponsor finden, zum Beispiel ein lokaler Gartenbaubetrieb. Als weiterer Kooperationspartner könnte die Astrid-Lindgren-Schule fungieren: Beispielsweise wäre es denkbar, dass im Rahmen einer

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AG oder auch einer regulären Klasse das Projekt „Japanischer Steingarten“ durchgeführt wird, und die Kinder auch im Folgenden die Anlage pflegen und eventuell für Mediationsunterricht nutzen. Desweiteren muss notwendigerweise das Wissen eines Gärtners, welcher sich für japanische Gartenbaukunst interessiert, oder eines (Hobby-) Japanologen in das Projekt mit einfließen. Die Nordsee-Zeitung könnte zudem zur Steigerung der öffentlichen Aufmerksamkeit für das Projekt sowie der Akzeptanz des Vorhabens beitragen. Zum Beispiel ließen sich Intention, Geschichte und Nutzung japanischer Steingärten in einem oder mehreren Artikeln beleuchten, um so den Bewohner diese neue Form der Freiraumgestaltung näherzubringen. Natürlich bietet sich auch die Gründung eines Vereins an, der sich mit der Pflege des Gartens und der japanischen Kultur beschäftigt, ähnlich wie im Beispiel Kaiserslautern. Eine Realisierung dieses Tools ist jederzeit möglich. Eine baldige Umsetzung wäre jedoch wünschenswert, da ein solches Projekt das Goethequartier mit recht einfachen Mitteln aufwerten und für mediale Aufmerksamkeit sorgen würde. Da Kosten wie auch Aufwand der Umsetzung relativ gering sind, ließe sich, falls eine längerfristige Nutzung für die Baulücke gefunden wird, ein Zen Garten auch schnell wieder abbauen, zumal er einen vergleichsweise temporären Charakter besitzt. Falls sich die fragliche Baulücke im Eigentum der Stadt befindet und ein Verein die Umsetzung übernehmen will, bietet sich ein befristeter Pachtvertrag an. Gehört sie einem privaten Eigentümer, käme eventuell auch das im Zusammenhang mit Tool #05 (Nachbarschaftsgärten/ Interkulturelle Gärten) beschriebene Modell einer Nutzungsvereinbarung infrage, bei der sich der Vertrag so lange jeweils automatisch um ein Jahr verlängert, bis eine Neubebauung konkret in Aussicht steht. Mit möglichen Nutzungskonflikten, einer Zweckentfremdung als Hundekotplatz und Vandalismus ist zu rechnen. Deswegen erscheint es extrem wichtig, eine breite Akzeptanz für das Projekt zu schaffen und insbesondere auch die Nutzung eines Zen-Gartens den Quartierbewohnern näher zu bringen. Ansonsten könnte man natürlich eine physische Barriere um den Steingarten anlegen und ihn nur tagsüber öffnen, um so nächtlicher Zerstörungswut entgegenzuwirken. Damit die Anlage darüber hinaus in einem gepflegten Zustand bleibt wäre es,

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wie das Beispiel Gelsenkirchen zeigt, sinnvoll, eine Patenschaft an ein benachbartes Unternehmen oder eine Privatperson zu vergeben, die bei Bedarf den Müll entsorgt oder den Kies harkt. Das Tool „Zen-Garten“ fällt zunächst einmal in die Kategorie Möglichkeitsräume, da es eine Baulücke nutzt. Aufgrund der medialen Aufmerksamkeit, für das es dank seines extrem hohen Innovationsgehalts sorgen würde, ist es zudem ganz ohne Frage ein Marketinginstrument. Schließlich benötigt solch ein Projekt in der Planungs- und Umsetzungsphase eine Person, die es vorantreibt, also einen Kümmerer. Ein solcher kann auch der Pate sein, der sich in der Folge der Pflege des Gartens widmet.

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#14: ALTEnGERECHTES WOHNEN

Als Referenz für dieses Tool kann ein Pionierprojekt aus dem Goethequartier selbst dienen: das Mehrgenerationenhaus „Lebens(t)raum“ in der Goethestraße 43. Dort wurde 2002 mit Hilfe des städtischen Wohnungsunternehmens Stäwog aus einer denkmalgeschützten Gründerzeitstadtvilla ein Gebäude, das den Bedürfnissen speziell der älteren Generation entspricht. Von den ersten Planungen vergingen bis zur Realisierung vergingen rund drei Jahre. Währenddessen baute der Vermieter, die Stäwog, das Haus nach den Wünschen der zukünftigen Mieter um, dazu gehörten neben Sanierungsmaßnahmen ein gläserner Fahrstuhl, neue Balkone und eine barrierearme Gestaltung im Inneren. Dabei wurde in Absprache mit den künftigen Bewohnern festgelegt, welche Arbeiten der Vermieter zu übernehmen hatte und welche Sonderwünsche selbst finanziert werden mussten. Um besser kalkulieren zu können und finanziell abgesichert zu sein, ließ die Stäwog zudem alle Mieter in spe vor Baubeginn die Mietverträge unterschreiben [Lebens(t)raum]. Nach dem Umbau umfasst das 1903 erbaute, denkmalgeschützte Haus in der Goethestraße 43 zehn barrierearme, abgeschlossene Wohnungen mit jeweils zwei bis vier Zimmern. Im Parterre entstand eine emeinschaftlich genutzte Wohnung mit Gemeinschaftsraum, Bad und Küche sowie einem Atelier, einer Werkstatt und einer Sauna. Ein großzügiger Dachboden bietet Platz für einen Billardtisch und Sportgeräte. Zum Innenhof hin wurden die historischen Balkone gegen großzügige moderne ausgetauscht, der verglaste Fahrstuhl wurde aus praktischen Gründen ebenfalls auf der Hofseite an der Außenfassade angebracht. Zum Konzept des Mehrgenerationenhauses, in dem heute drei Ehepaare, sechs Singles und eine vierköpfige Familie unter dem Motto „Selbstbestimmt und Tür an Tür gemeinsam mit Menschen“ leben, beinhaltet auch die Möglichkeit gemeinsamer Freizeitgestaltung und gegenseitiger Unterstützung sowie vereinfachter sozialer Kontaktaufnahme im Alter. Der Gemeinschaftsraum wird auch für externe Veranstaltungen, wie etwa die Stadtteilkonferenz, genutzt. Ein weiteres, ähnliches Projekt wurde auch in einem Gebäude in der Goethestraße/Ecke Dorotheastraße realisiert: Auch dort bei haben

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Abbildung (36): Mehrgenerationenhaus in der Goethestraße 43

ältere Bremerhavener ihre Einfamilienhäuser am Stadtrand verkauft und gemeinsam eine Gründerzeitvilla saniert, um im Rentenalter ruhig und innenstadtnah leben zu können. Dass solche Wohnmodelle zu einer Attraktivitätssteigerung des Goethequartiers sowie zu einer Verbesserung seines Images beitragen, steht außer Frage. Das altersgerechte Wohnen stellt für das Goethequartier ein großes Potential dar. Auch wenn Umfragen zeigen, dass die Altersgruppe 50+ ein möglichst langes Wohnen in den eigenen vier Wänden anstrebt (Protze u. a. 2006), zeigt sich, dass insbesondere im gehobenen Einkommenssegment der „Silver Ager“ eine hohe Experimentierfreude und Mobilitätsbereitschaft vorhanden ist. Nach eigenen Angaben möchten viele Rentner heute gerne innenstadtnah leben, um mobiler zu sein und kulturelle wie soziale Angebote nutzen zu können. Dabei wollen sie aber nicht auf den gewohnten Komfort, wie etwa einen kleinen Garten oder Autostellplätzen, verzichten. Entsprechende Angebote für ein „Smart City Housing“, die noch dazu mit gebündelten Dienstleistungsangeboten wie Wohnungsreinigung oder Einkaufsservice verbunden sind, werden bislang jedoch kaum offeriert (Milleker 2006).

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Abbildung (37): Die Bewohner des Hauses mit den Projektverantwortlichen :

Das Goethequartier besitzt in dieser Hinsicht zahlreiche Vorteile: seine innenstadtnahe Lage (das Zentrum ist fußläufig in zehn Minuten zu erreichen), der gut ausgebaute ÖPNV, die vorhandene Nahversorgung inklusive sozialer Einrichtungen etc. Zudem bietet das historische Gründerzeitquartier ein urbanes Flair und zugleich die nötige Ruhe, die ältere Menschen schätzen. Ein Handlungskonzept, das generationengerechtes Wohnen in Bremerhaven fördert, müsste sich vor allem auf das Segment der älteren Wohnungsnachfrager konzentrieren, da diese eine weiter rasch zunehmende Gruppe darstellen. Bestehende Aktivitäten, vorhandene Einrichtungen und Beratungsangebote in diesem Bereich müssen zielgerichtet ausgebaut und gefördert werden. Das Handlungskonzept sollte dabei folgende Schwerpunkte setzen (vgl. Protze u.a. 2006). - Anpassungen des Wohnungsbestands im Hinblick auf barrierefreies Wohnen ­ - Aktivierung eines generationsgerechten Wohnungsneubaus­ - Förderung von gemeinschaftlichem Wohnen insbesondere durch fachliche Unterstützung - Schaffung von weiterer sozialer Infrastruktur im Stadtteil - Verstärkte Information und Marketing

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Die Umsetzung dieses Tools ist mit sehr hohen Kosten für Planungund Durchführung verbunden: Die Mittel für Marketing, Information und Organisation könnte dabei die öffentliche Hand, also die Stadt, übernehmen, die altersgerechte Sanierung jedoch müssten der jeweilige Hauseigentümer selbst tragen, wobei er im Gegenzug dafür auch höhere Mieterträge erhält. Da die Kosten für den Einzelnen sehr hoch sind, das Projekt gleichzeitig aber einen hohen Innovationsgehalt besitzt, kommt die Förderung durch Gelder aus öffentlichen Programmen wie dem Stadtumbau West in Betracht. Die Stäwog überzeugte schon bei dem Pionierprojekt Mehrgenerationenhaus Goethestraße 43 mit Kompetenz und großem Geschick. Von ihrer Erfahrung als städtische Wohnungsgesellschaft ließe sich auch bei zukünftigen Projekten profitieren. Desweiteren muss das Stadtplanungsamt Informationen bereitstellen und aktiv für ein altersgerechtes Quartier eintreten. Um ein Projekt wie das Mehrgenerationenhaus ins Leben zu rufen, ist aber vor allem das Interesse potentieller Bewohner von elementarer Bedeutung, die sich bei der Umsetzung über das normale Maß hinaus engagieren müssen. Falls das Ziel besteht, im Goethequartier altersgerechtes Wohnen zu fördern, sollte dies baldmöglichst von der Stadt und der Stäwog kommuniziert werden. Bei entsprechender Nachfrage können die notwendigen Sanierungsmaßnahmen beginnen, die natürlich stark vom Interesse der Hauseigentümer abhängen. Die Durchführung von Projekten würde sich in einem längeren Zeitrahmen abspielen. Für den Fall, dass Interessierte selbst als Bauherren agieren möchten, können sie beispielsweise eine GbR (Gesellschaft bürgerlichen Rechts) gründen. Diese Rechtsform ist besonders geeignet, da keine gesetzlich festgelegten Einlagen notwendig sind. Andererseits können Austrittshürden eingerichtet werden, da der Rückzug eines Einzelnen aus einer Bauherrengruppe das gesamte Projekt gefährden könnte. Ferner räumt der Bundesgerichtshof der GbR eine beschränkte Haftung einzelner Gesellschafter ein, falls dies in den allgemeinen Geschäftsbedingungen festgelegt ist (IHK Bremerhaven). Tritt die zukünftige Bewohnerschaft eines generationengerechten Hauses hingegen nur als Mietergruppe auf, kann ein Verein gegründet werden, der dem Vermieter als Vertragspartner dient. Beim Pionierprojekt Lebens(t)raum wurde jedoch auch darauf verzichtet, stattdessen schloss jeder Mieter einen individuellen Mietvertrag mit der Stäwog ab.

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Vergleicht man im Hinblick auf das Wohnen im Alter Wunsch und Realität, so zeigen sich große Differenzen: Wie Umfragen belegen, zeigt sich die Generation 55+ anderen Wohnformen als dem traditionellen Wohnen in den eigenen Wänden gegenüber durchaus offen und flexibel. So könnten sich beispielsweise rund 30 Prozent dieser Altersgruppe vorstellen, in einer Hausgemeinschaft zu leben, während sechs Prozent dies sogar definitiv vorhaben (vgl. Milleker 2006). Tatsächlich liegen die Zahlen aber weitaus niedriger, da bislang geeignete Angebote fehlen. Dies liegt unter anderem an den recht hohen Kosten, die eine altersgerechte Sanierung mit sich bringt, und die bei einem Mietpreisniveau wie beispielsweise im Goethequartier kaum zu refinanzieren sind. Auch das Imageproblem des Quartiers stellt eine hohe Hürde dar, daher wäre es wichtig, durch Marketingstrategien einen Imagewandel von einem durch soziale Probleme und Leerstand geprägten Viertel zu einem altersgerechten, qualitativ hochwertigen und citynahen Wohnstandort in Gang zu setzen und dieses neue Konzept einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen. Das Tool fällt in die Kategorien Möglichkeitsräume, da altersgerechtes Wohnen ein neues Konzept für die Nutzung leerstehender Altbauten im Quartier darstellt. Wie die Erfahrung des Mehrgenerationenhauses in der Goethestraße 43 lehrt, braucht es zudem eine kleine Gruppe engagierter Menschen, die solch ein Projekt initiiert und von der Planung bis zur Umsetzung begleitet. Mehrere dieser Projekte sind auf jeden Fall geeignet, einen Imagewandel des Viertels in Gang zu setzen bzw. zu unterstützen, weshalb sich generationengerechtes Wohnen auch als ein Marketinginstrument begreifen lässt.

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#15: BALKONE IN BAULÜCKEN

Die Anregung für dieses Tool lieferte ein Projekt des Architekturbüros HPP, das 1998 in Leipzig-Connewitz mit „Wohnen für junge Menschen“ ein Beispiel schuf, wie Baulücken als Potential genutzt werden können: Die Lücke zwischen den Häusern bedeutet für die Architekten nicht Leere, sondern ermöglicht eine geradezu skulpturale Brücke. Auch in Leipzig wurde die innovative Idee aus der Not heraus geboren: Der Stadtteil Connewitz ist wie das Goethequartier ein dichtes gründerzeitliches Wohnquartier mit Blockrandbebauung, das aufgrund starker Abwanderung und mangelnder Investitionen heute große Brachflächen aufweist. Zugleich stellt dieser Stadtteil aber auch ein beispielhaftes Modellprojekt für einen neuen qualitativen Stadtumbau dar, bei dem mit immer weniger Menschen versucht wird, Stadtstrukturen aufrecht zu erhalten. Das Büro HPP etwa beweist, dass der Umgang mit Lücken und immer geringerer baulicher Dichte durchaus reizvoll und spannend und darüber hinaus auch bezahlbar sein kann. Im Falle des Referenzbeispiels handelt es sich um offene Erschließungsbrücken, welche die Gebäude miteinander verbinden und zugleich Wohneingangsbereiche darstellen. Inzwischen haben sich die Bewohner, zumindest in der wärmeren Jahreszeit, ihre Brücken angeeignet und nutzen diese als Freiluftsitz und grüne Balkonoase. Entstanden ist das Projekt durch ein architektonisches Gutachterverfahren unter dem Titel „Wohnen für junge Menschen“ inklusive anschließender Entwurfsrealisierung. Ausgerufen wurde der Wettbewerb von der Stadt Leipzig und der lokalen Wohnungsbaugenossenschaft, welche sich die Förderung individueller und anpassungsfähiger Wohnformen mit der Option der Eigeninitiative zum Ziel gesetzt hat. Zum Sieger wurde der Entwurf von HPP gekürt, welcher sechs freistehende Hausquader – verbunden mit den beschriebenen Balkonbrücken – vorschlug, um den Blockrand wiederherzustellen und zugleich zu einem neuen, großen begrünten Hof überzuleiten (Käpplinger 2001). Das Projekt trug wesentlich zur Quartiersbelebung bei und fand in einem sonst als schwierig geltenden Wohnumfeld rasch Mieter. Als weiteres Referenzbeispiel – aus rein ästhetischer Sicht, jedoch auf einer völlig anderen Ebene angesiedelt – kann das Gebäude der Swiss

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Abbildung (38): Verbindungsbalkone in Leipzig-Connewitz, HPP Architekten

Re-Versicherung in München-Unterföhring dienen. Die Architekten des Büros Bothe Richter Teherani gestalteten den Verwaltungsbau mit einer Art „schwebenden“ Hecke, die um das Gebäude herumführt, so dass man das Gefühl hat, in einer grünen „Oase“ zu arbeiten anstatt in einem trostlosen, peripheren Gewerbegebiet. Das Gebäude besteht aus insgesamt 16 Flügeln, die in den oberen Geschossen von einem begehbaren Rankgitter umfasst werden, auf dem die Mitarbeiter auf einer Länge von 600 Metern in luftiger Höhe um das Gebäude herumgehen können. Momentan bedecken Glyzinien und wilder Wein noch eher spärlich den Maschendrahtzaun, an dem sie emporwuchern sollen, in ein paar Jahren jedoch, wenn sie das Gebäude komplett umwachsen haben, werden sie bis zur Unterkante des Gerüsts

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Abbildung (39): Das Gebäude der Swiss Re-Versicherung in München

entlaubt, so dass die Hecke dann aus der Ferne wirkt, als würde sie schweben (Kunz u. a. 2005). Das Beispiel aus Leipzig ließe sich sehr gut auch im Goethequartier in Baulücken, die in der Blockrandstruktur entstanden sind, umsetzen. Große private Freiluftsitze hätten hier ihren besonderen Reiz, da in der gründerzeitlichen Architektur die Balkone eher Zier- als Nutzbalkone darstellen. Die moderaten baulichen Ergänzungen würden zu einer Aufwertung des Quartiers beitragen, die Balkonwohnungen wären auch für neue Mieter aus anderen Stadtteilen attraktiv. Zudem würden die momentan zugewucherten und vermüllten Baulücken dank der neuen, kreativen Nutzung nicht länger Problemflächen darstellen und die städtebauliche Struktur der Blockrandbebauung wäre – zumindest im Ansatz – relativ unaufwendig wieder hergestellt. Um den Balkonen in dem sehr dichten Viertel ein private Atmosphäre zu geben, könnte das beschriebene Projekt des Architekturbüros Bothe Richter Teherani als Beispiel herangezogen werden: Mit der „grünen Haut“ erhielt das Versicherungsgebäude eine halbdurchlässige Schicht, die es von seiner Umgebung abschirmt. Auf ähnliche Weise ließe sich auch auf den Balkonen eine Privatsphäre herstellen. Zudem würden die so entstehenden vertikalen Grünfläche für die umliegenden

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FRAUENCAFÉ HAUS 43

GOETHESTRASSE

UHLANDSTRASSE

§

HEINRICHSSTRASSE

Abbildung (40): Verortung des Tools „Balkone in Baulücken“

ADOLFSTRASSE

RÜCKENWIND Bewohner einen besonderen Blickfang darstellen und ein wenig Grün in die ansonsten dichte Bebauungsstruktur bringen, zumal der der Wunsch nach einer grüneren Gestaltung des Quartiers nach eigenen Erfahrungen sehr hoch ist. Für die konkrete Umsetzung des Tools kommen bereits bestehende Baulücken in der Mitte der Blockrandstruktur infrage, aber auch das ISTNERSTRASSE Grundstück am Quartiersplatz in der Uhlandstraße, das in naher Zukunft im Zuge des Vorkaufsortsgesetzes abgerissen werden dürfte. Die Finanzierung müssten die jeweiligen Hausbesitzer selbst tragen, könnten in der Folge aber damit rechnen, dass dieser innovative Anbau in den Lücken auch den Wert der Wohnungen steigert und diese so leichter vermittelbar sind. Die Kosten hängen von der Art der Baukonstruktion ab sowie von der Frage, ob Bauteile speziell angefertigt werden müssen oder nicht. Wenn die Konstruktion von den Hauswänden unabhängig auf Stützen ruht, ist dies preiswerter als die Z O L L I N L A Nnachträgliche D S T R A S SAnbringung E am bestehenden Mauerwerk, wodurch sich zudem statische Probleme ergeben könnten, so dass die tragenden Außenwände nachgestärkt werden müssten. Allerdings erscheint die zweite Lösung raffinierter, da sie den Eindruck der Leichtigkeit und des sozusagen „freien Schwebens“ vermittelt. Genaue Kosten können

Vorkaufsortsgesetz § vom betroffene Gebäude Einzelhandel

Restaurant Café Kneipe Friseur

Begrünung

gestaltete Gärten physische Barrieren Schlüsselgebäude Passanten

hundertfünfzehn spielende Kinder

Brachfläche


Abbildung (41): Glyzinien und wilder Wein wuchern am Swiss Re-Gebäude empor

nur von einem Architekten berechnen werden und sind abhängig von den jeweiligen Umständen. Im Vergleich zu anderen Maßnahmen dieses Katalogs ist dieses Tool allerdings in jedem Fall relativ teuer einzuschätzen. Wichtigste Akteure sind die jeweiligen Hausbesitzer, die die baulichen Veränderungen durchführen. Daneben sind noch die Arbeit eines innovativen Architekten sowie die Unterstützung durch das Stadtplanungsamt vonnöten. Die Implementierung der Balkone in Lücken ist im Katalog der von uns vorgeschlagenen Maßnahmen weit hinten angesiedelt, da die finanzielle Dimension wie die Umsetzungsdauer als eher hoch eingeschätzt werden. Außerdem ist dieses Tool wohl erst sinnvoll, wenn das Quartier bereits eine gewisse Aufwertung erfahren hat, da erst dann die Eigentümer die Sicherheit haben, für ihre verbesserten Wohnungen auch Mieter zu finden, die solvent genug sind, die höheren Mietpreise zu bezahlen. Für die Errichtung der Balkone ist lediglich eine Baugenehmigung erforderlich.

hundertsechzehn


Ein Hemmnis stellt vor allem der hohe planerische, finanzielle und zeitliche Aufwand dar. In erster Linie nutzen die Balkone auf besonders innovative Weise das Potential, das der Möglichkeitsraum „Baulücke“ bietet. Da sie zudem den jeweils betroffenen Wohnungsbestand direkt aufwerten und damit den Immobilienmarkt stabilisieren helfen, wird auch die Kategorie „lokale Ökonomie“ berührt. Der Marketingeffekt, der sich durch die Umsetzung des Tools bewirken ließe, ist nicht zu unterschätzen: Eine solch innovative Idee würde nicht nur in der lokalen Presse, sondern auch in bundesweiten Fachzeitschriften vorgestellt werden sowie Besucher aus der ganzen Stadt und darüber hinaus anziehen.

hundertsiebzehn


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