MFG - Das Magazin / Ausgabe 78

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NACHRUF MANFRED WIENINGER

EINER, DER GEGEN DAS VERGESSEN UND VERDRÄNGEN SCHRIEB „Beim Schneeglöckerl brocken in der Viehofner Au“, wie mir Manfred Wieninger einmal in einem Gespräch erzählte, stieß er auf Betonpfeiler und Reste eines Stacheldrahtzaunes. Andere wären ob der unerwarteten Behinderung wütend gewesen, nicht so der historisch affine St. Pöltner Autor, der mittels darauffolgender Recherchearbeit, aus einem Freizeitvergnügen heraus, die Existenz zweier Zwangsarbeitslager sichtbar machte und dokumentierte. Dieses seinem Wesen immanente Stöbern, Fragen und nachdenkliche Recherchieren war Zeit seines Lebens, das am 13. Juli dieses Jahres leider abrupt ein Ende fand, gegenwärtig.

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m Laufe meiner journalistischen Tätigkeit durfte ich Manfred Wieninger öfters begegnen und mit ihm über laufende und abgeschlossene Projekte sprechen, dabei lernte ich den Autor sehr zu schätzen – einerseits seine Ernsthaftigkeit und seinen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und andererseits seinen trockenen und spitzfindigen Humor. Deswegen sei hier erlaubt, diesen Nachruf etwas persönlicher zu gestalten. „Albträume hab ich gehabt, das Geschehen immer wieder in Gedanken miterlebt“, erzählte Wieninger mir damals, als er auf einen Gedenkstein für 223 Ermordete in Hofamt Priel stieß. Er stellte sich die Frage „Wer sind die?“ und begann nachzuforschen. Die Begegnung mit dem Stein zwang ihn, den zeitgeschichtlichen Roman „223 oder Das Faustpfand“ über das Massaker von Hofamt Priel, wo im Mai 1945 die Waffen-SS ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter ermordete, zu verfassen. „Ich kann nicht anders, ich muss darüber schreiben“, war seine Begründung, „obwohl es mir lieber wäre, diese Bücher wären schon geschrieben.“ Die „intentio autoris“ spielte dabei für ihn nicht die große Rolle. Wieninger stellte sich nicht in den Vordergrund, auch nicht beim Enthüllen historischer Gräueltaten, die von österreichischer Verdrängungspolitik jahrzehntelang zugedeckt wurden. Und doch blieben seine Entdeckungen und Aufbereitungen nicht ohne Wirkung. Seine Recherchen und literarische Arbeit über die beiden Zwangsarbeitslager in Viehofen und am Glanzstoff-Gelände waren Initiation zu einer Aufarbeitung dieses finsteren Kapitels der St. Pöltner Stadtgeschichte und einer künstlerischen Auseinandersetzung – zum Beispiel durch die Orientierungstafeln von Catrin Bolt am Viehofner See. Manfred Wieninger legte seine Finger auf nässende, eiternde Wun-

UNVERGESSLICH. Manfred Wieninger war ein Humanist, ein präziser Schreiber und unermüdlicher Nachforschender. 40


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