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metastabil 01.

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Zensur findet nicht statt. Nur Schlechtes wird geschwärzt oder rausgeschnitten. Und was schlecht ist, bestimmen immer noch wir, natürlich demokratisch (Sohn 2 Stimmen, Ebinger 1 Stimme). Aber was soll ich unken... Wir wollen informieren. Wir stellen keine Fragen und geben keine Antworten. Wir haben uns Ziele gesetzt und erfüllen diese: Raum, Ökonomie, Disziplin. Reformation war gestern. Revolution vorgestern. Reduktion ist heute. Unsere Religion: Reduce to the max! Ihr bekommt, was Ihr verdient: Als XXX verkleidete Dogmen. Vorgedachtes häppchenweise portioniert, Euren kurzen Aufmerksamkeitsspannen angepaßt. Natürlich wollen wir nur Eines: die zementierte, permanente, katholische, marxistischtrotzkistische Reduktion. metastabil

Markus Ebinger

Johannes Finke Boris Guschlbauer

Martin Gutschmidt Max Hermann Joon Stefan Kalbers Peer Lausterer Perrache Martin Rühling Michael Sohn

Metzgerei Ell, Virtuelle Realität, Theaterblut S M Skate, Level 9 Liebe ’99, In der S-Bahn, Der verdammte ewige Wind! Situationsästhetik Hölle und Himmel Die Wohnung im dritten Stock Fliegen hinter dem Spielcasino, Philosophendiskussion Text 1, 2 und 3 Fx Körper-Seelen-Fresser Calming Of The Drunken Monkey 3


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Humanes Bomben in Jugoslawien. Flüchtlingsfluten nach Mazedonien. China erhöht den Militäretat. Siebzehnjährige vergewaltigt und erstochen. Zwei Männer in der Kneipe erschossen. Und die Liebe? Sie bleibt auf der Strecke und krepiert an Magersucht.

Doch zum Glück haben wir alle einen Fernseher und Kai Pflaume!!!

Boris Guschlbauer

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Eine Frau, Mitte 30, stiert aus dem Fenster, öffnet ihren Mund wie ein Fisch im Wasser und verschwindet mit einem bunten Schmetterling in die langersehnte Apokalypse.

Ein kahlköpfiger Mann hält sein Gehirn aus der aufgebissenen Tür und schlägt es mit gieriger Lust gegen die entgegenkommenden Strompfeiler. Ein bärtiger Opa, so knapp 70, taucht schon seit 45 Jahren im Bermudadreieck nach goldenen Ringen, die von zehn nackten Nymphen in die Fluten geworfen wurden. Boris Guschlbauer

Boris Guschlbauer plays lovesongs with an attitude with: Desücka

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Selbst im Licht der surrenden Neonröhren behalten sie ihre Eigenschaft der Undefinierbarkeit bei. Vor der großen, grauen Rückwand des Spielcasinos, an der Straßenbahnhaltestelle sammeln sich die Fliegen. Angezogen vom Geld, dem Traum vom Sieg über die Welt und der Sucht nach Risiko und Sinn, verbringen sie ihre Abende bei gepflegten Croupiers und verteilten Karten. Auch eine Möglichkeit, eine von vielen, seine Zeit umzubringen. Ich gehöre nicht zu ihnen, denn ich habe keinen Anzug und kein sauberes Hemd. Mich lockt die Tankstelle und der Alkohol, ein paar Schritte nebenan. Und ich betrachte sie etwas genauer, die schlechten Verlierer und nervösen Besserwisser, der ich selbst einer bin, während wir gemeinsam auf die Straßenbahn warten. Mit der Zigarre im Mund stehen sie breitbeinig da, der Hosenknopf spannt, die verkrampften Gesichtszüge rechtfertigen die zurechtgelegte Philosophie des Spiels, die auch den Verlust verteidigt, aber nie akzeptiert. Solange die Ohnmacht der rotierenden Kugel bleibt, sind alle gleich. Und wohin die letzte Kugel rollt, bleibt auf ewig ungewiß. Spiel das Spiel noch mal, dieses Mal könnte es anders verlaufen, dieses Mal könntest du gewinnen. Die Schnauzbärte

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sind feinsäuberlich geschnitten und die Glattrasierten sind gezielt auf Lässigkeit aus. Beim nächsten Mal wird alles anders, auf das System kommt es an. Die Münzen fallen tief in den Schlund des gefräßigen Automaten, auch der Fahrschein für die Bahn w i l l erkämpft werden. Auf der anderen Seite parken die immer gleichen Limousinen, nur die Besitzer wechseln. Das Holz der Wartebank ist hart und schmutzig. Graphittisprüche erzählen uns die wirklich wichtigen Dinge. Auf den Fahrplan ist auch kein Verlaß, aber wenigstens die Richtung stimmt. Ich umklammere meine Bierdose beim Einfahren der Bahn. Niederlage und Verantwortungslosigkeit gehen Hand in Hand, echte Spieler sehen anders aus. Es war ein Fehler heute hier herzukommen. Ich habe meine Fliegenklatsche vergessen. Stefan Kalbers


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Ich habe Angst, ich will nicht zu ihr, und doch: Ich muß! Ich habe einen Termin. Sie ist freundlich und meine Angst verringert sich. Ihr Zimmer ist nett eingerichtet, wären da nur nicht die Blutflecken auf dem Obduktionstisch. Die irritieren mich. Sie befiehlt mir, mich hinzulegen. Ich gehorche. Sie schärft, mich freundlich anlächelnd, ihre Skalpelle. Dann beginnt sie mich zu schlachten. Ich darf nicht schreien, da im Zimmer nebenan ihre Mutter schläft. Die ganze Nacht lang schneidet sie an mir herum, und am Morgen wirft sie mich scheibchenweise vor die Tür. Langsam krieche ich zur S-Bahnstation, eine Blutspur hinterlassend. Erst im Abteil der zweiten Klasse angelangt, gelingt es mir, mich langsam wieder teilweise zusammenzusetzen. Bis zum nächsten Termin, Dienstag in zwei Wochen. Markus Ebinger

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Ich kann am Besten nachdenken, wenn ich übers Wasser gehe. Es scheint dann, als ob ich absolute Klarheit erlangt hätte. Leider wohne ich nicht an der Küste. So ist die Zeit der Muße meist nur von kurzer Dauer, denn andauernd im Kreis auf kleinen Seen zu laufen, bereitet mir kaum mehr Vergnügen. Und seitdem ich - ganz in Gedanken versunken - beinahe von einem Frachtschiff überfahren wurde, meide ich die Flüsse. Auch muss ich achtgeben, dass mich niemand sieht, ich will kein Aufsehen erregen. Wann hat es das denn schon mal gegeben? Der Letzte, der das konnte, muss wohl Jesus gewesen sein. Hing dann auch prompt am Kreuz. Gut, die Zeiten haben sich geändert, aber ich mag mir gar nicht ausmalen, was passieren würde, wenn die Medien davon erführen. Das Kreuz wäre vielleicht noch das kleinere Übel. So beschränke ich meine kleinen extravaganten Ausflüge auf die Nachtstunden – und freue mich schon auf den nächsten Urlaub am Meer und die langen Nachtwanderungen dort. Dabei erlange ich oftmals einen Zustand der wirklichen Erleuchtung. Ich habe dann die Antwort parat für viele Probleme, die der Menschheit unlösbar erscheinen. Dumm ist nur, dass ich die Angewohnheit habe, nach solch langen Wanderungen erst einmal ordentlich was zu rauchen. Dazu trinke ich dann noch ein paar Bier, und schon sind die ganzen schönen Erkenntnisse wieder vergessen. Danach bin ich mir dann auch gar nicht mehr so sicher, ob diese Eingebungen wirklich so bedeutend sind oder ob ich mir das immer nur einbilde.

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Wie auch immer, ich habe sowieso keine Lust, die Menschheit zu retten. Die Zeit ist noch nicht reif. Das wäre wohl auch mit ziemlich viel Arbeit verbunden, und Moralpredigten halten ist nicht mein Ding. Interessiert sowieso niemanden – mich am allerwenigsten. Ich nutze meine Extra-Skills vielleicht lieber mal wieder, um eine Frau rumzukriegen. Ist gar nicht schwer. Ich mache ein paar tiefsinnige Bemerkungen, so ein bisschen was bleibt von meinen Nachtwanderungen ab und zu ja im Gedächtnis haften, die Frau fühlt sich verstanden - oder noch besser - versteht nicht so richtig, was ich da sage, merkt aber, dass das nicht nur leeres Gerede ist, und schon habe ich sie. Den Rest erledigen meine sonore Stimme und meine sanften Augen. Klappt fast immer.

Früher hat mich das Übers-Wasser-gehen-können etwas verwirrt. Ich habe es zum ersten Mal bemerkt, als ich mit meiner Familie in den Sommerferien ans Mittelmeer gefahren bin. Eines Tages hatte ich keine Lust schwimmen zu gehen, wollte eigentlich nur ein wenig am Strand entlang spazieren, dabei ist mir dann aufgefallen, dass das Wasser meine Füsse nicht umsondern unterspült. Ich war ziemlich verdutzt, bin schnell aus dem Wasser rausgegangen und habe niemandem von meinem Erlebnis erzählt. Am Abend des selben Tages bin ich noch einmal an den Strand gegangen und bin ganz langsam zum Wasser vorgeschlichen. Und es ist wieder passiert. Ich konnte auf dem Wasser stehen, laufen, sogar über die Wellen hüpfen. Es war prima. Mir war aber sofort klar, dass ich das nur schwerlich jemandem erzählen konnte, ohne dass dieser mich entweder sofort zum Nervenarzt schicken oder aber mich fortan nur noch Heiland nennen würde. Beides fand ich nicht gerade angenehm, so blieb die Sache mein Geheimnis. Bis heute übrigens. Michael Sohn

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Bingbongbang. Sieht ja nett aus. Relativ normal-nett. Das alles kann ich aber nicht mit Sicherheit sagen, nur unter Vorbehalt also. Das Bild ist verzerrt und eigentlcih sehe ich auch nur Haare und ein Stück helle Haut, Stirnhaut wie ich annehme. Das ist soweit alles, was ich durch den Spion erkennen kann. Ja, ich bin vorsichtig geworden. Das war natürlich nicht immer so. – Erst seitdem ich wieder alleine wohne. Aldi-Tüte auf dem Kopf öffne ich. Sieht tatsächlich nett aus. Aber das Normal-nett, das nehm ich sofort wieder zurück. Ich gehe sogar soweit und behaupte das Gegenteil. Nämlich: Sie ist einfach toll, der absolute Wahnsinn (quasi ultra-individuell-nett). Sie hat elfenbeinfarbene Haut, eisbergblaue Augen, die strahlen vor Lebensfreude und ironisch funkeln zur gleichen Zeit. Kastanienbraune Haare stehen vollkommen irre um ihren Kopf herum. Ein wahres Farbwunder. Ihre Nase...in einfach unbeschreiblich verzaubernder Art gen Himmel gerichtet, so à la 50er Jahre Kinderbuchillustration. Sommersprossen hat sie aber keine. Das ist auch gut so. Nicht so gut finde ich, daß sie kleiner ist als ich. Ungefähr 1,60 glaube ich, guck nicht gern auf sie herunter. Schmale, sportliche Figur. Eines wird mir sofort klar: dieses Mädchen muß hier einziehen. Vor lauter Begeisterung habe ich sie noch nicht mal hereingelassen. Was muß sie für einen Eindruck haben von mir. Bemühe mich das sofort wieder gutzumachen: “ Du bist wegen dem Zimmer gekommen, nicht wahr? Na ja, dann komm doch erst mal rein. Kann ich dir was anbieten? Leider hab ich nur Sprudel, es sei denn du möchtest ein Bier haben, da hab ich auch noch was im Kühlschrank. Also ich trink ja lieber Wein, da hab ich auch nicht so ein schlechtes Gewissen dabei. Soll ja sogar ganz gesund sein, das Zeug. 10


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Allerdings begreife ich nicht, was an Kopfschmerzen gesund sein soll. Naja, so richtig edle Tropfen kann ich mir nicht leisten; also muss ich mich mit Aldi-Wein zufrieden geben. Oh, entschuldige mein Aussehen. Färbe mir gerade die Haare...” Was mache ich da nur. Seh mir zu, wie ich mit Aldi-Tüte auf dem Kopf, in den Kühlschrank starre. Mache ihn zu und wieder auf, hole ein Bier raus, stelle es wieder rein, hole eine Flasche Wein raus, öffne sie, stelle sie wieder in den Kühlschrank, hole sie wieder raus, hole zwei Gläser aus dem Regal, fange an diese Gläser zu spülen, spüle dann aber doch all die anderen Gläser, die da rumstehen und rede ohne Unterlass wirres Zeug. Ich kann nicht glauben, was ich da mache. Das bin nicht ich. Jedenfalls kann ich so nicht weiter machen, sonst geht sie bestimmt gleich wieder und ich kenne noch nicht mal ihren Namen. Was red ich da überhaupt? Wie kann ich erwarten, daß mir jemand zuhört, wenn ich’s selbst nicht mal mehr tue. “... Du hast übrigens Glück, das Zimmer ist noch frei und teuer ist es auch nicht. Wir haben alles selber renoviert, deshalb ist es so billig...” (Mensch, Hanna, jetzt hör schon auf mit der endlosen Rederei). “Wie heißt du eigentlich ?” “Steff. Und ich hätte gern ein Bier.” Oh jeh, ich bin verloren. Diese Stimme... – Ein Bier will sie – hat sie gesagt. Also Wein rein, Bier raus aus’m Kühlschrank. Zwei Flaschen, sagt mir meine Sozialisation: “Dann trink ich auch eins.” Wir sitzen also am Küchentisch, den Aschenbecher zwischen uns, rauchen meine Zigaretten (fühl mich großartig großzügig) und trinken Bier. Schmeckt übrigens doch gar nicht so schlecht, wie ich gedacht hatte. Sogar recht gut. Ist aber vielleicht auch nur der Saufneid, der’s so schmackhaft macht. Ach, - bla. Die Gesellschaft natürlich. Die Gesellschaft dieses wundersamen Wesens, dieser herrlichen Herbstprinzessin, ach was, Königin, dieses Märchens, das mir hier gegenüber sitzt und jetzt beginnt zu reden. Sie erzählt mir etwas von sich, wie sie’s hierher verschlagen hat. Ehrlich gesagt, bekomm ich kaum was mit, von dem was sie mir erzählt, und das hat nichts mit Desinteresse zu tun. Muss sie die ganze Zeit anstarren. Bin so froh, daß ich sie noch nicht vergrault habe. Sie lacht. Lach auch ich. Oh wunderbarer Moment, bitte bleib noch’n bisschen. “Hell!”, sie erschrickt, sehe ich, bevor ich Kopf voran ins Bad stürze. JOON

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Er bläst und tost vom Landesinneren auf das Meer hinaus und läßt dort weiße, sahnige Schaumkronen entstehen. Auf der anderen Seite der Förde prangt majestätisch das UBoot Ehrenmal, trotzt dem starken Wind und mahnt: Gebt euch die Hände, lebt in Frieden und trinkt alle zusammen eine Limonade mit Eis und Strohhalm! Dunkle, düstere Wolken rasen über den Himmel und vermengen sich am Horizont mit der brausenden See, in der Frachtkähne gegen den Sturm ankämpfen, der nicht nur einen Seemann über Bord, in das nasse Grab, geweht hat. Spaziergänger mit Hunden und Kindern, die lärmen und Fangen spielen, huschen die Strandpromenade hoch und runter und durchdringen das Gemisch aus Wind mit Sand. Ihre Jackenkrägen sind aufgeschlagen, Mützen schützen die empfindlichen Ohren vor einer Mittelohrentzündung. Doch was schützt schon gegen die Laune der Natur? Die Takelagen der auf Land gebetteten Segelschiffe und Katamarane im Sporthafen des Olympiazentrums in Kiel, singen durch den Wind schrille Arien. Die Abdeckplanen bilden die Tenorstimme. “sssszzzzttttsssssss...” Im Hafen ist kein Mensch unterwegs. Es ist ein toter Hafen! Ausgestorben! Nein! Ein kleiner Mensch kämpft gegen den Wind. Er ist in einen Neoprenanzug gehüllt, steigt auf sein Windsurfbrett und flitzt durch die eiskalten Wellen, die durch die Spitze des Brettes, wie durch scharfe Messer zerschnitten werden. Wasserhände greifen nach ihm. Blaue Tropfen lösen sich und spritzen ihm ins Gesicht. Sie zerren an seiner Haut, lassen es erröten und lila anlaufen. Eine Fratze...eine Fratze auf der tobenden Ostsee. Nun beginnt es auch noch zu tröpfeln. Mit 100 atü sausen mir die Tropfen ins Gesicht und piksen mich wie kleine Nadeln. Es ist Zeit zurück in die Stadt zu gehen. Dort genehmige ich mir eine heiße Waffel mit Vanilleeis, Sauerkirschen und Schlagsahne. Boris Guschlbauer 12


screenshot. timecrusher 1999

Der Lautsprecher Band 3

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„Lautsprecher statt Antibiotika“ neue Texte, Geschichten, Gedichte, Lyrik, Slam, Beat, Trash, Cut-Ups, Satiren, Essays - alles was ihr wollt.

u.a. mit Beiträgen von Markus Ebinger und Daniel Vujanic (Stuttgart), Bdolf (Freiburgs dunkelster Dichter), Philipp Koch (Freiburg), dem Luhmann-Schüler Baecker, Christian Leiz (Berlin), Detlef Bürkert (Stuttgart), Luke Wilkins (Köln), von stale (BluNoise Records) und Julia Fritz (Ilmenau) 144 S. , ISBN 3-932902-06-8, 13.90

Neuerscheinungen im Lautsprecher Verlag: Hampelmann in der Tasche - Gedichte des 18jährigen Philipp Koch aus Freiburg, ISBN 3932902-07-6. 1968 – Gedichte des in Berlin lebenden Detlev F. Neufert, ISBN 3-932902-10-6. Sex mit Monika Kruse - Kurzprosa und Lyrik von Johannes Finke. Lautsprecher Lounge - im Herbst u.a. in Hamburg, Kopenhagen, Nürnberg, Berlin, Stuttgart und im Osten. Lesungen - u.a. 8.07. Johannes Finke und Philipp Koch im Theater am Eck, Freiburg, 19.30 und 30.+ 31.10. B. v.St.-Barre und J. Finke, im Theaterhaus Stuttgart. Ebenfalls live: Der Bdolf und Markus Ebinger. Watch out for more details.

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Wäre das Leben doch nur wie meine Lieblings-Aphex-Twin-Platte. Dann würde auf das wüste, brutale, verzweifelte “Come to Daddy” (Pappy Mix) das liebe, leichte, verspielte “Flim” folgen. Dann gäbe es erst Himmel-, Arsch- und Wolkenbruch und dann eitel Sonnenschein. Nun, das Leben ist, surprise, surprise, nicht wie diese Aphex-TwinPlatte. Und da nach Monaten wüstem, brutalem und verzweifeltem Rumgesaufe immer noch kein Sonnen-schein zu erkennen ist, im Gegen-teil,heute hat es wieder geschneit, mache ich mich daran das Universum zu erobern. Computerspiele, der perfekte Gefühlskiller. Egal ob Mama gestorben, Freundin weggelaufen oder Studium geyschmissen, wenn ich bei Master of Orion II das Universum erobere, wird nicht gefühlt. Mehrere Sternensysteme gleichzeitig zu regieren, erfordert schon totale Aufmerksamkeit. Dutzende von Kolonien verwalten, Raumschiffe entwerfen, andere Völker runterbuttern, natürlich NUR Diktatur als Regierungsform wählen, das macht Spaß. Und es enttäuscht nicht wie das richtige Leben. Wenn man im Begriff ist zu verlieren,

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fängt man einfach noch mal von vorne an. Außerdem macht man sich die Gesundheit nicht kaputt, na gut, vielleicht die Augen, aber besser als Leber, Herz, Lunge und Magen. Virtuelle Realität! Von mir aus kannst Du kommen, ich pfeif auf die normale! Nun gut. Nach acht Stunden ist aber erst mal Schluß. Ich hab drei Galaxien unterworfen, aber noch nichts gegessen. Das sollte man als verantwortungsvoller Diktator über eine ganze Rasse nicht tun. Leider ist kein Öl mehr im Haus, dann gibt es eben in Butter angebratene Fischstäbchen. Sogar ohne Ketchup. Der Tag ist verplempert, die Nacht steht vor der Tür. Und solange das mit dem Cybersex noch nichts ist, muß ich wohl vor die Tür. Drogen nehmen, die reale Welt möglichst virtuell halten. Und wieder Frauen jagen gehen.


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Ich hab mir die Welt ordentlich virtuell gekifft, aber schlecht gespielt. Die Dunkelhaarige wollte nicht so recht warm werden mit mir, und mit ihrer fetten Freundin wollte ich nicht warm werden. Schon wieder ein Manko der realen Welt. Wäre das ein Computerspiel gewesen, hätte ich noch mal von vorne beginnen können. Und irgendwann hätte es mit der Dunkelhaarigen dann auch geklappt. Notfalls hätte ich eben mit Anfängerschwierigkeitsgrad gespielt. Und die “Fette Freundin Option” hätte ich einfach abgestellt. Ich höre mir noch mal die Aphex-Twin-Platte an und denke zurück an die Zeit, als die reale Welt noch reizvoller war als die virtuelle. Ich liebe Dich und so. Sekt- und Sexfrühstück. Badewanne zu zweit. Scheint mir jetzt alles viel zu virtuell. Markus Ebinger

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Lange dürre Finger bohren sich durch meine Haut, bohren langsam in mein Ich, suchen, kriechen, fressen, unaufhörlich, ohne Unterlaß. Fressen langsam mein Gesicht. Nicht das, das man der Welt nach außen zeigt – nein, das innere, hinter Deiner Schädeldecke, das man nicht sieht – jedoch verlieren kann. Und weiter bohren, stechen, unaufhaltsam suchend, ihren Weg sich weiter fressend, ziehn sie ihre Bahnen, Spuren der dunklen Leere hinterlassend. Bis sie endlich finden, was die lange Suche, das Entstehen unendlich depressiver Leeren dann belohnt, nenn es “Seele”.

Wieder stechen sie in meinen Kopf, den Darm, das Herz, denn wo steckt sie denn, des Menschen Seele? Immer neue Löcher hinterlassend, in die ich langsam immer tiefer Stück für Stück zerfalle. Bis die Suche dann erfolgreich und mir die Seele aus dem Leib gefressen, ich in den tiefen Sog des unendlich leeren Nichts gerissen, nur noch falle. Ein Fall in die Unendlichkeit, die Weite, fallen ohne Raum und Zeit, ein Fall in andere Dimensionen, ferne Welten, in denen andre Normen, andere Regeln gelten. Quellen ohne Schmerz und Fraß, in denen nicht in schwarzen Stunden Gram und innres Weh regieren, da sie nur aus Nichts bestehen. Aus einem schwarzen, tiefen Sog der Leere, wie meine “Seele”. Martin Rühling

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metastabil 01. An Martin

Ich sehe, was dir Löcher in die Seele treibt, und kann’s nicht ändern, kann’s nicht halten! Wohl dem, der sich Gedanken von der Seele schreibt Und damit bannt die düsteren Gestalten. Das hat auch mir in wachen Nächten geholfen, die Gedanken festzubannen. Willst nicht erliegen Du den finstren Mächten, dann schicke mit dem Bleistift sie von dannen. Waltraut Rühling

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Stellen Sie sich vor, es gäbe einen Plan. Der kann etwas unausgegoren sein, der kann völlig danebengehen, man kann auch einfach nur Pech haben. Zeppelin wohnt übrigens in derselben Straße, ein bißchen weiter hinten. Death to the Pixies. Dann wird das nochmal erzählt, auch für den Fall, daß man es schonmal gehört hätte. Erzählen ist gut. Dabei wird eher gelesen. Das bloße Ergebnis vorweg, konkretisieren, anhand von Beispielen verdeutlichen hinterher. Belegen? Die Sache, um die es sich handelt, ist jedem aus eigener Erfahrung bekannt. Was ist alltäglicher als daß unsere Absichten, auch die bestdurchdachten, vom ernsten Gang der Dinge oder dem törichten Zufall durchkreuzt werden. Das meiste läuft schon dadurch, daß die Rentner davon Reifen. In diesem Kontext war das eine kritische Auseinandersetzung mit diesen Sachen. Und plötzlich verwandelt sich die Projektionsebene in eine weiße Wand. Den Helm auf dem Tisch. Da tritt DER UNMENSCH auf. Er besitzt eine fast schrankenlose Gewalt. Weder verwandt noch verschwägert mit dem Grafen. Wie, vermuten Sie, würden Sie reagieren? Mit gleichen Waffen zurückschlagen? Ein Attentat? Den Versuch unternehmen, mit Hilfe der Geschichte eine Bewegung umzulenken, deren Ausmaß Sie immerhin erahnen? Dreiundvierzig Wesen sitzen dort und harren geduldig der Dinge, mit offenen Mündern. Draußen steht ein Auto. Der Schlüssel steckt? Und plötzlich geht es um die Beurteilung des Satzes, frei.Schnauze (westfälischer Friede 1648-): Leute, Ihr dürft ruhig so blöd sein, wie ihr wollt. Sie dreht sich um und lächelt. "would you care if i told you how i feel?" Joachim “Perrache” Henn

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Mein Board und ich hatten Sex das schwarze rauhe Grip machte mir einen wunden Arsch leichte Schläge zeugen von Lust mein Stand nicht gefährdet ich lass mich fallen beim Sliden die Hände aufgerissen und das Blut nicht gespürt so verkörpert war ich der Schmerz ist schön Politisch Korrekt Surfpunksex und Lifestyle Liebe Ich schließe die Augen und ersehne den nächsten Schlag Johannes Finke

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Bomben und Granaten Menschen auf der Flucht

Soldat klaut Kind Gameboy und spielt Tetris durch bis Level 9, ein Autorennen, ein Kriegsspiel immer schneller immer schneller

Krieg in Netz, TV und Radio Flieger 체ber Freiburg auf direktem Weg ins Krisengebiet Wettervorhersage Stau vor Heidelberg ein Jingle und dann Nachtprogramm

Come As You Are Cobain klingt wie Elvis

Ich lege mich weg und tr채ume Flugsimulation Final Battle f체r Gute Zeiten Schlechte Zeiten

Trainings-Modus first! Johannes Finke

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Es, er oder sie geht irgendwie immer und niemals ohne vorher zu überlegen oder gar zu einer gedanklichen Regung sich hinreißen lassend, und befindet sich nun ohne Anderes bei sich oder mir. Schwindend die Gedanken, oder sich erweiternd gerade durch ihr höheres Informationspotential, welches weder durch den Verursacher noch durch andere Außenstehende gekürzt werden kann. Die Gleichheit von altbekanntem Nichts und dem nichts nicht umfassenden Allem steht unerkannt vor der Tür und stellt sich vor. “Guten Tag!” sprichts und grinst mich an, als ob es anders wäre. “Wohlan!” die Antwort, die sich ohne stichhaltige Begründung aufdrängt und den Gedanken nahe scheinen läßt, daß ich den Kaffee nicht höflich behandelte, indem ich ihn kalt werden ließ. “Wollt ihr mich nicht hereinbitten?” grinst es mich überzeugt an, und irgendwie ist es wohl auch richtig so, denke ich bei mir und weise den Weg in die Kammer. “Gut so?” “Durchaus, doch hättet ihr euch nicht von allem, was Wort ist, zu entfernen brauchen, um die Stränge der Gedanken zusammenzuhalten, meint ihr nicht?" “Nein, ich glaube nicht, aber diese bevormundende Art habt auch ihr nicht von eurem Vater erlernt, habe ich Recht?” Schon wieder das gleiche Spiel, langsam habe ich es satt, mich auf die Fehler einzulassen, die ein niemals Hiergewesener mir einzubläuen versucht. Ist das Unrecht oder die Wahrheit? Vielleicht weder noch, aber die Tatsache der Ungewissheit, die nichtig zu sein glaubt, ist mir gewahr. “Regt euch nicht auf.” rät es mir, und ich versuche mich unab-

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hängig davon zu beruhigen. Sherry ist mehr als Kaffee, schießt es mir durch den Kopf, aber es will mir keine Begründung dafür einfallen. Nichtig! Nein, so einfach ist das nun auch wieder nicht. Man kann sich nicht vor Worten drücken, die einem aus dem Kopf kamen und wohl ihren Ursprung in einer anderen Gegend zu haben glauben, bis ich sie ihrer sächlichen Natur(,?.) bewußt machte. “Wie ist das mit Heimweh?” frage ich und bin sicher, diesmal auf der Seite zu stehen, die keinerlei Hemmungen besitzt. Wobei sich hier aufdrängt, ob es nicht bei genauerer Betrachtung und näherer Einbildung in anderen Seiten einer besseren Verwendung zugute käme. Na? Komm schon, versuche mir etwas zu sagen, was sich nicht schon ohne schlechtes Gewissen selbst aus sich herausschält. Ein kurzes Intermezzo der Tiefschläge kann ohne unüberlegte Versuchung nur begrenzt zur Verfügung stehen. Niemand erwächst aus sich, ohne den eigenen Geist seinem Herrn erklärt und rechtzeitig den Kreditrahmen der Familie gesprengt zu haben. Kleister ist an dieser Stelle eine unzulässige Vokabel, die nichts außer Bezug setzt. Viel zu leicht und ohne jeglichen Gehalt erlegt sich alles, erledigt sich alles, legt sich alles und alles ist... Irgendwie sehr einfach scheint alles nun zu sein, und nichts, was nicht vorher schon einmal erlitten worden wäre, stellt sich zu seiner eigenen Verfügung. Es gibt nichts, was ertragen werden müßte! Kein Leid ist ungerecht! Verdient ist verdient! Das gibt es nichts, was man rütteln könnte. Bilder, die sich hierbei unterscheiden, können nur betrachtet werden. Nein, es wird nicht angefasst! Unberührbar erscheint nur der Rahmen. Stellen wir uns auf keine Seite, haben wir schon Partei ergriffen, für die schwächliche Seite. Tötet die Schwachen und begnügt euch damit, die Starken zu quälen mit eurer bloßen Anwesenheit. Heilig ist nicht der Bischof, sondern die Tür meines Kleiderschrankes, und selbst die kann es mit dem Kardinal nicht aufnehmen. Glanzvoller Trost! “Es geht mir gut.” “Das ist schön!” “Nein, wirklich!” Martin Gutschmidt

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1.) Als Philipp noch gegen Abend den Versuch startete, einen klaren Kopf zu bekommen, indem er durch den Stadtpark lief, fielen ihm die Besuche bei Großmutter und Großvater ein. Immer wenn er kam, waren beide sehr distanziert und unnahbar, egal was er sagte und ihnen entgegenbrachte, er bekam immer nur hohle Phrasen zu hören. Einmal hatte er in der Schule Probleme mit einem anderen Jungen, seinen Eltern wollte er es nicht anvertrauen, deshalb kam ihm die Idee, zu seinen Großeltern zu gehen und sie darum zu bitten, ihm einen Ratschlag zu geben. Sie hörten ihm erst gar nicht zu, sondern erzählten nur von ihren Alltäglichkeiten. Seit damals, er spürte diese Enttäuschung jedesmal, wenn er daran denken mußte, hatte er kein Vertrauen mehr zu den Erwachsenen. Er verstand ihre Handlungsweisen nicht, um genauer zu sein, er wollte sie seit dieser Zeit unverstanden irgendwo in einer Ecke stehen lassen, so, wie sie es auch mit seiner Person getan hatten. Als er dann sogar seinen Vater darauf angesprochen hatte, faßte der es gleich als Kritik auf und schickte ihn in sein Bett. Sein Weg verlief über den großen Rasenplatz mit den verstreut darauf stehenden Bäumen bis zum See. Er saß gern am See, weil die schönen weißen Schwäne ihn verstanden. Vor lauter Traurigkeit in seinem Herzen vergaß er die Zeit. Ein kleiner Spatz weckte ihn am Morgen, da begriff er, daß er am See eingeschlafen war. 2.) Fang nicht schon wieder mit dieser Predigt an Vater, du siehst doch, daß es keinen Sinn macht. Ich werde schon, wenn nicht sogar sehr bald, mir einen Job suchen und euch verlassen. Das war es doch, was du wolltest. Sei jetzt bitte still. Er schlug sich mechanisch gegen den Kopf und fing an zu heulen. Ja, Vater, ich werde es dir beweisen, daß ich zu etwas tauglich bin, nur gib mir ein wenig mehr Zeit. Erfülle mir nur noch diesen einen Wunsch. Als er von der Parkbank aufstand, war es schon wieder Mittag. Er hatte schon wieder Selbstgespräche geführt. Am Friedhof der Stadt lief er durch das Tor und geradewegs zu einem Grab hin. Ja Vater, ich werde mich erkenntlich zeigen und dir einen schöneren Grabstein kaufen, irgendwann einmal, wenn ich es geschafft habe. Mit leerem Bauch und vollem Kopf kam er zu Hause an, wo seine Mutter im Sessel saß und schwer nach Alkohol roch. Sie 26


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sagte etwas zu ihm, was er aber gleich wieder vergessen hatte. Das letzte Bier aus dem Kühlschrank trank er in kurzen Abständen, machte dann den Fernseher an und begrub seinen Kummer in einem alten Film. 3.) Die See erlosch jeden stummen Widerspruch. Sie hatte eine Kraft in sich, die das Psychopharmakon, das man verwendet, um den Schmerz zu lindern, verarmen ließ. Das Gefühl der Freiheit und Unbefangenheit, die Wellen, die in Einklang geraten mit den Schwingungen des Körpers, vermitteln dem kranken Teil, daß er endlich gesund werden sollte. Philipp wußte um die Kraft der See, aber die Erinnerung an seinen Vater beschwor ihn, nie mehr einen Fuß ins Wasser zu setzen. Beklommen durch die Geschichte seiner Kindheit, das tägliche und unnütze auf die See fahren, die Unbekümmertheit seines Vaters gegenüber seinen Ideen; das Wasser war ihm ein Feind geworden und das Land sein Freund. Nur der Gedanke daran reichte aus, um in ihm ein schlechtes Gefühl hochkommen zu lassen. Ganze Szenen, aneinanderhängend mit kraftvollen Farben gemalt, kamen dann in ihm hoch. Meistens bereiteten sie ihm solche Angst, daß er schnell an etwas anderes denken mußte, um wieder normal empfinden zu können. Manchmal aber, wenn es der Moment zuließ, vergrub er sich in seinen Unterschlupf und grübelte über die vergangenen Geschehnisse nach. Er hatte keine Antwort parat, alle bis dato angesetzten Bewältigungsversuche, die er in stundenlangen Selbstdiagnosen durchgeführt hatte, schlugen fehl. Immer wenn er einen Weg erarbeitet hatte, fiel ihm irgendeine Belanglosigkeit wieder ein, weshalb er ganz von vorn anfangen mußte. Zudem kamen ihm auch seine Verwandten, mit denen er von Mal zu Mal konfrontiert wurde, mit Geschichten dazwischen, die ihn dazu anhielten, seine Meinung zu revidieren. Das Hochgefühl, das sich jedesmal einstellte, wenn er davon ausgehen konnte, daß er eine realistische Erklärung gefunden hatte, war unbeschreiblich klärend. Der Schlag in sein Gesicht war dafür um so stärker, wenn es sich herausstellte, daß er von Neuem anfangen mußte. In diesem Zustand stagnierte sein ganzes Bewußtsein! Gesprengt durch die Unzugänglichkeit und dem Verlorengehen in einer Geschichte, die er nicht alleine geschrieben hatte, ging er mit enthaltsamem Herzen auf die Straßen der Stadt und schlief im Gehen, mit offenen Augen, die die Welt nicht mehr sehen konnten. An diesem Punkt angelangt, verlor er sich in seinen Träumen. Träume, die ihm die Welt so malten, wie er sie gern gehabt hätte. Peer Lausterer

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Alles muß: Geteilt, einsortiert, dividiert und kategorisiert werden. Ländergrenzen müssen vermessen und menschliche Beziehungen definiert, Realität konstruiert werden. “Seid ihr jetzt ein Paar?”. Schublade auf, Schublade zu. Das menschliche Gehirn hat zwei Hälften: Heiß und Kalt, Gut und Böse, Links und Rechts, Weiblich und Männlich, Haben und Nicht-Haben. Ich sitze auf einer staubigen Treppe in einem muffigen Kellergewölbe. Meine Hände spielen mit ihrem Haar, eines hat sie mir gelassen, bevor sie gegangen ist. Ich wickle es immer und immer wieder um meine Finger und bestaune seinen rötlichen Schimmer. Ich halte es unter meine Nase und mir ist, als könnte ich sie wieder riechen. Alle drängen sich an mir vorbei ins Freie. Die Musik ist aus und somit auch die Party. Ich schlendere auf die Stadt zu, meine Hände in den Jackentaschen. In der Rechten spiele ich weiter mit ihrem Haar. Es wird schon hell, die Vögel beginnen zu brüllen. Als ich den Landtag anpinkle, zimmere ich mir ein Mantra aus ihrem Namen, kurze Zeit später liege ich im Bett. Ihr Haar in der rechten Hand, fest umklammert. Die Tempel von Paestum drohen über mir zusammenzustürzen. Ich schreie ihren Namen. Gott rettet die Israeliten durch eine Frau. Mich jedoch nicht, ich werde von Säulentrümmern begraben. Sie war die Frau Lappidots. Ich liebe sie jedoch schon viel länger.

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Ich hasse es, morgens alleine aufzuwachen. Unter der Dusche wird einem die Sinnlosigkeit des nachfolgenden Tages schon schleichend bewußt. Sonntag: Ein Schlückchen Vodka, der Versuch die Sinnlosigkeit zu vergessen. Vergebens. Sofasurfing auf 23 Kanälen. Alles leer. Hätte ich Tränen... aber ich habe eine Telefonnummer! -“Hi, Du hast doch gestern die Party veranstaltet, oder?” -“Ja, wieso? Wer bist Du?” -“Ist egal, Du kennst mich nicht...ich hab‘ Deine Nummer von einem Kumpel...” -“Und wieso rufst Du an?” -“Ich hab‘ mich gestern total verliebt, und ich dachte, Du kennst sie vielleicht und kannst mir weiterhelfen.” -“Wie sah sie denn aus?” -“Rote lange Haare, zwanzig Jahre alt, hat gerade Abi gemacht...” -“...und hatte ein gelbes T-Shirt an. Ja, die kenn ich, das ist meine Freundin...” -“Na, da hatte ich aber ein Glück...” (CLICK)

Wir zerreißen die Welt. Markus Ebinger

Erschienen in: Lautsprecher Bd. 3 ISBN 3-932902-06-8

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Im Kreise gehend beschloß ich den schwarzen Überrock zu nehmen. Auch den Zylinder würde ich aufsetzen. Für einen Moment nur blieb ich stehen, blickte aus dem Fenster auf die Pflastersteingasse. Eine Droschke würde mich zur Versammlung bringen. Noch war es Nachmittag. Was blieb zu tun bis zum Abend? Wiederholt begann ich Kreise zu ziehen. Die Beine werden niemals müde. So verbrachte man also den Tag: Denken, starren, Kreise ziehen, warten, zweifeln, Pläne schmieden. Es ist schön zu wissen, immer im Recht zu sein. Ich zog weiter meine Bahnen, wobei ich meinen vorigen Spuren zu folgen glaubte. Niemals, so schoß es mir durch den Kopf, würde es verziehen werden, nicht zu gehen, nie zu gehen, nirgendwohin zu gehen, nicht zur Versammlung zu gehen. Ich würde also gehen. Es versprach interessant zu werden. Wer sagt das? Dann war es Abend.

Die Tür des Hauses im Rücken ging es vorwärts. Es war gar nicht Mittwoch, sondern Sonntag. Es gab auch keine Droschken mehr und keine Pflastersteingasse. Weder hatte ich einen Überrock, noch Zylinder. Da hatten wir das Dilemma. Mir fiel ein, daß ich vergessen hatte, was ich mir unbedingt hatte merken wollen. Ich schlug meinen Kopf gegen einen Laternenpfahl. Das Leben kann drollig sein, wenn es will. Mich gelüstete es nach etwas, wovon ich nicht wußte, was es war. Weiter ging es, erst gerade aus, dann links, dann gerade aus, dann links, dann gerade aus, dann links. Wenn ich nur wüßte, was ich damit meine. Endlich angekommen, langsam schon trat ich ein. Ich wählte einen Holzstuhl, der in einer der hinteren Reihen stand. Die leere Bühne war beleuchtet. Tatsächlich war ich nicht der Anwesende. Mich überkam Sorge, ich könnte nicht ganz bei Sinnen sein. Ich schaute mich um, blickte hinter mich an die Wand. Es war leibhaftig eine Philosophendiskussion. Stefan Kalbers

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Anschrift: metastabil@Michael Sohn, Gutenbergstr. 80, 70176 Stuttgart metastabil@Markus Ebinger, Bebelstr. 73, 70193 Stuttgart Mail: metastabil@mailcity.com Herausgeber und Redaktion: Markus Ebinger, Michael Sohn Mitarbeiter dieser Ausgabe: siehe Inhalt Artwork/Satz: timecrusher, interfaces@mailcity.com Auflage: 400

Dies ist keine Veröffentlichung im Sinne des Presserechtes. Alle Rechte der Beiträge bleiben bei den AutorInnen. Die Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Keine Haftung für unverlangt eingesandte Manuskripte und Fotos!


metastabil 01, reissue 2009


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