Medijuana 37

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als guter Untertan erweist, erhält man zur Belohnung einen Einkaufsgutschein, wird bei Reisen bevorzugt abgefertigt und kann sogar ein Visum nach Europa erhalten. Wenn man jedoch regierungskritische Inhalte teilt, vielleicht sogar zu viel Zeit mit als schädlich beurteilten Videospielen verbringt, kann man mit der allerniedrigsten Punktezahl rechnen. Dies ist bisher nur die Probephase, einmal in Betrieb genommen werden sicherlich noch eine Vielzahl weiterer Äußerungen staatlich sanktioniert werden. Aus westlicher Sicht mag man glauben, dass dieses System, das fatal an den „Großen Bruder“ erinnert und die Privatsphäre vernichtet, für uns keine Bedrohung darstellt. Vielleicht stimmt das auch. Wir neigen jedoch dazu, zu vergessen, dass wir online Tag für Tag freiwillig mitspielen, auch wenn der Staat uns nicht dafür belohnt, sondern nur die chemischen Reaktionen in unserem Gehirn.

Bewusstes abhängig werden Sean Parker, ausgestiegener Mitbegründer von Facebook, gab Ende letzten Jahres unumwunden zu, dass die Oberfläche des bekanntesten sozialen Netzwerks mit Absicht so gestaltet wurde, dass sie den User immer länger bindet, ihn quasi abhängig macht. Nach Parkers Erklärung führten die Schöpfer bewusst Likes ein, um eine Bestärkung durch die Community zu schaffen, die der User nach einer Zeit einfordern wird. Facebook verschaffte mit den Likes, den Kommentaren und dem Teilen dem Gehirn praktisch einen Dopaminschub. Populäre geteilte Inhalte, eine Vielzahl von Kommentaren und Likes wirken auf die Instinkte des Users, der ebenfalls einen ähnlichen virtuellen Erfolg erzielen möchte und sich schlecht fühlen wird, wenn seine Posts zu schnell in Vergessenheit geraten. „Jagd nach Likes“ nennt man eine solche Betätigung. Am Ende der Timeline kann jeder zahlreiche Beispiele dafür sehen, wie die Bekannten um die Beschaffung der täglichen Dosis von Likes kämpfen. Im vergangenen Dezember beschäftigten sich außer dem zurückgetretenen Mitbegründer auch die Forscher von Facebook in einen Blog-

post mit den potenziellen Schäden an der mentalen Gesundheit durch soziale Medien. Natürlich wollten sie die User nicht dazu bewegen, unverzüglich ihre Profile zu löschen und sich eine weniger riskante Betätigung zu suchen. Sie nutzten die Gelegenheit, um Neuentwicklungen vorzustellen, die negative Einflüsse durch Facebook verringern sollen. Der Verursacher der Sucht also, die durch seine schädlichen Aktivitäten entstanden ist, schuf diese Schäden gleich einer Onlineschadensbegrenzung. Dieser Schritt ähnelt, wenn man eine Parallele zum Cannabis ziehen will, einem Coffeeshop, der weniger riskante Sorten – beispielsweise mit weniger THC und mehr CBD – in den Vordergrund stellt, und für ihren Konsum anstelle eines Joints den Vaporizer propagiert.

Entgiftung Facebook wäre natürlich dumm gewesen, als Erstes Anwendungen für den maßvollen Gebrauch zu schaffen. Es gibt schon Apps auf dem Markt, welche die Onlinezeit reduzieren und auf ihre Optimierung abzielen. Dazu

zählen die 2013 entstandenen Entwicklungen der Firma Kovert. Das Unternehmen beschäftigt auch Psychologen, Neurologen und Philosophen, welche die Verbindung von menschlichem Verhalten und Technologien analysieren. Der Firmengründer wurde von Studien motiviert, welche die schädlichen Auswirkungen eines übertriebenen Internetgebrauchs analysieren. Sie zeigen unter anderem, dass die sozialen Medien narzisstische Neigungen fördern, der übermäßige Gebrauch von Smartphones Schlafstörungen verursachen bzw. bei Kindern die Empathie verringern kann. Grundlegend beschäftigt sich die Firma mit Forschungsarbeiten, aber es gibt auch Produkte, beispielsweise ein intelligentes Schmuckstück, das dafür sorgt, dass wir nur dann Benachrichtigungen bekommen, wenn sie wirklich wichtig sind. Die Firma führte auch ein Experiment zum Entzug von digitalen Gadgets mit 35 Personen durch, für die Technologie im Zentrum stand. Nach drei Tagen ohne Gadgets und Internet wandten sich die Versuchspersonen mit größerem Interesse einander zu und ihre Körpersprache zeigte größere Offenheit an.

Black Mirror – Be Right Back


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