Meakusma Magazin #3

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• Holger Adam •

Rezension

Julia Reidy, − “Ambitious, immersive new release from Australian wunderkind”, so lockt der Hype-Sticker, der das Album ziert. Mir war das Wunderkind bis zur Veröffentlichung dieser Platte ehrlich gesagt nicht bekannt. Das will einerseits nichts heißen, denn wer hat schon die Vielzahl der Gitarrist*innen im Blick, die weltweit mit offenen Stimmungen oder der elektronischen Erweiterung ihres Instrumentes experimentieren? Andererseits habe ich zu Hause beileibe keine geringe Anzahl an Alben mit instrumentaler Gitarrenmusik stehen, und lebe als alter Sack mit Plattensammlung von der Illusion, wenigstens einigermaßen Bescheid zu wissen. Und doch lebe ich auch mit der latenten Gewissheit und dem wachsenden Unbehagen, irgendwann den Anschluss zu verlieren (wenn das nicht ohnehin schon längst der Fall ist, fragt mich bitte nicht nach Young Thug). Daher die Irritation, ja Scham!, als mir bei der gewohnheitsmäßigen Lektüre der Mailorder-Newsletter In Real Life unterkam und ich mit dem Namen Julia Reidy nichts anzufangen wusste.

Panik! Google! Gewissheit! Feeding Tube hatte bereits 2018 ihre Debüt-CD-r (All Is Ablaze, ursprünglich von 2016) auf Vinyl wiederveröffentlicht – auch das hätte ich mitbekommen können, denn discogs weist mir nach, immerhin 31 Alben des Labels in der Sammlung stehen zu haben. Nun ist Feeding Tube ein stilistisch breit orientiertes us-amerikanisches Underground-Label und alles andere als auf ein bestimmtes Genre festgelegt, so ist es von daher sicher auch kein Zufall, dass mir die Australierin erst mit ihrem Release auf dem von Oren Ambarchi betriebenen Black Truffle Label ins Bewusstsein geriet. Ambarchi, selbst Gitarrist, nutzt sein Label zum einen als Plattform für eigene Projekte, doch prominent unter Spätgeborenen ist es vor allem deshalb, weil hier seit einigen Jahren einschlägige Klassiker oder unveröffentlichte Archiv–Aufnahmen der elektronischen Nachkriegs-Avantgarden (wieder) zugänglich gemacht werden: AMMs Debüt, Alvin Currans Natural History, David Rosenbooms Brainwave Music oder Annea Lockwoods Tiger Balm. Black Truffle ist auch oder vielleicht sogar vor allem ein Label

für sogenannte oder selbst ernannte, mit Sicherheit aber in die Jahre gekommene Insider, Kenner und – um dieses klebrige Wort auch noch zu benutzen – Connaisseurs. So ziemlich jedes der post-kolonialen Theorien entlehnten Buzzwords (weiß, männlich, privilegiert) lässt sich jenen Akteuren anhängen, die sich über Plattenkisten beugen, Mailorder studieren und dann auf das „Australian wunderkind“ stoßen: Wenn einem also Gutes widerfährt, dann ist das schon einen Asbach Uralt wert … Ich übertreibe – und liege wahrscheinlich doch nicht ganz daneben In der Beschreibung eines Milieus und des darin verkehrenden (überwiegend männlichen) Sozialcharakters: Die Lebensmitte überschritten, tausende von Tonträgern zuhause und ein Wissen mit sich herumtragend, das mit jedem neuen Tag mehr und mehr der Irrelevanz anheimfällt. Man muss kein Boomer sein, um Augenrollen zu ernten. Warum stehen diese resignativ-depressiven Zeilen zum Auftakt eines Essays, das


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