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Der Weltraumexperte
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fragen an Thomas Zurbuchen
Er ist Schweizer und er war Forschungschef der Nasa. Wir haben ihn in Zürich getroffen – und er musste sich entscheiden: Mars oder Milky Way? Urknall oder Gott? Suchen oder finden?
Text: Dinah Leuenberger, Ralf Kaminski Bild: Stephen Voss
1 Mars oder Milky Way? Als Schoggiprodukt Mars, ansonsten Milky Way, also unsere Milchstrasse. Jeder der mehreren Hundert Millionen Sterne in unserer Galaxie hat mindestens einen Planeten – es gibt also viele wie den Mars oder die Erde.
2 Die Apollo- oder die ArtemisMondmission? Artemis ist viel spannender. Auch weil da nicht nur weisse Männer, sondern viele Menschen auf der ganzen Welt zusammen etwas Spektakuläres erschaffen. Die erste Rakete ist nun endlich gestartet – zuvor hatte ich 48 schlaflose Stunden.
3 Mars 2030 oder Mars 2040? 2040, weil wir erst dann wichtige wissenschaftliche Arbeiten vor Ort mit Menschen ausführen können. Vielleicht stehen auch schon Ende der 2030er Jahre erstmals Menschen auf dem Mars. Dafür braucht es 6 SLS- oder Starship-Rakete? Die SLS der Nasa ist bereits geflogen, gelingt dies 2023 auch mit der Starship von SpaceX, wird es spannend: Dann wird der Preis für ein in den Weltraum befördertes Kilo Material 100 Dollar betragen statt wie bisher 10000 bis 50000 Dollar.
allerdings noch ein paar Dinge: schnellere Beschleunigungen, besseren Strahlungsschutz zur Reduktion des Krebsrisikos und einen aufblasbaren Hitzeschild. Diesen haben wir übrigens kürzlich erstmals erfolgreich auf der Erde getestet. Er heisst Loftid.
4 Elon Musk oder Jeff Bezos? Heute Jeff Bezos (lacht). Beide sind spektakuläre Innovatoren. Musk ist breiter aufgestellt, Bezos fokussierter. Beide sind nicht wirklich normal, denken nicht wie die meisten Menschen. Und wer gewinnt, ist offen.
5 Nasa oder SpaceX? Beides. Die Nasa ist natürlich zentraler – Elon Musk hat selbst gesagt, es gäbe SpaceX ohne Nasa nicht. Für die Nasa aber sind die Privaten enorm wichtig: Von den 36 Missionen, die wir in den vergangenen sechs Jahren gestartet haben, nutzten alle bis auf eine private Raketen. 7 Die Raumstation ISS oder das Lunar Gateway? Lunar Gateway, das ist die Zukunft. Damit werden wir die Reise zum Mars üben, mutmasslich ab 2025. Die ISS war wichtig, ist aber ab 2030 Vergangenheit.
8 Der chinesische Marsroboter Zhurong oder Perseverance der Nasa? Perseverance. Er ist zwei Generationen weiter als der chinesische und enthält die besten Instrumente, die je gebaut wurden. Wir nehmen damit eine ganze Sammlung Proben, die wir auf die Erde zurückbringen. Zudem ist die
11 Mond oder Mars?

Mars. Er ist wissenschaftlich viel interessanter, verfügte einst über Wasser, ja ganze Ozeane, die etwa 150 Meter tief waren. Vielleicht gab es dort auch Leben.
Forschung der westlichen Welt öffentlich, also auch für die östliche Welt zugänglich. Umgekehrt ist das leider nicht der Fall. 9 Neil Armstrong oder Juri Gagarin? Schwierig. Gagarin war der Erste im All, Armstrong der Erste auf dem Mond. Beide Schritte waren unglaublich wichtig. Der erste Schritt auf dem Mars könnte übrigens von einer Frau getan werden – aus gutem Grund: Gewisse Krebsraten sind geschlechtsabhängig, und Frauen haben auch da Vorteile. 10 China oder Russland? China – das Land ist heute in der Raumfahrt viel wichtiger. Das liegt nicht nur am Geld, sondern auch an der Qualität: Da arbeiten wirklich gute Ingenieure und Techniker, die imposante Erfolge feiern. Die Kooperation hält sich jedoch in Grenzen, auch aus gesetzlicher Sicht.
Sechs Jahre bei der Nasa
Thomas Zurbuchen (54) ist Astrophysiker und seit Oktober 2016 Wissenschaftsdirektor der Nasa (National Aeronautics and Space Administration) in Washington DC. Ende Jahr tritt er zurück, als Person, die am längsten in dieser Position tätig war. Zurbuchen hat über 100 wissenschaftliche Missionen begleitet, verfügte über ein Jahresbudget von 7,6 Milliarden Dollar und leitete rund 10000 Forschende.
Aufgewachsen ist er in einer Freikirchenfamilie in Heiligenschwendi BE. Seit 1996 lebt er in den USA und besitzt inzwischen auch den USPass. Zurbuchen ist mit einer amerikanischen Musikerin verheiratet und hat zwei Kinder.
Wohin es 2023 für ihn geht, lässt er offen. «Es könnte akademische Forschung sein, aber auch etwas in der Raumfahrtindustrie.» Auch eine Rückkehr in die Schweiz sei denkbar. «Die Kinder sind an die Uni ausgeflogen, meine Frau wäre dabei. Nur wie wir unsere Hündin Luna in die Schweiz bringen, müssten wir noch klären.» Wenn ich mich mit den Chinesen treffen will, muss ich dies vom Kongress absegnen lassen. Es existiert eine berechtigte Angst, dass unsere Technologien von China ausspioniert werden. 12 Das Hubble- oder das James-Webb-Teleskop? Webb. Hubble war zwar wissenschaftlich die wichtigste Mission, die wir je gemacht haben, und funktioniert seit 31 Jahren. Aber das Webb-Teleskop sorgt nun laufend für neue Entdeckungen. Gerade haben wir Bilder der ältesten Galaxien veröffentlicht, die nur 350 Millionen Jahre nach dem Urknall entstanden sind. Wir brechen damit laufend Rekorde. 13 Die Sternennebel Pillars of Creation oder Carina Nebula? Pillars of Creation. Sie sind im Sternbild des Adlers, meinem Lieblingstier, und es ist ein ikonisches Bild des Hubble-Teleskops. Mit dem neuen Webb-Teleskop sehen wir nun sogar hindurch auf die Galaxien dahinter. 14 Der Dartpfeil oder die Dart-Sonde? Die Dart-Sonde zur Asteroidenabwehr. Sie ist auch viel genauer als jeder Dartpfeil. Sie hat nach einer Reise von x Millionen Kilometern durch den Raum innerhalb von 15 Metern präzis den Asteroiden getroffen und von seiner Laufbahn abgebracht – ein bisschen wie beim Computergame Space Invaders, das ich früher gespielt habe. Es war zudem eine der ersten Missionen, die ich selbst gestartet habe. Und die Frau, die dafür zuständig ist, war früher meine Studentin. Darauf bin ich stolz. 15 Asteroidenabwehr oder Apokalypse? Asteroidenabwehr. Die Dinosaurier sind nicht mehr hier, weil sie die nicht hatten. Aktuell gibt es aber keinen Asteroiden, der die Erde bedroht – dafür muss er mindestens die Grösse
eines Fussballstadions haben. Es braucht allerdings Jahre der Vorbereitung für eine erfolgreiche Abwehr. Würde ein Asteroid erst zwei Wochen vor dem Einschlag entdeckt, könnten wir nur warnen und evakuieren. 16 Bemannte oder unbemannte Raumfahrt? Bemannt. Für jede Mission braucht es Menschen, auch wenn sie nicht ins All fliegen. Aber man kann das im Grunde nicht mehr trennen. Auf dem Mars etwa werden fliegende Roboter die Augen und Ohren der Astronauten sein. 17 Optimistisch oder pessimistisch? Immer optimistisch. Nicht aus irgendeinem Prinzip, sondern weil ich schon viele Dinge gesehen habe, die unmöglich schienen, dann aber doch geschahen, weil Menschen zusammenkamen. Können allein reicht jedoch nicht, Handeln ist wichtig. 18 Suchen oder finden? Suchen. Denn sonst findet man nichts. Ausserdem macht Suchen Spass – wenn man daran keine Freude hat, sollte man nicht Wissenschaftler werden. 21 Chef oder Chefin? Egal, es muss einfach die beste Person sein. Aber ich bin froh, dass es heute mehr Chefinnen gibt. Auch bei der Nasa haben wir inzwischen fast 50 Prozent Frauen in leitender Position. Entscheidend ist, dass wir dahin kommen, wo Hautfarbe, Geschlecht oder sexuelle Orientierung keine Rolle spielen. 22 Nachfolger oder Nachfolgerin? Die Nasa hatte noch nie eine Chefin in dieser Position, es wird langsam Zeit. Am Ende bestimmen das andere, aber es gibt einige gute Kandidatinnen. Es wird ohnehin eine Übergangsphase geben, in der meine Stellvertreterin und engste berufliche Vertraute übernimmt. 23 Vertrauen oder Kontrolle? Vertrauen. Das ist viel wichtiger, um gute Ergebnisse zu bekommen. Kontrolle stösst irgendwann immer an Grenzen. 24 Team oder Einzelkämpfer? Team. Im Zentrum aller grossen Erfolge stehen immer Teams, nicht Einzelne. 25 Aliens oder keine Aliens? Aliens. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir Leben auf anderen Planeten finden. Und ich sehe keinen Grund, weshalb das nicht auch intelligent sein sollte. 26 Urknall oder göttliche Kreation?

19 Bundesrat oder Präsident?
Schwierig. Der Präsident ist viel mächtiger, der Bundesrat funktioniert nur als Team. So gesehen ist der Bundesrat die bessere Idee. Aber ich arbeite für den Präsidenten.
20 Ihr Spitzname Doctor Z oder Ihr Vorname Thomas? (lacht) Doctor Z wurde von meinem SocialMediaTeam erfunden, weil in den USA niemand den Namen Zurbuchen aussprechen kann. Aber alle, die mich persönlich kennen, nennen mich Thomas.
Bild: NASA/ESA/CSA/STScI and Joseph DePasquale (STScI)
Der Sternennebel Pillars of Creations, aufgenommen vom JamesWebb-Teleskop.
30 Schweiz oder USA?
USA. Dort ist meine Familie und somit meine Heimat. Aber die Schweiz ist mir ebenfalls sehr wichtig, sie hat mich geprägt.
Urknall. Es ist eine unserer erfolgreichsten Theorien, die viele Beobachtungen und Phänomene erklärt. Ich sehe hier aber keinen so grossen Gegensatz, denn auch wenn es Gott gäbe, könnte er oder sie ja den Urknall benutzt haben. 27 Glaube oder Wissenschaft? Wissenschaft für die Dinge, die uns auf der Welt weiterbringen und helfen, Probleme zu lösen. Aber es gibt keinen Wissenschaftler, der an nichts glaubt. Wenn man das als Gegensatz sieht, hat man wohl einfach nicht intensiv genug darüber nachgedacht. 28 Science-Fiction oder Science? Science. Wissenschaft ist das, was ich am liebsten mache, und sie hat die Welt ungeheuer bereichert. Aber ich mag ScienceFiction – sie beschäftigt sich mit dem, was auch noch sein oder irgendwann kommen könnte. Es ist fruchtbar, wenn sich Künstlerinnen und Autoren mit solchen Themen auseinandersetzen. 29 «Star Wars» oder «Star Trek»? «Star Wars», das braucht weniger Zeit. Bei «Star Trek» müsste ich mich erst mal einarbeiten – weil ich in einer Familie ohne Fernsehen aufgewachsen bin, habe ich da einiges verpasst. Ausserdem ist meine Frau «Star Wars»Fan, da hatte ich gar keine Wahl. Ich trage übrigens auch ab und zu «Star Wars»Socken. 31 Migros oder Walmart? Migros. Die Philosophie des Unternehmens finde ich toll. Leider gibt es heute kaum noch Geschäftsleute wie Gottlieb Duttweiler. Er hat verstanden, dass es nicht nur ums Geschäft geht, sondern auch darum, die Menschen und die Gesellschaft voranzubringen. 32 Omega oder Swatch? Rolex (zeigt auf sein Handgelenk). Klar, Omega war auf dem Mond, aber die Geschichte von Swatch ist eindrücklicher – ein unglaublich innovatives Unternehmen. Also: Swatch. Ich habs aber noch immer nicht geschafft, eine der neuen Planetenuhren zu kaufen, die sind immer ausverkauft. 33 Republikaner oder Demokraten? Beides nicht. Ich war noch nie bei einer Partei, ganz bewusst, und bin selbst eher im Zentrum. Mir ist egal, ob die ganz Rechten oder ganz Linken mir sagen, was ich denken soll – ich finde beides ähnlich ärgerlich. Letztlich habe ich für beide Seiten gearbeitet, und es gibt auf beiden Seiten gute Leute. 34 Schwerelos oder Leichtigkeit des Seins? Schwerelos. Es kann gut sein, dass ich das in den nächsten Jahren einmal versuchen werde. Es ist inzwischen deutlich einfacher geworden, man muss dafür nicht mehr zwingend ein professioneller Astronaut sein. Heute kann man einen Monat lang trainieren und dann zwei, drei Wochen in den Raum, das fände ich ideal. MM