Migros Magazin 41 2010 d AA

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MENSCHEN JUGENDGEWALT

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Daniel Zimmermann (19), Fachmann Betriebsunterhalt «Ich rufe andere junge Leute auf, zuerst zu denken und dann erst zu handeln. Seid euch der Folgen bewusst, die Gewalt auslösen können. Leider fehlt es vielen Jugendlichen an Respekt vor dem Menschen. Wir alle sagen, dass endlich fertig Puff sein soll. Ich bin aber skeptisch, ob die Gewaltbereiten uns erhören.»

Lea Schwab (19), Studentin «Ich studiere Jus und möchte später als Anwältin im Strafrecht oder als Staatsanwältin arbeiten. Während eines Praktikums bei Gericht wurde ich direkt mit Gewalttätern konfrontiert. Geschockt hat mich, dass diese Jugendlichen aus reiner Langeweile jemanden übel verprügelt hatten und nicht an die Konsequenzen dachten.»

Tobias Keller (20), Dachdecker «Vor einem Jahr wurde ich von einer Jugendgruppe im Zürcher Hauptbahnhof angegriffen. Da ich kein Geld bei mir hatte, sind Fäuste geflogen. Ein blaues Auge und ein abgebrochener Zahn waren das Resultat. Zwei Leute haben die Szene mitbekommen. Doch hingeschaut und eingegriffen hat keiner.»

Samuel Landert (24), Verkäufer «Mir wurde schon die Nase gebrochen, als ich einen aggressiven Typen beruhigen wollte. So unvorsichtig bin ich heute nicht mehr. Die Attacke hat nicht nur körperlich Spuren hinterlassen. Aber den Ausgang lasse ich mir davon nicht verderben. Einschreiten ist wichtig, aber mit Unterstützung. Darauf hoffe ich, denn alleine den Helden zu spielen ist gefährlich.»

Roger Keller (53), Lehrer «Schlägereien unter Jungen gab es schon immer. Dass aber auf ein Opfer eingetreten wird, wenn es am Boden liegt, schockiert mich. Wir müssen hinschauen und stopp! sagen, das lehre ich auch meine Schüler. Um zu wissen, wie ich bei einer Konfliktsituation reagieren kann, habe ich auch schon einen Zivilcouragekurs besucht.»

Karin Meier (49), Sozialarbeiterin

Vito Sette (17/links), KV-Lehrling «Ich spiele Eishockey, da gibt es zwischendurch auch Leute, die sich auf dem Eis in die Haare geraten. Gewalt finde ich total unnötig — körperliche wie auch psychische Gewalt. Denn Worte können auch sehr verletzen! Wenn ich mit meinen Freunden im Ausgang bin, versuche ich zu schlichten, wenn zwei streiten.»

Antonio Sette (15/rechts), Schüler «Gewalt ist total uncool und unnötig. Wenn man sich mal streitet, soll man miteinander sprechen! Ich habe mich noch nie geprügelt. Und wenn ich merke, dass jemand Puff machen will, werde ich nicht wegschauen. Aber alleine kann man sich auch in Gefahr begeben, darum hoffe ich, dass mir die Leute helfen würden.»

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aus der Situation hinauszubegleiten. Hat man ein schlechtes Gefühl, ruft man besser die Polizei. Wer hilft eher, wer nicht?

Allgemein helfen selbstbewusste, emotional stabile Menschen mit verbindlichen Werten eher, und Frauen öfter als Männer. Je anonymer die Situation, desto weniger reagieren die Menschen. Interessant ist das Resultat einer Umfrage von «Gehirn und Geist» im Juli unter 1000 Deutschen: 41 Prozent der Männer hätten körperlich eingegriffen, aber nur 18 Prozent der Frauen. Sie rufen eher die Polizei.

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«In meinem Quartier fürchten sich die Alten vor den Jugendlichen. Das darf nicht sein! Denn 99 Prozent der Jungen sind sehr anständig. Gewalt geht meist mit Alkohol einher, daher müssen wir die Jugend hier vermehrt aufklären und präventiv handeln. Sie müssen wissen: Jegliche Gewalt wird nicht toleriert!» EIN AU

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Was ist richtig?

Die Polizei sagt: Mischen Sie sich auf keinen Fall physisch ein, auch nicht, wenn man den Schwarzen Gurt in Karate hat. Also Alarm schlagen. In München wurde vor ein paar Monaten ein Helfer zu Tode geprügelt. Beeinflusst das die Menschen?

Ein tragischer Fall, der auf jeden Fall die Hilfsbereitschaft senken wird. Kann man Kinder zu Zivilcourage erziehen?

«Zivilcourage gibt einem Menschen Selbstvertrauen.»

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Davon bin ich überzeugt. Wer den Kindern Respekt vor Andersartigkeit und Grundwerte vorlebt und sie darin bestärkt, sich für andere einzusetzen, steigert die sogenannte Demokratiekompetenz. Deshalb sollten auch Lehrer nicht mit Schülern schimpfen, die sich einmischen, indem sie sich für Gschpänli einsetzen.

fall. Und mit Rollenspielen üben wir Verhaltensroutinen ein.

Sie geben Kurse für Zivilcourage. Was lernt man dort?

Muss man helfen?

Wir sagen den Teilnehmern, Zivilcourage sei ein Haus auf zwei Säulen: Wissen und Handeln. Erstens, was darf ich tun? Also das psychologische Wissen um die Bedingungen für Zivilcourage und die Möglichkeiten einzugreifen. Zweitens macht jeder Teilnehmer eine persönliche Planung für den Ernst-

Fühlt man sich gut, wenn man Zivilcourage bewiesen hat?

Eindeutig. Unsere Befragungen zeigen: Das bestärkt einen Menschen in seiner Überzeugung und verleiht ihm Selbstvertrauen. Wenn jemand verletzt ist, muss man die Polizei oder den Notarzt rufen, ansonsten kann man wegen unterlassener Hilfeleistung belangt werden. Wenn man Zeuge einer Pöbelei oder Beleidigung wird, ist man nicht gezwungen, etwas zu unternehmen, rein rechtlich gesehen.

Interview Yvette Hettinger


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