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Spiegelbild der Seele
Träumen wir jede Nacht?
«Ja», sagt Michael Schredl, wissenschaftlicher Leiter des Schlaflabors am Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim (D). «Das Gehirn schaltet nachts nicht einfach ab, deshalb haben wir auch immer Bewusstsein. Man träumt sogar während einer Narkose, nur weiss man das nachher meistens nicht mehr. Wie das Herz ist auch das Gehirn immer aktiv.»
Warum vergessen wir Träume meistens so schnell wieder?
«Wenn wir schlafen, hat das Gehirn andere Aufgaben und arbeitet in einem anderen Modus als im Wachzustand. Wie bei einem Computer wird ein anderes Programm eingelegt. Wenn wir aufwachen, muss das Hirn vom Schlafmodus wieder vollständig in den Wachzustand wechseln, das kann bis zu 15 Minuten dauern. Während dieser Umschaltphase gehen die Träume leicht verloren. Je schneller wir ganz wach werden, desto schneller vergessen wir die Träume.»
Kann ich lernen, mich an Träume zu erinnern?
«Ja, das geht relativ leicht. Legen Sie einen Stift oder das Smartphone auf den Nachttisch. Bleiben Sie nach dem Aufwachen einen Moment liegen, wiederholen Sie das Geträumte in Gedanken – wie wenn Sie ein Gedicht lernen würden – und schreiben Sie es danach gleich auf. Schon allein der Vorsatz, ein Traumtagebuch zu führen, kann helfen, sich besser zu erinnern.»
Warum wir träumen
Träumen wir jede Nacht? Warum vergessen wir das Geträumte meist gleich wieder? Und was kann man gegen Albträume tun? Der Psychologe und Traumforscher Michael Schredl hat uns diese und andere Fragen beantwortet.
Text: Susanne Schmid Lopardo Illustration: Lina Müller
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Wann träumen wir?
«Immer wenn wir schlafen, am intensivsten jedoch im sogenannten REM-Schlaf. REM steht für Rapid Eye Movements. In dieser Phase ist das Gehirn viel aktiver als im Tiefschlaf, deshalb träumen wir auch intensiver.»
Wovon träumen wir am häufigsten?
«Von der Arbeit und von Dingen, mit denen wir uns tagsüber beschäftigen. Eine Studie, in der wir die Teilnehmerinnen und Teilnehmer befragt haben, was sie in letzter Zeit geträumt haben, zeigt, dass in 17 Prozent aller Träume Arbeitsthemen vorkommen. Wenn jemand in einer Partnerschaft lebt, taucht der Partner oder die Partnerin in etwa 20 Prozent der Träume auf. Hauptthemen sind dabei meist gemeinsame Unternehmungen. Sexualität steht weniger im Vordergrund. Auch die eigenen Kinder kommen oft vor. Studentinnen und Studenten, die den ganzen Tag lernen, träumen nachts jedoch selten davon, sondern eher von ihren Freunden und gemeinsamen Unternehmungen.»
Warum träumen wir überhaupt?
«Das kann die Wissenschaft bisher nicht mit Sicherheit sagen. Eine der wichtigsten Funktionen des Hirns im Schlaf ist die sogenannte Gedächtniskonsolidierung. Dabei werden Informationen, die wir tagsüber aufgenommen haben, nochmals hervorgeholt und abgespeichert. So können wir Gelerntes im Langzeitgedächtnis festigen. Die Wissenschaft definiert Träume als subjektives Erleben im Schlaf. Ob das beim Abspeichern eine Rolle spielt, weiss man nicht. Vielleicht träumen wir auch einfach, damit es uns nicht langweilig ist, wie Kinder in einer Befragung einer Zürcher Psychologin vermutet haben.»
Was können wir aus den Träumen lernen?
«Sie zeigen uns Erlebtes aus einem neuen Blickwinkel, indem sie aktuelle Themen kreativ und mit intensiven Gefühlen noch mal darstellen. Das kann uns auf Ideen bringen, auf die wir im Wachzustand vielleicht nicht gekommen wären. Sie können uns aber auch helfen, eine Situation besser zu verstehen. Nehmen wir den Verfolgungstraum: Wir haben Angst und laufen weg, aber egal, was wir tun, wir werden weiter verfolgt – bis wir in Angst und Schrecken aufwachen. Der Verfolgungstraum zeigt uns: Weglaufen bringt nichts. Übertragen auf die Probleme und Ängste im Wachzustand heisst das: Wir sollten uns den Prob lemen stellen und eine Strategie entwickeln, wie wir sie angehen können. Der Verfolgungstraum ist eine dramatisierte Version eines Themas, das uns tagsüber beschäftigt hat.»
Verarbeiten wir in unseren Träumen auch Probleme?
«Auf jeden Fall bearbeiten wir sie. Wir wissen aber nicht, ob wir sie schon im Traum verarbeiten oder erst danach, wenn wir uns mit den Traumerinnerungen befassen, darüber sprechen und nachdenken.»
Wie häufig sind Verfolgungsträume?
«Wir schätzen, dass bis zu fünf Prozent der Bevölkerung etwa einmal pro Woche oder häufiger einen Albtraum haben, der sie auch tagsüber belastet. Ein Albtraum ist ein Traum mit starken negativen Emotionen wie Angst, Ekel oder Trauer, verbunden mit einem Gefühl der Hilflosigkeit. In einer repräsentativen Studie zum Thema, die ich für die ‹Apotheken Umschau› ausgewertet habe, standen Fallträume an erster Stelle, Verfolgungsträume wurden ebenfalls häufig genannt. Wenn man die Leute ein Traumtagebuch führen lässt, sind Albträume im Vergleich zu normalen Träumen jedoch viel seltener. Das liegt daran, dass Angstträume länger im Gedächtnis bleiben und wir uns zum Teil nach Jahren noch erinnern und davon berichten können.»
Was kann ich gegen Albträume tun?
«Es gibt eine einfache Übung: Gehen Sie den Albtraum in Gedanken noch mal durch, wenn Sie wach sind, und stellen Sie sich vor, wie Sie die Situation ändern: Wenn Sie verfolgt werden, rennen Sie nicht weg, sondern stellen sich zwei starke Helfer vor, dann drehen Sie sich um und schauen, was da hinter Ihnen herkommt. Wenn Sie das zwei Wochen lang einmal täglich während fünf Minuten mit demselben Traum üben, verändert er sich. Das funktioniert sehr gut, wie uns eine Studie gezeigt hat, die wir kürzlich zum Thema Albträume durchgeführt haben. Bei rund 85 Prozent der Leute hat die Übung geholfen.»