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Aus dem Schulalltag

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Rätsel und Spiele

Rätsel und Spiele

Liridona Saliu und Andrija Pavlovic besuchen eine 2.Realklasse in Wohlen AG. Beide finden: Die Realschule ist besser als ihr Ruf.

Text: Ralf Kaminski Bild: Andreas Eggenberger

«Wer etwas wirklich will, schafft das auch»

Der Erste Weltkrieg ist gerade Thema im Geschichtsunterricht der Realklasse 2a im Schulhaus Bünzmatt. Die rund 20 Schülerinnen und Schüler wissen auch schon einiges darüber. Heute geht es darum, Karikaturen aus jener Zeit anzuschauen und zu interpretieren: Wer ist darauf zu sehen? Was ist die Aussage?

Die Jugendlichen sind engagiert dabei – ein bisschen engagierter als üblich, wohl wegen der ungewohnten Gäste, sagt ihr Klassenlehrer später – und werfen routiniert Begriffe wie «Osmanisches Reich» oder «deutscher Kaiser» in die Runde.

In der Klasse sitzen auch Liridona Saliu (15) und Andrija Pavlovic (14), sie mit albanischen Wurzeln, er mit serbischen. Beide sind in der Schweiz geboren und aufgewachsen und wohnen in Wohlen AG. Das Thema finden sie spannend und Geschichte generell interessant. «Man befasst sich mit dem, was mal war», sagt Liridona, «es ist schon wichtig, darüber Bescheid zu wissen.»

Andrija räumt zwar offen ein, dass er nicht besonders gern zur Schule geht, betont aber, voll dabei zu sein, wenn er etwas spannend findet. Seine Lieblingsfächer sind Sport sowie textiles und technisches Gestalten. Schwieriger hingegen sei es mit Fran-

Liridona Saliu und Andrija Pavlovic fühlen sich wohl in der Realschule – und sind optimistisch für ihre Zukunft. zösisch. Das findet auch Liridona, die jedoch grundsätzlich gern zur Schule geht. Ihre Lieblingsfächer sind Deutsch, Kochen und Sport.

Erst mal ein Schock Beide wissen natürlich um den schlechten Ruf der Realschule. «Ich war zuerst schockiert, als klar war, dass ich hier landen werde», sagt Andrija. Umso mehr, weil er ein halbes Jahr zuvor noch Noten hatte, die für die Sek gereicht hätten. «Aber ja …, dann war ich zu faul, machte zu wenig, der Notenschnitt sank.» Inzwischen ist er allerdings gar nicht mehr so unglücklich: «In die Sek hätte ich es wohl nur knapp geschafft. Ich bin lieber ein guter Realschüler als ein schlechter Sekschüler.»

Liridona sagt, sie sei ein wenig enttäuscht gewesen über die Zuteilung in die Real, weil man viel Negatives höre – gerade auch über die Lehrstellenchancen. «Aber meine ältere Schwester ging auch schon in die Real und macht heute eine gute KVLehre beim Departement Bildung, Kultur und Sport des Kantons Aargau. Das hat mich beruhigt und motiviert.» Auch die Eltern sahen das deshalb relativ entspannt.

Nicht so Andrijas Eltern. «Meine ältere Schwester ist in der Kantonsschule, sie waren deshalb schon enttäuscht. Meine Mutter ist jetzt sehr streng mit meiner jüngeren Schwester, damit sie nicht auch in der Real landet – das ist auch gut so.» Mit den Lehrpersonen diskutiert hätten seine Eltern aber nicht. «Es war irgendwie klar, dass es meine eigene Schuld war.» Neben Französisch sei vor allem Mathematik das Problem gewesen, sagt Andrija. «Da habe ich mich inzwischen auf eine 5 verbessert, darauf bin ich stolz.»

Geschafft hat er das mit besserem Aufpassen im Unterricht und mehr Lernen. «Früher habe ich viel Scheiss gemacht, aber inzwischen habe ich mich etwas beruhigt.» Und: Der Erfolg motiviere ihn auch. Liridona geht es genauso, auch sie hat sich in Mathematik verbessert. «Ich weiss, da geht noch mehr, und ich arbeite daran.» Es lohne sich, Hilfe zu suchen, wenn man etwas nicht verstehe.

Was beschäftigt die beiden sonst so? Politik jedenfalls nicht sehr. Liridona räumt ein, dass der Klimawandel ein wichtiges Thema sei, und auch zum Krieg in der Ukraine haben beide über die sozialen Medien Einiges mitbekommen. Er war sogar Thema im Unterricht. Aber wirklich bewegen tut sie das nicht, sie würden dafür auch nicht an einer Demo mitlaufen. Andrija liebt Fussball, ist oft mit dem Mofa unterwegs, verbringt gern Zeit mit Familie und Freunden. Liridona ist viel draussen unterwegs, spielt Fussball, mag Shopping.

Der Chancengleichheit nachhelfen Fast alle Schülerinnen und Schüler im «Bünzmatt» haben Migrationshintergrund. Manche kommen aus schwierigen Elternhäusern. Und gelegentlich müssen die Lehrpersonen ausbaden, was zu Hause schiefläuft. «Das fängt nur schon bei den Umgangsformen an», sagt Karin Solenthaler (53), seit vielen Jahren Lehrerin an der Realschule Bünzmatt. «Manchmal sind die Jugendlichen auch die Einzigen in der Familie, die gut Deutsch können. Dann müssen sie halt ab und zu mit den Eltern zu einem Termin und schaffen es nicht in die Schule.»

Sie sieht es auch als Aufgabe der Realschule, die Berufschancen der Kinder zu verbessern. Wenn es mit der Chancengleichheit aufgrund der sozialen Herkunft schwierig sei, könne man das in der Schule ein Stück weit auszugleichen versuchen. «Und das gelingt uns nicht schlecht, denke ich», sagt Solenthaler. Wie viele ihrer Kolleginnen und Kollegen unterrichtet sie an einer Realschule, weil sie dort mehr als nur Wissen vermitteln kann. «Wir arbeiten auch sozial mit den Jugendlichen, werden manchmal zu Bezugspersonen, bekommen oft auch mit, wie es anschliessend weitergeht.» Das sei eine sehr schöne und befriedigende Aufgabe. In jedem Fall habe die Realschule ihren schlechten Ruf nicht verdient.

«Ich bin lieber ein guter Realschüler als ein schlechter Sekschüler.»

Eher faul als dumm Das sehen auch die beiden Jugendlichen so: «Die Realschule ist nicht so schlimm, wie immer alle sagen», findet Andrija. «Es ist nicht so, dass hier alle dumm wären. Das Problem ist eher, dass viele einfach faul sind. Oder anderes gerade wichtiger finden als die Schule.» Liridona nickt. «Es ist schon etwas unfair: Man kriegt auch mehr Absagen für Schnupperlehren als andere.» Das haben beide bereits erlebt, obwohl sie inzwischen an einigen Orten schnuppern konnten. «Die Leute sollten uns nicht nur nach der Schule beurteilen, auf die wir gehen. Das sagt doch nichts darüber aus, wie wir wirklich sind.»

Liridona möchte eine Verkaufsoder eine KVLehre machen – und sich dann auch schulisch noch weiterbilden, vielleicht Richtung Immobilien. «KV ist sicher anspruchsvoll, aber wenn meine Schwester das geschafft hat, kann ich das auch.» Andrijas Traum wäre Elektroinstallateur. «Falls ich das von der Mathematik her nicht packe, könnte ich mir aber auch Logistiker vorstellen, oder etwas anderes Handwerkliches. Ich glaube an mich, das kommt schon gut.» Beide hoffen, dass es dann nicht allzu schwierig wird mit den Bewerbungen im kommenden Jahr. «Viele Absagen ziehen einen schon runter», sagt Liridona. «Aber wer etwas wirklich will, schafft das – auch aus der Realschule heraus.» MM

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