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Miss Motorsäge
Keine drei Zentimeter neben ihrem Fuss rammt Yolanda Hagmann die Axt in den Holzstamm, auf dem sie mit beiden Beinen steht. Bei der Wiederholung der Schlagbewegung atmet sie schwer, bis das Holzstück in der Mitte auseinanderbricht. Sie wischt sich den Schweiss von der Stirn und die Holzspäne von der Klinge. Die Disziplin «Underhand Chop» ist ihr die liebste: «Ich muss präzise sein, um eine gute Zeit zu erreichen.»
Es ist ein lauer Sommerabend. Die Sonne taucht die Weizenfelder in Unterstammheim ZH in goldenes Licht, als Hagmann nach der Übung am Holzstamm mit schnellen Schritten über den Platz des Bauernhofes schreitet, um ihre Motorsäge zu holen. Der Hof ist das Trainingsgelände der 36-Jährigen. Sie ist Timbersportlerin, Sportholzfällerin. Ein «zeitintensives Hobby», wie sie sagt, bei dem sie Baumstämme zerhackt und zersägt. Und dies möglichst schnell.
In Unterstammheim trainiert die Schaffhauserin einmal pro Woche mit ihrem Verein Axemen Club Nordostschweiz: Bei den Axtmännern ist Hagmann als Frau eine Exotin unter Exoten. In der Schweiz gibt es etwa 20 Menschen, die diesen Sport auf hohem Niveau betreiben, an Wettkämpfen und Shows teilnehmen. Sie hat hierzulande nur eine Mitstreiterin: die Zugerin Irene Murer, die in dieser Saison aber verletzungsbedingt ausfällt.
Aus Kanada importiert Amerika, Kanada, Australien und Neuseeland gelten als Ursprungsländer des Timbersports. Seit 2003 gibts in der Schweiz Wettkämpfe. Hagmann hat den Sport in Kanada entdeckt. Ihre Familie wanderte nach Halifax aus, als sie sieben Jahre alt war. Dort eröffneten die Eltern ein B&B, führten als Selbstversorger einen Hof. Jahre später – Hagmann studiert am College Tier- und Pflanzenwissenschaften – bekommt sie erstmals etwas vom Sportholzfällen mit. «Es ist für Kanadier wie Fussball oder Eishockey für uns Schweizer.» Viele Schulkameradinnen machten es. «Irgendwann hat es mich gereizt, auch mal mit der Axt einen Baumstamm zu bearbeiten.» Sie bewirbt sich am College für diese Sportart, besteht alle Fitnesstests und wird in die Liga aufgenommen. «Mich hat es sofort gepackt. Ich bin gern draussen, liebe es, mit Werkzeug zu hantieren. Es passt wie die Faust aufs Auge.» In Kanada ist «das Hacken», wie Hagmann es nennt, mehr als eine Sportart. «Es ist ein Way of Life.» Nach Wettkämpfen hocke man zusammen, trinke ein Bier, esse etwas. «Der Teamgedanke war im Verein am College sehr wichtig. Wir waren wie eine grosse Familie.»
Für ihre Ausbildung zur Landschaftsarchitektin kehrt die damals 25-Jährige in die Schweiz zurück. Sie will mit Sportholzfällen weitermachen, findet aber niemanden, der die Sportart kennt. Bis eine Freundin ihr von einer Holzfällertruppe berichtet. «Sie sagte mir, dass diese Männer genau das Gleiche machten wie ich.» Hagmann kontaktiert den Verein, geht zum Probetraining. «Zuerst war es ungewohnt, nur mit Männern zu trainieren.» In

In der Disziplin «Stock Saw» brach Hagmann einst den Weltrekord. Inzwischen ist eine Frau aus Deutschland schneller.
Yolanda Hagmann Sportholzfällerin Kanada sei es eher ausgeglichen. Aber mit der Zeit habe sie gemerkt, dass es sie ansporne. «War ich im Training mal schneller als die Jungs, war das natürlich ein Erfolgserlebnis.»
In der Schweiz gibt es mittlerweile vier Vereine. Die meisten Mitglieder treten in der Stihl Timbersports Series gegeneinander an. Neben der Schweizer gibt es auch eine Europa- und eine Weltmeisterschaft, letztere allerdings noch nicht für Frauen.
Drei Titel und ein Weltrekord Hagmann gewann bereits dreimal den nationalen Titel. Bei den Schweizer Meisterschaften 2020 war die derzeit verletzte Irene Murer ihre einzige Konkurrenz. Derzeit darf Hagmann, die in Ramsen lebt, in drei Disziplinen antreten: neben «Underhand Chop» noch in «Stock Saw» und «Single Buck». Im «Stock Saw» knackte sie vor zwei Jahren in Polen den Weltrekord: Mit der Motorsäge schnitt sie in 11,51 Sekunden von einem waagrecht eingespannten Baumstamm zwei Scheiben ab, eine von oben, eine von unten. Mittlerweile ist die Deutsche Alrun Uebing noch schneller.
Auch in der Disziplin «Single Buck» will die Schaffhauserin dieses Jahr versuchen, den Weltrekord zu holen. Mit ihrer knapp zwei Meter langen Ein-MannSäge muss sie einem horizontal liegenden Baumstamm eine Scheibe («Cookie») abschneiden. Ihre bisherige Bestzeit: 19,67 Sekunden. Das werde sie schneller schaffen, sagt sie. Ihre Säge ist eine Spezialanfertigung aus Neuseeland, die zehn Zentimeter langen Zähne sind handgeschliffen. Kostenpunkt: 2500 Franken. Das finanziert die in Vollzeit arbeitende Landschaftsarchitektin selbst: «Zu Beginn musste ich mir Werkzeug ausleihen, weil ich nicht genug Geld hatte und die Wartezeiten so lang sind.»
Hagmann ist «happy», dass es in Europa immer mehr Timbersportlerinnen gebe. «Konkurrenz belebt das Geschäft. Das macht es auch für mich spannender.» Seit Jahren probiere sie auch in der Schweiz, mehr Frauen dafür zu begeistern. «Dank meiner Präsenz an Shows oder bei Wettkämpfen erhoffe ich mir, dass andere Frauen sich auch mal getrauen, mit einer Axt einen Holzstamm zu bearbeiten.» Sie hätten im Verein zwar viele Forstwarte, aber beispielsweise auch einen Anwalt. «Ich kann jeder Frau empfehlen, es auszuprobieren. Das ist wie ein Fitnesstraining, einfach draussen in der Natur.» MM
Einsteigerinnen und Einsteiger haben die Möglichkeit, an Probetrainings teilzunehmen. Für Athleten und Nachwuchs bieten die Stihl Timbersports Series Trainingscamps an.