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Festivals gehen auch nachhaltig

«Es ist nicht besser, zu Hause zu bleiben»

Rolf Schwery setzt sich seit mehr als zehn Jahren dafür ein, dass Festivals nachhaltiger werden. Gemeinsam mit der Migros hat er drei Plattformen lanciert, um Events besser zu machen.

Text: Simon Lechmann Rolf Schwery, beim Thema Festivals und Nachhaltigkeit sieht man riesige Abfallberge vor sich, zurückgelassene Zelte, leere Flaschen. Stimmt das Bild? Abfall ist ein grosses Thema bei Events, das stimmt. Aber dieses Bild ist überholt. Vor zehn Jahren galt es als gegeben, dass Abfalltrennung im öffentlichen Bereich nicht funktioniert. Überspitzt lautete die vorherrschende Meinung: Die Leute sind zu wenig schlau, um Abfall zu trennen. Sind sie das? Abfall trennen können eigentlich alle. Wir sind es ja von zu Hause gewohnt. Korrekt und wiederum überspitzt wäre: Die Organisatoren sind zu wenig schlau, ein funktionierendes Abfalltrennsystem zu etablieren. Sind oder waren? Abfallberge gehören der Vergangenheit an. Es braucht saubere Trennsysteme, damit nicht alles liegen bleibt. Wir haben mit der Migros viel investiert, Systeme mit Ingenieuren evaluiert, angepasst und umgebaut. Jetzt haben wir einen einfachen, erweiterbaren Baukasten, der gut funktioniert. Heute können wir Plastik separat sammeln. Es geht Richtung «Wertstoffe zurückgewinnen statt Abfall entsorgen». Dennoch entstehen an Events riesige Mengen Abfall. Absolut gesehen, ja. Im Vergleich, nein. Selbst Festivals mit einem grossen Campinganteil generieren maximal zwischen einem

und eineinhalb Kilo Abfall pro Gast und Tag. Die durchschnittliche Abfallproduktion pro Person in der Schweiz liegt bei zwei Kilo pro Tag. Es ist nicht besser für die Umwelt, zu Hause zu bleiben. Wie sieht ein nachhaltiger Event aus? Nachhaltigkeit ist mehr als Umweltschutz, das ist wichtig. Ökologie, Ökonomie und Soziales spielen hier alle ineinander. Ein nachhaltiger Event hinterlässt bei allen Stakeholdern einen anhaltenden, positiven Effekt. Was heisst das konkret? Ein nachhaltiger Event kann nicht einer sein, der möglichst viel Fun für die Teilnehmenden produziert, aber eine grosse Belastung für die Anwohner und Anwohnerinnen bedeutet oder die Sponsoren unzufrieden sind. Nachhaltigkeit bedeutet, dass ein positiver Impact unter ökologischen, ökonomischen und sozialen Gesichtspunkten besteht. Ist Nachhaltigkeit nicht ein Fass ohne Boden? Für jeden Event muss man die wichtigsten Themen definieren. Dazu gehören Sicherheit, Abfall, Mobilität, Beschaffung und Verpflegung und oft auch der Energie- und Wasserverbrauch. Für ein Rock- ebenso wie für ein Classic-Festival? Auch wenn sich Hip-Hopper, Jazz-Fans und Marathonläuferinnen unterscheiden: Die Themen sind dieselben. Man muss die Gewichtung und die Strategie dem Event anpassen. Dafür gibt es auf unseren Plattformen Anhaltspunkte und Werkzeuge. Nicht nur Reden, sondern auch Machen ist seit mehr als zehn Jahren unser Credo. Die Herausforderung war und ist es, gute Indikatoren zu finden, um die Nachhaltigkeit eines Events zu messen. Nur was gemessen wird, kann auch gemanagt werden. Was verraten diese Daten? Wir haben Daten von Events, die über zehn Jahre zurückreichen. Sie zeigen, dass die Events jedes Jahr ein bisschen besser werden. Es gibt immer mehr Veranstalter, die Nachhaltigkeit als Vision verfolgen, sie als Prozess und nicht als Zustand sehen.

Wo gibt es noch Potenzial? Aus ökologischer Perspektive bietet die Mobilität sicher den grössten Hebel. Hier gilt es, die Leute zu überzeugen, mit dem ÖV anzureisen. Aber Nachhaltigkeit muss auch Spass machen: Es ist besser, Anreize zu setzen und nicht mit Verboten zu drohen. Nur so erreichen wir eine wirkliche Veränderung. Zum Beispiel? Die nachhaltige Alternative muss attraktiver sein als die weniger nachhaltige: Indem etwa der Parkplatz nicht gleich beim Festivalgelände liegt und kostenpflichtig ist. Dafür gibt es einen Gratis-Shuttleservice vom Bahn-

hof. Mobilität ist ein gutes Beispiel, um die Vielschichtigkeit der Nachhaltigkeit aufzuzeigen. Nämlich? Unsere Erhebungen zeigen, dass diejenigen, die mit dem ÖV anreisen, viel mehr lokal konsumieren. Eigentlich naheliegend. Wer mit dem Auto anreist, bringt oft die Ware mit. Die wirtschaftliche Komponente für das Gewerbe ist hier wichtig: Reisen mehr Leute mit dem ÖV an, ist ein Festival für die lokale Wirtschaft plötzlich interessanter. Unsere Erhebungen an grossen Festivals in der Schweiz zeigen, dass der Anteil, der lokal eingekauft wird, bei ÖVReisenden doppelt so hoch ist. Je mehr mit dem ÖV anreisen, desto besser auch für die Sicherheit. Es gibt weniger Unfälle. Die Förderung der ÖV-Anreise lohnt sich aus ökologischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Sicht.

Wie siehts bei der Energie aus? Die Umstellung auf LED-Beleuchtung war ein grosser Schritt. Aber am Open Air Gampel sorgen Dieselgeneratoren für den Strom. Es wäre gut, wenn das öffentliche Stromnetz das Festivalgelände erschliessen würde. Die Frage ist, ob diese Investitionen finanzierbar sind und ob der lokale Strombetreiber mitmacht. Natürlich könnten wir im Extremfall alle auf Spinningbikes setzen, und wenn sie nicht mehr pedalen wollen, geht das Licht aus. Sie sagen es selbst: extrem. Genau. Und damit nicht realistisch. Ein solches Beispiel könnte aber zur Sensibilisierung beitragen. Indem wir zeigen, wie viel Energie ein Festival verbraucht, wie lange man für ein Konzert strampeln müsste. Muss man als Besucher ein schlechtes Gewissen haben? Nein. Vor allem wenn man alle drei Dimensionen der Nachhaltigkeit einbezieht, das Soziale etwa. Menschen sind von Natur aus spielerische Wesen. Personen mit unterschiedlichsten Hintergründen und Interessen treffen bei Events aufeinander, tauschen sich aus. Das trägt zum sozialen Zusammenhalt bei.

«Fühle dich am Festival wie zu Hause, daheim wirfst du auch nicht den Abfall auf den Boden.»

Bleiben wir bei den Menschen auf Spinningbikes: Wie kann ich als Besucher meinen Fussabdruck minimieren? Rolf Schwery

Ökonom und Sozialwissenschaftler. Er hat aktiv an der Entwicklung von internationalen Standards im nachhaltigen Eventmanagement mitgearbeitet. Mit Unterstützung der Migros entwickelt seine Firma seit 2010 mehrere Plattformen zum Nachhaltigkeitsmonitoring von Events.

nachhaltige-events.ch ne-wissen.ch event-toolkit.ch

Fühle dich am Festival wie zu Hause – daheim wirfst du auch nicht den Abfall auf den Boden. Ich habe ein sehr positives Menschenbild, besonders von Jugendlichen: Sie sind nachhaltig unterwegs und engagieren sich. Leider verführen viele Events die Teilnehmer quasi, weniger nachhaltig zu sein. Mit überfüllten Abfallcontainern, ohne Möglichkeit zu trennen. Oder mit nicht nachhaltigen Give-aways. Und sonst? Als Gast bei einem Festival sollte ich die Bemühungen der Veranstalter schätzen, nachhaltiger sein, sie honorieren und meinen Beitrag leisten. Was oft vergessen wird: Als Gast bin ich ein wichtiger Stakeholder und werde auch nach meiner Meinung gefragt. Hier kann man Zeichen setzen, Anliegen und Verbesserungsvorschläge einbringen. Bringt das etwas? Bestimmt! Genau das haben Festivals inzwischen gelernt. MM

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