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Ein Afghane macht Appenzeller

Ausgerechnet an Heiligabend

zog Hayatullah

Mohammadi los, um sich im Thurgau Arbeit zu beschaffen. Zuvor war er aus Afghanistan in die Schweiz geflüchtet. Der Beginn einer Erfolgsgeschichte.

Text: Manuela Enggist

Bilder: Urs Bucher

Hayatullah Mohammadi (38) hat keine Ahnung, dass Heiligabend ist, als er am 24. Dezember 2015 auf den Hof der Bauernfamilie Gabler zuläuft. Der Betrieb liegt ein gutes Stück abseits der Strassen, wer sich hierhin verirrt, hat einen Grund. Es ist ein trister Tag, kalt und nebelverhangen. Immer wieder wiederholt er diesen einen Satz in seinem Kopf: «Ich suche Arbeit.» Er hat ihn auswendig gelernt und will ihn auf keinen Fall vergessen. Als er Lisbeth Gabler erblickt, spricht er exakt diese drei Wörter aus. Die Bäuerin schickt ihren Ehemann Wisi zu dem jungen Mann und denkt sich: Wer an so einem Tag auf unseren abgelegenen Hof läuft, um nach Arbeit zu fragen, der meint das ernst. Sieben Jahre später sitzt Hayatullah Mohammadi im Pausenraum der Käserei Eberle in

Muolen TG. Er ist vor acht Jahren aus Afghanistan in die Schweiz geflüchtet, hat sich selbst Arbeit organisiert, die Lehre zum Käser als Klassenbester abgeschlossen und ist heute einer der wichtigsten Mitarbeiter von Johannes Eberle, dem Besitzer der Käserei Eberle. Hayatullah Mohammadi, ein Vorzeigeflüchtling, das Beispiel einer geglückten Integration. Nur er selbst sieht das nicht so. Wenn er spricht, dann nur leise, zögerlich, die Arme, denen man die Arbeit als Käser ansieht, hat er vor der Brust verschränkt. Er habe einfach nur Glück gehabt, sagt er – und schweigt.

Alles aufgesaugt

Wer mehr über Mohammadi erzählen kann, ist Bäuerin Lisbeth Gabler. Damals, am Heiligabend, sei ihr Mann nach dem Gespräch mit dem jungen Afghanen zu ihr in die Küche gekommen und habe gesagt: Also mehr als diese drei Worte spreche er tatsächlich nicht auf Deutsch. Aber er wolle anpacken, dies habe er deutlich gemacht – mit Händen und Füssen. Gablers treten wegen Mohammadis nicht vorhandener Arbeitsbewilligung mit der Gemeinde Muolen in Kontakt, die ebenfalls daran interessiert ist, dass möglichst viele Flüchtlinge in der Region Arbeit finden. «Wir sagten aber, dass wir exakt den jungen Mann wollten, der damals an Heiligabend zu uns auf den Hof kam.»

Er habe schon nach seinem ersten Schnuppertag gestrahlt. «Er hatte einfach Freude, dass er arbeiten konnte. Es gab nichts, was er nicht gemacht hätte.»

Kein einziges Mal sei er in den eineinhalb Jahren, die er auf dem Hof der Gablers arbeitete, zu spät gekommen. Auch sein Deutsch sei schnell besser geworden. Gablers haben fünf Töchter, und es habe sich immer mal wieder eine von ihnen Zeit genommen, um mit Hayat, wie sie ihn alle nennen, zu üben. «Er hat alles aufgesogen. Wenn er ein Wort nicht verstand, hat er es sich aufgeschrieben und am Abend in der Asylunterkunft auf dem Handy nachgeschaut, was es bedeutet.» Am folgenden Tag habe er es dann gewusst.

Wie ein Sohn Eine Episode sei Lisbeth Gabler besonders hängen geblieben. Sie habe Hayat einmal etwas mit einer Fläche erklären wollen und realisiert, dass er keine Ahnung von Flächen- oder Hohlmassen habe. «Da ist mir auch bewusst geworden, warum ich so lange zur Schule gehen musste», sagt die Bäuerin. Er sei aber total interessiert gewesen. Am kommenden Tag habe er ihr gesagt, dass er es nun verstanden habe. «Er hatte sich auf Youtube Videos eines persischen Mathematikers angeschaut.» Über die Monate sei Hayat für Gablers wie ein Sohn geworden, er war dabei an Familienfesten, an Weihnachten. Sie hätten aber auch gewusst, dass er noch viel mehr leisten könne und wolle. Also vermittelt die Familie ihm eine Lehrstelle bei Johannes Eberle, dem Käser im Dorf. Sie kennen ihn, weil sie seinen Betrieb mit Büffelmilch beliefern.

Auf dem Bau im Iran

Zurück im Pausenraum der Käserei. Über seine Flucht aus Afghanistan möchte Hayatullah Mohammadi nicht zu viel erzählen – auch, um seine Familie zu schützen, die noch immer in dem Land lebt, das seit Jahrzehnten von Kriegen gebeutelt wird.

Mit 16 Jahren wurde er in seinem Heimatland gezwungen, in den Krieg zu ziehen. Er floh in den Iran, wo er schwarz auf Baustellen arbeitete. Er versuchte, Geld zu sparen, um an der Universität Politikwissenschaften zu studieren. Eines Tages wurde er festgenommen, nach Afghanistan zurückgebracht und wieder ins Militär geschickt. Daraufhin flüchtete er in die Schweiz. Zuerst lebte er in Asylunterkünften in Lugano TI und Altstätten SG, bis er der Gemeinde Muolen zugeteilt wurde. Die ersten Wochen in der Schweiz seien schlimm gewesen. «Ich habe mich gefühlt wie in einem Gefängnis.» Er fühlte sich isoliert, durfte nicht arbeiten, erhielt keinen Sprach-

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