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«Es gibt Grund zur Zuversicht»
Flavia Gosteli beschäftigt sich mit psychologischen Effekten rund um die Klimakrise. Ein Gespräch über faule Ausreden, schlechtes Gewissen und Hoffnung.
Text: Ralf Kaminski
Bild: Désirée Good
Wir wissen alle, was wir tun müssten, um die Umwelt zu schonen. Wieso tun wir es dann nicht?
Menschen sind Gewohnheitstiere, der allergrösste Teil unseres Verhaltens ist automatisiert. Nur so finden wir uns in dieser komplexen Welt zurecht. Es fällt fast allen schwer, lang eingespielte Verhalten oder Abläufe zu verändern. Hinzu kommt: Wissen allein reicht nicht, um eine solche Veränderung anzustossen. Zudem stecken wir in einem System, das umweltfreundliche Anpassungen eher erschwert.
Zum Beispiel?
Hört man plötzlich auf, Fleisch zu essen oder zu fliegen, ist man erst mal die Exotin und muss das im eigenen sozialen Umfeld erklären – und Alternativen sind nicht immer einfach verfügbar. Das sind zusätzliche Hürden. Je mehr wir also die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ändern und umweltfreundliches Verhalten zum Standard wird, desto leichter fällt auch die individuelle Anpassung. Was unser Umfeld macht, hat enormen Einfluss auf uns.
Viele empfinden die notwendigen Schritte als Einschränkung. Kann man das auch anders sehen?
Ja. Und zwar, indem wir stattdessen Genügsamkeit in den Vordergrund stellen. Die Forschung zeigt nämlich, dass die Menschen mit einem genügsameren Lebensstil tendenziell glücklicher sind. Wer sich darauf einlässt, empfindet ihn in der Regel nicht als Verlust. Und eigene Erfahrung hilft: Wer sich das nur vorstellt, fokussiert stärker auf das, was er vermeintlich aufgibt. Wer es aber tatsächlich tut, erlebt dann auch die Vorzüge – und weiss sie zu schätzen.
Flavia Gosteli (27) ist Präsidentin von IPU Schweiz, dem Verein für Umweltpsychologie. Sie engagiert sich zudem bei der Schweizer Regionalgruppe von Psychologists for Future, die psychologisches Wissen für die Bewältigung der Klimakrise einsetzen.

Was hilft noch beim Ändern von Gewohnheiten?
Sie anzupassen, wenn es ohnehin einen Wechsel gibt, man also etwa umzieht oder einen neuen Job anfängt. Das ist ein guter Moment, um bewusst Verhaltensweisen zu hinterfragen, denn es müssen sich ja ohnehin neue Gewohnheiten einspielen.
Die Coronapandemie hat gezeigt, dass die Mehrheit zu Veränderungen bereit ist, wenn sie die dringende Notwendigkeit einsieht. Wie schlimm muss es bei Klima und Umwelt werden, damit das auch dort klappt?
Schon jetzt werden überall auf der Welt jedes Jahr Temperaturrekorde gebrochen, es gibt Überschwemmungen, Stürme, Hitzewellen und Feuersbrünste, in der Schweiz schmelzen die Gletscher, und wir haben häufig kaum noch Schnee im Winter. Die Auswirkungen des Klimawandels sind bereits da, viele Menschen bekommen sie am eigenen Leib zu spüren. Aber halt an unterschiedlichen Orten, zu verschiedenen Zeiten, mit verschiedenen Gesichtern und immer nur temporär – weshalb die Krise für die meisten trotz allem noch immer viel abstrakter ist, als es die Pandemie war. Wie sehr das alles mit der Klimakrise zusammenhängt und unsere Lebensgrundlagen bedroht, ist noch nicht genug Menschen klar.
Solange sie es nicht am eigenen Leib spüren?
Genau. Nur: Wenn wir die Klimakrise in ähnlicher Dringlichkeit wie die Pandemie am eigenen Leib spüren, ist es zu spät. Bis dahin können wir nicht warten.
Es gibt diverse psychologische Abwehrmechanismen, um sein Verhalten nicht ändern zu müssen. Bitte kommentieren Sie: Egal, was wir hier in der Schweiz machen, solange China, Indien und die USA nicht umstellen, verpufft das eh alles. Wozu also soll ich mich sinnlos einschränken?
Wir alle sind Teil des Ganzen, jedes Bisschen hilft. Und die Schweiz als kleines, reiches Land kann auch als Vorbild für andere dienen, wenn sie mit einer erfolgreichen Lösung mutig vorangeht und zeigt, dass das gewinnbringender und sinnvoller ist als der alte Weg.
Bevor es keine Gesetze gibt, die alle zu einer Verhaltensänderung zwingen, bringt das nichts, individuelle Bemühungen sind verlorene Liebesmüh
Sind sie nicht, denn je mehr Menschen sich individuell bemühen, desto eher ändern sich auch Strukturen und Normen, desto leichter wird es. Wirksam sind wir tatsächlich erst im Kollektiv, aber damit es so weit kommt, braucht es das individuelle Engagement von uns allen. Besser wäre ohnehin, dieses Verhalten aus innerer Überzeugung zu entwickeln und nicht unter gesetzlichem Zwang.
Ich fahre kein Auto, also kann ich dafür fliegen oder Fleisch essen. Das beruht auf der Vorstellung einer Balance: Wenn man am einen Ort etwas besonders gut macht, kann man dafür an einem anderen etwas weniger gut machen, denn das gleicht sich wieder aus. Hier geht die Rechnung jedoch nicht auf, denn wir müssen ja Konsum und Ressourcenverbrauch insgesamt reduzieren. Und das erreichen wir nur, wenn wir uns überall bemühen – als Individuum und als Gesellschaft.
Nur keine Hektik, das wird sich alles in naher Zukunft technisch lösen lassen, Verhaltensänderungen braucht es nicht. Das Problem ist, dass die Krise schon da ist. Und marktfähige, genügend effektive technische Lösungen sind noch nicht absehbar. Wenn wir auf die warten, wird es zu spät sein.
Und: Es ist ohnehin hoffnungslos, nach mir die Sintflut. Dieses Ohnmachtsgefühl angesichts der Grösse des Problems ist verständlich. Aber es gibt Grund für Zuversicht. Wir wissen, was getan werden muss, wir müssen es nur tun. Und wenn es uns gelingt, die Erwärmung auf 1,7 Grad zu beschränken statt auf 2, macht das einen gewaltigen Unterschied für die künftige Lebensqualität auf der Welt. Wir befinden uns jetzt im entscheidenden Jahrzehnt. Es lohnt sich, um jedes Zehntelgrad zu kämpfen. Aufgeben ist keine Option.
In den vergangenen fünf Jahren hat sich einiges bewegt. Sehen Sie auch Anlass für Optimismus?
Sogar eine Menge. Es ist extrem wichtig, dass wir nicht nur übers Negative reden. Und es gibt wie gesagt Grund zur Zuversicht, dass wir viel bewirken können. Die grosse Mehrheit ist sich des Problems inzwischen bewusst, und auch die internationale und nationale Politik ist aufgewacht. Dass wir per Volksabstimmung im Kanton Zürich beschlossen haben, keine neuen Ölheizungen mehr in Wohnhäuser einzubauen, wäre vor ein paar Jahren noch unvorstellbar gewesen. Auch globale Konzerne haben konkrete Pläne für eine nachhaltige Transformation. Der Ausbau der Solarenergie kommt besser voran, als erwartet. Es ist viel in Bewegung, der Kurs stimmt; nun müssen wir einfach noch einige Gänge höher schalten.
Haben Sie im Alltag schon Dinge verändert, weil Sie sich Sorgen um die Umwelt machen?
Ja, ich esse inzwischen vorwiegend pflanzenbasiert, bin seit acht Jahren nicht mehr geflogen, heize weniger stark, besitze kein Auto und nutze wenn immer möglich Velo oder öffentlichen Verkehr. Und ich setze Zeit ein, um mich in diesem Bereich zu engagieren.
Haben Sie manchmal ein schlechtes Gewissen, weil Sie eigentlich noch mehr tun könnten?
Natürlich! Perfekt umweltfreundlich zu sein, ist in der Welt, in der wir leben, nicht möglich. Man könnte immer noch mehr tun. Es ist aber auch wichtig, sich nicht verrückt zu machen, wenn man in einem bestimmten Bereich nicht alles schafft, was man möchte. Dafür gibt es ja auch Gründe, und wenn die überwiegen, sollte man versuchen, sich damit zu versöhnen. MM