MENSCHEN | MM2, 8.1.2018 9
Hélène Coste
Strassenumfrage
«Das Vertrauen in die Astrologie steigt, je mehr man sich damit auseinandersetzt» Sind Horoskope kompletter Unsinn, oder ist da etwas Wahres dran? Es gibt keine Studie, die das Funk tionieren von Horoskopen belegen würde. Die Astrologie hingegen lässt sich als Symbolsystem begreifen, allerdings haben die Symbole in der Realität keine konkrete Entspre chung. Demzufolge ist eine exakte Überprüfung von Prognosen und Deutungen ausgeschlossen. Wie kommt es, dass Menschen trotzdem auf Horoskope vertrauen? Zeitungshoroskope sind für die meis ten eher Unterhaltung. Anders sieht es aus, wenn jemand ein persönliches Horoskop erstellen lässt. Das hängt einerseits mit der Deutungssituation zusammen: Die Astrologin oder der Astrologe liefert keine fertigen Antworten, sondern bespricht ein persönliches Horoskop eingehend mit den Klienten. Dabei wird gemein sam nach passenden Deutungen ge sucht. Andererseits sind die Aussagen in einem Horoskop immer offen formuliert – jeder findet darin irgend etwas, das auf ihn zutrifft. Interessant ist auch, dass das Vertrauen in die Astrologie steigt, je mehr sich jemand damit auseinandersetzt. Warum? Weil so die Grenzen und Möglich keiten der astrologischen Prognosen besser eingeschätzt werden können. Man hat keine übertriebenen Erwar tungen mehr, die enttäuscht werden könnten. Zudem werden Horoskope meistens nicht aus wissenschaftlicher Neugier bestellt oder mit dem Ziel, diese zu widerlegen, sondern weil die Menschen Fragen haben oder sich in einer Sinnkrise befinden. Sie sind offen für die Antworten, die sie aus einem Horoskop erhalten. Ist die Astrologie nicht einfach Psychologie mit anderen Methoden? Tatsächlich spielt die Psychologie in der zeitgenössischen Astrologie eine wichtige Rolle. Allerdings ist dieser psychologische Einschlag vor allem im deutschsprachigen Raum bemerk
Lesen Sie auch ab und zu Horoskope?
bar. Inden USA ist hingegen die Mundanastrologie beliebt, die sich auf Politik, Wirtschaft und Natur b ezieht. Zur Antrittsrede von Donald Trump etwa wurde ein eigenes Horoskop erstellt. So etwas wird im deutsch sprachigen Raum weniger gemacht. Sind Horoskope auch eine Art Religionsersatz? Statt an Gott glaubt man an die Macht der Sterne? Tendenziell nimmt der Glaube an Gott in der Schweiz ab. Statt an einen bärtigen Mann im Himmel glauben die Menschen heute eher an ein abstrakteres Konzept, etwa an eine höhere Macht oder Energie. Laut einer Studie des Bundesamts für Sta tistik haben aber nur 0,3 Prozent der ständigen Wohnbevölkerung eine esoterische Weltsicht und richten ihr ganzes Leben nach Horoskopen aus. Ich würde das allerdings nicht Ersatz religion nennen, denn dabei schwingt mit, dass es eine religiöse Norm gibt. Wer genau glaubt an Horoskope? Studien zeigen, dass es eher Frauen sind. Diese sind tendenziell gut gebil det, zwischen 40 und 50 Jahre alt, aus einem städtischen Umfeld und häufig geschieden. Man muss aber unter scheiden zwischen Menschen mit starren, esoterischen Glaubensüber zeugungen und sogenannten Konsu mentinnen und Konsumenten. Das sind Menschen, die gerne ausprobie ren und abwechseln. Sie lassen sich einmal ein persönliches Horoskop erstellen, dann machen sie eine schamanische Ausbildung und zehn Jahre später einen Shiatsu-Kurs.
Hélène Coste (32) ist Religionswissenschaftlerin an der Universität Zürich. Sie ist areligiös, also nicht gläubig, steht Religionen aber wohlwollend gegenüber.
Jacqueline Cavalli (55), Administra tive Angestellte, Minusio TI «Zeitungshoroskope lese ich nicht, da sie nicht stimmen können. Dagegen interessiere ich mich für Horoskop bücher, weil die vertiefter sind. »
Christopher Potger (26), Headhun ter, Zürich «Ich lese die Zeitungshoroskope nur ganz selten, ab und zu erkenne ich mich darin wieder, glaube aber nicht daran. Bei den Stern zeichen ist wohl eher etwas dran.»
Warum glauben eher Frauen an Horoskope als Männer? Dafür gibt es keine klare Antwort. Grundsätzlich sind Frauen aber auch eher religiöser als Männer. Sind Horoskope heute beliebter als auch schon? Das Interesse daran ist in den letzten 30 Jahren ungefähr gleich geblieben, da hat es keinen speziellen Boom gegeben. MM
Melanie Michael (29), Projekt leiterin, Zürich «Ich lese nur Zeit schriftenhoroskope. Je rosiger dort die Aussichten sind, desto eher glaube ich daran. Negative Prog nosen kann ich gut ignorieren.»