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Gedanken eines Old Boy

The Spirit of Zuoz

Gedanken eines Old Boy

Durch ein Gespräch mit unserer lieben – und bewunderns- wie dankenswerterweise ausgesprochen aktiven – Präsidentin Nicole Kollars angestossen, hier einige Erinnerungen und Gedanken zum viel zitierten und immer wieder bemühten ‚Spirit of Zuoz‘.

Wir leben in einer Zeit, da mediale Präsenz uns übermannt und Nachrichten schier unausweichlich von uns Besitz ergreifen, auch wenn der berühmte ‚Sack Reis‘ noch weit weg ist. Man kann sich des Eindrucks kaum erwehren, dass der Lebensraum unserer Kinder sich mehr und mehr ins Mediale hinter den Bildschirm verlagert. Das Handy ist omnipräsent. Der Blick aus dem Fenster ist selten.

Im Gegensatz dazu ist es für mich eine grosse Freude, durch das in diesen Tage verschneite und nach etlichen Jahren nicht minder schöne Engadin zu fahren, mit noch immer lebhaften Erinnerungen an eine besondere Zeit voller Eindrücke, die bis heute nachwirken.

Die Erde scheint sich heute schneller zu drehen als in unseren Kindertagen, als wir noch einmal pro Woche einen Brief nach Hause zu schreiben hatten. Alten Zöpfen nachzuhängen liegt mir fern, aber zum Beispiel die Nachtwanderung im Nationalpark, samt Aufstieg auf einen Berg, um dort den Sonnenaufgang zu beobachten, hinterliess einen bis heute präsenten Eindruck. Was hat das mit dem ‚Spirit of Zuoz‘ zu tun? Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, geneigte Leserinnen und Leser, es gilt nicht etwa, den ‚Spirit‘ als Gegensatz zum heutigen, modernen Leben zu verstehen. Der ‚Spirit‘ hat selbst verschiedene mediale Komponenten, wie z.B. die Grundregeln einer höflichen, vernunftbasierten, fairen, sachlichen Kommunikation oder auch die Wirkung nach aussen als mediales Thema. Nur: Der ‚Spirit‘ ist eben viel mehr!

Das Augustfeuer und dessen Vorbereitungen, Wanderungen im Engadin, Ausflüge nach Livigno und an den Gardasee, der Engadiner Marathon, das Last Weekend of July, die Mittelschulmeisterschaften im Eishockey, Sportfeste oder die Arvenholzkiste aus der Schreinerei am Torbogen…die Liste ist schier unendlich. Diese Erfahrungen sind es, die den ‚Spirit‘ erlebbar machen.

TOUR AUF DER THUR

Ein weiteres Beispiel: 1983 wurden mit den Herren Zingg und Salzmann Kajaks gebaut und im Schwimmbad – heute Theater – erstmals ausprobiert. Nach verschiedenen Testläufen auf den

Oberengadiner Seen gingen wir schließlich als Höhepunkt auf eine ‚Tour auf der Thur‘ (Anm. d. Red.: s.Artikel Zuoz Zeitung So 1983).

Es bleiben natürlich die schulischen Pflichten. Mathe, Englisch, Französisch, Deutsch und Latein oder auch Griechisch oder Spanisch, Bio, Geo, Physik und Chemie, Geschichte, Religion, Musik und Kunst u.a.m. – aber was blieb, was wirkt bis heute (ausser bestenfalls Grundkenntnisse betreffend die Zahl Pi und den Subjonctif, Grundwissen über das zentrale Nervensystem, die Photosynthese, das Drehmoment und die Jahreszahl der französischen Revolution)?

Stabilität, Gottvertrauen, Bodenständigkeit, Selbstwertgefühl, Teamgeist, Gemeinsinn, Rücksicht, Vertrauen (trau, schau, wem) kann man im Schulunterricht nur sehr bedingt lehren. Aber im Umfeld einer Schule, besonders eines Internates, haben wir unzählige Möglichkeiten, junge Menschen erleben zu lassen, wie wichtig diese – und viele andere – Eigenschaften, Charakterzüge und Regeln im späteren Leben sind. ‚Werte vermitteln‘ heisst die Devise.

Hier zeigt sich die Wirkung des ‚Spirit of Zuoz‘! Fair Play stand zu meiner Zeit ganz hoch im Kurs, im Sport wie in der Gemeinschaft. Das ist für mich immer noch ein zentraler Baustein des ‚Spirit‘, noch vor dem gesunden Geist in seinem gesunden Körper. Der alles entscheidende Punkt ist doch schliesslich ‚How You Did the Game‘.

Was tun, wenn der schulische Alltag so herausfordern ist wie heute, man dazu noch viel Sport treibt (auch ein wichtiger Punkt), den Leistungsdruck überall spürt, jede Menge Kontakte hat (sicher nicht schlecht) und viele Follower (schon eher bedenklich), wenn alles und jedes bei Facebook, WhatsApp, Instagram etc. kommentiert sein will? Wenig oder besser gar kein Schlaf und kürzere Essenszeiten (bei dem Ausblick vom Speisesaal)?

PROJEKTE FÜR WOCHENENDEN

Nein, das sicher nicht. Über Gewichtungen in der Ausbildung junger Menschen diskutieren – bitte ja. Balance, Ausgewogenheit, Pluralismus, Lebensschule! Ich möchte Schulleitung, Internatsleitung, Schüler und Schülerinnen und deren Eltern – und auch uns Young Girls und Old Boys – dazu aufrufen, sich zu beteiligen, zu diskutieren, wieder mehr ‚Spirit of Zuoz‘ zu wagen… Wie wäre es, einen Wettbewerb unter den Schülerinnen und Schülern auszurufen? Sie sollen sich dazu äussern (dürfen), was für sie heute der besondere ‚Spirit‘ ihrer Schule ist. Jede Generation sollte das für sich aufs Neue erarbeiten. Ein Projektwochen-Thema am Anfang eines jeden Schuljahres? Diejenigen, welche schon im zweiten oder dritten Jahr in Zuoz sind, reflektieren ihre Erlebnisse, und für die Neuen wäre es ein Einstieg ins Thema „warum bin ich gerade ‚hier‘?“ hosen und der zunehmenden Vernachlässigung von Anstandsregeln, egal ob im Alltag, in der Politik oder in der Wirtschaft. Der Teamgeist soll gezielt gefördert werden, was in Zeiten von Corona sicher etwas schwieriger ist (hier macht die ‚Schule‘ aber aktuell einen ‚Super Job‘). Es braucht etwas Philosophie: Worum geht’s eigentlich? Wenn Philosophie kein Schulfach ist, dann bitte einmal die Woche abends. Es braucht House-Meetings mit Themen aus der aktuellen Nachrichtenlage, Rhetorik-Kurse, Ausflüge als Angebot an den meisten Wochenenden, Handwerkliches in der Region und – bitte – etwas Heimatkunde zum Engadin, zu Graubünden und zur Schweiz. Es schadet nicht, zu wissen, wo man ein paar Jahre seines Lebens verbracht hat…

Das Leitbild gibt es wohl, doch ist da nicht ein ‚Gap‘ zwischen Werbebotschaft und dem, was.täglich gelebt wird? Etwas mehr Anleitung zum ‚Spirit of Zuoz‘ – dem großen Alleinstellungsmerkmal unserer Schule – ist notwendig! Berge, Seen, Engadin, Sportmöglichkeiten, IB und Matura – all das liest sich gut. Ich meine aber, gerade der ‚Spirit‘ – erklärt, gelebt und kommuniziert – ist ein herausragend wichtiger Punkt für den künftigen Erfolg der Schule und der jungen Menschen im Leben. Zur Versinnbildlichung des zweiten, zentralen Pfeilers der Zuoz’er Erziehung und Lebensschule könnte das Lyceum (der Kopf von Cerny im Rondell, den ich grossartig finde) an anderer Stelle auf dem Campus um ein weiteres Kunstwerk bereichert werden. ‚The Spirit of Zuoz‘ als offener Wettbewerb, getragen von einer Spendenaktion durch den Zuoz Club – vielleicht zu seinem nahenden 100-jährigen Jubiläum? Gerne offerieren meine Frau und ich hier einen ersten Beitrag als Anstoss.

Denn schlussendlich: Wichtiger als Schulnoten (verstehen Sie mich bitte nicht falsch, aber das leisten andere Schulen auch) sind verinnerlichte Erfahrungen und Werte aus den Jahren oben in den Bergen, die die jungen Leute mit in die Welt hinausnehmen und an die sie – wenn’s gut läuft – immer wieder gerne denken, auf die sie gerne zurückkommen und an denen sie ein Leben lang Freude haben, zu ihrem eigenen Nutzen und zum Nutzen ihrer Umwelt und ihrer Mitmenschen. ZUOZer eben!

Christian Plössl

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