Wirtschaftszeitung - das Unternehmerblatt der Leipziger Volkszeitung | März 2023

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Premiere: Zum ersten Mal wurde der sächsische Digitalpreis in drei Kategorien vergeben. Seite 3

Haushalt: Die finanzielle Lage der Stadt Leipzig sieht gut aus, die der benachbarten Landkreise eher nicht. Seiten 10/11

Ausgabe15

Heft1/2023

Preis:2,90€

Die Erfindungen des Rades, der Dampfmaschine, des Buchdrucks oder Internets … Meilensteine in der Menschheits­geschichte. Sie haben unsere Welt ­grundlegend ­verändert und erleichtert. Doch an allem Anfang steht immer erst einmal eine Idee, ein Gedanke im Kopf eines ­Menschen, aus dem mit der Zeit eine neue, vielleicht eine gesellschafts­verändernde Technologie, ein Verfahren oder eine Methode entstehen kann. Welche fortschrittlichen Ideen bringen die Menschen in den mitteldeutschen Unternehmen hervor? Mit welchen modernen Methoden wollen sie ­unseren ­Alltag erleichtern oder können sie bestehende Prozesse ­verbessern? Und was braucht es, um eingefahrene Denk­muster abzulegen und unbeschrittene Pfade einzuschlagen? Diesen und weiteren Fragen geht die LVZ-Wirtschafts­zeitung in ihrer neuen Ausgabe auf den Grund und zugleich zeigen, wie ­Start-ups es geschafft haben,

IN
Das Unternehmerblatt der Leipziger Volkszeitung wirtschaftszeitung.lvz.de GEDRUCKTUNDDIGITAL –DIELVZWIRTSCHAFTSZEITUNGNIMMTDIEMITTELDEUTSCHEWIRTSCHAFTINDENBLICK.
WIRTSCHAFT ABSOFORTDIGITAL

Editorial

& Leben Stil

Unternehmer Unternehmen

■ Leipzig und Dresden räumen ab

Zum ersten Mal wurde der sächsische Digitalpreis in drei Kategorien vergeben.

■ Akzeptanz für die heimische Rohstoffgewinnung gefordert 4/5

Chef der Schachtbau Nordhausen GmbH möchte die Wertschöpfung im eigenen Land behalten und nicht alles aus dem Ausland beziehen.

■ Boss-Büro – Zu Besuch bei ...

Prof. Jörg Junhold, Geschäftsführer und Direktor des Zoo Leipzig, gewährt Einblick in sein Dienstzimmer.

■ Fracking – Hoffnung oder Albtraum?

Prof. Mohammed Amro von der TU Bergakademie Freiberg wirbt für das derzeit noch umstrittene Verfahren der Erdgas- und Erdölförderung.

■ „Diener der Kultur“

Die Musikalienhandlung M. Oelsner ist eine der ältesten in Deutschland. Michael Rosenthal führt das Geschäft in vierter Generation fort.

Geld

■ Ethik statt Ökonomie

Prof. Wieland Kiess, Chef der Universitäts-Kinderklinik Leipzig, fordert ein Umdenken in der ­Versorgung von Patienten im Krankenhaus – ganz nach dem Vorbild der Pädiatrie.

■ Einnahmen – Ausgaben

Die finanzielle Lage der Stadt Leipzig ist gut, dagegen sieht es bei den benachbarten ­Landkreisen Leipzig Land und Nordsachsen nicht so rosig aus.

■ Chip, Chip, hurra!

IHK-Präsident Kristian Kirpal berichtet über die Investitionsbereitschaft der Betriebe im ­Leipziger Raum und in ganz Ostdeutschland.

■ Erstes „UP! Update Personal“-Event in der LVZ-Kuppel

Leipzig Media startet Recruiting- und Netzwerk-Eventreihe.

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WirbrauchenInnovationen

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15 Torsten Krawczyk,

■ Ökolandwirtschaft – Utopie oder Perspektive für die Zukunft?

Deutschland gilt als Land der Innovationen. Das weltweit erste Auto meldete Carl Benz an, Johannes Gutenberg erfand den Buchdruck, Wilhelm Röntgen entdeckte die Röntgenstrahlen und Konrad Zuse entwickelte den ersten Computer. Alles bahnbrechende Erfindungen, manchmal entstanden durch zufällige Entdeckungen, die schließlich die Welt veränderten, das Leben der Menschen erleichterten und neue Perspektiven für weitere Entwicklungen eröffneten. Ja, sie liegen lange zurück. Aber auch heute noch sind die Deutschen erfinderisch. 2021 haben deutsche Unternehmen und Erfinder insgesamt 25969 Patente beim Europäischen Patentamt angemeldet. Damit belegt Deutschland Platz 2 im weltweiten Vergleich – hinter den USA, aber vor Japan und China. Deutschlands Volkswirtschaft ist eine der zehn forschungsintensivsten der Welt. Um diesen Platz zu halten, wurde schon viel investiert. 2021 steckte Deutschland 3,13 Prozent seines Bruttoinlandsprodukt in Forschung und Entwicklung. Und 75,2 Milliarden Euro haben deutsche Firmen für die eigene, unternehmensinterne Forschung und Entwicklung ausgegeben. Ein guter Schritt, aber mit Luft nach oben.

Denn um diese führende Stellung nicht nur zu halten, sondern auch auszubauen, braucht es noch mehr – etwa bessere Rahmenbedingungen und marktorientierte Förderprogramme.

Doch zurück zum Punkt: Wir forschen und investieren. Deshalb blickt die LVZ Wirtschaftszeitung in dieser Ausgabe auf genau das –die zukunftsorientierten Ideen und Neuerungen. So stellt zum Beispiel P-D Glasseiden aus Oschatz weltweit einzigartige beschichtete Hochleistungsfasern her. Das Technologieunternehmen Profiroll aus Bad Düben hat zwei neue Produktionsverfahren für die Automobilindustrie entwickelt. Die Stahlwerke Feralpi bauen derzeit eine neue Fabrik, die weitgehend emissionsfrei arbeiten wird. Und in Delitzsch entsteht ein Großforschungszentrum, das die chemische Industrie nachhaltig und klimaneutral machen soll. Aber auch auf die Investitionsbereitsschaft der Betriebe werfen wir einen Blick.

Wenn wir über Innovationen sprechen, fällt im gleichen Atemzug das Wort Start-ups. Diese ­jungen Unternehmen sind laut Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz ein „essenzieller Motor für eine zukunftsfähige

Kommentar

Gesellschaft sowie Wirtschaft“. Exemplarisch stellen wir zwei ­Start-ups aus Leipzig mit ihren ­innovativen Lösungen vor.

Im LVZ-Wirtschaftspodcast

„Macher Ost“ gibt Zukunftsforscher Kai Gondlach seine Sicht­weise zur Künstlichen Intelligenz wieder und beschreibt, wie sie das Leben, die Arbeit, Wirtschaft und Gesellschaft in Zukunft verändern wird.

Apropos Innovation. Die LVZ Wirtschaftszeitung rückt seit 2018 die Herausforderungen und Entwicklungen der Wirtschaft in Mitteldeutschland in den Mittelpunkt. Mit dem neuen Digitalmagazin finden Unternehmerinnen und Unternehmer jetzt noch mehr Wirtschafts­themen – informativ –fundiert – ­anschaulich aufbereitet. Wir bieten Wirtschaft für unterwegs zum Blättern und Scrollen (siehe Kasten links)!

In diesem Sinne wünsche ich ­Ihnen viel Spaß bei der Lektüre!

Gründer-Mut in Sachsen

Leben Stil

& Leben Stil

■ Traumschmiede RB

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Der Sprung aus dem Nachwuchs in die Bundesliga ist lang und steinig. Wer schafft ihn bei RB Leipzig? Und zu welchem Preis? Was verlangt die Akademie von den jungen Spielern?

■ Vom tiefen Fall zum Optimismus

Die mitteldeutsche Messewirtschaft erholt sich nach den Pandemiejahren. Drei Standorte ­erklären, warum Präsenzmessen weiter gebraucht werden.

■ Die Leipziger Messe spielt wieder mit

Die Geschäftsführer der Leipziger Messe, Martin Buhl-Wagner und Markus Geisenberger, ­geben im Interview einen Ausblick auf 2023 und was sie Neues planen.

■ Auffallend anders

Das Äußere eines Unternehmens ist mehr als bloße Fassade: Form, Material und Freiflächen können die Philosophie und das Image der Firma transportieren. Drei Beispiele.

■ Hightech im Weinberg

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31 Drohnen mit Spektralkameras, intelligente Logistik, alternative Materialien, moderne Kellerwirtschaft: Das sind die Innovationen im Weinbau.

■ Der mit dem Hund heilt

Sven Griel und seine Co-Therapeutin auf vier Pfoten helfen Jung und Alt in ein aktives Leben ohne Angst und Unsicherheit.

DIE WIRTSCHAFTSZEITUNG – AB SOFORT DIGITAL.

Liebe Leserinnen und Leser, bei einigen Artikel finden Sie solch einen kleinen Kasten inklusive eines QR-Codes. Damit gelangen Sie direkt zu unserem neuen Digital­magazin. Hier erhalten Sie noch mehr Themen rund um die mitteldeutsche Wirtschaft und weitere Hintergrundinformationen. Interessiert? Dann einfach denQR-Code scannen oder direkt auf wirtschaftszeitung.lvz.de schauen!

Impressum

Wirtschaftszeitung – Das Unternehmerblatt der Leipziger Volkszeitung Kontakt: wirtschaftszeitung@lvz.de; www.lvz.de

Für Fragen oder Hinweise zur Lieferung der LVZ-Wirtschaftszeitungerreichen Sie uns kostenfrei unter 08002181-020. Wenn Sie Fragen zu einer Anzeigen-Buchung haben, melden Sie sich bitte unter der Telefonnummer 0341 2181-1909.

Redaktionsschluss: 6. März 2023

Redaktionsleitung: Nannette Hoffmann

Autoren: André Böhmer, Uwe Köster, Ulrich Langer, Patricia Liebling, Ulrich Milde, Andreas Neustadt, Susanne Reinhardt, ­Jochen Reitstätter

Layout: Christiane Kunze

Layout Advertorials: Marius Ludwig

Vermarktung: Björn Steigert, Thomas Jochemko

V.i.S.d.P.: Hannah Suppa

Verlag und Herstellung: Leipziger Verlags- und Druckereigesellschaft mbH & KG Peterssteinweg 19, 04107 Leipzig.

Geschäftsführer: Björn Steigert, Adrian Schimpf

Druck: Pressedruck Potsdam GmbH

Auflage: 20 000

Nächster geplanter Erscheinungstermin: Juni 2023

Preis: 2,90 Euro Bitte beachten Sie die Informationen zur Herkunft und Verarbeitung Ihrer personen­bezogenen Daten: https://www.madsack.de/datenschutzhinweise/

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Mit Blick auf die Start-up-Landkarte im Osten ist auffälig, dass Sachsen ganz vorn mit dabei ist. Dresden, Leipzig, Chemnitz – das sind nicht nur die die drei großen Sachsen-Metropolen. Hier ist auch der sprichwörtliche sächsische Gründergeist besonders häufig anzutreffen. Was wiederum auch kein Wunder ist. Denn mit den beiden Technischen Universitäten Dresden und Chemnitz und der Leipziger Business-School HHL bilden in allen drei Städten entsprechend personell und finanziell gut ausgestattete Hochschulenienrichtungen gute Bedingungen für mutige, junge Kreativ-Köpfe. Die positven Folgen liegen auf der Hand. Mit Staffbase hat sich ein Chemnitzer Start-up mit einer großen Wachstumsrate bundesweit als Softeware-Unternehmen bereits einen Namen gemacht. Für Leipzg stehen Firmen-Namen wie Trivago, Spreadshirt und Mr. Spex, die von HHL-Absolventen gegründet wurden. Und Dresden hat Sun-

fire, einen 2010 gegründeten und weltweit gefragten Spezialisten für Elektrolyse-Technik. So geht sächsisch und gemeinsam mit dem thüringischen Jena sind hier quasi kleine mitteldeutsche Leuchttürme entstanden, die neben den Hotspots in Hamburg, München und Berlin durchaus Potenzial haben, um hier ein Stück Industrie­geschichte entscheiden mitzuschreiben.

Dabei gibt es auch noch einen anderen Grund, warum in Sachsen und Jena die Start-up-Szene ein solch hohes Niveau hat. Und der hängt damit zusammen, dass viele (west)deutsche Großfrimen, den Osten immer noch nur als verlängerte Werkbank sehen. Die DigitalVordenkerin Constanze Buchheim (I-Potenzials), übrigens Absolventin der HHL Leipzg, hat es in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt so formuliert: „Wo Großkonzerne keinen Hauptsitz haben, lässt sich in diesen Kontrukten auch keine Karriere machen ... Für diejenigen, die

Verantwortung übernehmen ­wollen, ist eine Gründung deshalb meistens gar nicht so abwegig und vielmehr eine Chance, sich sozialen Status zu erarbeiten.“

Foto: Hagen Wolf

Dazu kommt, dass die im Osten stärkere Akzentuierung auf dem „Wir“ auch dazu führt, dass viele Neugründungen vor allem den Fokus auf Nachhaltigkeit setzen. Das sind nicht die schlechtesten Voraussetzungen, um sich mit einem neuen Unternehmergeist und neuen Ideen in Sachsen und anderen Ost-Bundesländern am Markt zu etablieren. Natürlich müssen auch Fehlschläge einkalkuliert werden. Gründer-Mut ist ja kein Automatismus auf dem Weg zum Erfolg. Aber er ist der erste Schritt dahin.

Schädliche Engstirnigkeit

Neues hat es meist schwer. Denn es birgt Unbekanntes, Ungewohntes, Unsicheres in sich. Ist also nichts für Angsthasen. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt – sagen die Unerschrockenen. Zum Glück gibt es sie. Wo stünde sonst die Menschheit heute – ohne die mutigen Forscher, Denker, Experimentierer? Kaum auszudenken. Und trotzdem wird der Drang, Neuland zu betreten, nicht selten gedämpft, eingeschränkt oder gar unterdrückt von jenen, die sich nicht so recht trauen, aber zu entscheiden haben, wohin die wissenschaftliche EntdeckerReise gehen soll. Genau das ist die Crux bei Innovationen. Wer verbraucht schon gern unnütz Ressourcen, ohne nennenswerte Vorzüge zu fabrizieren? Trotz allem: Mehr Mut tut not. Schon der US-amerikanische Erfinder und Automobilpionier Henry Ford forderte seinerzeit: „Besorgt mir Ingenieure, die noch nicht gelernt haben, was nicht geht.“

Das heißt mit anderen Worten: Breite Fächer an Innovationen sind auszubreiten und zu pflegen statt einzelne Ideen in schmale Trichter

zu pressen. Nur so gelingt es, das Tor zu neuen technisch-technologischen Zeitaltern möglichst rasch aufzustoßen. Und dies ist dringender denn je angesichts der ökologischen Erfordernisse unserer Zeit. Deshalb ist die engstirnige, gar hemmende staatliche Bevorzugung zum Beispiel der Elektromobilität mehr als zu hinterfragen. Warum nicht sowohl immer effizientere Strom-Autos entwickeln und gleichzeitig alle anderen denk­baren und heute noch undenk­baren Antriebsmöglichkeiten mit Elan erforschen? Gleiches gilt für den Neuererdrang in der Landwirtschaft. Kurzerhand wird Gen-Forschung verboten, statt sie zu fördern, mit dem Ziel, sie nützlich und gleichzeitig unschädlich für Mensch und Umwelt zu gestalten. Wer ist denn so allwissend, Fracking, also Förderung von Erdöl und -gas aus festeren, tiefen Gesteinsschichten, als gefährliche Technologie abzutun, statt sie weiter zu testen, zu vervollkommnen, bis sie auf sicherer Basis die Energieversorgung der Menschheit befördern kann?

Gewiss, am Ende muss alles bezahlbar sein. Und da und dort wird auch der eingesetzte Aufwand nicht den gewünschten Erfolg bringen. Das ist allerdings schon seit Menschengedenken so. Gerade deswegen braucht der Fortschritt ein Klima der Neugierde, einen ­gesunden Geist offenherzigen Forscherdrangs. Zweifelhaftes Zögern, überzogene politische Verfemungen oder gar Verbote sind rasch der Tod toller Entwicklungen. Daher ist Stefan R. Munz, Verfahrenstech­niker aus Köln, ohne Wenn und Aber zuzustimmen: „Innovation ist keine Garantie gegen das Scheitern, aber ohne Innovation ist das Scheitern garantiert.“ Oder anders ausgedrückt: Unsere wertvollsten Rohstoffe sind Innovation und Kreativität.

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Foto: André Kempner
Präsident des Sächsischen Landesbauernverbandes, gibt Auskunft. ■ Kai Gondlach zu Gast im LVZ Wirtschaftspodcast „Macher Ost“ 17 Der Zukunftsforscher gibt seine Sichtweisen zur Künstlichen Intelligenz und mehr wieder. ■ Delitzsch wird zur Wiege der industriellen Revolution in der Chemie 18 Wie das neue Großforschungszentrum den Industriezweig nachhaltig und klimaneutral machen möchte. ■ Verbundenheit zum Standort 20 Seit mehr als 50 Jahren bringt die P-D Glasseiden GmbH ihre Innovationen von Oschatz aus in die Welt. ■ Business-Class 21 Neues aus den Chef-Etagen der regionalen Wirtschaft ■ Kreative Orte zum Arbeiten 22 Die großen Brutstätten für Start-ups in Sachsen im Porträt ■ Jung und dynamisch 23 So haben es rhebo und c-LEcta geschafft, innovative Lösungen auf den Markt zu bringen. ■ Klimafreundlich und innovativ 24/25 Drei Beispiele zeigen, wie Unternehmen ihren Weg in eine grüne und forschungsfrohe Zukunft gestalten. Forschung Innovation & Leben Stil
Märkte & Leben Stil
Foto: Hagen Wolf

Unternehmer & Unternehmen Unternehmer Unternehmen

Sächsischer Digitalpreis: Leipzig und Dresden räumen ab

Es war eine Premiere im Dezember: Zum ersten Mal hat Sachsen den Digitalpreis vergeben. Wirtschaftsminister Martin Dulig kürte Sieger in drei verschiedenen Kategorien, zudem gab es noch einen Sonderpreis. Wer sind die Gewinner und was zeichnet sie aus?

Es war quasi ein Familientreffen der sächsischen Digital-Szene. AufdemAltenSchlachthof in Dresden hatten sich Mitte Dezember mehr als 200 Digitalisierungs­Expertinnen und -Experten aus Wirtschaft, Verwaltung, Wissenschaft und Gesellschaft auf Ein­ladung von Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) zum „forum sachsen digital“ versammelt. Erstmals wurde dabei auch der Sächsische Digitalpreis von Wirtschafts­minister Martin Dulig verliehen. GewinnergabesindreiKategorien. Wer sind sie und wofür wurden sie ausgezeichnet?

Kategorie Wirtschaft:

Increase Your Skills

In dieser Kategorie wurden unternehmerische Leistungen prämiert, die einen hohen Innovationsgrad aufweisen und einen positiven ­Beitrag zur digitalen Transformation leisten. Sieger wurde die ­IncreaseYourSkills(IYS)GmbHaus Leipzig. Sie bietet mit „KOMMSTARTER®“einProduktan,dasdie ­Sicherheit von Kommunalverwaltungen nachhaltig verbessert, indem es Cyberattacken simuliert, analysiert und Onlinetrainings anbietet. Gegründet wurde IYS 2017. Das Unternehmen entwickelte sich schnell zu einem wichtigen Akteur auf dem Markt der Security­-

Awareness und wurde als eines der 100 am schnellsten wachsenden Start-ups in Deutschland im Jahr 2020gelistet.IYShilftsowohlöffentlichen Auftraggebern als auch privatwirtschaftlichen Unternehmen dabei, die Eintrittswahrscheinlichkeit von erfolgreichen Cyberangriffen drastisch zu reduzieren. Finanziert unter anderem durch den Technologiegründerfonds Sachsen (TGFS) will IYS einen nachhaltigen Beitrag zur Digitalisierung von Prozessen im Bereich der Informationssicherheit und des Datenschutzes leisten. Mehr als 50ProzentderKundinnenundKunden von IYS stammen aus dem ­öffentlichen Sektor. Das Unternehmen wird geleitet von Carolin Andree und Hannes Hartung und konnte in den vergangenen Jahren auf 24 Angestellte anwachsen.

Durch eine Kooperation mit der Stadt Leipzig und der Zusammenarbeit mit den Daten- und Sicherheitsbeauftragten konnte IYS die Onlinetrainings individuell auf die Problemstellungen öffentlicher Verwaltungen auslegen. Verwaltungen bezahlen für die Nutzung der Software eine ­Lizenzgebühr pro Person pro Jahr und können diese dann im gebuchten Umfang nutzen. In SachsensinddieProduktevonIYSbereits unter anderem bei der Stadt Leipzig, derStadtBurg,demKreisGörlitzund der Stadtverwaltung Borna im Einsatz. Deutschlandweit erhöhen be-

reits mehr als 60 KommunalverwaltungenihrSicherheitsniveaumitIYS.

Kategorie Gesellschaft:

New Work Design Lab

Diese Kategorie zielte auf innovative, digitale Lösungen ab, die einen spezifischen gesellschaftlichen Mehrwert stiften. Sieger wurde das transdisziplinäre New Work Design Lab an der Fachhochschule Dresden (FHD). Es entwickelte eine Lernanwendung, die als Mikrolerneinheit im Ausbildungsberuf Elektroniker/-in mit der Fachrichtung Energie- und Gebäudetechnik Anwendung findet. Die Auszubildenden konnten sich frei in einer WBS70-Wohnungbewegen.Siemussten einen Elektroherd unter Beachtung der fünf Sicherheitsregeln ordnungsgemäß installieren. Die AusbilderundAusbilderinnen konnten dem Szenario über eine Zuschaueransicht im Browser folgen und den Auszubildenden Unterstützung leisten. Die Virtual-Reality-TechnologiemachtedieAufgabeinteraktiv und risikofrei erlebbar. Das eingereichte Projekt entstand in Zusammenarbeit mit dem Elektrobildungs- und Technologiezentrum (EBZ) in Dresden. Das EBZ ist Kompetenzzentrum für Energiegewinnungs- und Hochspannungstechnik. Als anerkannte überbetriebliche Berufsbildungsstätte ist das EBZ in Dresden und Bautzen Lernort im dualen System der Be-

rufsausbildung und Durchführungsort für die überbetriebliche AusbildungsowiePrüfungsstandort für mehrere Prüfungsausschüsse. Das EBZ ist als Zentrum für Schulung, Beratung und aktuellen ­Wissens- und Technologietransfer in Mitteldeutschland etabliert und auch über das Elektrotechnische

Der Sächsische ­Digitalpreis Neben interaktiven Formaten zur Vernetzung der Teilnehmenden aus den Bereichen Wirtschaft, ­Wissenschaft, Verwaltung und ­Zivilgesellschaft war die erst­malige Verleihung des Sächsischen ­Digitalpreises in drei Kategorien ein besonderer Höhepunkt der Veranstaltung. Mit dem Preis möchte das Sächsische Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr (SMWA) auf die vielen lokal ­Handelnden mit ihren viel­fältigen ­Innovationen und Lösungs­ansätzen im Zuge der Digitalisierung ­aufmerksam machen und heraus­ragende Beiträge ehren. Er ist mit einem Preisgeld von insgesamt bis zu 165 000 Euro dotiert und wurde jeweils in den Kategorien „Wirtschaft“, „Gesellschaft“ und „Open Source“ vergeben.

Kompetenznetzwerk ELKOnet bundesweit anerkannt.

Kategorie Open Source: Stiftung „Ecken wecken“

In dieser Kategorie wurde ein besonderes Augenmerk auf gemeinwohl-fördernde Innovationen auf Open-Source-Basis gelegt. Die Leipziger Stiftung „Ecken wecken“ mit der von ihr entwickelten App „Leipzig giesst“ als Sieger macht seit 2009 ihren Namen zum Programm. Dazu hat sie verschiedene Aktivitäten vorzuweisen. Von der Gestaltung des Areals Bürgerbahnhof Plagwitz bis hin zur Etablierung eines bürgerschaftlichen Netzwerkes. Es geht immer darum, dass Menschen ihr Quartier nach ihren Wünschenmitgestaltenkönnen.Sie bringenersteLösungsideeneinund werden bei der Weiterentwicklung undUmsetzung bestmöglichunterstützt – und zwar im Rahmen sogenannter Lösungsteams.

„Leipzig giesst“ ist als eines dieser 23 Lösungsteams seit Juli 2020 organisiert und besteht derzeit aus zwölf Teammitgliedern. Anlass ­waren die Meldungen von bis zu jährlich 2000 trockenheitsbedingt gefällten Stadtbäumen in Leipzig, die für ­viele Menschen angesichts des sichtbar schlechten Zustands mancher Bäume sehr greifbar war und zugleich motivierte, dagegen aktiv zu werden. Das Ziel: Der ErhaltderStadtbäumemiteinerGieß-

Mit dem Sächsischen Digitalpreis ­möchte der Freistaat Sachsen auf die ­zahlreichen lokalen Handelnden mit ihren vielfältigen Innovationen und ­Lösungsansätzen im Zuge der Digitalisierung ­aufmerksam machen und herausragende Beiträge ­ehren. Fotos: David Pinzer/ SMWA, Adobe Stock; Collage: Christiane KunzE

App ­inklusive Aufruf zum MitgießenundbegleitendenAktionenund Ver­anstaltungen. Beteiligt an der Arbeit sind neben der Stiftung „Ecken wecken“ das Amt für Stadtgrün und Gewässer, der BUND Leipzig, das OK Lab Leipzig und ­engagierte Einzelpersonen. In zweiwöchentlichen Treffen berät das Team über anstehende Heraus­forderungen, entwickelt die App oder andere Aktionen weiter und evaluiert die bisherige Arbeit.

Sonderpreis: Verein Dezentrale

Die Jury hatte sich zu diesem Sonderpreis entschlossen, der mit 15000 Euro dotiert ist. Er geht an den Verein Dezentrale, der 2017 in Leipzig gegründet wurde. Seit dem Frühjahr 2020 bereitet der Verein in dem Projekt „Hardware for Future“ gespendete Computer auf, gibt sie an bedürftige Menschen aus ­Leipzig weiter und sorgt damit für die­digitaleTeilhabederMenschen, die bisher über keinen Computer verfügen.

AB SOFORT DIGITAL. Das sind die Preisträger des Sächsischen ­Digitalpreises 2022

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Von André Böhmer
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Schachtbau-Chef fordert heimische Rohstoffgewinnung

Traditionsreiches thüringisches Unternehmen hat sich auf eine breite Basis gestellt

Experten schlagen Alarm. „Die Rohstoffknappheit wird für die deutsche Wirtschaft künftig eine zentrale Herausforderung werden“, sagt Peter Buchholz, Chef der DeutschenRohstoff-AgenturinBerlin. Dabei ist die Bundesrepublik „auf eine sichere Rohstoffversorgungangewiesen“,heißtesimBundeswirtschaftsministerium.

AlleinfürdieEnergiewendewird eingigantischerBedarfbenötig.Zur Windenergieerzeugung braucht Deutschland bis 2030 rund 5500 Tonnen Seltene Erden. Letztere wiederum werden zu 50 Prozent in China produziert. Das Land hat nach Angaben von Hubert Jäger, Professor an der Technischen UniversitätDresden,zudem„90Prozent des Eisenerzaufkommens im Griff“. FürsiebenvonneunkritischenRohstoffen ist China nach Angaben des Ifo-Instituts unter den Top fünf der wichtigsten Exporteure weltweit. Die Bundesrepublik ist nicht gerade reichanRohstoffen,alsoaufEinfuhren von Lithium und Kobalt, Kadmium, Silizium & Co. angewiesen.

Deutschland importierte 2021 Rohstoffe im Wert von 211,2 Milliarden Euro (Energierohstoffe, Nichtmetalle und Metallrohstoffe). Dies entspricht einem Plus von etwa 71,5 Milliarden Euro (+51,1 %) gegenüber dem Vorjahr.

Akzeptanz für heimische ­Rohstoffgewinnung nötig AlldasweißnatürlichauchMichael Seifert. Schließlich ist er Vorsitzender der Geschäftsführung der Schachtbau Nordhausen GmbH, ein Unternehmen, das als Bergbaudienstleister groß geworden ist. Der Manager kennt also alles rund um das Heben von Bodenschätzen.

„Wir brauchen eine neue Akzeptanz für die heimische Rohstoffgewinnung“, fordert der Experte. Ansonsten gehe „eine Menge Wertschöpfung für uns verloren“. Deutschland könne sich nicht darauf einstellen, „alles aus dem Ausland zu beziehen“.

Deutschland hat im Jahr 2021 mineralische Rohstoffe und Energierohstoffe im Wert von 108,5 Milliarden Euro exportiert, was einer Zunahme um 33,5 % gegenüber dem Vorjahr entspricht.

So hätte auch beim beschlossenen Ausstieg aus der Braunkohle mitbedacht werden müssen, dass bei der Verstromung als Abfallstoff REA-Gips entsteht. „Das macht ein Drittel unseres Bedarfs aus“, sagt der Bergbau-Ingenieur. Gleichzeitig solle die energetische Sanierung der Gebäude vorangetrieben werden,wofürwiederumGipserforderlichsei.FernergebeesinderBevölkerung regelmäßig massive Wider-

In den Bereichen, in denen wir unterwegs sind, herrscht bis jetzt eine konstante Nachfrage.

stände,wennesumdasErschließen neuer Abbaugebiete für Gips oder Kies gehe. Hier sei eine sorgfältige Abwägung angebracht. Seifert nennt ein anderes Beispiel. Die Windkraftanlagen veränderten die Luftströme, werfen Schatten. „Welche Auswirkungen hat das? Auch über solche Fragen müssen wir nachdenken.“ Durchaus kritisch beurteilt er den Widerstand gegen heimisches Frackinggas. Wer aber gleichzeitig diese Energie aus anderen Ländern beziehe, müsse sich schon eine gewisse Doppelmoral vorwerfen lassen. Ähnliches gelte für die Kernkraft. Leider habe sich die Bundesrepublik hier auch aus der Forschung weitgehend verabschiedet.

Langfristig denken und investieren

Der Geschäftsführer des Industrieunternehmens, dessen Ursprünge bisinsJahr1898zurückreichenund

das im vorigen Jahr bei einem ­Umsatz von 120 Millionen Euro –trotz Corona- und Ukraine-Krise –wieder schwarze Zahlen schrieb,

Einsatz im Himalaya: Im Gebiet Wangdue im Königreich Bhutan wird ein Wasserkraftwerk errichtet. Dazu wird unter anderem ein 8,5 Kilometer ­langer Druckstollen errichtet.

mahnt langfristiges Denken an, wie es ­etwa im Bergbau der Fall sei. Bereits vor der Förderung müsse jede Menge Geld in die Hand genommen werden. Das beinhalte auch enorme Rückstellungen für die spätere nachhaltige Rekultivierung. „Der Raum Leipzig mit der Seenlandschaft im Süden ist ein Paradebeispiel dafür“, meint Seifert, der auch Präsident des bundesweit agierenden Branchenverbandes Bergbau, Geologie und Umwelt (VBGU) ist.

BeialldenSorgenüberdenWirtschaftsstandort Deutschland – bei derSchachtbauNordhausenGmbH mitihren800BeschäftigteninNordhausen und weiteren 250 in Kasachstan überwiegt der Optimismus. „Ja, leichter ist das Geschäft nicht geworden“, kommentiert Seifert Konjunkturflaute und Verunsicherungen durch den UkraineKrieg. „Aber in den Bereichen, in denen wir unterwegs sind, herrscht bisjetzteinekonstanteNachfrage.“ Die Auftragsbücher umfassen ­Order über mehr als 200 Millionen Euro. Zudem ist es der Ge-

4 Unternehmer Unternehmen & Leben Stil
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Von Ulrich Milde
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Michael Seifert Vorsitzender der Geschäftsführung der Schachtbau Nordhausen GmbH
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Schacht Konrad

Die Schachtanlage Konrad im niedersächsischen Salzgitter ist das erste nach dem ­Atomrecht genehmigte Endlager für schwach- und ­mittelradioaktive Abfälle in Deutschland. Ab 2027 sollen in dem ehemaligen Eisenerzbergwerk bis zu 303 000 Kubikmeter Abfälle eingelagert werden. Über die Schächte Konrad 1 und Konrad 2 wurde ab 1961 Eisenerz gefördert. Bereits zwölf Jahre später endete aus wirtschaftlichen Gründen der Abbau. 2002 genehmigte die von Ministerpräsident Sigmar Gabriel geführte ­niedersächsische Landes­regierung das Endlager. 2007 wurde das durch das Bundesverwaltungsgericht letztinstanzlich bestätigt. Es gab heftigen Widerstand gegen die Pläne. Rund zwei Drittel der für das Endlager bestimmten radioaktiven Abfälle stammen aus Kernkraftwerken sowie ­Betrieben der kerntechnischen Industrie. Außerdem sollen dort Materialien aus dem Rückbau von DDR-Kernkraftwerken aufgenommen ­werden.

schäftsführung erfolgreich gelungen, die Firma auf eine breite und solide Basis zu stellen. Neben dem Bergbau sind die Anlagentechnik, der Stahlbau und der Maschinenbau weitere Betätigungsfelder.

Projekte, die sich sehen lassen können

Außerdem sei vieles von dem, was das Unternehmen liefere, konjunkturunabhängig. „Kläranlagen zu modernisieren, können Kommunen nichtewighinauszögern.“Schachtbau gehört hier zu den ersten fünf Dienstleistern in Deutschland und bietet von der Edelstahlfertigung bis zur Montage vor Ort eine Art Komplettpaket. Die Sanierung von stählernen, in die Jahre gekommenen Brücken könne oftmals nicht aufgeschoben werden. Die Schachtbauer sind da seit vielen Jahren vor allem in NordrheinWestfalen tätig. Auch die ersten nach der Wende gebauten Brücken im Osten zeigten ersten Verstärkungsbedarf, berichtet Seifert und nennt beispielhaft ein Bauwerk der A2 bei Hohenwarte.

Im Bergbau sorgt nach seinen Angaben das Auffahren neuer ­Strecken in einem kasachischen Chromerzbergwerk „für stete jährlicheUmsätzeimzweistelligenMillionenbereich“. Für das Lehr- und Forschungsbergwerk der TU Bergakademie Freiberg wurde gerade ein 1,5-Millionen-Euro-Auftrag ­abgearbeitet. Am zukünftigen Atomendlager Schacht Konrad im niedersächsischen Salzgitter mischen die Thüringer ebenfalls mit. Aus 1200 Tonnen Stahl soll für 50 Millionen Euro ein Förderturm entstehen, „das Herzstück der ­Anlage“.IndemfrüherenEisenerzbergwerk sollen ab 2027 schwachund mittelradioaktive Abfälle, die auch im medizinischen Sektor anfallen, eingelagert werden. Unternehmen blickt positiv in die Zukunft Schachtbau hat zudem einen 30 Millionen Euro umfassenden Erweiterungsauftrag von der Bundesgesellschaft für Endlagerung erhalten. Bis 2024 soll im untertägigen Streckensystem des Schachts eine

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Circa 1486 Quadratkilometer ­(entspricht 0,416 %) der Landfläche Deutschlands wurden bis Ende 2020 als Abbauland, also Bergbaubetrieb, Tagebau, Grube und Steinbruch ­genutzt.

Aufgrund von Rekultivierung und ­Renaturierung für eine Folgenutzung der Flächen ist die jährlich berechnete Abbaulandfläche rückläufig.

Quelle: Deutsche Rohstoffagentur

40 Zentimeter starke Betoninnenschale einschließlich einer Fahrbahndecke eingebaut werden. Das Atomendlager der DDR in Morsleben soll gleichfalls verwahrt ­werden. Im Rahmen eines Forschungsprojekts wollen die Schachtbauer zunächst an einem Referenzstandort ein Abdichtbauwerk errichten und dieses dann zwei Jahre lang auf Durchlässigkeit testen.

Die Suche nach einem Endlagerstandort in Deutschland ist nach ­Seiferts Einschätzung deshalb so schwierig, „weil sie ideologiebe­lastet“sei.InFinnlanddagegenhätten sich die Kommunen um den Standort gestritten. Da schüttelt der Ingenieur über die Bundesrepublik ein wenig den Kopf. Unterkriegen lässt er sich deshalb nicht. Denn er sieht zumindest für sein Unternehmen, das 1992 durch die Bauer Gruppe im bayerischen Schrobenhausen privatisiert wurde, eine positive Zukunft. „Uns wird es auch in weiteren 125 Jahren noch geben.“ Aller Rohstoffknappheit zum Trotz.

Die Müngstener Brücke ist fertig saniert. Das Bauwerk führt in einer Höhe von 107 Metern Züge zwischen Solingen und Remscheid über die Wupper. Die Stahlprofile haben zusammen ein Gewicht von mehr als 4900 Tonnen.

Fotos: Schachtbau ­Nordhausen GmbH

AB SOFORT DIGITAL. Volle Auftragsbücher bei der Schachtbau Nordhausen dank mehrerer Tätigkeitsfelder

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Unternehmer Unternehmen & Leben Stil 5
Blick in den Schacht Konrad.

Boss-Büro

Ein Blick in das Büro von Prof. Dr. Jörg Junhold, Geschäftsführer und Direktor des Zoo Leipzig

Diesen Fußball bekam Prof. Dr. Junhold von Sportbürgermeister ­Heiko Rosenthal überreicht – anlässlich der ­Ernennung zum Leipziger Botschafter für die Fußball-EM 2024.

Diese Elefantenstatue hat er von ­seinem Vorgänger übernommen. Sie ist ein Geschenk der ersten ­Vietnam-Delegation in den 1980er Jahren.

Die Leipziger Lerche bekam der Zoodirektor kurz vor der Eröffnung von Gondwanaland überreicht.

Der Globus steht für die Internationalität des Leipziger Zoos.

Dieses Kunstwerk wurde vor einigen Jahren von einem Affen gemalt und hängt seitdem in Prof. Dr. Junholds Büro.

Prof. Dr. Jörg Junhold wirkt locker und entspannt. Man sieht ihm ­deutlich an, dass er zufrieden ist –und das aus gutem Grund. Der ­58-Jährige feierte Ende des vergangenen Jahres sein 25-jähriges Dienstjubiläum als Direktor des Leipziger Zoos. „Wir können alle gemeinsam sehr stolz sein, wie sich der Zoo in den vergangenen Jahren entwickelt hat“, sagt er ­lächelnd und mit strahlenden Augen. Als er 1997 angefangen habe, sei der Zoo noch eine „große Sanierungsaufgabe“ gewesen, die er mit Enthusiasmus, Leidenschaft und einer großen Portion Mut angegangen sei. Auch deshalb gehört der Zoo Leipzig heute international zu den besten. Daran hat Jörg Junhold einen großen Anteil. Schließlich hat er in den letzten 25 Jahren die Entwicklung des Zoos vorangetrieben – mit dem Konzept „Zoo der Zukunft“. Genauso systematisch wie bei seinen Plänen zur Entwicklung des Leipziger Zoos geht Prof. Dr. Jörg Junhold auch bei der Büro-Nutzung vor. „Es muss immer aufgeräumt sein, die bearbeiteten Dinge müssen weg, damit wieder Platz für neue Sachen ist“, sagt er lächelnd: „Dabei habe ich meine eigene Ordnung, damit ich die Dinge später auch wiederfinde.“ Das gilt übrigens auch für den privaten Jörg Junhold. Zoodirektor zu werden, gehörte für Prof. Dr. Junhold eigentlich nicht zur Lebensplanung. Auf Anraten seiner Frau bewarb sich der ausgebildete Tierarzt im März 1997 auf eine freie Stelle – mit Erfolg. „Die Stadt Leipzig suchte damals einen Zoodirektor, der Erfahrung im Management und möglichst einen beruflichen Bezug zu Tieren hat. Das hat einfach gepasst.“ Hoch­motiviert stürzte er sich in seine neue ­Aufgabe, die er längst als den „schönsten Job der Welt“ bezeichnet. Andreas Neustadt

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Fotos: André Kempner Auch diese Klingerfigur hat er von ­seinem Vorgänger übernommen, weil sie „ästhetisch sehr schön“ ist.
6 Unternehmer Unternehmen & Leben Stil

Fracking in Deutschland –Hoffnung und Albtraum zugleich für Mohammed Amro. Denn diese „vielversprechende Technologie der Erdgasförderung ist hierzulande absolut verboten“. Seit 2017 „geht hier gar nichts mehr“, ärgert sich der Professor für Geoströmungs-, Förder- und Speichertechnik. Als Direktor des Instituts für Bohrtechnik und Fluidbergbau der Technischen Universität Bergakademie Freiberg wurmt ihn dieser Umstand außerordentlich. „Diese Restriktion ist völlig irrsinnig“, schimpft der 62-Jährige in ­Hebron geborene Palästinenser. Deshalb wird er nicht müde, unablässig für dieses „erprobte und bewährte Verfahren zur Energiegewinnung“ zu werben, damit dessen Beschränkung in Deutschland

„endlich wieder aufgehoben wird“.

Erst dann werde sich sein Unmut in Luft auflösen, solch „wertvolles Gas, das in sehr dichtem, tonigem Gestein tief unter der Erde auch bei uns lagert, ungenutzt zu lassen“.

Mit Fracking „Gasbedarf etwa 27 Jahre lang aus eigener Kraft decken“

DasistschizophrenausseinerSicht, wie er schon vor fast zehn Jahren in einem Beitrag der Leipziger Volkszeitung kritisierte. Bereits damals forderte er sehr vehement, „Fracking nicht zu verteufeln“, wie die Überschrift des Interviews lautete. Darinsagter:„Wirsolltenunsdurch eingenerellesVerbotnichtdenWeg versperren, heimische Gas-Vorkommen bei Bedarf zu fördern.“

Seine Worte von 2014 hätten nichts an Aktualität und Brisanz verloren, meint der Wissenschaftler im Gespräch mit der Wirtschaftszeitung.

Denn genau diese „verdeckte Vergeudung–sprichNichtnutzung–ist momentan besorgniserregender als jezuvor“.Amrospieltdabeiaufden russischen Krieg gegen die Ukraine an, der den weltweiten Energiemarkt kräftig durcheinanderge­wirbelthat.„DieLageistäußerstangespannt. Gerade deshalb ist auf heimische Rohstoffe zurückzugreifen.“Dashelfe,Abhängigkeitenbei der Energieversorgung Deutschlands zu minimieren. Amrowartetauchgleichmitkonkreten Zahlen auf. „Schätzungsweiseliegtdastechnischförderbare Potenzial der Gaslagerstätten in Deutschlandbeibiszu2300Milliarden Kubikmetern. Der Jahresverbrauch bei uns beträgt etwa 85 Milliarden Kubikmeter. Nach Adam Ries können wir also unseren Gasbedarf etwa 27 Jahre lang aus eigener Kraft decken.“ Es sei mehr als unverständlich, „diese Schätze nicht zu heben“, sagt der verheiratete Vater dreier Kinder und schüttelt den Kopf. Andere Länder der Welt würden es viel durchdachter und überzeugender angehen. „In den USA wird beispielsweise seit 1947 gefrackt, ohne Unterbrechung.“ In Großbritannien sei dieses Förderverfahren gerade wieder erlaubt worden.

Kältefracking – Neues Verfahren der TU verspricht mehr Sicherheit

Dessen Gegner führen verschiedene Argumente ins Feld, die Amro aberallezuentkräftenversucht.Vor einer angeblichen Grundwasserverunreinigung werde gewarnt.

„Das ist falsch, denn die Bohrungen werden mit Stahlelementen druckgesichertundvollständigabgedichtet.“ Dann sei von Beben die Rede, die Fracking verursache. „Das ist einfach nicht bewiesen“, sagt der Freiberger Experte. Die Arbeiten fänden in einer Tiefe von 1000 bis 5000 Metern statt. „Die darüber liegenden Schichten dämpfen also Vibrationen enorm. Da ruckelt es in der Wohnung mehr, wenn eine Eisenbahn am Haus vorbeifährt.“

Schließlich fürchten manche, Methan-Gas könne unkontrolliert austretenoderunsaubereFlüssigkeiten

könnten ins Grundwasser entweichen. „Die schon genannten Stahlwände bei den Bohrungen und die dicken Erd-Deckschichten über der Lagerstätte wirken wie eine Barriere. Keine Gefahr also“, ist der Professor, der 2009 dem Ruf der Bergakademie folgte, überzeugt. Und er weiß, wovon er spricht. Immerhin forscht er seither in

Fracking: Hoffnung oder Albtraum?

Fracking

Beim Fracking handelt es sich um eine spezielle Technologie der ­Erdgas- und Erdölförderung aus sehr dichtem, tonhaltigem Gestein. Experten sprechen dabei von ­unkonventionellen Lagerstätten im Gegensatz zu jenen, wo das Gestein durchlässig ist, aber lediglich von einer Deckschicht belegt ist. Um dennoch Gas und Öl aus den dichten Gesteins­schichten zu „befreien“, wird beim ­Fracking nach einer vertikalen Tiefenbohrung ­horizontal weiter gebohrt. In diesem Teil des Rohres be­finden sich feine Löcher, aus denen dann eine spezielle Flüssigkeit gepresst wird. Dadurch ­entstehen feine Haarrisse, aus denen das Gas beziehungs­weise Öl ausströmen kann. Damit die Risse sich nicht wieder verschließen oder ­verstopfen, wird in sie mit der Flüssigkeit feiner Stützmittelsand gespült. Er setzt sich dort fest, ist durchlässig. So kann das Gas/Öl austreten, verdrängt die Frackingflüssigkeit ­heraus und ­gelangt in dem Bohrloch dann an die Erdober­fläche und wird dort aufgefangen für die ­weitere Nutzung.

Mohammed Amro, Professor für Geoströmungs-, Förder- und Speichertechnik an der TU Bergakademie Freiberg, wirbt für Fracking als „erprobtes und bewährtes Verfahren zur Energiegewinnung“

Sachen Fracking. Unter seiner Ägide verteidigten bislang drei Promovenden erfolgreich ihre Dissertationen zu diesem Thema. „Leider ­haben wir unsere Tätigkeit auf diesem Gebiet inzwischen auf Eis legen müssen. Es fehlen die Mittel ­dafür seit 2017“, ist Amro wenig erfreut. Zumal eine verheißungsvolle neue Version beim Fracking in ­seinem Institut kreiert wurde. „Wir habendabeiflüssigenStickstoffeingesetzt. Dadurch muss kein Druck mehr aufgebaut werden im Erdreich. Kältefracking ist das Stichwort.“ Das verspreche noch mehr Sicherheit bei dieser Art des Bergbaus.

Sich dies entgehen zu lassen, grenzt an eine Art von ­wirtschaftlichem Selbstmord.

Mohammed Amro Professor für Geoströmungs-,Förder- und Speichertechnik

Mohammed Amro

Mohammed Amro wurde am 25. Oktober 1960 in Hebron ­(Palästina) geboren. Dort ­lebte er sieben Jahre und floh 1967 wegen des Sieben-TageKrieges nach Jordanien in die Hauptstadt Amman.

Anfang der 1980er-Jahre nach dem Abitur ging er nach Clausthal (Niedersachsen/ Landkreis Goslar), lernte dort Deutsch. An der TU Clausthal schloss er 1991 sein Studium als Diplom-Ingenieur ab –Fachrichtung ­Tiefbohrtechnik, Erdöl- und ­Erdgasgewinnung.

An dieser Universität ­promovierte er 1994.

Von 1996 bis 1998 arbeitete

Mohammed Amro in der Qatar Drilling Company (Santa Fe), ­anschließend am Lehrstuhl der King Saud University in SaudiArabien (Petroleum ­Engineering Dept.)

Im August 2009 folgte er dem Ruf der TU Bergakademie ­Freiberg und übernahm hier die Professur für Geoströmungs-, Förder- und Speichertechnik.

Seit April ist er Direktor des Instituts für Bohrtechnik und ­Fluidbergbau an der Berg­akademie. Mohammed Amro ist verhei­ratet und Vater dreier Kinder.

Unabhängigkeit und ­Versorgungssicherheit

Abgesehen davon, seien in DeutschlanddieseitJahrenfürBohrungenjeglicherArtgeltendenVorschriften des Bergamtes so streng, dass „mögliche Risiken faktisch ausgeschlossen sind“. Gerade deshalb sei das strikte Frackingverbot um so unverständlicher. Zugleich hälterdieDauervonetwazweiJahren für das ganze Genehmigungsprozedere für überzogen. Zudem gebe es genügend erfolgreiche positive Erfahrungen weltweit. Immerhin sei seit 1961 in Deutschland gefrackt worden – „bis 2012 waren es 500 Bohrungen. Dann gaben die Firmen auf, weil das Aus für diese Technologie bereits drohte.“

Dasstimmtdie30Mitarbeiterdes

Instituts der „Ressourcen-Universität – seit 1765“, wie sich die Bergakademie bezeichnet, mehr als traurig. Immerhin sehen sie einen riesigenVorteilindenvorhandenen deutschenVorkommen:inSachsenAnhalt, im Thüringer Becken, nahe der Halbinsel Usedom und in Niedersachsen. Gerade mit Blick auf die globale Versorgungssicherheit mit Energie sei die Hebung der Schätze von enormem Wert. Je mehrgefördertwird,„umsogünstiger sind die Weltmarktpreise, die ja gerade in letzter Zeit kräftig in die Höhe geschossen sind“, gibt Amro zubedenken.EinheimischesGaszu nutzen, statt es zu importieren, „ist mehr denn je angesagt“. Gefördert werde dann „nach unseren Vorstellungen, da kann uns nichts dazwischenkommen etwa durch Unwägbarkeiten andernorts. Insofern hat das eigene Gas sogar eine strategische Bedeutung, sich nämlich vom Ausland unabhängiger zu machen.“ Zudem sei der Gaspreis „durch uns selbst bestimmbar“. Und auch die Witterungsabhängigkeit bei der Energieversorgung sinke. Anders „wenn zum Beispiel SchiffemitFlüssiggasLNGüberdie Meere fahren und bei Sturm stoppen müssen oder nicht durch den Suez-Kanalkommen,weilvielleicht wieder ein Tanker quer steht“.

Nicht zuletzt sieht Amro sogar einen ökologischen Vorzug beim einheimischen Fracking. „Bei LNG

muss das Gas erst verflüssigt werden mittels Kompressoren, um es späterwiederinGasumzuwandeln. Das belastet die Umwelt mit CO2.“ Selbstredend bedinge auch der TransportüberdieOzeanedenAusstoßdesschädlichenKohlendioxids.

Und das, so Amro, „obwohl ­Fracking eine wissenschaftlich fun­dierte Technologie darstellt. Wir sollten sofort wieder beginnen mit dieser Art der Förderung von Energierohstoffen. Die USA haben

längst bewiesen, dass sie sich damit von Importen unabhängig gemacht haben.“ Auf die Vereinigten ­Staaten „entfallen derzeit 23 ProzentderweltweitenGasproduktion, sie exportieren inzwischen“. Es rechne sich also zu fracken. „Sich dies entgehen zu lassen, grenzt an eine Art von wirtschaftlichem Selbstmord.“ Also fehle jeglicher Grund,Frackingzuverteufeln,„wie ich bereits vor neun Jahren in der LVZ feststellte“.

AB SOFORT DIGITAL. Umstrittene Energie­gewinnung: mit ­Fracking Abhängigkeit mindern

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Grundwasser
Querbohrung (600bis1000m) künstlicheRisse 500m Frack-GemischFlüssigkeitmitErdgas SandoderKalkstein ErdgasinSchiefergestein
1000m Grafik: Christiane Kunze Quelle: Umweltbundesamt Foto: Ulrich Langer Unternehmer Unternehmen & Leben Stil 7
einzementiertesSteigrohr
oderSchieferton Barriereschicht zumBeispielTon

„Wir sind Diener der Kultur“

Musikalienhandlung M. Oelsner ist eine der ältesten Deutschlands

Die Familie lebt für die Musik – seit mehr als 100 Jahren! 1860 wurde dafür der Grundstein gelegt. 163 Jahre später erfreut sich die Musikalienhandlung M. Oelsner eines wundersamen erfrischenden

Daseins.IhrChefstrahltregelrechte

Zuversicht aus. „Klar, wir haben manche Tiefen durchlebt und glücklich überwunden …“, sagt ­Michael Rosenthal. Er heißt zwar nichtOelsner,istabereinSprossder

Familie. Sein Urgroßvater Maximilian Oelsner stieg 1879 in die 1860 gegründete Firma Stangel ein und übernahm sie 1880. Sein Sohn Curt war dann 1912 deren Inhaber geworden und nach seinem Tod im Jahre 1937 führte dessen Witwe ­Johanna das Unternehmen bis 1969 weiter. Und: Ihre Tochter Ingeborg wiederum half zwischenzeitlich mit imLaden,heiratetePfarrerHeinrich

Rosenthal und ihr gemeinsamer Sohn Michael hält heute noch die Geschäfte der Firma M. Oelsner in seinen Händen. Mit inzwischen 81Jahren.Erlebteinewahrlichlange, wohl einzigartige Tradition fort.

Mit der Musik verbunden

„Als Chef stand ich die Jahre über durchauszehnbiszwölfStundenim Geschäft oder hatte im Büro zu tun. Naja, heute sind es vielleicht noch

zehn“, meint der Vater dreier Kinder. Die übrigens alle drei mit der Musik verbunden sind. Die erste Tochter Constanze (Jahrgang 1966) ist seit Herbst vorigen Jahres neben ihrem Vater Mit-Geschäftsführerin der Oelsnerschen Unternehmung und jetzt die eigentliche Chefin.

„Sie ist seit der Wende mit im Geschäftaktiv,hattezuvoralsstudierte LehrerinfürMusikundDeutschgearbeitet. Aber die Zeit nach 1990 warrechtkompliziert,sodasssieuns seitdem voll und ganz zur Seite steht.“ Dafür bestand sie vorher noch die Prüfung als Musikalienhändlerin in Bonn mit Bravour. Die jüngsteTochter,Cornelia(Jahrgang 1976) erfreut als Sängerin im Chor die Besucher in der Musikalischen Komödie Leipzig. Sohn Tobias (51) hat zwar Jura studiert, „ist aber seit vielen Jahren als Musikmanager zugange“. Und Rosenthals Ehefrau Waltraud (77) betreut seit 1967 die KundenimOelsner-Laden–zusammenmitdenübrigensechsBeschäftigten. Auf die Frage, ob seine Familie übereinaußergewöhnlichesMusikGen verfügt, antwortet Rosenthal schmunzelnd:„Musikstecktirgendwie an.“ Belässt es aber nicht damit und bringt es auf den Punkt: „Wir sind Diener der Kultur.“ Ein beeindruckendes, und nicht zuletzt auch nachdenklich stimmendes Credo.

Musikalien – das ist ­alles in Sachen Musik außer Instrumente.

Familiengeschichte mit ­Höhen und Tiefen Denneinfachistesfürihnundseine Vorfahren nie gewesen, sich der Kultur zu verpflichten, „den Laden am Laufen zu halten. Während der Weltwirtschaftskrise zum Beispiel. Natürlich hatten es auch die Weltkriegszeiteninsich“,erzähltRosenthalunderinnertsichandenBruder seiner Mutter. „Frithjof, der Sohn meinerOma,hattebereitsdieBuchhändlerlehre abgeschlossen und war als Nachfolger vorgesehen. Er fiel im Krieg 1941.“ Durchbeißen war für seine Großmutter eine fast alltägliche Aufgabe. Gerade auch nach dem zweiten großen Krieg. In der Firmenchronik heißt es sehr einfühlsam: „Sie steuerte die Musikalienhandlung mit viel Geschick, Sachkenntnis undTatkraft,aberauchmitLiebezu diesemBerufundpersönlicherAusstrahlungskraft an manchen Klippen vorbei.“ Eine Frau, die gern GeigespielteundseinerzeitMalerei an der Staatlichen Berliner Kunstakademie studiert hatte und zunächst als Zeichenlehrerin in Leipzig arbeitete. Eines ihrer Gemälde hat der Enkel im Obergeschoss seines Geschäftes stehen – stolz präsentiert auf einem Notenständer.

Ihr Stehvermögen schätzt er besonders an seiner Großmutter. Hielt es die Jahre über als Ladeninhaber genauso. Zu DDR-Zeiten hatte er gleichfalls so manche Hürde zu überspringen. „Als Pfarrers-Sohn durfteichkeinAbiturmachen,nicht studieren“,berichtetderSenior.Das hat ihn nicht abgehalten, seinen Wegzugehen,nahmeineLehreauf, wurde Musikalienhändler und verdingte sich ab 1961 seine ersten beruflichen Sporen im Geschäft der Familie. Gleichzeitig studierte er an der damaligen Karl-Marx-UniversitätLeipzigMusikwissenschaft–was auch sonst. Alles Schritte hin zum „Diener der Kultur“. Diese waren für ihn mitunter sogar bedrohlich. Etwa, als Anfang der 1970er-Jahre plötzlich Vertreter desDDR-Volksbuchhandelsbeiihm auftauchten und ihn drängten, „zu verkaufen. Privatbetriebe waren ja nicht so gern gesehen. Aber unser Geschäft verstaatlichen – das kam nichtinfrage.AlsohabeichNeingesagt.“DabeiseiallerdingsdieAngst mitgeschwungen, was nun geschehe. „Wider aller Befürchtungen tat sich nichts. So ist unser unternehmerisches Wirken zeitlebens in privater Hand geblieben“, sagt Rosenthal nicht ohne ­Genugtuung.

Dennoch hatte dieses Nein Konsequenzen, die er aber schon kannte.„90ProzentdesGewinnsderpri-

Gründer und erster Inhaber der Musikalienhandlung

Oelsner: Maximilian Oelsner (Foto Mitte) leitete von 1880 bis 1912 das Geschäft. Seine Schwiegertochter Johanna (Bild unten) übernahm diese Aufgabe von 1937 bis 1969. ­Wiederum ihr Enkel ­Michael Rosenthal (Foto oben) bleibt der Familientradition treu und führt die Geschicke nun bereits in vierter Generation fort.

vatwirtschaftlichen Firmen kassiertederStaatalsSteuernein.Dablieb fürunsnichtvielübrig.AngroßeInvestitionen war nicht zu denken.“ Die Zufriedenheit mit dem, was der Handel einbrachte, zeigt er um so lieber. „Gut Geld gemacht haben wir die Jahre zwar nie. Wir hielten jedoch durch. Es reichte zum Leben.“ Geschafft haben er und seine Mann- beziehungsweise Frauenschaftdiesdurcheinumfangreiches Verkaufssortiment. „Musikalien –das ist alles in Sachen Musik außer Instrumente“, erklärt der gebürtige Gersdorfer (Landkreis Döbeln). Also Notendrucke in allen Versionen – „für alle Instrumente vom Klavier bis zur Ukulele“ – zugleich Bücher über Musik und Komponisten und Interpreten. „Unser Katalog beinhaltet 60000 Titel.“ Auch CDs sind seit Längerem im Angebot, ebenso Veranstaltungskarten. Letzteres, seit 1946 ein Teil von Oelsner, hat so manche lange Schlange vor dem Geschäft beschert. Selbst nach derWende,etwawenn esumSilvester-Tickets für die 9. Sinfonie von Beethoven im Gewandhaus geht. „Fürs Rolling-Stones-Konzert 2003 auf der Festwiese standen viele bei uns an.“ Darüber hinaus betreibt Musik-Oelsner einen Versandhandel. In die ganze Welt„gehendiebestelltenSachen“, sagt Rosenthal. Zum Beispiel nach Israel, Nordeuropa und sogar nach Australien.

Von Musikgrößen und Musiklegenden

Das zeichnet ­Oelsner aus Musik-Oelsner spürt auch, dass die Online-Konkurrenz längst den Markt betreten hat. Nicht zuletzt hat die Musikalienhandlung seit einigen Jahren selbst einen Versandhandel aufgebaut, über den die Bestellungen aus aller Welt vertrieben werden. „Natürlich erreichen uns täglich auch Online-Bestellungen“, berichtet Geschäftsführer Michael Rosenthal. „Dabei ist es förderlich, wenn der Kunde uns schon kennt, am besten als Leipziger oder als Besucher.“

Das baue Vertrauen auf und der Kunde „bleibt uns treu. Wir haben ­dabei auch keine Zahlungsausfälle.“ Anderseits sei die ­Konkurrenz vielzählig. „Wir können uns durch Qualität und ­Zuverlässigkeit auszeichnen und empfehlen.“

Wirtschaftspreis Via Oeconomica

Mit dem Wirtschaftspreis Via Oeconomica werden verdiente Leipziger Unternehmen in drei Kategorien geehrt: „Leipzig kommt!“, „Leipzig wächst!“, „Leizpig bleibt!“. Vergeben werden die Preise seit 2015 vom Unternehmerverein „Gemeisam für Leipzig und der Stadt.

Die Via Oeconomica in der Kategorie „Leipzig bleibt!“ geht an Unternehmen, die schon lange am Standort Leipzig ansässig und erfolgreich sind.

Der Preisträger war 2022 die Musikalienhandlung Oelsner, die bereits im Jahre 1860 gegründet wurde und seit 1884 als Musikalienhandlung geführt wird. Sie ist somit eine der ältesten Musikalienhandlungen Deutschlands.

Mathias Reuschel, Präsident von Gemeinsam für Leipzig, hat sich lobend über den Preisträger geäußert: „Ich bin von Musik-Oelsner begeistert. Der Geschäftsinhalt ist ein absolutes Alleinstellungsmerkmal in Deutschland.

Kein Wunder, dass unter den Kunden viel Prominenz zu finden ist. Das Buch, in dem die zahlreichen bekannten Stars aufgezählt sind, ist recht dick, gefüllt mit „hunderten FotosvonKünstlern,diebeiunseinkauften“. Die weltberühmten Sänger Peter Schreier und Theo Adam, der international verehrte Geiger und Dirigent Yehudi Menuhin zählen ebenso dazu wie die Gewandhauskapellmeister und ThomanerKantoren, neben Musikgrößen zahlreicher Länder, Musikern, Künstlern aller Coleur sowie vielen Musikliebhabern.Somancheliebevolle Würdigung des MusikalienLadens M. Oelsner belegt seine ­Bedeutung und nationale Größe. Der frühere Gewandhauskapellmeister Kurt Masur etwa schrieb zum 150. Geburtstag 2010 an ­Michael Rosenthal folgende Worte: „Ganz gleich, aus welchem Ort ­beziehungsweise Kontinent ich Sie anrufe, ganz gleich, welche Partituren ich wünsche, ich weiß genau, dass es bei Ihnen in zuverlässigen Händen ist, weil Sie nicht nur verkaufenodervermitteln,sondernein kundiger Musikfachmann der Werke sind, die Sie Ihren Kunden überlassen.“ Und der langjährige erste KonzertmeisterdesGewandhauses, Gerhard Bosse, der später bei den Japanischen Philharmonikern spielte,lobte1999ineinemBriefdas Geschäft: „Hier kann sich der Kunde wohlfühlen und in Ruhe ‚stöbern‘“.

Dem Durchhaltevermögen der Oelsners und Rosenthals ist dies zu verdanken. „Klar, auch in der Marktwirtschaft muss man sich durchbeißen. Genauso wie früher. Aber ich bin immer zuversichtlich geblieben.AuchinschwierigenMomenten.“ Gelungen sei dies vor allem durch den familiären Zusammenhalt,„erhatunsstarkgemacht“.

Die Marke an diesem Dauerstandort ist eine Ikone von Leipzig.“ Die Nachfolge sei in „beeindruckender Familientradition ein Selbstverständnis. Leipzig kann auf Musik-­Oelsner stolz sein.“ Oelsner-Geschäftsführer ­Michael ­Rosenthal betont: „Ich habe mir immer gesagt: Ich möchte der Letzte sein in Deutschland, der dienstälteste Musikalienhändler Deutschlands – nicht nur des Ostens. Ich glaube, es hat geklappt.“

8 Unternehmer Unternehmen & Leben Stil
Von Ulrich Langer
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Fotos: André Kempner

Ethik statt Ökonomie

Wieland Kiess, Direktor der Universitäts-Kinderklinik Leipzig, fordert eine „Revolution“ bei der Krankenhausreform. Entscheidungen haben nach seiner Auffassung nach rein medizinischen Gesichtspunkten zu erfolgen, nicht nach ökonomischen Aspekten.

Da wurde sogar der Chefarzt gerufen. Wieland Kiess, Direktor der UniversitätsKinderklinik Leipzig, eilte in den Behandlungsraum. „Nein, das machen wir nicht, das wäre eine zu große Belastung für das Kind und würde uns auch keine neuen Erkenntnisse bringen“, entschied der Medizinprofessor, der von Kollegen um Rat gebeten worden war. Die Eltern eines an einer schweren angeborenen Erkrankung leidenden Kindes hatten auf einer Blutentnahme bestanden. Dazu wäre ein verhältnismäßigschwererEingriffinderNähe des Herzens nötig gewesen. Nicht ganz ungefährlich. „Es gab keine Handlungsrelevanz“, erinnert sich der renommierte Pädiater, „also haben wir das abgelehnt.“

EinFall,derbeispielhaftdasVorgehenzumindestguterKinderkrankenhäuser zeigt. „Wir verzichten aufunnötigeEingriffeundUntersuchungen“, sagt der Arzt. „Alles andere wäre gegen das Kindeswohl.“ Auch unnötige stationäre Aufnahmen von Kindern würden vermieden. „Sie genesen in der Regel am bestenbeiihrenEltern.“InFinnland etwa würden Kinder mit Typ-1-Diabetes kaum noch stationär aufgenommen. Dafür komme eine Familienhelferin ins Haus, zeige, wie ­Insulin richtig gespritzt werde und gebe Hinweise zum Kochen des ­Essens. Kiess: „Das ist der richtige Weg.“

Pädiatrie auf dem Abstellgleis

Pädiatrische Entscheidungen, betont der gebürtige Baden-Württemberger, würden rein nach medizinischen Gesichtspunkten getroffen und nicht nach ökonomischen Aspekten. „Letzteres wäre unethisch.“ Die Schattenseite dieser Vorgehensweise: Kinderkliniken sind so etwas wie Kostgänger der Krankenhäuser,schreibeneherrote statt schwarze Zahlen und stehen daher in einer Gesundheitswirtschaft, in der betriebswirtschaft­liche Vokabeln wie Effizienz, Kosten-Nutzen-Analyse und Gewinnsteigerung an der Tagesordnung sind, eher auf dem Abstellgleis. Bundesweit wurden von 1991 bis 2020 rund 43 Prozent der Pädiatriebetten abgebaut. Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizinsprichtvoneiner„systembedingten Unterversorgung“.

Das derzeitige GesundheitssystemseidagegengeprägtvonUnter-, Über- und Fehlversorgung, meint Kiess. Da gebe es etwa zu viele und somit zum Teil unnötige Röntgenund Laboruntersuchungen. Der Wissenschaftler spricht hier von einer „Überdiagnostik“. Ein Beleg dafür: Im Jahr 2020 gab es in Deutschland 294 Hüftgelenkoperationen je 100000 Einwohner. Das ist weltweit der Spitzenwert. In den

Wir müssen eine ­umfassende, ­ganzheitliche ­Versorgung der ­gesamten ­Bevölkerung ­gewährleisten, ­wobei die Patienten im ­Mittelpunkt zu ­stehen haben.

Wieland Kiess Direktor derUniversitäts-Kinderklinik Leipzig

Finanzierung der Krankenhäuser

Die Krankenhäuser finanzieren sich hauptsächlich aus zwei Geldtöpfen. Für die Investi­tionen ist das Bundesland zuständig. Der laufende Betrieb wird über die Krankenkassen vergütet. Dazu gibt es Fall­pauschalen. Eine Klinik weiß also exakt, wie viel sie etwa für eine Hüftgelenkoperation ­abrechnen kann (7000 Euro), egal, wie lange der Krankenhausaufenthalt dauert. Damit soll unterbunden werden, dass die Patienten länger als erforderlich in der Einrichtung bleiben. Für komplizierte Behandlungen gibt es Zuschläge. Die Fallpauschalen, die einst vom jetzigen Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach mit eingeführt wurden, werden zwischen den Kranken­kassen und den Krankenhausgesellschaften

Industrieländern liegt der Wert im Schnitt bei der Hälfte. In manchen ländlichen Regionen krankt es dagegen an einer ausreichenden medizinischen Versorgung.

Ärztliche Versorgung gefährdet Kliniken, allen voran private, sollen eben Gewinne erwirtschaften oder zumindest keine Verluste schreiben. Arbeiten Abteilungen nicht rentabel genug, weil sie zu wenige unnötige, aber erlösträchtige Operationen durchführen, werden dort erst Stellen gestrichen, später droht die Schließung. Was wiederum die ärztliche Versorgung gefährdet. Es wird dadurch auch deutlich, dass dasjetzigeVergütungssystemFehlanreize enthält. Statt der medizinischen überwiegen häufig betriebswirtschaftliche Indikatoren. Die planbare Hüftprothese beispielsweiseistdankderFallpauschalefür Krankenhäuser lukrativer als die Versorgung eines hochfiebernden Kindes. Überhaupt, die medizinische Versorgung von Kindern und Jugendlichen wird nur unzureichend finanziert. Dabei ist sie aufwendiger, da allein der Beratungsbedarf ungleich größer ist als bei ­Erwachsenen. Obendrauf kommt: Vorhalteleistungen sind nicht vorgesehen. „Das bedeutet: Wir müssen eine bestimmte Bettenzahl für Spitzenzeiten vorhalten, unabhängig von der Belegung. Wir sind da so etwas wie die Feuerwehr“, betont Kiess. Die werde auch bezahlt in der Hoffnung,siesoseltenwienötigzubrauchen. Gerade in der Kindermedizin gebe es „Erkrankungs- und somit Belegungswellen“. Im Winter sei die Auslastung zumeist hoch, im Sommerrelativniedrig.Andiewarme Jahreszeit dürfe sich aber die Bettenzahlnichtorientieren.Eineso drohende Überbelegung sei „für ­alle gefährlich“, mahnt der Arzt. Für Kiess ein weiterer Beleg, dass in der bundesrepublikanischen ­medizinischen Versorgung einiges schief läuft. Angedachte Krankenhausreformen wie die von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach greifen nach Ansicht des Hochschullehrers „viel zu kurz“. Nötig sei kein Kurieren an Symptomen, „sondern eine Art Revolution“. Dringend erforderlich wäre es, dass sich die gesamte MedizinamVorgehenderKinderkliniken orientieren würde. „Wir wären da mit Sicherheit ein gutes Vorbild.“

Ganzheitliche Versorgung Leider würden derzeit nur halbherzige, nicht zu Ende gedachte und oberflächliche Vorschläge etwa zur VergütungsänderungindieDiskussion gebracht. Unter dem Stichwort „Millionenhilfen“ für Pädiatrie und Geburtshilfewerdelediglichmitzusätzlichen Mitteln geliebäugelt, „anstatt gleichzeitig zu überlegen,

woGeldgespartwerdenkann“.Somit stiegen möglicherweise die Ausgaben, „ohne dass sie am Ende den Patienten zugutekommen und die medizinische Versorgung verbessern“.

Eine höhere Vergütung in der Kinderheilkunde ist nach AuffassungdesMedizinersnichtgleichbedeutend mit steigenden Kosten insgesamt. „Ich bin davon überzeugt, dass wir in unserem Gesundheits-

wesenzuvielGeldhaben.“Eskomme nur nicht dort an, „wo wir es brauchen“. Ein Umsteuern sei also dringend angesagt, denn andernfalls stiegen die Ausgaben ungebremst weiter. Nach Hochrechnungen der Boston Consulting Group könnten die Gesundheitsausgaben derBundesrepublikalleinindiesem Jahrzehnt um über 150 Milliarden Euro auf rund 540 Milliarden Euro klettern. Einzelne Sparmaßnahmen

sind da nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Letztlich, sagt Kiess, müsse die Gesellschaft definieren, welche ­Gesundheitsversorgung sie möchte. „Wir müssen eine umfassende, ganzheitliche Versorgung der gesamten Bevölkerung gewährleisten, wobei die Patienten im Mittelpunkt zu stehen haben.“ Darüber sei in allen Aspekten eine breite ­Debatte zu führen.

9 & Unternehmen Märkte Geld & Unternehmen Unternehmer
Von Ulrich Milde
ausgehandelt. ANZEIGE 2000 2005 2010 2015 2020 PatientenundPatientinnen inMillionen TrägerKrankenhäuser und-betten2020 ÄrzteundÄrztinnen in1.000–Vollkräfte imJahresdurchschnitt 18 16,5 122 135 154 171 17,3 109 +57,7Prozent Verweildauer inTagen 8,7 7,9 7,3 7,2 9,7 -25,8Prozent -2,7Prozent 19,2 16,8 2000 2005 2010 2015 2020 2000 2005 2010 2015 2020 2000 2005 2010 2015 2020 Krankenhausbetten inTausend 503 524 560 -12,8Prozent 499 488 547 Öffentliche Träger 607 Freie Träger 733 Private Träger 1887 Krankenhäuser 483600 Betten 231000 155900 96700 Fotos: Adobe Stock; André Kepmner Grafiken: Christiane Kunze; Quellen: Statista.Com, Verband der Ersatzkassen (vdek)

Investitionsstau von zehn Milliarden Euro in Sachsens Kommunen

Die aktuelle Lage der Kommunen ist auf den ersten Blick „nicht allzu schlecht“. Im vergangenen Haushaltsjahr ­erzielte die kommunale Ebene gemäß der Kassenstatistik des öffentlichen Gesamthaushalts einen Überschuss von mehr als 4,5 Milliarden Euro, begründet Thomas Lenk, Inhaber des Lehrstuhls für Finanzwissenschaften an der Universität Leipzig, seine Einschätzung. Trotz der Corona-Pandemie hätten die meisten Städte und Kreise in den vergangenen drei Jahren Finanzierungsüberschüsse ausweisen können.

Dies sei auch auf die Konjunktur­hilfen durch Bund und Länder zurückzuführen, so der Professor. Insbeson­deredieKompensationenderGewerbe­steuerausfälledurch die Länder sowie die von rund 50 auf 75 Prozent erhöhte Bundesbeteiligung an den Kosten für Unterkunft und Heizung im Rahmen der Sozialleistungen, die durch die kreisfreien Städte und Landkreise erbracht werden, hätten massiv zu dieser Haushaltsentwicklung beigetragen.

Lenk verweist darauf, dass 2022 die Kommunen zusätzlich auch bei der Flüchtlingsfinanzierung oder dem ÖPNV mit Finanzmitteln des Bundes unterstützt worden seien.

Ausblick auf Mehreinnahmen

Hinsichtlich der Steuereinnahmen sei wiederum ein deutlicher Zuwachs erkennbar. Zwar gebe auch die aktuelle Schätzung einen positiven Ausblick mit zu erwartenden Mehreinnahmen in den kommenden Jahren. „Jedoch sind diese Prognosen mit Blick auf die derzeit vorherrschenden Krisen mit äußerster Vorsicht zu interpretieren“, mahnt der Direktor des Instituts für ­Öffentliche Finanzen und Public ­Management.

Spiegelt man dies vor dem Hintergrund der schon ­genannten ­Heraus­forderungen und nimmt noch die ­Aufgaben im Kita- und Schulbereich ­hinzu, wird klar, ­warum der Leipziger Haushalt unter Wachstums­schmerzen leidet.

Diese Einnahmen der Kommunen sind deutschlandweit nach Angaben von Lenk, der seit 2017 Mitglied im ­Unabhängigen Beirat des Stabilitätsrates der Bundesrepublik Deutschland ist, sehr unterschiedlich. So hätten die hessischen Städte und Kreise hierbei pro Einwohner 1579 Euro eigene Einnahmen, während in Sachsen der Durchschnitt bei 836 Euro pro Einwohner liege. Da in keinem Bundesland dieses Aufkommen ausreiche, um die örtlichen Aufgaben zu finanzieren, erhalten Kreise und Städte von ihren Ländern zusätzlich Geld.

Um im Beispiel zu bleiben: Für die Kommunen in Hessen sind das 1262 Euro pro Einwohner, in Sachsen 1766 Euro. „Dadurch nähern sich zum einen die Höhe der Einnahmen pro Kopf an, zum anderen zeigt sich darin aber auch die Abhängigkeit von den Landeszuweisungen“, ­erläutert Lenk, der von 2011 bis 2022 Prorektor für Entwicklung und Transfer der Universität Leipzig war.

Akquirierung von Fördermitteln immer schwieriger Wichtig sei daher auch die Art der Gewährung der Zuweisungen, die zu einem nicht unerheblichen Anteil nur auf Antrag ­gewährt würden. Die Komplexität und steigenden Anfor­derungen bei der Akquirierung von Fördermitteln erforderten einen hohen Bedarf an geschulten Mitarbeitern, der in der ­Praxis nur unzureichend oder nicht gedeckt werden könne. „So deutet beispielsweise die Personalentwicklung in den Bauämtern auf einen Mangel in vielen Kommunen hin.“ Zudem sei die Fördermittelpraxis in Deutschland nicht auf eine Stärkung finanzschwacher Regionen ausgelegt, sodass eher die ­„cleversten“ Kommunen, die am besten mit den administrativen Prozessen in der Antragstellung vertraut sind, davon profitierten, kritisiert Lenk. Statt der Aufsetzung zusätz­licher Programme sollten vielmehr die Städte und Kreise eher frei verfügbare Gelder erhalten, empfiehlt Lenk. Generell sollte in Deutschland auch die Finanzausstattung aller staatlichen Ebenen im Hinblick auf ihre Aufgaben überprüft und gegebenenfalls angepasst werden. Immerhin würden nach wie vor über die Hälfte aller staatlichen Sachinvestitionen von den Kommunen getätigt!

Wachstumsschmerzen

Für Sachsen wurde vom Kompetenzzentrum für kommunale Infrastruktur

Sachsen der Universität Leipzig – Lenk ist hier der Vorsitzende – ein kommunaler Investitionsbedarf von 9,91 Milliarden Euro bis 2026 festgestellt. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau schätzt für 2022 die deutschlandweit entstan­dene Lücke, die sich aufgrund unterlassener Investitionen in den vergangenen Jahrzehnten aufgetan hat, auf 159 Milliarden Euro. Zusätzlich wurden auf der örtlichen Ebene während der Corona-Krise zusätzliche Bedarfe im Gesundheitssektor, mit dem Ukraine-Krieg weitere Themen wie Flüchtlingsunterbringung und Energie-Diversifizierung und durch die voranschreitende Erderwärmung ­Anforderungen wie weniger CO2Emission durch Gebäude sowie die Verkehrswende offensichtlich, „die weitere dringende Investitionsbedarfe jenseits des Rückstaus aufzeigen“.

Diese Herausforderungen im bestehendem Rechtsrahmen zu bewältigen, „ist äußerst komplex und sollte nicht (nur) durch Umgehung der Schuldenbremse versucht werden zu lösen“. Zusätzliche Staatseinnahmen und Einsparungen bei anderen Ausgaben des Staates „sind nicht zu vermeiden“. Klar sei, mehr Investitionen bedeuteten auch immer in gewissem Umfang Konsumverzicht – „und das fällt erfahrungsgemäß schwer“.

Da die Wirtschaftskraft in der ­Region Leipzig in den vergangenen Jahren stetig zunahm (seit 2013 um 31 Prozent in der Stadt Leipzig), verbesserten sich auch die Einnahmen der Kommunen und Landkreise.

Gleichzeitig verzeichnete insbesondere Leipzig große Einwohnerzuwächse, sodass pro Kopf gesehen die Wirtschaftskraft nur um 17 Prozent kletterte. „Spiegelt man dies vor dem Hintergrund der schon genannten Herausforderungen und nimmt noch die Aufgaben im Kita- und Schulbereich hinzu, wird klar, warum der Leipziger Haushalt unter Wachstumsschmerzen leidet“, bewertet Lenk. Im Gegensatz zu vielen anderen sächsischen Kreisen hätten die Landkreise Leipzig und Nordsachsen keinen Bevölkerungsverlust; vielmehr blieb die Einwohnerzahl in den vergangenen Jahren mehr oder weniger konstant. Haushaltstechnisch zeigt nach Berechnungen von Lenk der ­Finanzierungssaldo pro Einwohner für 2021 im Vergleich zu allen sächsischen Kreisen (minus 23,77 Euro), dass der Landkreis Leipzig pro Einwohner mit 53,15 Euro besser abschließt, während Nordsachsen mit minus 72,97 Euro nach unten abweicht. „Dies kann aber darauf zurückgeführt werden, dass in den beiden vorigen Jahren dort in einem vergleichbar hohen Maß Auszahlungen für Investitionen verbucht wurden.“ Dennoch könne von einer insgesamt positiven Entwicklung der Region Leipzig, unterstützt auch durch die Strukturmittel des Bundes und Landes ausgegangen werden. mi

Wegzüge verursachen Millionenverlust für Leipzigs Haushalt

Finanzbürgermeister Torsten Bonew kritisiert: Der Bund versteht nicht, wie die Kommunen funktionieren.

Gut2MilliardenEuro!Es sind schon enorme Summen, die Leipzigs Finanzbürgermeister Torsten Bonew im vorigenJahranEinnahmen kassierte und wieder ausgab. 2 MilliardenEuro–sovieleViewshatdas meistgesehene Musikvideo eines Rocksongs aus den 1990er-Jahren, „November Rain“ von Guns N´Roses. 2 Milliarden Euro – das ist auch der Betrag, der urplötzlich, quasi überNacht,indenKassendesskandalumwitterten Pleite-FinanzdienstleistersWirecardfehlte.2Milliarden Euro – das ist laut Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft so viel, wie der Karneval indiesemJahranzusätzlichenErlösen brachte.

Die Frankenmetropole Nürnberg allerdings erlöst hier im Vorjahr rund 150 Millionen Euro mehr. Von Köln (1,5 Milliarden Euro) oder gar München(3,0MilliardenEuro)ganz zu schweigen. Hinzu kommt: Einen Großteil steuert die hiesige AutoindustriemitBMWundPorschebei. Sachsens früherer Wirtschaftsminister und heutiger Leipziger Stadtrat Sven Morlok sprach in diesem Zusammenhang von einem Klumpenrisiko. Dem Vernehmen nach gehteinDritteldesGewerbesteueraufkommens auf das Konto der Autoindustrie. Nichtsdestotrotz belegen die Zahlen den wirtschaft­lichen Aufschwung Leipzigs. 2010 etwa lagen die Erlöse aus der Gewerbesteuer erst bei 176,2 Millionen Euro.

Wir sind immer noch nur verlängerte Werkbank. Die Verwerfungen nach der Wende, insbesondere durch den Raubzug der Treuhandanstalt haben wir strukturell nicht überwunden.

GenaugenommenrockteBonew im vorigen Jahr sogar knapp 2,2 Milliarden Euro und zeigte sich zufrieden, dass der Etat ausgeglichenwar.DamitsetztdieKommune mehrumalsdiemeistenBetriebeim Freistaat. 2020 erwirtschaften die 134000 umsatzsteuerpflichtigen Firmen nach ­Angaben des Statistischen Landesamtes zusammen 154 Milliarden Euro Umsatz. Im Schnitt sind das pro Unternehmen rund 1,2 Millionen Euro.

Prinzipiell hat Leipzig dabei „ein gutes Einnahmeniveau erreicht“, kommentiert Bonew. Dennoch „sindwirimmernochnurverlängerte Werkbank. Die Verwerfungen nach der Wende, insbesondere durch den Raubzug der Treuhandanstalt haben wir strukturell nicht überwunden“. Im Vergleich der Großstädte sei Leipzig bei den Einwohnern wohl mittlerweile unter denTopzehn.„WasdieWirtschaftskraft gemessen am Einkommen betrifft, kämpfen wir aber und wären gern besser als Nürnberg.“

Autoindustrie liefert Großteil der Gewerbesteuer TatsächlichhatdieMessestadtzwar bei der von den Firmen zu zahlenden Gewerbesteuer enorme Fortschritte gemacht und kam im vorigen Jahr auf 412,0 Millionen Euro an Einnahmen. Die Prognose für dieses Jahr sieht eine weitere Steigerung um 55 Millionen Euro vor.

Wichtigster Posten bei den Einnahmen sind die Zuweisungen des Landes.2020bis2022gabeszusätzlich pauschale Mittel zur Bewältigung der Corona-Pandemie. Zudem sind die Kommunen am bundesweiten Aufkommen der Einkommen-undderUmsatzsteuerbeteiligt. Das alles bedeutet: Jeder Einwohner, der nach Leipzig kommt, bringt über den Finanzausgleich Geld in den Stadthaushalt. Allerdings ziehen stetig junge ­Familien aus der Stadt ins Umland, weil sie in Leipzig weder Grund­stücke noch Häuser finden. „Das sind seit 2019 mittlerweile fast 18000Menschen“,sagtBonew.Dadurch verliert der Kassenwart jährlich rund 23 Millionen Euro. Mehrkosten durch Gesetze Als „großes Problem“ bezeichnet Finanzbürgermeister Bonew die Gesetzgebung des Bundes. „Hier sieht man sehr oft, dass in den Bundesministerien nicht verstanden wird, wie eine Kommune funktioniert.“AlsBeispielnenntBonewdas Wohngeldgesetz. So habe die Bundes­regierung im Herbst via Presse verkündet, dass das Wohngeldgesetz zum 1. Januar 2023 überarbeitet werde. „Die Kommunen, die das ausführen müssen, wussten nichts davon.“ Es seien mehrAuszahlungen(mehrEmpfänger, mehr Geld) versprochen worden, aber die Verteilung der Mittel basiere auf dem Jahr 2004. „Somit entstehen der Stadt Leipzig allein durch dieses Gesetz Mehrkosten von 18 Millionen Euro.“

Kommunale ­Haushalte

Kommunale Haushalte finanzieren sich im Wesentlichen aus Steuern, ­Gebühren, Beiträgen sowie Zuweisungen des Landes. Zudem gibt es Zweckzuweisungen etwa für Investitionen. Die Gewerbe- und die Grundsteuer werden von den Städten und ­Gemeinden festgelegt. ­Zudem werden die Gemeinden mit derzeit 15 Prozent an der Lohn- und Einkommensteuer beteiligt und mit knapp 2 Prozent an der Umsatzsteuer. 2021 erzielten bundesweit alle ­Gemeinden Einnahmen in Höhe von 308 Milliarden Euro, der Überschuss betrug 4,6 Milliarden Euro. Der größte Teil der Ausgaben fließt in soziale Leistungen und das Personal. Zudem kostet der Unterhalt von kommunaler Infrastruktur (Gebäude, ­Straßen) viel Geld. mi

10 GeldMärkte & Leben Stil
Fotos: André Kempner, privat Grafiken: Christiane Kunze | Quelle: Stadt Leipzig, ­Landkreis Leipzig, Landkreis Nordsachsen, vorläufige Zahlen für 2022
EINNAHMEN 420,1Mio€ AUSGABEN –437,9Mio€ AUSGABEN –2200Mio€ EINNAHMEN 2.200Mio€ 418,2 235,6 350,1 336,9 289,8 3128, 234,6 280,9 230,6 201,5 189,6 176,2 187,4 198,5 2010 2020 2015 412,1 11,4Mio€ 303,2Mio€ 27,7Mio€ 62,8Mio€ –81,2Mio€ –87,7Mio€ Finanzen –33,3Mio€ Umwelt,Ordnung, Sport,Klima –234,2Mio€ –481,2Mio€ –250Mio€ –793,3Mio€ –27,7Mio€ Kultur –176,1Mio € Wirtscha –28,4Mio€ –45Mio€ –280,7Mio€ u.a. 103,2Mio€ Gewerbesteuern 412Mio€ Schlüsselzuweisungen
unteranderemaus: Steuernund ähnlicheAbgaben
unteranderemfür: 1.300 Mio € 66,4Mio€
Von Ulrich Milde
unteranderemaus:
unteranderemfür:
Torsten Bonew Finanzbürgermeister Stadt Leipzig Thomas Lenk Inhaber des Lehrstuhls für Finanz­­wissen­schaften an derUniversität Leipzig

Defizitärer Haushalt in den Landkreisen Kommt Leipzig mit den Einnahmen über die Runden, so sieht es finanztechnisch in den Landkreisen Leipzig und Nordsachsen eher düster aus. Da ist am Ende des Geldes regelmäßig noch viel Monat übrig. „Trotz deutlicher EinnahmezuwächseistkeinAusgleichdesHaushaltsmehrerreichbar“,klagtHenry Graichen,LandratdesKreisesLeipzig. Die Finanzlage sei geprägt „durch einen dynamischen Aufwuchs der Sozialleistungen“.

311,7Mio€

unteranderemaus: 9,4Mio€

„Gestaltungsräume gibt es im Grunde nur bei der Priorisierung von Investitionen“, pflichtet ihm NordsachsensLandratKaiEmanuel zu,erebenfallszumeisteinendefizitären Haushalt zu verwalten hat.

unteranderemfür: unteranderemfür: EINNAHMEN 311,7Mio€

Der Landkreis Nordsachsen muss seit seiner Gründung am 1. August 2008 nahezu durchweg KassenkrediteaufnehmenundhatAltverbindlichkeiten in Höhe von rund 90 Millionen Euro zu schultern. „Die Dynamik auf der Aufgabenseite, insbesondere im Sozialbereich, ist deutlich höher als auf Seiten der Einnahmen“, so Emanuel. 2022 schloss der Kreis ausnahmsweise leicht positiv ab. „Das lag an Einmaleffekten in Höhe von 7,8 MillionenEuro“,begründetFinanzbeigeordneter Jens Kabisch. So habe es etwa vom Land einen Zuschuss im Rahmen des Paktes für Gesundheit

Die Kreise haben keine eigenen Steuereinnahmen, finanzieren sich imWesentlichenüberZuweisungen des Landes und die Kreisumlage, die von ihren Kommunen abzuführen ist. „Die Landkreise müssen gestärkt werden, einem Mehr an Aufgaben muss ein Mehr an Geld folgen“, fordert Emanuel.

Die Landkreise ­müssen ­gestärkt ­werden, einem Mehr an Aufgaben muss ein Mehr an Geld folgen.

11 GeldMärkte & Leben Stil &
ANZEIGE EINNAHMEN 420,1Mio€ AUSGABEN –437,9Mio€ AUSGABEN –309Mio€ 11,4Mio€ 303,2Mio€ 27,7Mio€ 62,8Mio€ Öffentlich-rechtliche Leistungsentgelte 40,2Mio€ Kostenersta ungund Kostenumlagen 44,1Mio€ Personal Sach-und Dienstleistungen Transferleistungen–139,5Mio€ 209,6Mio€ u.a. 103,2Mio€ 84,8Mio€ unteranderemaus: Steuernund ähnlicheAbgaben Steuernund ähnlicheAbgaben unteranderemaus: unteranderemfür: unteranderemfür: 9,4Mio€ EINNAHMEN
Trotz deutlicher ­Einnahmezuwächse ist kein Ausgleich des Haushalts mehr ­erreichbar.
Leben Stil
Henry Graichen Landrat des Kreises Leipzig Kai Emanuel Landrat des Kreises Nordsachsen
EINNAHMEN 420,1Mio€ AUSGABEN –437,9Mio€ AUSGABEN –2200Mio€ AUSGABEN –309Mio€ EINNAHMEN 2.200Mio€ 418,2 412,1 11,4Mio€ 303,2Mio€ 27,7Mio€ 62,8Mio€ Öffentlich-rechtliche Leistungsentgelte 40,2Mio€ Kostenersta ungund Kostenumlagen 44,1Mio€ –81,2Mio€ –87,7Mio€ Finanzen –33,3Mio€ Umwelt,Ordnung, Sport,Klima –234,2Mio€ –481,2Mio€ –250Mio€ –793,3Mio€ –27,7Mio€ Kultur –176,1Mio € Wirtscha –28,4Mio€ –45Mio€ –280,7Mio€ Personal –70Mio€ Sach-und Dienstleistungen –55,6Mio€ Transferleistungen–139,5Mio€ 209,6Mio€ u.a. u.a. 103,2Mio€ 84,8Mio€ Gewerbesteuern 412Mio€ Schlüsselzuweisungen
unteranderemfür:
unteranderemaus: unteranderemaus: Steuernund ähnlicheAbgaben Steuernund ähnlicheAbgaben 1.300 Mio € 66,4Mio€

Chip, Chip, hurra!

Kristian Kirpal, Präsident der ­Industrieund Handelskammer Leipzig, berichtet über die Investitionsbereitschaft der Betriebe im Leipziger Raum und in Ostdeutschland

Von Urlich Milde

Das Schlimmste bleibt wohl aus. „Die Stimmung der gewerblichen Wirtschaft hat sich gegenüber dem Tiefpunkt im Herbst 2022 verbessert“, berichtet Kristian Kirpal, Präsident der Industrie- und Handelskammer (IHK) Leipzig. „Damit ­stehen die Chancen gut, dass die ­zuletzt befürchtete schwere Rezession ausbleibt“, so der Unternehmer. Trotzdem blieben die Aussichten verhalten. „Es ist momentan kein Wirtschaftsbereich auszumachen, der die Rolle des Konjunkturmotors übernehmen könnte.“ Gleichwohl sei die hiesige Wirtschaft „unglaublich gut durch die Krise gekommen“, meinte kürzlich Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung und fügte hinzu: „Mir ist nicht bange um die weitere Entwicklung der Region.“

Rege Investitionstätigkeit in der Region Leipzig

Es besteht also Hoffnung. Zwar ist nach Kirpals Angaben die jetzige Investitionsbereitschaft der Betriebe „eher zurückhaltend“. Da wirken sich die politischen Unsicherheiten durch den Ukraine-Krieg ebenso aus wie die massiv geklettertenEnergiepreiseunddiegestiegenen Finanzierungskosten. „Mittelfristig ist in der Region Leipzig dennocheineregeInvestitionstätigkeit zu beobachten“, informiert der Präsident und verweist auf eine Übersicht der Kammer, in der 160 ausgewählte Projekte mit einer Investitionssumme von zusammen mehr als 12 Milliarden Euro ausgewiesen sind.

AlleinindieElektromobilitätund denAusbaudererneuerbarenEnergienfließengut2,1MilliardenEuro. Der Löwenanteil entfällt auf das LeipzigerBMW-Werk.Dortwirdfür 800 Millionen Euro eine Fertigung für Hochvoltbatterien für E-Autos hochgezogen.InMarkranstädtwird für 200 Millionen Euro eine Fabrik für Superkondensatoren gebaut, in Borna ist für 400 Millionen Euro ein Windpark vorgesehen. Die Mibrag steckt 100 Millionen Euro in den Windpark Breunsdorf. Und es geht weiter. Einige Beispiele: Da steht der Umbau der Papierfabrik in Eilenburg an (30 Millionen Euro), Beiersdorf errichtet in Leipzig ein neues Werk

und ein Logistikzentrum (400 MillionenEuro),derFlughafenLeipzig/ Halle soll erweitert werden (500 Millionen Euro), dort soll auch die Flugzeugmontage starten (80MillionenEuro),derModehändler Mytheresa ist mit einem Logistikzentrum in Schkeuditz dabei (70 Millionen Euro).

Internationale Konzerne richten Blick nach Ostdeutschland Wird Ostdeutschland betrachtet, dann haben in jüngster Zeit enorme Investitionen stattgefunden oder sind zumindest angekündigt. So plant der US-Riese Intel in Magdeburg eine Chipfabrik für 17 Milliarden Euro. 3000 Arbeitsplätze soll

Tausende neue Industriejobs, aber Sorge um fehlende Fachkräfte

Es flutscht in Ostdeutsch-

land: Bis zu 12000

neueJobs in der TeslaAutofabrik in Grünheide; 2000 Stellen in der Lithium­Ionen-Batterieproduktion von CATL im thüringischen Arnstadt; 3000 Arbeitsplätze beim ChipRiesen Intel in Magdeburg; 1000 zusätzliche Mitarbeiter bei Infineon in Dresden. Ein Ausschnitt von durchgeführten oder vorgesehenen Investitionen, „die Ausstrahlung weit über Deutschland hinaus haben“, wie es ­Thüringens Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee kürzlich auf einer Tagung der IG Metall in Halle konstatierte.

Eine Erklärung für das Investitions- und Jobwunder hatte der frühere Leipziger Oberbürgermeister auch gleich zur Hand. Es gebe eben genügend freie Flächen, rasch arbeitende Behörden und potenzielle Arbeitnehmer.

„Wir haben viele hoch­qualifizierte Fachkräfte“, stimmte ­Jochen Schulte, Wirtschaftsstaatssekretär in MecklenburgVorpommern, ihm zu. Auch seien genügend Areale für Investitionen vorhanden. Sven Schulze, Wirtschaftsminister von SachsenAnhalt, nannte eine weitere Begründung für das Ansiedlungsinteresse. „Intel investiert in der Bundesrepublik auch wegen der politischen Stabilität.“ Egal, wer gerade im Bund oder in den Ländern regiert.

Zahlen der bundeseigenen Marketingagentur German

Trade & Invest geben ihm durchaus Recht. Danach haben sich 2021 in Deutschland 1806 ausländische Firmen angesiedelt oder den Standort ausgebaut, ein Zuwachs von sieben Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die wichtigsten Herkunftsstaaten der Investoren sind die USA, die Schweiz, China, Großbritannien, die Niederlande und Frankreich. Allerdings ist nicht alles eitel Sonnenschein. „Es werden die Bundesländer einen wirtschaft­lichen Aufschwung erleben, denen es gelingt, genügend Fachkräfte zu haben“, meinte Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach. Da seien vor allem die herkömmlichen Industrien gefordert, attraktiver und offensiver zu werden. Sie müssten eben verdeutlichen, was sexy daran sei, etwa an einem Drehgestell eines Intercity-Expresses zu arbeiten.

Um dem Mangel an geeig­neten Mitarbeitern zu begegnen, müsse sich des Problems der Schulabbrecher angenommen werden, forderte Tiefensee. Acht bis zehn Prozent der Jugend­lichen verließen die Schule ohne Abschluss. Da sei der Hebel anzusetzen, verlangte der Minister mit Blick auf die sieben bis acht Millionen Fachkräfte, die in den nächsten gut zehn Jahren benötig würden. Dazu sollte auch an

ältere Menschen und Ausländer gedacht werden. Tiefensee sagte, die hiesige Wirtschaft müsse sich zudem darum bemühen, mit der gleichen Anzahl von Beschäftigten eine höhere Wertschöpfung zu generieren.

Wolfgang Lemb, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall, mahnte, bei großen Ansiedlungen vermehrt auf die künftigen Forschungsaktivitäten zu achten. Tiefensee pflichtete ihm bei. Er schaue bei Ansiedlungen nicht mehr in erster Linie auf die Zahl der zugesagten Arbeitsplätze. Vorrang habe, ob es sich um hochwertige Jobs handele und Forschung sowie Entwicklung am neuen Standort betrieben werden sollen.

Steinbach kritisierte, dass bei Ansiedlungen weltweit eine Art Subventionswettlauf eingesetzt hat. Allein US-Präsident Joe ­Biden initiiert mit dem Reduction Act milliardenschwere Investitionen in den Klimaschutz. Unternehmen, die Subventionen oder Steuergutschriften haben wollen, sind dabei verpflichtet, ­US-Produkte zu verwenden oder diese selbst in den Vereinigten Staaten zu erzeugen. „Hier muss die Europäische Union ganz schnell reagieren, um eine DeIndustrialisierung zu verhindern.“ Lemb ergänzte das. „Wir alle wollen, dass Deutschland ein Industrieland bleibt und uns den Wohlstand erhält.“ mi

Das estnische Unternehmen Skeleton Technologies expandiert in Sachsen und baut in Markranstädt für 200 Millionen Euro eine Fabrik für Superkondensatoren.

Foto: Sebastian Kahnert/dpa

Die Stimmung der ­gewerb­lichen ­Wirtschaft hat sich gegenüber dem ­Tiefpunkt im Herbst 2022 verbessert.

das bringen. Gerüchten über ein Aus der Absicht erteilt Sachsen­Anhalts Wirtschaftsminister Sven Schulze eine Absage: „Das wird nicht passieren.“ Noch pokert Intel um die Höhe des Zuschusses aus demEU-Chipgesetzundbegründet das mit deutlich gestiegenen Investitionskosten. „Ohne staatliche Förderung wird man in Europa jedenfalls kaum noch einen Ansiedlung dieser Art realisieren können“, befürchtet Schulze. Klar dürfte schon jetzt sein, dass der beabsichtige Baubeginn im ersten Halbjahr 2023 nicht mehr zu halten ist.

Damit nicht genug. Realisiert ­IntelalleVorhaben,sollennachund nach sechs weitere Werke in Magdeburg entstehen, die Gesamtinvestitionssumme stiege auf 80 Milliarden Euro. Das wäre dann „die größte Einzelinvestition der Geschichte der Bundesrepublik“, so Schulze.

Geld aus dem Brüsseler Topf möchte auch der Chiphersteller ­Infineon für das 5 Milliarden Euro schwere neue Werk in Dresden ­haben, das 1000 Jobs schaffen soll. Offenbar auf Eis legt dagegen der taiwanesische Halbleiterproduzent TSMC sein Vorhaben, in Dresden eine Fabrik hinzustellen. Konkurrent Globalfoundries hat für den StandortindersächsischenLandes-

hauptstadt bis 2024 mehr als 1 Milliarde US-Dollar an Investitionen freigegeben. Allerdings verlagert das Unternehmen einen Teil der FertigungnachPortugal.Daskostet 200 der 3400 Jobs.

Einige weitere Beispiele: UPM, ein finnischer Konzern, investiert 750 Millionen Euro in eine Bioraffinerie in Leuna, die Ende des Jahres in Betrieb gehen soll. Tesla hat für 6 Milliarden Euro in Grünheide ein Autowerk hingesetzt und stellt weiterMitarbeiterein.Derzeitsinddort knapp 10000 Menschen beschäftigt. Der chinesische Batteriehersteller Contemporary Amperes Technology Co. Ltd. (CATL) hat vor wenigenWocheninArnstadtdieSerienproduktion von Lithium-IonenZellen begonnen. Die Fabrik kostete 1,8 Milliarden Euro und ist für 2000 Arbeitsplätze ausgelegt.

Standortvorteile müssen

gesichert sein So weit, so gut. Der IHK-Chef legt aber den Finger in die Wunde, benenntRisiken.„EineStabilitätinder Bezahlbarkeit der Energieversorgungmussüber2023hinaussichergestellt werden“, mahnt er. Zur ­Bekämpfung des Fachkräftemangels müsse die Zuwanderung für ausländische Fachkräfte „weiter vereinfachtwerden“,fordertKirpal.

BMW baut die Fertigung von Hochvoltbatterien für E-Autos in Leipzig aus und investiert dafür bis Ende 2024 ingesamt 800 Millionen Euro. Acht neue Produktionslinien sollen entstehen und bis zu 1000 Mitarbeiter künftig in dem Bereich arbeiten –300 mehr als aktuell.

Foto: BMW

Das Bergbauunternehmen Mibrag hat die Genehmigung für den Windpark Breunsdorf beantragt. In dem 100MillionenEuro-Projekt südlich von Leipzig sollen 15 Mega-Anlagen auf Rekultivierungsflächen bei Neukieritzsch errichtet werden.

Der finnische Zellstoff- und Papierkonzern UPM errichtet im Chemiepark Leuna für 750 Millionen Euro eine Bioraffinerie, die aus Buchenholz chemische Produkte herstellt. Sie soll Ende des Jahres in Betrieb genommen werden.

Foto: Jan ­Woitas/DPA

Auch die Verkehrsinfrastruktur sei entscheidend für die Ansiedlung weiterer Firmen, meint der Kammerpräsident mit Blick auf „den ­maroden Zustand vieler Verkehrsadern“ und bemängelt Einschränkungen im Wirtschaftsverkehr ­speziell in Leipzig. „So wie es gegenwärtig praktiziert wird, ist es kontraproduktiv für die Bestandsunternehmen und das Investitionsgeschehen.“

EU-Chip-Gesetz

Die Europäische Union stellt bis 2030 über das ChipGesetz 43 Milliarden Euro für Halbleiter-Projekte bereit. ­Damit soll der Anteil Europas am weltweiten Chipmarkt auf 20 Prozent verdoppelt, die Abhängigkeit von Herstellern aus Asien und den USA ­verringert und die technolo­gische Führungsrolle Europas gestärkt werden. Mikrochips sind für wichtige industrielle Wertschöpfungsketten von strategischer Bedeutung. 2020 wurden eine Billion ­Mikrochips rund um den ­Globus hergestellt.

12 GeldMärkte & Leben Stil
Kristian Kirpal Präsident der Industrie- und ­Handelskammer Leipzig
Foto: Anja Jungnickel
Foto: Mario Jahn

Der US-Chiphersteller Intel plant in Magdeburg Inves­titionen von mehr als 17 Milliarden Euro in zwei brandneue, einzigartige Halbleiterfabriken – das ist das bisher größte unternehmerische Vorhaben in Sachsen-Anhalt. Noch ist unklar, wann der Baubeginn sein wird. 2027 soll die Produktion starten. Mehrere Tausend Arbeitsplätze sollen bei Intel und Zulieferern ent­stehen.

Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/Dpa

Umfangreicher Ausbau am Flughafen Leipzig/ Halle: 500 Millionen Euro werden in neue Vorfelder, Logistik- und Bürogebäude im Nordund Südteil sowie dem Zentralbereich des Flughafens fließen.

Foto: Peter Endig/ DPA

Der Osten der Republik hat mit angekündigten und realisierten Groß­investitionen wie Intel und Tesla, CATL und Rock Tech Lithium auf sich aufmerksam ­gemacht. Aber das wird Ostdeutschland „gar nicht so wirklich“ verändern, meint Joachim Ragnitz vom Dresdner Ifo-Institut. Natürlich hätten die Ansiedlungen Auswirkungen auf die ­jeweiligen Standorte, „und die sind weitgehend positiv, zumindest aus ökonomischer Sicht“. Es würden Arbeitsplätze geschaffen, gut bezahlte zumal, und es werde auch zu Zuzug kommen. „Aber die Ausstrahleffekte dürften doch regional begrenzt bleiben“, ­vermutet der Wirtschaftsprofessor. Die weiter entfernten Gebiete hätten deswegen kaum positive Wirkungen zu erwarten; mög­licherweise komme es sogar zu zunehmender Abwanderung in die prosperierenden Standorte dieser Großunternehmen.

Trotz dieser und anderer Großprojekte sei aber bei der Masse der Unternehmen in Ostdeutschland die Investitionstätigkeit eher schwach, sagt der Ökonom. Das liege unter anderem an den ungünstigen Konjunkturperspektiven, hohen Finanzierungskosten und oftmals auch noch an unausgelasteten Kapazitäten. Die Großinvestitionen lassen sich seiner Einschätzung nach im Regelfall mit Sonderfaktoren erklären: Günstige Energieversorgung (bei Intel, Tesla), Nähe zu Abnehmern

Im Ganzen trägt das nicht ­unbedingt dazu bei, dass sich die strukturellen Defizite des Ostens rasch ­verringern werden.

Joachim Ragnitz Ifo-Institut Dresden

(bei CATL), Siedlungsstrukturen (Tesla), Förderangebote ­(Intel, ­Infineon). „Aber im Ganzen trägt das nicht unbedingt dazu bei, dass sich die strukturellen Defizite des Ostens rasch verringern werden“, befürchtet der Wissenschaftler.

Nicht so positiv schätzt der ­Experte die konjunkturellen Aussichten ein. Hier müsse unterschieden werden. „Kurzfristig fallen die Folgen des UkraineKriegs wohl nicht so schwerwiegend aus wie ursprünglich ­befürchtet.“ Der Winter sei halbwegs mild, die Substitution von Energie klappe schneller als ­erwartet, die notwendigen Infrastrukturen bei Flüssigerdgas ­(Liquefied Natural Gas, LNG) würden auch schneller gebaut als gedacht.

Mittel- und langfristig „überwiegen aber weiterhin die dämpfenden Faktoren, insbesondere der sich weiter verschärfende Arbeitskräftemangel“, warnt Ragnitz. Es müsse damit gerechnet werden, dass die mittelfris­tigen Wachstumsraten des Bruttoinlandprodukts geringer aus­fallen als in der Vergangenheit.

Auch das Geschäftsmodell vieler energieintensiver Unternehmen dürfte langfristig nicht mehr ­tragfähig sein, sodass es hier zu einer Marktbereinigung kommen ­werde. „Ich bin da also nicht so optimistisch, dass der Konvergenz- und Aufholprozess auch längerfristig weitergehen kann“, sagt der Professor. mi

Foto: Ifo-Institut

13 GeldMärkte & Leben Stil & Leben Stil ANZEIGE
„Regional begrenzte Ausstrahlungseffekte“

Zerschlagene Teller für zeitgemäßes Recruiting

Frische Ideen für die Personalgewinnung und ein Abend im Zeichen des Netzwerkens: So war das „UP! Update Personal“ von Leipzig Media

Unter dem Motto „Es geht um alles! Denn ohne Mitarbeiter sind Sie nichts“ kamen am Donnerstag, dem 9. Februar, mehr als 160 Personalverantwortliche, Unternehmer und Unternehmerinnen aus Leipzig und dem Umland zum „UP! Update Personal“ in der Kuppel­hallederLVZzusammen.Zudiesem Personal-Event hatte Recruiting ­Solutions, die Full Service Agentur für Human Resources von Leipzig Media, geladen.

Björn Steigert, Geschäftsführer von Leipzig Media, machte direkt nach der Begrüßung klar, dass ein radikaler Wandel im Recruiting nötig ist. Bis 2050, so erläuterte er, ­werden in Deutschland 18 Millionen Arbeitskräfte fehlen. Ein Umdenken, weg von der klassischen Stellenanzeige hin zu neuen, ungewöhnlichen Recruiting-Ideen, sei unabdingbar.

Heidrun Meder, Leiterin Recruiting Solutions, stellte anschließend eigene Best Practices, wie die Recruiting-Kampagne für EBAWE, vor. Franziska Jarke, die die Kampagne bei EBAWE als dortige

Toller Raum, tolles Publikum und echtes Interesse. Hier ist der Wille da, etwas Neues mitzunehmen.

Personalerinbegleitete,rietzumehr Mut im Recruiting: „Ausprobieren. Auch wenn mal etwas nicht klappt, Haken dran, etwas anderes probieren.“

Vorgestellt: der Social-Recruiting-Funnel

Anders ist der Ansatz, den die ­Social-Media- und Ad-Managerin von Recruiting Solutions, Stefanie Gstettner, vorstellte, definitiv: der Social-Recruiting-Funnel. Bei diesem relativ einfachen Tool, das ElementederGamification,alsospielerische Ansätze, nutzt, beantworten Interessierte Fragen rund um ihre Fähigkeiten und ihre Vorstellungen zur idealen Arbeitsweise und -umgebung. Abgestimmt auf die Zielgruppe und in passenden sozialen Netzwerken eingesetzt, führt der Social-Recruiting-Funnelbeieinem vergleichsweise geringen WerbeBudget zu einer enorm hohen Reichweite. Bei der vorgestellten, hauseigenen Kampagne gingen ­innerhalb von 30 Tagen 40 Bewerbungen ein.

DerCloudaran:Interessierte,die sich bis zum Ende des Funnels durchklicken und sich bewerben

Eine sehr belebte ­Veranstaltung. Voll gelungen und voller Dynamik. Ich kam vor allem her, um zu ­netzwerken, aber der Abend hat mir viel ­Input gegeben.

Christian Reimann Cyber Risk & IRM Specialist bei Baumlink

möchten,könnendiesohneLebenslauf.Siehinterlassenlediglichihren

Namen und Kontaktdaten und werden später von Personalverantwortlichen kontaktiert. HeidrunMedererzählte,dasssie einige Bewerber und Bewerberinnen wohl gar nicht erst eingeladen hätten, hätten sie ihre Lebensläufe gekannt. Genau das ist die Krux bei derPersonalsuche,wiesieeindringlich betonte: „Es geht nicht um Lebensläufe. Es geht um Potentiale!“

Nicht raten –selbst Ausschau halten

Der Speaker des Abends, Provotainer Martin Gaedt, begeisterte die Gäste mit einem mitreißenden, interaktiven Vortrag zu zeitgemäßem Recruiting. In zahlreichen ­Beispielenmachteerklar,woraufes ankommt: Sichtbarkeit. Potentielle Angestellte müssen auf Unternehmen aufmerksam werden. Dafür müssen Unternehmen sich trauen, innovativ und ideenfit zu sein. ­Wichtig sei, nicht zu raten, was ­Bewerberinnen und Bewerber wollen, sondern sie zu fragen, und „auf dem Markt“ nach ihnen Ausschau zu halten.

Um diese Botschaften in den Köpfen des Publikums zu verankern, kletterte Martin Gaedt schon

Heidrun Meder, ­Leiterin Recruiting ­Solutions (links), und ­Stefanie Gstettner, ­Social-Media- und ­Ad-Managerin, stellen den Social­Recruiting-Funnel vor.

Fotos: Hendrik Sadowski (2), privat

malmiteinemFernglasaufeineLeiter oder blickte nicht nur über den RanddesTellers,denerinderHand hielt,hinaus–sondernzerschlugihn direkt mit einem Hammer.

Jedoch, betonte Martin Gaedt abschließend,seieinesnochwichtiger als Recruiting: Mitarbeiter­bindung und Wertschätzung. „Wenn eure Mitarbeiter mit Ideen kommen, nehmt sie ernst! Lasst sie zu Schmetterlingen werden.“ Die Gäste zeigten sich begeistert von denzahlreichenEinblickeninneue, frische Recruiting-Ansätze.

Im Anschluss hieß es Vernetzen und Austauschen bei leckeren Häppchen und Drinks. Dass die klassische Stellenanzeige längst keine potenziellen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mehr hinter dem OfenhervorlocktundUnternehmen schnellstmöglich neue RecruitingAnsätzefindenmüssen,dürftenach diesemAbendjedemGastklarsein.

AB SOFORT DIGITAL. So war das #UP! Update Personal von Leipzig Media

Hochqualifizierte Fachkräfte: Kleine Firmen haben Chance auf Zuschuss

Die Freude und Erleichterung war groß. Jetzt könne die Dresdner Credoxys GmbH „eine weitere OLED-Spezialistin ins Team holen“, sagte Julia Stolz, die Leiterin Physik des Start-ups. Damit sollen die innovativen Dotierstoffe gezielt für die Anwendung in Fernsehgeräten mit organischer Leuchtdiode weiterentwickelt werden. Dotierstoffe werden in geringen Mengen etwa Halbleitern zugesetzt und beeinflussen so die Eigenschaften. Die Erweiterung der Belegschaft wird möglich durch einen Fördermittelbescheid, den Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig kürzlich übergab. Mit den 87500 Euro aus dem „MINTFachkräfteprogramm ESF Plus 2021 – 2027“ wird die Bezahlung einer Innovationsassistentin in dem jungen Spezialchemieunternehmen finanziert. Dieser Geldtopf zielt darauf ab, hoch qualifizierte Fachkräfte für kleine und mittlere Betriebe zu gewinnen und zu binden. Das soll die Innovationskraft der sächsischen Firmen in den Bereichen Mathematik (M), Informatik (I), Naturwissenschaft (N) und Technik (T) stärken.

Aus einer guten Forschungslandschaft entstünden neue Ideen und Chancen für die sächsische Wirtschaft, sagte der ­Minister. So könne der Freistaat Innovationen voranbringen und Talente binden. Credoxys, eine Ausgründung aus der Technischen Universität Dresden, ent-

Millionen Menschen konnten in der Förderperiode 2014-2020 des ESF EU-weit erreicht werden, die ohne Beschäftigung oder inaktiv waren, rund 10 Millionen Angehörige benach­teiligter Gruppen unterstützen und mehr als 520 000 kleine und mittlere Unternehmen fördern.

Quelle: www.esf.de

wickelt neuartige Spezial­chemikalien und Materialien, die in OLED-Displays und der organischen Photovoltaik zum Einsatz kommen sollen.

Bereits in der vorigen Förderperiode von 2014 bis 2020 wurde in Sachsen mit Mitteln aus der Technologieförderung des Europäischen Sozialfonds (ESF) die Beschäftigung von hoch qualifiziertem Personal unterstützt.

Damals wurden 1000 Projekte mit einem Volumen von zusammen 90 Millionen Euro umgesetzt. Daran soll das MINT-Förderprogramm anknüpfen, das einen Umfang von 101 Millionen Euro hat. Davon stammen 88 Millionen Euro von der Europäischen Union, den Rest zahlt der Freistaat Sachsen.

Damit werden neben Innovationsassistenten auch Innovationsmanager und Transferassistenten unterstützt. Bei den Innovationsassistenten geht es um die unbefristete Neueinstellung von Nachwuchskräften für Vorhaben mit innovativem Charakter. Die Förderung beträgt bis zu 70000 Euro. Ein Innovationsmanager beschäftigt sich mit dem strategischen Innovationsmanagement. Hier macht der Zuschuss maximal 85000 Euro aus. Transferassistenten haben die Aufgabe, kleine und mittlere Firmen beim Know-how-Transfer zu helfen. Dazu werden sie zumeist an Transferstellen der sächsischen Hochschulen eingesetzt. Das wird mit bis zu 90000 Euro bezuschusst. mi

14 GeldMärkte & Leben Stil
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Von Susanne Reinhardt
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Martin Gaedt Speaker, Provotainer und Autor

GeldMärkte & Leben Stil & Leben Stil

davon im ökologischen Landbau

Landwirtschaft als Buhmann: Sie macht sich über den Boden her, verpestetdieLuft,setztChemie ein und verbraucht jede Menge Wasser.

Überspitzt formuliert: „Die Bauern sind die Umwelt-Frevler Nummer eins.“ Torsten Krawczyk, Präsident des Sächsischen Landesbauernverbandes, zieht die Stirn in Zweifelsfalten: Ganz so einfach sei die Sache nicht. „Wir Bauern sind trotz aller Widrigkeiten sehr am sorgfältigen Umgang mit unserer Umwelt interessiert.“ Ein fortwährender Streit zwischen engagierten Ökoanhängern und vom Alltag gebeutelten Landwirten.

Wie fühlen Sie sich bei der Titulierung der Bauern als Umwelt-Frevler ­Nummer eins, Herr Krawczyk?

Torsten Krawczyk: Es macht mich sehr nachdenklich.

Stimmt es denn nicht?

Einige Körnchen Wahres beinhaltet es durchaus. Dennoch: Wir Bauern sindtrotzallerWidrigkeitensehram sorgfältigen Umgang mit unserer Umwelt interessiert.

Das haben Sie aber sehr wohlwollend formuliert...

Klar ist Landwirtschaft immer mit Eingriffen in die Natur verbunden. Anders geht es nun einmal nicht. Und dennoch plädieren die meisten Bauern für Umweltschutz.

In der Praxis ist eher von Überdüngung, unverantwortlichem Pflanzenschutzmitteleinsatz, beängstigender Luft- und Wasserverseuchung sowie enormer Bodenschädigung die Rede.

Ich sagte bereits: Ohne Beeinträchtigungen der Umwelt geht es nicht.

Wenn es tatsächlich unverantwortlich ist – dann gehen wir scharf dagegen vor. Schwarze Schafe gibt es auch bei uns, wie in jeder anderen Branche. Grundsätzlich sei gesagt:

Wir haben die Forderung angenommen, dass unsere Landwirtschaft ökologischer werden muss.

Also dann volle Kraft voraus?

Leichter gesagt als getan...

Was behindert die Sache?

Eine Vernetzung verschiedenster

Aspekte. Es geht nämlich nicht um die profane Frage „Öko-Landwirtschaft gegen konventionelle“, sondern darum, ob beziehungsweise in welchem Maße das Ökologische umsetzbar ist.

Liegt es wieder mal am fehlenden Geld?

Leider ja. Ökologische Landwirtschaft ist immer auch mit geringeren Erträgen verbunden. Das heißt, der Bauer verdient weniger, es sei denn, er wird durch staatliche Fördermittel unterstützt oder die Verbraucher sindgernebereit,nochhöherePreise für die Öko-Lebensmittel zu zahlen.

Das könnte doch klappen, oder?

Da muss ich schmunzeln. Die Kunden greifen – angesichts des durch denrussischenAngriffskriegaufdie

Ukraine ausgelösten Inflationsschubs – verstärkt zu den billigeren Produkten und vom Staat, dessen Kassen ebenfalls knapper gefüllt sindalsjezuvor,istauchnichtvielzu erwarten.

Sehen Sie das nicht zu schwarz?

Nur ein Beispiel. Die von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir geforderte Verbesserung bei der TierhaltungbedarfmassiverInvestitionen. Allein bei Schweineställen sind in Deutschland pro Jahr vier Milliarden Euro nötig, um diese auf das gewünschte Niveau zu bringen. Özdemir bietet jedoch für die nächsten vier Jahre lediglich eine MilliardeEuroan.DergroßeRestmüsstealso von den Bauern oder durch den Markt kommen. Die Landwirte schaffendasnichtallein,deckenoftmals gerade mal die Ausgaben durch den Verkauf ihrer Produkte. Da bleibt kaum etwas übrig. Und zahlreiche Verbraucher halten ihr Geld zusammen, widersprechen mit ihrem Kaufverhalten dem Öko-Ansinnen. Das ist der klassische Konflikt,mitdemwirzukämpfenhaben.

Ist das nicht zu negativ, immerhin hat sich der Öko-Trend in den vergangenen Jahren verstärkt?

Anzahl Betriebe 2022

256 000

Landwirtschaftliche Nutzfläche 2022

16,6 Mio ha

Umsatz in der Landwirtschaft

40,97 Mrd. € (2020)

36 548

1,9 Mio ha

Bio-Lebensmittel (2022)

15,31 Mrd. €

Bio-Milch (2021)

644 Mio €

Bio-Eier (2021)

387 Mio €

Ökolandwirtschaft –

Utopie oder Perspektive der Zukunft

Im Interview spricht Torsten Krawczyk, Präsident des Sächsischen Landesbauernverbandes, über die Ökologisierung der Landwirtschaft, über Umweltschutz, Konflikte, mit denen Bauern zu kämpfen haben und über knappe Geldbeutel bei allen Beteiligten

In Sachsen sind Experten zufolge gerade mal 4,9 Prozent des gesamten Lebensmittelkonsums ökologisch. Andere sprechen beim Anbau von neun Prozent bundesweit. Die von der EU bis 2030 anvisierten 30 Prozent sind also noch weit entfernt.

Klingt nicht gerade zuversichtlich. Richtig. Zumal noch ein anderer Aspekt zu sehen ist. Angesichts der derzeitigen geopolitischen Verwerfungen ist politisch scharf abzuwägen, wie weit die Ökologisierung der Landwirtschaft gehen kann ohnedieErnährungssicherheitderBevölkerung zu gefährden. Das ist das eigentliche Problem.

Die Bauern müssen überleben und gut wirtschaften können.

Torsten Krawczyk Präsident des Sächsischen Landesbauernverbandes

Sie plädieren also doch für eine ­konventionelle Produktionsweise. Das stimmt so nicht. Eine Vision von der Landwirtschaft der Zukunft muss doch wenigstens ein kleines bisschen die Realität nachempfinden. Die Arbeit der Bauern ist kein Pony-Hof, wenn es um die qualitative, sichere und vor allem bezahlbare Versorgung der Menschen mit Lebensmitteln geht. Es muss uns Landwirten doch zugestanden werden, als Unternehmer wahrgenommen zu werden.

Was meinen Sie damit? Ich kann zwar als Mensch ein 1000prozentiger Ökofan sein, nur nützt das nix, wenn ich als Bauer ­dabei mit meinem Landgut pleite gehe. Wir beschreiten gerne den Weg, auf dem die Umwelt mehr

geschützt wird, aber es muss uns ­dabei das Recht zugestanden werden, davon leben zu können. Massenhaftes Hofsterben ist nicht die Lösung,führtzueinerkünstlichhervorgerufenen Ernährungskrise.

Eine bezahlbare Lebensmittelsicherheit – das ist der Dreh- und Angelpunkt.

Und die Umwelt bleibt auf der ­Strecke?

Musssiedochnicht.Das,wasmachbar und bezahlbar ist, sollte angegangen werden.

Halten Sie das auf ihrem Landgut Westewitz, das Sie mit Ihrem Bruder leiten, auch so?

Ein Beispiel: Seit 1998 pflügen wir unsere Böden nicht mehr. Das ganz flache Arbeiten schützt sie vor Erosion oder uns vor Schlammlawinen bei Starkregen. Wir überlassen den Boden mehr seinem Eigenleben nach dem Motto: „Die Natur kennt keinen Spaten.“

Und das klappt problemlos?

Um das Unkraut zu bewältigen, das wir nun nicht mehr wegpflügen, ist mehr Pflanzenschutzmittel einzusetzen. Das wiederum wird zunehmend verboten. Ein Teufelskreis. Wie sollen wir dann noch hohe Erträge erzielen – also gut wirtschaften können?

Es gibt sicher noch andere ­Möglichkeiten, umweltschützend ­vorzugehen. Gewiss. Aber auch sie müssen sich rechnen. Beispielsweise ist die Tropfschlauchbewässerung eine tolle Methode. Dabei wird die Verdunstungerschwert,weilderBoden durchfeuchtet ist. Allerdings taugt dieseMethodelediglichfürkleinere Flächen des Obst- und Gemüseanbaus. Aber Hunderte Hektar mit Schläuchen zu durchdringen, ist illusorisch und zu teuer.

Sie haben immer nur die Kosten im Sinn. Ist das nicht zu einseitig?

Noch mal: Die Bauern müssen überleben und gut wirtschaften können. Und das, obwohl in den vergangenen zwei, drei Jahren die Kosten bereits regelrecht explodierten: bei Energie und Kraftstoff eine Verdreifachung, bei Arbeitskosten einschließlich Löhnen plus 20 Prozent, bei Baukosten eine Verdopplung, bei Getreidesaat plus 80 Prozent, bei Düngemitteln eine nahezu Verfünffachung der Preise. Das müssen die Landwirte erst einmal verdauen.

Es gibt doch auch Stalldung, der ist billiger.

Stinkt aber, wenn er aufs Feld ausgebracht ist, verpestet also die Luft. Abgesehen davon, muss genügend Gülle und Mist vorhanden sein. Unser Gut hat eine Agrarfläche von 400 Hektar. Erfahrungen aus DDRZeiten besagen, pro Hektar sind zwei Rinder nötig für eine ausreichendeDüngung.Wirbräuchtenalso 800 Kühe, haben nur 100. Mehr können wir uns nicht leisten vom Pflegeaufwand her. Zumal, wenn die Tiere nach den von Özdemir geforderten neuen Richtlinien gehalten werden sollen.

Was besagen sie?

Er plädiert für sogenannte Außenklima- oder Offenställe. Das heißt, die Luft kann durchströmen, das verbessert die Lebensumstände für die Tiere. Allerdings belastet das wiederum die Luft in der Nachbarschaft. Solchen Gestank verbietet etwa auch das Bundesimmissionsschutzgesetz. Da beißt sich die ­Katze in den Schwanz. Und wenn dann weiterhin krumme Gurken EU-weit mit einem Verkaufsverbot belegt sind oder im vorigen Jahr ­ÄpfelmitSonnenbrand–obwohlsie keinerlei gesundheitliche und ­Geschmacks-Beeinträchtigungen aufwiesen, dann hat all das wenig mit Förderung von ökologischer Landwirtschaft zu tun.

Ist Deutschland also auf dem ­Öko-Holzweg? Wir sollten einen wahren Diskurs führen über unsere Prioritäten: Wie viel Ökologisierung können und wollen wir uns leisten, ohne die ­Sicherheit der bäuerlichen Existenzen und damit der Ernährung der Menschen zu gefährden. Hungern darf keiner. Das schließt eine staatlich geförderte Forschung ein. ­Ansonsten bleibt es bei dem Sprichwort: Alle wollen zurück zur Natur, nur nicht zu Fuß.

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Quelle: Statista.com, | Fotos:
Adobe Stock/maxbelchenko; Detlef Preussler
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BUSINESS MEETS BACKSTEIN

SeinenerfolgreichenAuftaktfeierteMACHN imvergangenenSommer–einFestival,das Gründer:innen,Startups,Entwickler:innen, Web3-Natives,Kreativen,Unternehmen,InstitutionenundProjektenausMitteldeutschland Sichtbarkeit,MöglichkeitenzurVernetzung undWissenstransferaufAugenhöhebietet. Jetztheißtes#weitermachnanzweiTagen, aufvierBühnen,mitmehrSpeakern,mehr Events–undnochmehrLiebefürsBusiness.

LeipzigerTraditiontrifftStartup-Spirit

Am28.und29.Juni2023findenMacher:innen ausMitteldeutschlandaufdemGeländeder Baumwollspinnereizusammen–hiertrifftStartup-SpiritaufTradition.„Esgibtwohlkaumeine bessereLocationinderRegion,diesogutalt undneumiteinanderverbindet“,erklärtHeadof Marketing,PatrickBauer.„KunstundKulturtreffenhieraufdieharteRealitäteinerehemaligen Industrieanlage.AußerdembietetdasGeländevielPlatzundverschiedenstegestalterische MöglichkeitenfürdasMACHNFestival.“

DieseMöglichkeitenwerdenmitvierBühnen ausgenutzt–mitderMainStageaufdemGeländedesLuruKinos,SpeakersCornerzwischen

InnovationzumAnfassen:MACHN23, dasFestivalfürTech,Business&Art bringtdiemitteldeutscheGründerszene undUnternehmenaufderLeipziger Baumwollspinnereizusammen

Halle14undHalle12,derTechAreainHalle14 undderStartupStageimWorkshopraumvon Boesner.HiererlebenBesucher:innenneben WorkshopsundKeynotesauchBestPractices vonUnternehmer:innenausderRegion.Startups pitchenihreKonzepteundknüpfenKontaktezu Investoren,Forschungsprojektepräsentieren ErgebnisseundZukunftstechnologien.„IndiesemJahrwerdenwirvieleBeiträgezunachhaltigemWirtschaften,erneuerbarenEnergien, regionalenLieferkettenundClimateTechsehen“, soPatrickBauer.

MitteldeutschesMachertumvereint imFestival-Feeling

FürentspanntesFestival-Feelingsorgenneben Food-TruckseineinteraktiveKunstausstellung undInstallationensowiedasEntertainment-ProgrammmitLive-BandsundDJs.InderTech-Area stellenUnternehmentechnologischeInnovationenaus.InlockererAtmosphärekommtmandabeileichtinsGespräch–auchbeiderJobmesse mitAbsolvent:innenmitteldeutscherHochschulenundinNetworkingAreas.Denndarumgeht esdenVeranstaltern:„EinbranchenübergreifendesFestivalzuetablieren,dassInnovationen,

KreativitätundMachertumderRegionMitteldeutschlandaufzeigtundverbindet“,wieFestivalleiterMarcoWeicholdtsagt.Eröffnetwird dasFestivalamMittwochmitinternationaler KeynoteundCommunityParty.

SatelliteEventsfürpraxisnaheWeiterbildung Satellitenveranstaltungen,dieamMittwochzur praxisnahenWeiterbildungeinladen,ergänzen dasProgramm.SoentstehenimagiLEBarcamp dieWorkshopsundDiskussionsrundenvorOrt ausThemenvorschlägenderTeilnehmer:innen. AuchdasBornGlobalStartupFestivalderUniversitäteninJena,Halle-WittenbergundLeipzig schließtsichdemMACHNan.NeueTechnologienkennenlernenundPrototypenbauen–das bietetderWeb3Hackathon.

KartenfürdieSatelliteEventssindaufderWebsitedesFestivalsseparatzubuchen.Hierfinden InteressiertealleInfos–biszum28.Junisind dortFestivalticketsundPro-Ticketserhältlich. Werdavonprofitierenkann,dasbringtMarco WeicholdtaufdenPunkt:„MACHNbieteteine BühnefürMacher:innenausganzMitteldeutschland,dieanpackenunddieRegionmitgestalten.“

Innovation Forschung & Unternehmen Unternehmer

Wissenschaft statt Orakeln

Wie Zukunftsforscher mithilfe klassischer Forschungsmethoden Entwicklungen prognostizieren – und damit gefragte Unternehmensberater werden

VieleMenschenwürdengern einen Blick in die Zukunft werfen können. Was nach GlaskugelundKartenlegen klingt, ist seit einigen Jahren eine interdisziplinäre Forschungsrichtung: die Zukunftsforschung. Dabei handelt es sich nicht um Esoterik, sondern um methodenbasierte ÜberlegungenzuFragenmöglicher zukünftiger Entwicklungen.

MacherOst

Grundsätzlich sollten Unternehmer und Unternehmerinnen keine Angst vor ­neuen Technologien haben. Wichtig ist, dass sie sich früh mit ihnen befassen und auf Auswirkungen der Entwicklungen vorbereiten.

Kai Gondlach Zukunftsforscher

Zukunftsforscher wie der Leipziger Kai Gondlach ziehen je nach Thema Experten auf den entsprechenden Gebieten – beispielsweise Textilindustrie oder erneuerbare Energien – zu Rate und entwerfen mögliche Szenarien für die Entwicklungindennächstenfünf,zehn oderauch50Jahren.Immermitdem Ziel,sichfrühzeitigaufdieprognostizierten Entwicklungen einstellen zu können und Lösungen für etwaige Probleme zu finden. Die Hosts Marco Weicholdt und Susanne Reinhardt sprechen in der aktuellenFolgedesWirtschaftspod-

erkennen wahnsinnig gut erwachseneMenschen–aberkeineKinder. WeilindemUmgebungsumfeldvon IntralogistikaufeinemWerksgeländevielleichtwenigeKinderrumlaufen. Deswegen haben sich die Ingenieure oder Ingenieurinnen gedacht ,Brauchen wir jetzt nicht reinprogrammieren’oder,Brauchenwir keineTrainingsdatensätzefür’.Und dasistnatürlichschlecht,wennman den Algorithmus später in ein Fahrzeug packen würde, in dessen Umfeld auch mal Menschen kleinerer Körpergröße rumlaufen.“

… Nachhaltigkeit: „Das Liefer­kettengesetz beispielsweise, über das bestimmt viele Unternehmer und Unternehmerinnen stöhnen, ist eineriesigeChance,dassUnternehmen sich nachhaltiger aufstellen müssen; sowohl in sozialer als auch ökonomischer und ökologischer Sicht. Innovative Herangehensweisen sind wichtig und werden auch vom Kunden belohnt werden. Auch ,Purpose GmbH’-Modelle oder Genossenschaften sind wieder voll im Kommen.“

… Innovationen: „Grundsätzlich solltenUnternehmerundUnternehmerinnen keine Angst vor neuen Technologien haben. Wichtig ist, dasssiesichfrühmitihnenbefassen und auf Auswirkungen der Entwicklungenvorbereiten.Wennman sich rechtzeitig mit Innovationen befasst, kann man sie immer auch ­positiv nutzen.“

Der Wirtschafts­podcast der ­Leipziger Volks­zeitung –auf LVZ.de und ­überall, wo es ­Podcasts gibt Eine Region zwischen traditioneller Indus­trie und ­origineller ­Start-up-Szene, ge­tragen von hemdsärmeligen Unternehmen und modernen Gründerinnen. Das ist ­Mitteldeutschland! In unserem Wirtschafts­podcast ­stellen Redakteurin ­Susanne ­Reinhardt und Start-up-Experte ­Marco Weicholdt Menschen vor, die die ­Region mit ihrem Engagement und ihrem ­Enthusiasmus prägen. QR-Code scannen und die aktuelle Folge mit Zukunftsforscher Kai Gondlach jetzt hören ...

ZurPerson

Kai Gondlach (*1987) ist selbstständiger Zukunftsforscher, ein gefragter Rednern über Zukunfts- und Innovationsthemen und Mit­herausgeber des Bestsellers „Arbeitswelt und KI 2030“ (Springer Gabler). Von 2015 bis 2019 war der studierte Zukunftsforscher, Soziologe und Politik-/Verwaltungswissenschaftler als Senior Research Fellow im 2b AHEAD ThinkTank verantwortlich für den Aufbau einer Forschungsabteilung der Leipziger Denkfabrik und leitete zahlreiche Trendstudienprojekte für überwiegend wirtschaftliche Auftraggeber – darunter u. a. Daimler, Siemens Deutschland, s.Oliver und E.ON. Er baute das Innovationsmanagement in einem Verlags-Startup auf und sammelte Strategie- und Beratungserfahrung bei der Deutschen Bahn AG sowie einigen Berliner Beratungsunternehmen.

Trendthema KI: ­Zukunftsforscher wie Kai Gondlach versuchen, mit interdisziplinären Ansätzen Prognosen darüber zu treffen, wie die Künstliche ­Intelligenz sich auf Gesellschaft und Wirtschaft auswirken könnte.

FotoS: ­geralt/Pixabay.com, Dirk Knofe, André Kempner, SMWA

... Fachkräftemangel: „2034 knallt es, eher schon 2031: Die Baby­boomer sind dann im Ruhestand und durch die Einführung der AntiBaby-Pille gab es zudem einen Rückgang der Geburtenrate. Daraufistniemandvorbereitet,Arbeitgeber nicht, Behörden nicht, die Agentur für Arbeit nicht. Dabei mussmannureinbisschenrechnen, um darauf zu kommen. Was das für das Recruiting und die Digitalisierung schon heute bedeutet und wie danndieLückevon20Prozentinder Belegschaft geschlossen werden soll, darüber denkt kaum jemand nach.“

... Energiespeicherung: „Sobald es für erneuerbare Energien ausreichend Speichermöglichkeiten gibt, wird Strom kostenlos werden. Ich schätze etwa 2040 wird das der Fall sein.“

AB SOFORT DIGITAL. Zukunftsforscher Kai Gondlach über KI, Nachhaltigkeit und Fachkräftemangel

öffentlicher Skandal – sind strategische Maßnahmen gefragt. Dazu gehört auch eine strukturierte, klare Kommunikation innerhalb des Unternehmens und nach außen, die gut durchdacht sein muss. In dieser Folge spricht der Experte für Krisenkommunikation und -management Marcus Ewald über seine tägliche Arbeit im Ausnahmezustand anderer. Er ­erläutert, wie eine Krise entsteht, berichtet vom richtigen Umgang mit Krisen, von Enttäuschung und ­Hürden im Krisenmanagement.

Minister Dulig, wie gelingt der Vorsprung Ost?

Energiepreise, Klimakrise, Fachkräftemangel: Wie können Ansiedlungen von Unternehmen in Sachsen gefördert werden und wie gelingt eine gezielte Einwanderung von Talenten? Und was hat ein Vorsprung Ost mit Willkommenskultur zu tun? In dieser Folge spricht der Sächsische Staatsminister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr, Martin Dulig (SPD), über Transformationsprozesse im Automobilland Sachsen, Pläne für den Aufbau einer WasserstoffÖkonomie sowie Strategien für die Energiewende und gegen den Fachkräftemangel.

Von Susanne Reinhardt
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Unternehmen Unternehmer

Großforschungs­zentren können

Regionen nach oben katapultieren

Die ostdeutsche Forschungslandschaft wird sich „massiv ­verändern“. Das meint zumindest Thorsten Posselt. Der Leiter des Fraunhofer-Zentrums fürInternationales Management und Wissens­ökonomie

(IMW) in Leipzig begründet ­seine Einschätzung mit den beiden Großforschungszentren, die in Zusammenhang mit dem Ausstieg aus der Kohle in ­Ost­deutschland entstehen werden.

Delitzsch erhält das „Center for the Transformation of Chemistry“ (CTC), in der sächsischen Lausitz wird das ­„Deutsche Zentrum für Astrophysik“ angesiedelt. Letzteres soll dazu beitragen, mit modernen Technologien das Weltall zu verstehen. Unter anderem ist geplant, ­riesige Datenströme von Großteleskopen zu bündeln und zu verarbeiten. Beide ­Einrichtungen hätten das Zeug, „völlig neue Innovationen zu generieren, die perspektivisch zu Anwendungen und damit attraktiv für die Ansiedlung von Unternehmen werden“, sagt dazu Sachsens Wissenschaftsminister Sebastian Gemkow.

In beiden Zentren „liegt erhebliches Wertschöpfungspotenzial“, betont Posselt und denkt dabei neben Ansiedlungen auch an Ausgründungen sowie den internationalen Austausch. Es bestehe so die Chance, die beiden Regionen „nach oben zu katapultieren“. Das CTC passe gut nach Delitzsch. Schließlich gebe es dort wegen der Nähe zu den Chemiestand­orten Bitterfeld und Leuna „eine hohe Identifikation“ mit dieser Branche. Zudem habe die Chemieindustrie – sie ist in Deutschland hinter der Automobilwirtschaft und dem Maschinenbau die ­Nummer drei – eine enorme Bedeutung. Auch weltweit spiele sie eine große Rolle. Unter den zehn größten Chemiekonzernen seien mit BASF, Bayer, Henkel und Covestro gleich vier aus der Bundesrepublik. Posselt kündigt an, dass sein Institut sich hier einbringen hier wolle. „Wir ­würden gerne kooperieren“, so der Wirtschaftsprofessor. Das IMW erforscht und entwickelt Strategien, Strukturen, Prozesse und Instrumente für den Transfer von Wissen und Technologien zwischen Organisationen, das Umsetzen von Wissen in Innovationen und das Verstehen und Gestalten der zugehörigen Rahmenbedingungen. Das CTC wird nach Ansicht von Posselt zur Entstehung einer lokalen ­Wissensgemeinschaft führen. ChemieProfessor Peter Seeberger, der Kopf ­hinter dem CTC, ist für die Zusammenarbeit offen. „Wir wollen nicht wie ein Ufo auf der grünen Wiese landen.“ Es werde wichtig sein, mit hiesigen Hochschulen und Forschungseinrichtungen ­zusammenzuarbeiten. „Je größer das ­System ist, das wir hier hochbringen, desto mehr werden alle davon profitieren.“

Die Großforschungszentren dürften nach Posselts Einschätzung einen Beitrag dazu leisten, dass die noch immer vor­handene ökonomische Ost-West-Schere kleiner wird. Für hiesige Firmen bestehe die Chance, mithilfe der Forschungsergebnisse des CTC zu wachsen. Lang­fristig müsse es das Ziel sein, große ­Familienunternehmen zu formen. Diese hätten „einen ganz anderen Zugang zu ihrer Region“ als Konzerne, die weit weg ihren Sitz hätten, den Osten vor allem als verlängerte Werkbank benutzten. mi

Rund zwei Drittel der Produkte der chemischen Industrie gehen als ­Vorleistungsgüter in nachgelagerte ­industrielle Prozesse. Die Branche steht damit am Anfang der industriellen Fertigung in Deutschland.

Milliarden Euro Umsatz ­erwirtschaftete die chemischpharmazeutische ­Industrie 2021. Sie liegt damit auf Platz 3 in ­Deutschland hinter der ­Automobilindustrie und dem ­Maschinenbau.

Milliarden Euro werden von den ­Unternehmen der chemischen Industrie in ­Produktionsanlagen investiert. Das sind über 12 Prozent der ­Investitionen des gesamten ­Verarbeitenden Gewerbes.

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Weltweit ist Deutschland die ­viertgrößte Chemienation hinter ­China, den USA und Japan.

In Europa entfällt ein Viertel des Chemieumsatzes auf die deutsche Chemie.

Tausend Menschen arbeiteten 2021 in der chemische-pharmazeutischen ­Industrie.

Delitzsch wird Wiege der industriellenRevolutioninderChemie

Das Großforschungszentrum „Center for the Transformation of Chemistry“ entsteht in der Loberstadt. Hier wird langfristig auf eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft gesetzt.

Die Chemiebranche „stehtvoreinerindustriellen Revolution“ –unddieWeichendafür werden in Delitzsch gestellt. Davon geht zumindest Peter H. Seeberger aus. Der Potsdamer Professor ist mit seinemKonzeptmaßgeblichdafürverantwortlich, dass in der Kreisstadt im Norden von Leipzig das Großforschungszentrum „Center for the Transformation of Chemistry“ (CTC) errichtet wird.

Nach Ansicht von Seeberger muss der Umbau der Chemie- und Pharmaindustrie auch dringend ­erfolgen. „Sie sind die Hauptverbraucher von fossilen Rohstoffen“ –als Energiequelle und als Basis­material für die Produkte. Das CTC soll dazu beitragen, dass die Branche die Transformation hin zu einer Kreislaufwirtschaft schaffen kann.

„WenndieChemieindustriebeiuns

Bestand haben will, können wir nichtsagen,wiroutsourcenunseren Dreck, also Abfälle und andere Emissionen, nach Asien und lassen dort mit den althergebrachten ­Prozessen produzieren.“ Folglich „müssen wir neue Ausgangsmaterialien nutzen und diese in neuen Prozessen zu Produkten umwandeln“.Dasbedeutet,aufnachwachsende Rohstoffe und die Kreislaufwirtschaft zu setzen. Anders formuliert: Ein komplexes System, das sich in mehr als 170 Jahren entwickelt hat und 41000 Chemieprodukte herstellt, muss (fast) komplett neu erdacht werden.

Produktiver Wirtschaftszweig

Seeberger verweist auf Zahlen der Industrie­gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE): Die chemische Industrie habe in der Bundesrepublik 580000 Beschäftigte, darunter 41000 in der mitteldeutschenRegion.„97ProzentallerProdukte, die wir konsumieren, sind entwederchemischhergestelltoder chemisch behandelt“, sagt er.

Obendrauf komme, dass InvestitionenweitereInvestitionen„anziehen“. In der Chemiebranche löst 1 Euro an Investitionen statistisch gesehen 40 Euro zusätzliche Investitionen aus. In der Automobilindustrie ist zwar die Gesamthöhe anInvestitionenhöher,der„Investitionshebel“ beträgt da aber nur den Faktor 10.

DieTransformation„wirdeinevöllige Änderung der Geschäfts-modelle der chemischen Industrie und

ihrer Zulieferer nach sich ­ziehen“, meint der Wissenschaftler. Bereits jetzt werden Abfälle aus der Zellstoffproduktion als Polymerersatz genutzt, dies wird sich in Zukunft massiv ausweiten. Anstelle von Pipelines wird die Eisenbahn genutztwerden.AndereProzessewerden neue Dienstleister hervorbringen,umdienötigenneuen­Anlagen zu bauen und zu warten. Diese Umstellung ist eine Generationenaufgabe, die Jahrzehnte in Anspruch nehmenwird.„Deshalbwerdenwir im CTC auch nie fertig mit der Arbeit, Prozesse nachhaltig zu optimieren, damit wir unseren Planeten weiter bewohnen können.“

97 Prozent aller Produkte, die wir konsumieren, sind entweder chemisch hergestellt oder chemisch behandelt.

Müll als Wertstoff nutzen Ein großes Augenmerk auch im CTC will Seeberger auf die Kreislaufwirtschaft legen. „Das wird ein Kernbereich unserer Arbeit.“ Es müsse erreicht werden, Müll nicht mehr überwiegend zu verbrennen, sondernalsWertstoffzunutzen.Das gelteauchfürChemikalien,diesich im Abwasser befinden. Gegenwärtig würden null Prozent des Lithiums,dasunterandereminMobiltelefonen verwendet wird, recycelt. „Dasmüssenwirändern.“Auchdie Flügel ausrangierter Windräder müsstenkünftigrecycelbarwerden. Große Aufgaben also für das CTC.

Werthaltige Arbeitsplätze

Am1.Januar2026,sodiebisherigen Planungen, soll es mit dem Bau des Gebäudes auf dem Gelände der ­alten Zuckerfabrik losgehen. „Uns liegt sehr viel daran, schneller zu sein“,drücktSeebergeraufsTempo.

Das CTC gehört zu den StrukturwandelprojekteninZusammenhang mitdemAusstiegausderBraunkohle. Der Bund investiert 1,2 MilliardenEuroundfördertdanachdenBetrieb gemeinsam mit dem Land mit 170 Millionen Euro jährlich. Entstehensollen1000Arbeitsplätze,davon ein gutes Drittel in Sachsen-Anhalt, wahrscheinlich am Chemiestandort Leuna. Und es würden nicht alles Forschende sein. „In unserem Konzeptgehtesauchdarum,Nicht-Akademiker durch Weiterbildung und Ausbildung an uns zu binden“, verspricht Seeberger. Im harten internationalen Wettbewerb kann speziell die ostdeutsche Chemie, die bislang nur 1 Prozent der deutschen Chemiepatente hervorbringt, nach seiner Auffassung nur dann bestehen, „wenn sie forschungsstärkerwird“.Dasschaffe langfristig werthaltige Industriearbeitsplätze mit möglichst weltmarktfähigen Produkten, mit Exportschlagern. Die mit Hilfe des Großforschungszentrums entwickelten Verfahren könnten Vorbild für die ganze Welt sein. Der MaxPlanck-Direktorrechnetdamit,dass sichrundumdasCTCFirmenansiedeln und es Ausgründungen geben werde. „Ich habe positive Signale aus der chemischen und pharmazeutischen Industrie erhalten. Sie sehen das Zentrum als große Chance und würden gerne Mitarbeiter neben uns ansiedeln. Ich bin zuversichtlich, dass das in drei bis fünf Jahren nach Inbetriebnahme des CTC auch passiert.“ Aber, „ich bin keinFreunddavon,jetztschonZahlen zu versprechen“.

Peter H. Seeberger (56) ist einer der weltweit führenden Chemiker. Der gebürtige Nürnberger ist Direktor am Max-PlanckInstitut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam und Professor an der Freien Universität Berlin. Er wurde wiederholt mit Preisen ausgezeichnet und gründete mehrere Firmen.

„Das CTC wird von zentraler Bedeutung für Delitzsch und den Mitteldeutschen Raum sein. Die Stadt wird ­Forschungsstandort in der Metropolregion Mitteldeutschland. In 15 Jahren ist aus einem industriellen ­Altstandort ein innovatives Forschungszentrum ent­standen, wo nicht nur ­industrielle Spitzenforschung, sondern auch der akade­mische Mittelbau teilhaben kann. Aus dem CTC heraus wird es weitere Ausgrün­dungenvonInstitutengeben.“

Manfred Wilde Oberbürgermeister Delitzsch

„DieChemiealsKreislaufwirtschaft neu zu denken, ­verspricht völlig neue ­Geschäftsmodelle und ­Innovationen, die wiederum neue Wertschöpfungen und Arbeitsplätze entstehen ­lassen. Das Großforschungszentrum wird der Schlüssel zu einem erfolgreichen ­Strukturwandel im gesamten Mitteldeutschen Braunkohlerevier sein. Und es wird von Nordsachsen aus einen der wichtigsten Industriezweige nachhaltig verändern.“

Kai Emanuel Landrat Nordsachsen

AB SOFORT DIGITAL. Nachhaltigkeit in der Chemie – wie das Großforschungszentrum in ­Delitzsch neue Wege gehen will Foto: ME Image/Adobe Stock | Quellen: VCI, Fotos: Ulrich Milde, Fotostudio Yvonn, Peter Sack, Andrè Kempner 18 Forschung Innovation & Leben Stil
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Leipzig – erste Stadt mit klimafreundlicher Stadtmöblierung

RBL Media hat in Leipzig Fahrgastunterstände, Werbe- und Stadtinformationsanlagen sowie digitale Werbeträger ausgetauscht und neu installiert. Der Großteil der Fahrgastunterstände wurde emissionsfrei und nachhaltig ausgestattet - mit Solarmodulen und Grünbedachung. Das macht Leipzig zur ersten Stadt, deren Stadtmöbel klimafreundlich betrieben werden.

„Lebendig grüne Stadt am Wasser“ lautet die Kernaussage aus der „Freiraumstrategie“ der Stadt Leipzig von 2017, die in den Masterplan „Grün Leipzig 2030“ mündet. Die Messestadt hat darin wichtige Ziele formuliert, wie Leipzig in den nächsten eineinhalb Jahrzehnten grüner, gesunder, lebenswerter und attraktiver werden will.

Diese Vision hat die RBL Media GmbH zur Entwicklung des vorgelegten Stadtmöbelkonzeptes für Leipzig inspiriert. Neben Funktionalität und Design leisten Wartehallen, Stadtinformationsanlagen und Werbeträger einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung hin zur „Green City“.

Inspiriert durch die Geschichte und Dynamik des ehemals als „Gartenstadt“ bekannten Leipzigs wurde ein Stadtmöblierungskonzept entwickelt, das drei Aspekte umfasst.

1. „Green Design“

Die Stadtmöbel und Werbeanlagen sind von Beginn an nachhaltig gedacht, entwickelt und produziert. Alle eigesetzten Wartehallen erfüllen darüber hinaus einen ökologischen Zusatznutzen über die reine Funktion als Fahrgastund Witterungsschutz hinaus.

Insgesamt installierte RBL Media 900 Wartehallenmodule, von denen die eine Hälfte mit Grünbedachung und die andere Hälfte mit Solarmodulen ausgestattet wurden. Die Gründächer bieten „grüne Inseln“ im urbanen Raum und dienen zum Beispiel als Mikrolebensraum für Insekten wie Bienen. Zudem nehmen die

Pflanzen CO2 auf und binden Feinstaub

Die Fahrgastunterstände mit Solarmodulen produzieren Strom aus Sonnenenergie, der für die Beleuchtung nachts gespeichert wird.

2. „Green Maintenance“

Die Bewirtschaftung, Reinigung und Pflege der Stadtmöbel und Werbeanlagen erfolgt zu 100 Prozent nachhaltig. Das bedeutet, alle eingesetzten Ressourcen sind ökologisch unbedenklich, ressourcenschonend und emissionsfrei. Das umfasst vom Reinigungsmittel bis zur lokal emissionsfrei fahrenden Elektro-Fahrzeug-Flotte alle eingesetzten Arbeitsmittel.

Wasser, das zur Reinigung der Wartehallen und Werbeträger benötigt wird, stammt aus Regenwasser.

3. „Green Citizenship“

Von Beginn an setzt RBL Media darauf, grüne Projekte zu fördern und zu entwickeln. Unter dem Namen „Green Net“ wird zum Beispiel je City-Light-PosterKampagne ein Baum gepflanzt.

Die Vision des neuen Werbe- und Stadtmöbelpartners ist es, in Leipzig das weltweit erste klimafreundliche Stadtmöbel- und Außenwerbeangebot auf städtischem Grund und Boden zu betreiben. Dieses Ziel soll einerseits durch die Reduktion von Emissionen auf ein Minimum erzielt werden und andererseits unvermeidbar anfallende Emissionen durch klimawirksame Projekte wie Aufforstungs-initiativen von heimischen Wäldern ausgeglichen werden.

So wird Werbung sichtbar: Hinter der vollverglasten Vitrine ist das neue Citylight-Poster schon zu sehen.

RBL MEDIA bietet Stadtmöblierung und Außenwerbung auf höchstem

Niveau: modernste Medienträger in außergewöhnlicher Qualität, optimierte Planung und professioneller Service.

Mit mehr als 6000 Werbeträgern (analoge und digitale) ist RBL Media unter die Top 10 der Out-of-HomeUnternehmen in Deutschland aufgestiegen.

Die RBL MEDIA GmbH mit Sitz in Erkelenz im Rheinland ist eines der jüngsten Unternehmen in der „Out-of-Home“-Branche. Sie hat sich auf dem Markt der kommunalen Außenwerbeund Städtemöbelkonzessionen etabliert und verleiht vier deutschen Städten und zahlreichen Firmen mit ihren Ideen besondere Aufmerksamkeit.

Allein in Leipzig hat das Unternehmen seit Juli 2019 rund 900 Fahrgastunterstände, mehr als 400 Werbe- und Stadtinformationsanlagen sowie digitale Werbeträger ausgetauscht und neu installiert. Damit stehen der Stadt nun rund 230 zusätzliche Wartehallen zur Verfügung.

Hinter der RBL Media GmbH stehen namhafte Unternehmen der Branche.

Muttergesellschaft ist die Firma Epsilon N.V. – seit mehr als 25 Jahren Hersteller von Stadtmöbeln. Das belgische Unternehmen leitet eine der größten europäischen Fertigungsanlagen und beliefert viele der größten Außenwerbeunternehmen Europas. Soziale Verantwortung zählt seit jeher zu den Grundpfeilern der Firma. Umweltschutz und Nachhaltigkeit unter Beachtung eines möglichst geringen CO2-Ausstoßes stehen dabei im Mittelpunkt. Dies zeigt sich in energieeffizienten Produkten und Produktionsprozessen.

RBL Media GmbH

Niederlassung Leipzig

Zweinaundorfer Straße 126

04316 Leipzig:

Tel: 02433 8887600

Fax: 02433 888 76 10

E-Mail: info@rblmedia.de

Web: www.rblmedia.de

Fertig: Nach drei Minuten sitzen die beiden Citylight-Poster an ihrem Platz im Wartehäuschen. Für Steffen Schwabe und Julian Seidel geht es jetzt weiter zum nächsten.

RBL MEDIA im Porträt © Foto: Eric Kemnitz
Achtung Kontrolle: Damit auch alles perfekt sitzt, zieht Julian Seidel das Poster Stück für Stück glatt und drückt es fest an die Wand.
Die Servicemitarbeiter Steffen Schwabe und Julian Seidel sind im Leipziger Stadtgebiet unterwegs und bringen aktuelle Citylight-Poster an den Fahrgastunterständen an. Fast geschafft: Zum Schluss macht Steffen Schwabe den Fahrgastunterstand inklusive der Vitrine noch sauber.
© Fotos: André Kempner

Mindestens fünf Prozent des Umsatzes mit neuen

Produkten

Die P-D Glasseiden GmbH hat seit mehr als 50 Jahren ihren Stammsitz in Oschatz. Nicht ohne Grund: Die Mitarbeiter sind die wichtigste Ressource des Unternehmens.

Die P-D Glasseiden GmbH Oschatz, ein eigentümergeführtes, mittelständisches

Unternehmen im Herzen Sachsens, produziert seit mehr als 50 Jahren eine umfangreiche Produktpalette an Geweben, Komplexen sowie Schnittglasmatten für den globalen Markt. Als Zulieferer in Sektoren wie Automotive und Transport, Bootsbau, Windkraft und KanalsanierungstelltsichdasUnternehmen den Herausforderungen der Zeit hinsichtlich Nachhaltigkeit und Energieeffizienz. Die permanente Entwicklung und Weiterentwicklung innovativer Produkte verlangt dabei gut ausgebildete und qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Verbundenheit zum Standort und Mitarbeitenden

Stillstand ist Rückschritt – nach diesem Credo arbeitet die P-D GlasseidenGmbHOschatzundgibtsichje-

des Jahr ein festes Umsatzziel vor, das aus neuen Produkten erwirtschaftet werden soll. Dass dies kein Selbstläuferist,sonderndurchmotiviertes und kreatives Personal erarbeitet werden muss, ist einer der Gründe, warum die P-D Glasseiden am Standort Oschatz auch langfristig festhalten will.

„Wir sind als Unternehmensgruppe eng mit dem Standort verbundenundhabenhierjedeMenge Know-how und sehr engagierte Mitarbeiter“, erklärt Jöran Pfuhl, GeschäftsführerderP-DGlasseiden GmbH Oschatz. „Schaut man auf objektive Kriterien wie Energiekosten, Personalkosten und vor allem Bürokratie gibt es sicher eine VielzahlvonLändern,diewesentlichattraktiver als eine Produktion in Deutschland erscheinen.“

Allerdings habe man bei den Auslandserfahrungen in China, Russland, Indien und den USA nirgends so kreative und tüchtige Mitarbeiter wie in Oschatz getroffen, betontPfuhl.DiesenStandortvorteil

Fakten

Unternehmen:P-D Glasseiden GmbH Oschatz Mitarbeiter in Oschatz: 300 Unternehmensumsatz: 70 Mill. Euro (Oschatz) Investitionen in 2023 ­geplant: zirka 5,2 Mill. Euro

Der wichtigste Grund für den Stammsitz in Oschatz: kreatives Personal.

Foto: Katie Photo­grafie

Welche Veränderungen brachte das Jahr 2022 für die P-D Glasseiden GmbH Oschatz mit sich?

Jöran Pfuhl: Das vergangene Jahr warwohlvondeneinschneidendsten Veränderungen der letzten Jahrzehnte geprägt. Planungsprämissen, die in den letzten 20 Jahren Bestand hatten, wurden komplett über den Haufen geworfen. Die Preise für Rohmaterialien, Chemikalien und Frachten haben nie gekannte Höhen erreicht. Die Energiepreise explodierten und mitdemrussischenÜberfallaufdie Ukraine fand in der Tat auch für unser Unternehmen eine Zeitenwende statt. Unser Unternehmen hielt traditionell enge Beziehungen nach Russland,wirbetreibeninRusslandseit mehr als zehn Jahren eine Glas­faserfertigung gemeinsam mit einem russischen Joint Venture Partner. Dieses russische Unternehmen war immer auch Teil der Rohmaterialversorgungsplanung unseres Hauses. Mit der Einführung der Sanktionen gegen Russland, die auch Glasfaserprodukte umfasste, fiel diese Quelle plötzlich weg. Andere Lieferanten mussten hier einspringen, was unsere Organisation vor erhebliche Herausforderungen stellte. Die Produktion der Produkte der ­P-D Glasseiden wie beispielsweise der Glasfasermatten benötigt sehr viel Energie. Wie hat sich die Energiekrise hier ausgewirkt?

Durch die permanent steigenden Kosten waren wir gezwungen, durchgehend diese Preissteigerungen an unsere Kunden weiterzugeben,diedasglücklicherweise in weiten Teilen auch akzeptiert haben. Als energieintensives UnternehmenhabenunsdieEnergiekostenexplosionen des Jahres 2022 massiv getroffen, die Kosten für Strom hatten sich für uns trotz strategischem Einkauf mehr als

spiele man bei den Kunden aus, die bereit sind, für Ware aus Oschatz und damit für Qualität, Innovation, Liefertreue, Schnelligkeit und Service zu bezahlen.

Die Innovationsleistung der vergangenen Jahre schlägt sich dieses Jahr nun in der Inbetriebnahme der neuen Mattenanlage 2.2 nieder. „DamitwerdenwirinderLagesein, Seitenwände für LKWs und Caravans deutlich leichter und optisch ansprechender zu gestalten“, erklärt Pfuhl.

„Und in unserer Weberei verweben wir neben Standardglasfasern auch Hochmodulfasern und Basalt, ein ideales Material zum Einsatz in Batteriekästen von Elektrofahrzeugen.“

Ziel: 5 Prozent Umsatz mit neu entwickelten Produkten Dauerhaftes Unternehmensziel ist es, jedes Jahr mindestens 5 Prozent des Umsatzes durch neu entwickelte Produkte zu erzielen. Die Ideen dazu entstünden oftmals aus den Gesprächen mit Kunden, nur diese wissen genau, was sie wollen und benötigen. Aber es kommen auch immer wieder Mitarbeiter mit neuenIdeen,diedannversuchtwerden, bei Kunden zu platzieren.

Wir erhalten wieder deutlich mehr ­Bewerbungen. Ich bin sicher, dass wir in diesem Jahr ­aufgrund des sehr wettbewerbs­fähigen Gesamt­paketes für unsere Mitarbeiter alle ­Vakanzen qualitativ hochwertig ­besetzen können.

Mit Innovationen wie der neuen ­Mattenanlage 2.2 sichert P-D Glas­seiden ihren technologischen Spitzenplatz bei immer dünner werdenden Matten. Nach einer Anlaufphase im Testbetrieb und umfangreichen ­Materialprüfungen gehen dann die ersten Produkte zu ausgewählten ­Kunden, die auf Verarbeitungs­fähigkeit, Optik ­sowie Leichtigkeit bei vergleichbaren Eigenschaften des neuen Materials prüfen. Rund drei Millionen Euro ­investierte die ­P-D Glasseiden in die neue Anlage.

Fotos: P-D Glas­seidendpa/Sebastian Willnow

verdoppelt, die Kosten für Erdgas mehralsverdreifacht.Hiermüssen wir leider konstatieren, dass die politischen Bedingungen in Deutschland im internationalen Wettbewerbsumfeld sehr schlecht sind.

Was sind die Ziele für 2023, worin liegen die Herausforderungen, aber auch Chancen?

Die erheblichen Zinserhöhungen, verbunden mit massiven Verunsicherungen bei Endverbrauchern, lassen uns für die gesamte Industrie mit gemischten Gefühlen ins Jahr 2023 blicken. Wir gehen davon aus, dass Kernmärkte unseres Unternehmens Automotive, Caravaning, Freizeitindustrie und Windkraft sowie Infrastruktur und Bau in Europa 2023 nicht weiter wachsen werden.

Allerdings haben wir unser Kundenportfolio in den letzten Jahren insbesondere außerhalb Europas, hiervorallemindenUSA,deutlich erweitert,sodasswirauchfür2023 mit einem leichten Wachstum ­planen. Und die Kombination von Lieferungen aus Oschatz mit denen unseres indischen Tochterunternehmens erhöht die Wettbewerbsfähigkeit der Glasseide im internationalen Vergleich nochmals deutlich.

Herausfordernd bleibt auch 2023 die Personalsituation, wobei hier ein positiver Trend zu bemerken ist. Wir erhalten wieder deutlich mehr Bewerbungen sowohl als Mitarbeiter als auch als Azubi. Ich bin sicher, dass wir in diesem Jahr aufgrund des sehr wettbewerbs­fähigenGesamtpaketesfürunsere MitarbeiteralleVakanzenqualitativ hochwertig besetzen können. Und wir geben die Hoffnung nicht auf, dass sich die politischen Rahmenbedingungen irgendwann auch mal wieder verbessern, was produktive Arbeit am Standort Deutschland angeht.

20 Forschung Innovation & Leben Stil
Von Jochen Reitstätter
Mit neuen Ideen und Veränderungsbereitschaft die Herausforderungen 2023 annehmen
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PriscaHavranek-Kosicek

BusinessClass

EvaInésObergfell

KarinRadström

Foto: Jenoptik

Stühlerücken im Top-Gremium der Jenoptik AG: Prisca Havranek-Kosicek (47) wird mit Wirkung vom 1. April neuer Finanzvorstand des Thüringer Technologie-Konzerns. Sie wird damit Nachfolgerin von Hans-Dieter Schumacher (59), der seinen Vertrag nicht verlängert hat. Havranek-Kosicek ist promovierte Betriebswirtschaftlerin und verfügt über langjährige Erfahrung als Finanzvorstand in mehreren börsennotierten Unternehmen. Zuletzt war sie bei der Nilfisk A/S, einem dänischen Unternehmen für Reinigungsgeräte. Zudem wurde der Vorstand um Ralf Kuschnereit (54) erweitert. Er promovierte in Physikalischer Chemie, ist seit 2017 bei Jenoptik und soll sich um den Photonik-Bereich kümmern. Vorstandschef ist Stefan Träger (55), ein gebürtiger Jenenser.

WolfgangWelter

Sie ist seit einem knappen Jahr Rektorin der Universität Leipzig. Deshalb nutzt Eva Inés Obergfell (51) ­weiterhin viele Gelegenheiten, die Stadt, die Region und natürlich die handelnden Akteure kennenzulernen.

So nahm sie auch am Neujahrsempfang des Leipziger Unternehmervereins „Gemeinsam für Leipzig“ in der LVZ-Kuppel teil. Dort sprach sie etwa mit Vereinspräsident Mathias Reuschel (65), Wissenschaftsminister Sebastian Gemkow (44) und lernte unter anderem Henry Graichen (46) ­kennen, den Landrat des Kreises Leipzig. Ihre Ankündigung im Gespräch mit der LVZ Wirtschaftszeitung, den Kontakt zur hiesigen Wirtschaft zu suchen, setzt die Rechtsprofessorin also um. Ziel dieser Kooperationen sei, an der Uni entwickelte Innovationen an den Markt zu bringen.

AlexanderKönig

Sie ist seit zwei Jahren Vorstandsmitglied der Daimler Truck AG. Und dort zuständig für die Marke MercedesBenz-Lkw. Jetzt hat Karin Radström (44) für den Osten Deutschlands, genauer: für Halberstadt, eine wichtige Entscheidung getroffen. Dort errichtet der Konzern einen neuen Logistikstandort. Perspektivisch werden 600 Arbeitsplätze geschaffen. „Die Ersatzteile aus unserem neuen Logistikzentrum werden einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, dass unsere Kunden und ihre Lkw im Einsatz sein können und wir damit unserem Anspruch

Foto: Daimler Truck AG

„Trucks you can trust“ gerecht werden“, sagte die schwedische Ingenieurin, die im Rudern mit Kristina Knejp (48) bis 2010 auch auf internationaler Ebene beachtliche Erfolge erzielte. Baubeginn für das neue Zentrum soll noch in diesem Jahr sein, die Inbetriebnahme ist für 2026 vorgesehen. Künftig sollen bis zu 300 000 verschiedene Artikel – von der kleinsten Schraube bis zum fertigen Lkw-Fahrerhaus – an knapp 3000 Fahrzeughändler in mehr als 170 Länder der Welt geliefert werden.

AnkeTuschek

Foto: Susann Friedrich

Eine Ära geht dem Ende zu. Wolfgang Welter (65), Chef der Krostitzer Brauerei, verabschiedet sich in diesem Frühjahr in den Ruhestand. Der gebürtige Rheinland-Pfälzer übernahm im Dezember 1990 die Geschicke der Brauerei vor den Toren Leipzigs und sorgte im Laufe der, nein, nicht Jahre, sondern Jahrzehnte für einen überschäumenden Absatz. So wurde längst die Eine­Million-Hektoliter-Marke genommen, wodurch Krostitzer zu den Top 15 in der Bundesrepublik zählt. Welter, ein grundsätzlich positiv eingestellter Mensch („ich freue mich des Lebens“), setzte dabei auf regionale Präsenz und Tiefe. Stabilität und Kontinuität haben zur jetzigen Stellung des hiesigen Gerstensafts geführt. Welter und Ur-Krostitzer sind zudem sozial engagiert und unterstützen auch den Leipziger Zoo. „Es gibt eine Verantwortung der Wirtschaft der Gesellschaft gegenüber“, lautet das Credo des scheidenden Bier-Bosses.

StephanHaupt

Die Leipziger VNG Handel und Vertrieb GmbH hat einen neuen Geschäftsführer bekommen. Stephan Haupt (40) ist am 1. Februar in das Führungsgremium der Tochter des Erdgasriesen VNG eingezogen. Er leitet nun gemeinsam mit Konstantin von Oldenburg (46) das Unternehmen. Haupt verantwortet die Bereiche Risiko, Recht, Operations, Strategie und Nachhaltigkeit. Der studierte Ökonom ist bereits seit 2009 für VNG tätig. „Durch seine langjährige Tätigkeit innerhalb des VNG-Konzerns kennt er das Unternehmen bestens, verfügt darüber hinaus über einen breiten Erfahrungsschatz sowie umfangreiche Führungserfahrung“, begründete VNG-Vorstandsvorsitzender Ulf Heitmüller (58) die Personalentscheidung. VNG beschäftigt 1500 Mitarbeiter und ist der drittgrößte deutsche Gasimporteur und Speicherbetreiber. Das Unternehmen, das mehrheitlich zum Energiekonzern EnBW gehört, beliefert 400 Stadtwerke und Industriekunden mit Gas und deckt damit 20 Prozent des deutschlandweiten Bedarfs an diesem Energieträger ab.

Foto: Eric-Kemnitz.com

Die Portground GmbH setzt auf Kontinuität. Alexander König (43) ist für weitere fünf Jahre zum Geschäftsführer bestellt worden. Portground ist die Flugzeug- und Frachtabfertigungstochter der Mitteldeutschen Flughafen AG, zu der die beiden Airports Leipzig/Halle und Dresden gehören. Mit der Vertragsverlängerung um fünf Jahre ist auch der Chefposten der Flughafenservice GmbH verbunden, die Abfertigungsleistungen im Passagierbereich an den zwei Flughäfen anbietet. König, der seit 2013 Portground mit seinen 500 Beschäftigten führt, sagte, er betrachte die Entscheidung „als Wertschätzung meiner bisherigen Tätigkeit“. Zum Leistungsspektrum von Portground zählen unter anderem die Be- und Entladung von Flugzeugen inclusive aller Transporte auf dem Vorfeld, die dokumentarische Frachtabfertigung sowie Services wie die Innenreinigung und die Flugzeugenteisung.

PatrickKather

Foto: Portground GmbH

Beim Chemnitzer Energieversorger EnviaM hat es eine Veränderung im Vorstand gegeben. Patrick Kather (42) hat als Nachfolger von Andreas Auerbach (60), der zum Ende des vorigen Jahres geplant ausgeschieden war, das Vertriebsressort übernommen. Kather ist gebürtiger Hallenser und studierte in Leipzig Betriebsund Volkswirtschaftslehre. Nach mehrjähriger Tätigkeit in der externen Beratung wechselte er vor elf Jahren zum EnviaM-Mutterkonzern Eon. 2020 wurde er Geschäftsführer der Beratungsgesellschaft Econ, eine Tochter des Essener Energieriesen. „Das ist eine tolle neue Aufgabe“, sagte ­Kather zu seiner neuen Tätigkeit in Sachsen. Es gebe wenige Unternehmen, die die Energiebranche in Ostdeutschland so prägten wie EnviaM. Persönlich freue er sich auf die Rückkehr in seine Heimat. Das Führungsgremium von EnviaM wird komplettiert durch den Vorstandsvorsitzenden Stefan Lowis (54) und Sigrid Nagl (48), die für das Personal zuständig ist.

Knapp drei Jahre lang, von 2006 bis 2009, war Anke Tuschek (63) Geschäftsführerin der Stadtwerke Leipzig. Dort verantwortete sie die Strom-, Gas- und Fernwärmeverteilung sowie den Bereich Netz. Später übernahm sie dazu den Energieeinzelhandel, die Aktivitäten in Polen und das strategische Marketing. Danach wechselte die gebürtige Hoyerswerdaerin als Mitglied der Hauptgeschäftsführung zum Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). In Berlin kümmerte sie sich um die Aufgabenfelder Märkte und Energieeffizienz. Jetzt beendet die promovierte Maschinenbauingenieurin ihre berufliche Laufbahn. „Sie hat sich große Verdienste um die Energiewirtschaft erworben“, lobte BDEW-Präsidentin Marie Luise Wolf (64), im Hauptjob Vorstandschefin der Darmstädter Entega AG. Tuschek habe den „fundamentalen Wandel der Branche“ aktiv mitgestaltet.

Foto: Thomas Imo/ photothek.net

ClaudiaFugmann

Frauen in technischen Berufen sind immer noch in der Minderheit. Bei der Ingenieurkammer Sachsen hat es Claudia Fugmann (64) aus Grünbach bei der Vorstandswahl zur Vizepräsidentin gebracht. Als Primus im Führungsgremium der Einrichtung wurde der Leipziger Hans-Jörg Temann (55) in seinem Amt bestätigt. Zum weiteren Vizepräsidenten bestimmte die Kammer Ralf Donner (54) aus Dresden. Schatzmeister wurde der Dresdner Rony Hänel (46). Schwerpunkte der Arbeit sieht Temann in der Existenzsicherung der sächsischen Ingenieurinnen und Ingenieure, in der Gewinnung von Fachkräften und Nachwuchs sowie in den Themen Nachhaltigkeit und Klimaneutralität. Die Kammer fungiert als Interessenvertretung und ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts.

Foto: Ingenieurkammer Sachsen

21 Forschung Innovation & Leben Stil
Foto: Christian Hüller Foto: Michael Setzpfandt
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Von Ulrich Milde

SpinLab, Basislager, ImpactHub: Die großen Brutstätten für

Start-ups in Sachsen

Die Gründerszene in Sachsen wächst. Davon profitieren die Coworking-Stationen als Brutstätten für viele Start-ups. Was zeichnet sie aus? Wo sind ihre Stärken? Drei Gründer aus Leipzig und Dresden geben Einblicke.

Von André Böhmer

Jung, innovativ, unkonventionell: Etwa jedes zweite Start-up, das in Ostdeutschland gegründet wird, arbeitet in Sachsen. Der Freistaat hängt die anderenBundesländerbeiHigh-TechGründungen klar ab. Und viele Start-ups in Leipzig und Dresden nutzen Coworking-Stationen für erste geschäftliche Aktivitäten: Wir stellen drei der wichtigsten von ihnen vor:

SpinLab Leipzig: Im Wettbewerb mit Paris und London

Mit Top-Platzierungen lässt es sich gut leben. Das sieht Eric Weber (35), Geschäftsführer von SpinLab – The HHL Accelerator in Leipzig, auch nicht anders. Nachdem das in der Baumwollspinnerei agierende Kreativ-Labor der jungen Wirtschaft Ende Januar in einer Studie zu Start-up-Inkubatoren europaweit unter die besten acht kam (als einziges in Deutschland), knallten in der Halle 14 die ­Korken. „SpinLab steht für exzellente Bedingungen für Innovationen und Start-ups aus den Bereichen Energie und E-Health“, schrieb Sachsens Regierungschef Michael Kretschmer bei LinkedIn. Ein Ritterschlag – und „vor allem eine schöne Ehrung für das Team“, sagt Weber. Der gebürtige Riesaer, der an der Uni Leipzig seinen Master (BWL) abgeschlossen und bei Professor Pinkwart an der HHL Leipzig promoviert hat, führt seit dem Start 2015 das Gründerzentrum in ­Lindenau.

„Wir sind in Halle 14 komplett ausgelastet“, so Weber. Das sind voll vermietete 2000 Quadratmeter, bei der letzten Anmeldephase bis 31. Januar hatte sich eine mittlere dreistellige Bewerberzahl um die knapp zehn Plätze gedrängelt. In Zukunft wird dann noch größer gedacht. 2025 ist in Halle 7 eine Erweiterung geplant: Durch das von der Stadt mitge­steuerte Projekt kommen weitere 5500 Quadratmeter Fläche für Innovationen hinzu, so Weber. Der von der HHL ins Leben gerufene Accelerator (Beschleuniger) sieht sich als selbst­finanzierte GmbH vor allem als Partner für den Energie, Gesundheits- und Smart-City-Faktor. „Unsere Start-ups beraten das Who-is-Who der ­regionalen Wirtschaft“, sagt Weber und verweist etwa auf VNG, EnviaM, die L-Gruppe, SachsenEnergie und die Uniklinik Leipzig als Partner. Das Erfolgsmodell SpinLab Leipzig, das auch aus den guten Kontakten zu

Geldgebern und den Aufbau eines ­Investitionsfonds resultiert (Weber: „Start-ups wollen Zugänge zu Investoren“), ist mittlerweile auf das „RootCamp“ Hannover übertragen worden. In Niedersachsen aber mit den Schwerpunkten Agrar- und Bioökonomie-Themen. Und der Blick geht weiter – international nach Osteuropa, weil es dort einen starken Zugang zu IT-Kräften gebe. „Wir haben eine Standortanalyse in 30 Städten durchgeführt“, sagt Weber. 2021 habe das jetzt vom russischen Angriffskrieg heimgesuchte Kiew ganz vorn gelegen. Aber auch Krakau, Breslau und Budapest hätten Potenzial. Das werde jedoch nicht funktionieren, wenn man nur ab und an mal hinfliegt, so der SpinLab-Chef. „Wir brauchen gute Leute vor Ort.“ Auch in Leipzig sei das nicht anders. Es gehe um die besten Köpfe der Gründerszene. „Da stehen wir im Wettbewerb mit Berlin, Paris und London.“

Impact Hub Dresden: Nachfragen auf allen Ebenen

Eric Weber, CEO des SpinLab auf dem Dach der Spinnerei in ­Leipzig.

Foto: Nora ­Börding

Wer kurz nach der ersten harten ­Corona-Welle in Sachsen einen zweiten Standort eröffnete, der brauchte vor allem zwei Dinge: Mut und Visionen. Lorenz Weil (30), Geschäftsführer von Impact Hub Dresden, hatte beides. Im Mai 2021 ging er mit der Galerie in der Dresdner Altstadt am Postplatz einen neuen unternehmerischen Schritt. 1000 Quadratmeter Fläche als Zentrum für nachhaltigen Wandel an der Elbe, mit den 700 Quadratmetern am Standort Hauptbahnhof einer der führenden Player in der Landeshauptstadt. Seit Gründung sind neben dem Coworking auch Events/Workshops (wie Startup Safari Dresden/Mitteldeutschland, Hackathons wie den Climathon, etc.) im Angebot. „Ich wollte immer gestalten und aufbauen“, sagt der ­Hesse, der 2013 am Tag der Deutschen Einheit aus seinem etablierten Umfeld aufbrach – und in den Osten ging. Das Politikwissenschaftsstudium an der TU Dresden war dann aber zunächst nicht die Erfüllung. „Ich wollte mehr praktisch arbeiten.“ Und so landete Weil 2017 als CommunityManager und seit April 2021 als ­Geschäftsführer beim Impact Hub Dresden.

Das internationale Label, das für eine Community aus Social Entrepreneurs steht, ist an mehr als 100 Standorten in über 50 Ländern auf fünf Kontinenten vertreten, darunter in der Landeshauptstadt und in Leipzig (Naumburger Straße) auch in Sachsen. „Das Impact Hub Netzwerk ist ein sogenanntes Miteigentümer-Netzwerk und ähnelt einer internationalen Genossenschaft“, sagt Weil. „Wir sind als GmbH unternehmerisch komplett eigenständig, teilen aber Vision, Werte und Branding auf globaler Ebene. Ein reger Austausch zu anderen Hubs und

dem globalen Team in Wien versteht sich von selbst. Wie die großen Coworking-Stationen in Leipzig, kann auch Weil für Dresden von einem erfolgreichen Trend sprechen. Man merke zwar noch die Corona-Spätfolgen und die ausgebliebenen Umsätze 2022, so der Geschäftsführer. Und auch 2023 sei durch steigende Energiekosten noch ein unsicheres Jahr. „Aber wir haben wieder Nachfragen auf allen Ebenen.“ Am bewährten Mieter-Mix wolle man deshalb sowohl für den Standort Hauptbahnhof als auch für die Altstadt-Galerie festhalten: Ein Drittel der Fläche für Freelancer, ein Drittel für Start-ups und ein Drittel für etablierte Unternehmen. Den Ritterschlag für Weil und sein Team gab es im Sommer 2020. Der renommierte, börsennotierte Heizund Klimatechnikhersteller Viessmann (Allensdorf/Hessen) hatte ein Forschungszentrum in Dresden für Wärmepumpen in Planung. „Sie konnten bei uns super ihr Entwicklungsteam aufbauen und erste Projekte starten, damit Viessmann gleich nach Fertigstellung mit dem Entwicklungszentrum 2022 durchstarten konnte“, sagt der Impact-Hub-Chef über den Coup. Die Ausstrahlung der TU Dresden als einzige ostdeutsche Exzellenz-Uni habe da natürlich mit geholfen, so Weil. Mit einem anderen Image seiner Stadt ist er dagegen unzufrieden. „Wie schafft Dresden eine positive Wahrnehmung?“, fragt er mehr rhetorisch. Weil er weiß, dass die Internationalität in der Landeshauptstadt nicht gerade selbstverständlich ist. Natürlich sei das schädlich, so Weil. „Unser Spirit kennt keine Grenzen. Denn viele Start-ups, die bei uns angefangen haben, sind längst international unterwegs.“

Zum Basislager-Start, im April 2015, waren es eine Etage und 20 Arbeitsplätze im Peterssteinweg 14. Das von der Leipziger Verlags- und Druckereigesellschaft (LVDG) gegründete ­Basislager war das erste professionell betriebene Leipziger Coworking Space. In knapp acht Jahren hat es sich neben dem SpinLab als einer der wichtigsten Player der Gründerszene einen Namen gemacht. Aus einer ­Etage wurden drei Standorte – das komplette Haus im Peterssteinweg 14, in der KarlLiebknecht-Straße 14 und am Floßplatz. „Und aus 20 Arbeitsplätzen wurden aktuell rund 250“, sagt Leiter Marco Weicholdt (35), ein Leipziger, der in Schleußig aufwuchs und zunächst als Marketing-Chef das Basislager von Anfang an mit aufgebaut hat.

Mit seinem Team von fünf Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern managt Weicholdt das Basislager. Dazu kom-

men vier Leute, die sich um die Organisation des „MACHN“-Festivals kümmern. Nach der Premiere 2022 findet das Treffen der mitteldeutschen Startup-Szene diesmal Ende Juni auf dem Spinnereigelände („Business meets Backstein“) in Kooperation mit dem SpinLab statt. „Wir sind ein offener Ort, an dem Experten aus verschiedenen Bereichen aufeinandertreffen und Synergien entstehen“, sagt Weicholdt.

Innerhalb von 14 Tagen könne man einen Arbeitstisch mieten, Produktivität stehe an erster Stelle, so der Leiter. Die Kündigungsfrist liege bei 14 Tagen, aktuell seien alle Büros vergeben. „Wir verkaufen Flexibilität und bieten einen Full-Service, damit sich Gründer auf ihre Geschäftsidee konzentrieren können.“

Die Mieterschaft in den drei Häusern der Südvorstadt ist dabei auffällig heterogen. Neben IT-Experten, die sich

mit E-Commerce oder IT-Security beschäftigen, zählen App-Entwickler genauso dazu wie Blogger, SEO­Optimierer, Übersetzer und Anwälte.

Zu den Erstmietern gehörte 2015 das Start-up „Pro Copter“, das kreative Lösungen zu Drohnen anbietet, sich ­inzwischen vergrößert hat und ausgezogen ist.

Anfragen für einen Platz im Basislager kommen von überall her. „Viele wollen hier arbeiten und die Lebensqualität von Leipzig nutzen“, sagt Weicholdt. Die Lage in der Südvorstadt sei da ein großes Plus. Finanziert werde das ­Basislager über die Mieteinnahmen, Workshops und über den Eventbereich durch Fremdvermietung. Ein ­Erfolgsmodell – auch für die Madsack Mediengruppe, zu der die LVZ gehört. Die Madsack-Töchter in Rostock und Kiel („Fleet 7“) sind beim Coworking dem Leipziger Beispiel gefolgt.

Lorenz Weil ist der Geschäftsführer Impact Hub Dresden

Foto: IHD

AB SOFORT DIGITAL.

Kreative Szene:­Die großen Brutstätten für ­Start-ups in Sachsen im Porträt und zwei Beispiele aus Leipzig, wie Jungunternehmen erfolgreich ­innovative auf den Markt bringen.

Das SpinLab in der alten Baumwollspinnerei in ­Leipzig.
22 Forschung Innovation & Leben Stil
Foto: dpa/Sebastian Willnow Marco Weicholdt, Leiter des Basis­lager in Leipzig. Foto: AndrÉ ­Kempner
Basislager Leipzig: Aus einer Etage wurden drei Standorte

Kenne deinen Markt

Start-ups gelten als treibende Wirtschaftskraft. Diese jungen Unternehmen entwickeln eine innovative Geschäftsidee hin zur Marktreife. Laut dem aktuellen Deutschen Start-up-Monitor gibt es bei uns 1976 solcher jungen Unternehmen. Sie stellen sich den Herausforderungen der Zukunft, wollen bewegen und verändern. Exemplarisch zeigen zwei Leipziger Start-ups, wie sie es geschafft haben, mit ihrer Idee am Markt zu bestehen und was es braucht, um als Jungunternehmen wirklich erfolgreich zu sein.

Rhebo GmbH aus Leipzig: mit der Gründungsidee die Zeichen der Zeit erkannt

Nicht immer ist eine tolle Idee schon ausreichend, um mit einem neuen Produkt daraus am Markt Fuß zu fassen. Die Rhebo GmbH aus Leipzig erkannte schon 2014, dass es zukünftig um den digitalen Schutz vernetzter industrieller ­Anlage gehen wird, beispielsweise im Energie- und IIoT-Sektor. Doch anfänglich war die Zeit noch nicht reif dafür. Dies änderte sich mit den zunehmendenfeindlichenAktivitätenvonCyberkriminellenundstaatlichen Akteuren in den vergangenen zehn Jahren drastisch.

Know-how und das richtige Gespür, welche Bedürfnisse der Markt in Bezug auf industrielle Cyber­sicherheit einmal haben wird, begründeten letztendlich den wirtschaftlichen Erfolg der Rhebo GmbH als Anbieter von Systemen der Cybersicherheit und digitaler Angriffserkennung in industriellen Anlagen, insbesondere für den ­BereichderkritischenInfrastruktur.

„Wir haben uns ursprünglich auf den Bereich der automatisierten Fertigung konzentriert, das hat ­weniger funktioniert“, erinnert sich FirmengründerundCEOderRhebo GmbH, Klaus Mochalski.

„Wir haben dann schnell erkannt, dass die gefährdeten Bereiche zunehmend in den kritischen Infrastrukturen liegen, beispielsweise bei Unternehmen der Energieversorgung, Netzbetreibern, Wasserunternehmen“, so Mochalski. Man habe sich bei der Weiterentwicklung des Produkts dann gezielt an den Anforderungen dieser Wirtschaftssektorenorientiert,ohne jedoch die automatisierte Industrie ausdenAugenzuverlieren.Zusammen mit umfassenden Sicherheitsservices,diedenanhaltendenFachkräftemangelinvielenOrganisationen adressiert, brachte das den Durchbruch für Rhebo.

Staat definiert Anforderungen an digitale Sicherheitssysteme

Die zunehmende digitale Vernetzung, steigende Gefahren aus dem Bereich der organisierten CyberkriminalitätbishinzuFormenderhybriden Kriegsführung schaffen eine digitale Umgebung in Industrieunternehmen, Kommunen und kritischen Infrastrukturen, die es mehr denn je zu schützen gilt. Beispiele für diese Bedrohung gibt es mittlerweile zuhauf. Eines der bekanntesten war 2021 der Hackerangriff auf den Landkreis Anhalt-Bitterfeld, der über Monate zu starken Einschränkungen der VerwaltungsarbeitderKommuneführteundteils dauerhafteVerlusteanDatenverursachte. Im Juni 2022 wurde der deutsche Konzern Entega Opfer eines Ransomware-Angriffes. Auch dessen Tochterunternehmen e-netz Südhessen, das mehr als 1 MillionMenschenmitEnergieversorgt, war bedroht. Rhebo unterstützt die e-netz damals binnen 24 Stunden

„Für Start-ups sind Netzwerke wie Katalysatoren“

Interview mit Dr. Marc Struhalla, Gründer und Managing Director von c-LEcta Mit welchen Innovationen ist die ­Firma 2004 an den Markt gegangen?

Dr. Marc Struhalla: Wir haben ­c-LEcta 2004 gegründet, mit einer vielversprechenden patentierten Technologie, um Enzyme zu screenen. Damit sollte es viel besser ­gelingen, natürliche Enzyme zu identifizieren und anschließend gezielt so zu verändern, dass sie in der Industrie zum Einsatz kommen ­können, zum Beispiel in der Medikamenten- oder Lebensmittelherstellung.

Wie entstand diese Idee und wie ­wurde sie zu einem Produkt?

DieInnovationwarGegenstandvon Forschungsarbeiten an der Universität Leipzig, wo ich am Lehrstuhl für Biochemie studierte und anschließend promovierte. Direkt nachderGründunglagderSchwerpunkt zunächst auf R&D Dienstleistungen [Forschung und Entwicklung].

Dies änderte sich, nachdem wir ­erste Kooperationen mit Industrieunternehmen eingegangen sind.

Größter Vorteil für uns war, dass wir unsere an der Uni erworbenen Forschungsergebnisse direkt für unsere Firmengründung nutzen konnten. Sie stellten für uns das unverzichtbare Startkapital dar. Wir konnten in der ersten Phase auch Labore, Einrichtungen und Geräte derUninutzen.Dashatunssehrgeholfen.

Später waren es dann Kontakte und Netzwerke, die uns weitere Türen geöffnet haben. Für Start-ups sind es gerade die Netzwerke, die beim Aufbau entscheidend sind. Durch die Teilnahme an Innovationswettbewerben konnten wir auf uns aufmerksam machen und weitere Förderer finden. Wichtig ist dann aber auch der Zugriff auf Investitionskapital,damitmansichinRuheumden Aufbau seines Kerngeschäfts kümmern kann.

Sie haben sich für Leipzig als ­Unternehmensstandort entschieden. Was waren die Gründe, und was könnte in der sächsischen Metropole und in Deutschland für Neugründer noch besser sein?

Bereits 2014 die Zeichen der Zeit erkannt: mit ­digitalen Sicherungssystemen schützt die Rhebo GmbH kritische ­Infrastrukturen in Deutschland. Firmengründer Frank Stummer, Martin Menschner und Klaus Mochalski (v.li.).

Foto: Medial MirageMatthias Möller

dabei sicherzustellen, dass die industriellen Netzwerke nicht betroffen sind.

„In Deutschland sind wir beim Schutz unserer kritischen Infrastruktur noch teils stark hinterher“, siehtMochalskidiegroßeGefahrim Falle internationaler Spannungen. „Aktuell hört man wenig von Angriffen und Systemausfällen. Doch zum Beispiel der Angriff auf die Deutsche Bahn im vergangenen JahrmitZugausfälleninganzNorddeutschland zeigt die große latente Gefahr, die über vielen Bereichen der kritischen Infrastruktur liegt“, so Mochalski.

Was ist Operational Technology (OT) und warum ist sie gefährdet?

Operational Technology (OT) bezeichnet Hard- und Software-Systeme zur automatisierten Steuerung vernetzter industrieller Anlagen. Die Abkehr vom autonomen Betrieb von Anlagen und deren Einbindung in IT-Netzwerke erhöht die Bedrohungsrisiken erheblich und macht Systeme zur Angriffserkennung in industriellen Anlagen immer wichtiger. Hinzu kommt, dass OT-Komponenten in der Vergangenheit in der Regel keine oder nur unzureichende eigene Sicherheitsmechanismen besaßen.

Beim OT-Monitoring mit Anomalieerkennung, wie sie die Rhebo GmbH anbietet, werden die ablaufenden Prozesse und jedwede Kommunikation zwischen OT-Komponenten überwacht und Abweichungen in Echtzeit detektiert. Dadurch können Veränderungen in der Kommunikation, die auf Angriffe zurückzuführen sind, frühzeitig erkannt und der Angriff gestoppt werden.

Wer sich bereits für Cyberangriffe in Stellung gebracht hat, kann nicht vollumfänglich ermittelt werden, jedoch: „Wir müssen deutlich mehr in die Sicherung unserer ­lebenswichtigen Systeme investieren! Auch der Anschlag auf die Nord-Stream-Pipelines hat gezeigt, dassselbstderÜbergangvondigitalen Angriffen zu physischen Anschlägen zur Realität unserer Zeit gehört.“

Einheitliche europäische Regelungen

Bereits rund ein Drittel des deutschenStromnetzeswirdbereitsüber Systeme und Services der Rhebo GmbHausLeipzigabgesichert.Der Anteil soll sich die nächsten Jahre noch vergrößern, beispielsweise durch Kooperation mit Anbietern von IT-Sicherheitslösungen, so die Leipziger OT-Spezialisten. Hilfreich beim Auf- und Ausbau deseuropäischenGeschäftssindfür Rhebo die einheitlichen Regelungen in Bezug auf digitale Sicherheitsanforderungen für kritische Infrastrukturen, sodass OT-Sicherheitslösungen leichter übertragbar sind.

Im Team geht’s leichter AufdieAnfängederRhebozurückblickendrätMochalskizukünftigen Start-ups und Unternehmensgründern eine klare Teamaufstellung mit Partnern, die alle Aspekte rund um das eigene Produkt abdecken. „Auch Unterstützung in entsprechenden Communities suchen ist sinnvoll, so können Fehler vermieden und vorhandenes Know-how genutzt werden“, rät der Gründer. Wichtig sei, sich nicht von Ängsten zum Beispiel vor überbordender ­Bürokratie leiten zu lassen – das sei am Ende gar nicht das Problem. „Einfach machen“ ist immer noch das beste Erfolgsrezept, bekräftigt der heutige CEO.

Hier haben wir den Bedarf nach gezielt modifizierten Enzymen gesehen und auch erkannt, dass wir ihn mit unserer innovativen Techno­logieoptimalbedienenkönnen.Wir haben dann unser Geschäftsmodell sukzessive in Richtung Produktunternehmen ausgerichtet, das eigene Enzymprodukte nicht nur entwickelt,sondernauchproduziert und selbst vermarktet.

Bereits 2015 konnten wir mit eigenen Enzymprodukten mehr als 1Million Euro Umsatz erzielen. Der Durchbruch gelang uns schließlich mit dem Enzymprodukt ­DENARASE, das beispielsweise in der Produktion von Impfstoffen seinen Einsatz findet und mittlerweile an über 400 Kunden in mehr als 40 Länder geliefert wurde.

Welche Voraussetzung, persönlich wie unternehmerisch waren ­entscheidend, um die Start-up-Phase von ­c-LEcta erfolgreich zu meistern?

Gestartet sind wir mit einer patentierten Idee und einer ­Vision, eine Vorreiterrolle in der biotechnologischen Enzymentwicklung einzunehmen. Entscheidend war in der ersten Startphase die Unterstützung durch die Wirtschaftsförderung von Land und Stadt sowie durch die Universität Leipzig. Etwas später war es dann entscheidend, dass wir institutionelle Investoren gewinnen konnten, die uns mittelfristig Planungssicherheit und notwendige Investitionen ermöglichhaben,zumBeispielineine eigene Produktionsanlage.

Was ist für junge Start-ups am ­wichtigsten, damit aus neuen Ideen auch neue innovative Produkte ­werden?

Dr. Marc

Struhalla gelang der Sprung von der Uni in den Weltmarkt – mit Risikokapital, Netzwerken und einer Spur ­Übermut und Begeisterung für Neues.

Foto: SUSANNNUERNBERGER

Als Universitätsausgründung der Uni Leipzig lag es nahe, auch hier unseren Unternehmenssitz zu wählen. In Leipzig entwickelt sich seit vielen Jahren ein Life Sciences Standort mit zahlreichen Unter­nehmen der Biotechnologie oder Medizin. Hier fühlen wir uns gut aufgehoben und auch in unseren Bedürfnissenverstanden.Zudemist Leipzig eine weltoffene und bunte Stadt, die auch attraktiv als Lebensmittelpunkt für Expertinnen und Experten aus aller Welt ist. Bei uns arbeiten Menschen aus 18 Ländern, die wir für uns gewinnen konnten und für die Leipzig zur zweiten Heimat werden kann. Besser geht ja bekanntlich immer, aber Leipzig kommt schon sehr nahe ans Optimumheran.Wirfühlenunshier am Standort rundum wohl. Welche langfristigen Entwicklungsziele gibt es? Wir sind seit 2004 auf dem Standort AlteMesseansässig;zunächstinder BioCity und dann 2012 im damals neu gebauten BioCube. 2025 werden wir in direkter Nachbarschaft einen Neubau beziehen, der komplett auf die Bedürfnisse eines modernen,wachsendenUnternehmens der Biotechnologie ausgerichtet ist. Hier wollen wir weiter wachsen. Momentan beschäftigen wir über 130 Angestellte. Ende 2025 peilen wir200an.Undwirwollenweitererfolgreich Enzymprodukte entwickelnundvermarkten.Mitunserem Mehrheitsgesellschafter Kerry haben wir seit 2022 einen starken internationalenPartneranderSeite, mit dem wir in Zukunft weitere internationale Märkte erschließen können.

Hightech für Biotechno­logieprodukte für den Weltmarkt, entstanden aus einer Idee vor knapp 20 Jahren unter ­Studenten.

Foto: EricKemnitz.com

Was bedeutet „Optimierung von ­Enzymen“ – am ­Beispiel des Enzyms Phytase in der Futtermittelproduktion

Für einen Futtermittelhersteller hat c-LEcta das Enzym Phytase optimiert, das bei der Herstellung von Futtermitteln eingesetzt wird. Phytase setzt Phosphat aus dem natürlichen Pflanzeninhaltsstoff Phytinsäure frei. Dadurch wird einerseits die Menge an Phosphat reduziert, die einem Futtermittel zugesetzt werden muss. Zum anderen wird die Verwertung von Zink, Calcium und weiteren Spurenelementen im Futtermittel verbessert. Ergebnis: eine höhere Nährstoffverwertung durch die Tiere, weniger Phosphatbelastung der Umwelt.

23 Forschung Innovation & Leben Stil

Was es genau braucht, um innovative Ideen zu entwickeln und welche Faktoren dabei den kreativen Denkprozess beeinflussen, erklärt Prof. Hannes Zacher, Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie am Wilhelm-WundtInstitut für Psychologie, Universität Leipzig, im Interview.

Bill Gates von Microsoft, Margarete Steiff von den gleichnamigen Kuscheltieren oder Carl Benz sind berühmt geworden, weil sie etwas Bahnbrechendes erfunden oder eine Idee marktfähig gemacht ­haben. Warum kommen einige Menschen auf tolle Ideen, viele ­andere aber nicht? Prof. Dr. Hannes Zacher: In der psychologischen Forschung verstehen wir unter Kreativität die Entwicklung neuer und nützlicher Ideen, zum Beispiel neue undnützlicheProdukteoderProzesse in Unternehmen. Für Innovation ist Kreativität eine notwendige, aber nicht ausreichende Voraussetzung. Neben Kreativität sind auch die Umsetzung, Einführung oder Anwendung dieser neuen und nützlichen Ideen zum Wohle einer Gruppe, Organisation oder der Gesellschaft von Bedeutung. Kreativität wird von bestimmten personenbezogenen Faktoren, Umgebungsfaktoren und dem komplexen Zusammenspiel dieserFaktorenbeeinflusst.DieForschung zeigt, dass bestimmte Persönlichkeitsmerkmale, wie Offenheit für Erfahrungen und Lernorientierung,aberauchWissen, positive Stimmung und intrinsische Motivation wichtige Einflussfaktoren auf der Personenseitesind.DerArbeitskontext muss Kreativität fördern, zum Beispiel durch herausfordernde Aufgaben, Feedback, Unterstützung durch Vorgesetzte und Kollegen, und ein Team- und Organisationsklima für Innovation.

Welche persönlichen Faktoren, aber auch die Erziehung, Einstellungen oder sozialstrukturelle ­Faktoren wie Bildung, sozialer ­Status oder Einkommen wirken sich auf Innovationsfreude aus?

Sozioökonomische Faktoren wie Bildung und Einkommen können einen wichtigen indirekten

Einfluss auf Kreativität haben, weil sie dazu beitragen, dass Menschen relevantes Wissen und ­Fertigkeiten erwerben und kreativitätsförderliche Motivationentwickelnkönnen,wiezum

Beispiel das Bedürfnis, über komplexe Probleme nachzudenken und sie zu lösen.

Eltern und Lehrer, die Kinder frühzeitigdazuanregenzuexperimentierenundesihnenermöglichen, Dinge auszuprobieren, können so Kreativität fördern. Andererseits ist Innovation auch häufig „aus der Not geboren“ –das heißt, gerade weil es einem an etwas fehlt oder man auf bestimmte Probleme stößt, werden kreative Ideen entwickelt und umgesetzt, um mit diesen Missständen umzugehen.

Kreativität, Risikofreude, Motivation und Durchhaltewillen – all dies zählt gemeinhin zu innovationsförderlichen Eigenschaften bei Menschen. Wie können diese gefördert werden? Kann jeder ein kreativer und innovativer Mensch werden?

Man muss zwischen angeboren, eher stabilen und erlernbaren, eher dynamischen Einflussfak­toren auf Kreativität und Innovation unterscheiden. Bestimmte geistigeFähigkeitenundPersönlichkeitseigenschaften sind schwieriger zu verändern als zum Beispiel Wissen, Einstellungen, Motivation und Stimmung.

Es gibt Kreativitätstrainings, durchdiedieEntwicklungneuer undnützlicherIdeenerwiesenermaßen gefördert werden kann. Andererseits wissen wir aus der Forschung, dass geistig herausfordernde Aufgaben, Feedback, positive Stimmung am Arbeitsplatz und Führungskräfte, die ihre Mitarbeiter intellektuell anregen,zuhöhererKreativitätund Innovation führen.

Welche Rolle spielt das gesellschaftliche Umfeld und die Kultur in einem Land? Viele Nobelpreisträger kommen aus den USA, die scheinbar ein förderlicheres ­Umfeld bieten als Deutschland. Wenn man die Einwohnerzahl berücksichtigt, hat Deutschland bisher relativ mehr Nobelpreisträger hervorgebracht als die USA. Das Umfeld und die nationaleKulturspielenaufjedenFall eine wichtige Rolle, weil sie Wissen und Motivation beeinflussen und Menschen die Möglichkeiten geben, kreativ sein zu können, unter anderem in Ausbildung und Beruf. Dazu gehört zum Beispiel der Zugang zu ­Bildung unabhängig vom Einkommen der Eltern, aber auch eine eher individualistische, risikofreudige und unsicherheitstolerante nationale Kultur.

Was braucht es, damit aus einer Idee eine Innovation wird?

GuteIdeenwerdenvorallemvon einzelnen Personen oder kleineren Teams entwickelt. Für Innovation sind neben umsetzungsfreudigen Personen mit hoher Eigeninitiative weitere Ressourcen notwendig, wie zum Beispiel Zeit, Geld, Unterstützung, Materialien und soziale Netzwerke. Meinen Studierenden erzähle ichimmervonArtFry,deralsMitarbeiter der Klebstofffabrik 3M in den 1970er-Jahren die Post-ItNoteserfundenhat.Ihnhatesgestört, dass im Kirchenchor immer seine Zettel aus dem Liederbuch gefallen sind. Seine Vorgesetzten wollten die von ihm erfundenen Klebezettel aber nicht auf denMarktbringen.Erstalserdie Prototypen an die Sekretärinnen im Unternehmen verteilt hat, die sie begeistert verwendet haben, waren die Vorgesetzten überzeugt.MittlerweilesinddiePostIts ein Millionengeschäft.

Welches Umfeld benötigen Startups für eine erfolgreiche Markt­teilnahme mit neuen Produkten? EininnovationsfreundlichesUmfeld auf mehreren Ebenen. Eine bildungs-undrisikofreudigeGesellschaft,ausderneueMitarbeiter rekrutiert werden können. Netzwerke und Kooperationen mit anderen Unternehmen, von denen sie lernen können. Führungskräfte, die sowohl Raum zum Experimentieren lassen als auch die Umsetzung von guten Ideen tatkräftig unterstützen. DieForschungzeigtzudem,dass sowohl klassische Trainings, in denen vermittelt wird, wie man einen Business Plan erstellt, als auch psychologische Unternehmertrainings, in denen eigeninitiatives Verhalten gestärkt wird, sehr wirksam sind.

Was machen innovationsfördernde Strukturen in Unternehmen aus, welche Rolle spielt das Klima und die Kultur in einem Betrieb? Organisationspsychologische Studien zeigen, dass ein Unternehmensklima, das sich durch Reflexion und Eigeninitiative auszeichnet,mitmehrKreativität und Innovation einhergeht. Außerdem spielt ein Klima psychologischer Sicherheit eine große Rolle: können Mitarbeiter neueIdeenundkonstruktiveVorschläge im Team äußern, ohne dass sie dafür schief angeschaut oder sogar bestraft werden. JR

Fotos: Adobe Stock; Universität Leipzig/Swen Reichhold

Für die Zukunft gerüstet

Die deutsche Wirtschaft hat ihre internen und externen Ausgaben für Innovationen im Jahr 2021 deutlich um 4,7 Prozent auf 178,6 Milliarden Euro gesteigert. Damit wurde der Rückgang aus 2020 wettgemacht. Zu diesem Ergebnis kommt das ZEW –Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschafts­forschung in seiner aktuellen Innovationserhebung 2022. Der Industriesektor weist dabei sehr hohe Innovationsausgaben auf und bestimmt so maßgeblich die gesamtwirtschaftliche Entwicklung. Drei Beispiele aus der mitteldeutschen Industrie zeigen, an welchen neuen Verfahren sie arbeiten, warum Innovationen wichtig sind und wie sie ihren Weg in eine nachhaltige Zukunft weiter gestalten werden.

Neues Stahlwerk wird emissionsfrei

Feralpi ist einer der führenden Stahlhersteller Europas. Derzeit entsteht auf dem Werksgelände eine neue Fabrik. Sie wird die erste in Deutschland sein, mit einem K-Spooler ausgestattet ist, und als erstes Walzwerk der Welt Stabstahl-Coils mit einem Gewicht von acht Tonnen produzieren.

Fotos: Picasa, Feralpi, Thomas Schlorke

Uwe Reinecke bleibt Optimist.„Stahlisteindominierender Werkstoff, den wir für unsere Evolution weiter brauchen werden.“ Zwar steht diese Branche, die für 30 Prozent der CO2-Emissionen der Industrie verantwortlich ist, so unter Druck, dass manche gar ein heftiges Abschmelzen befürchten. Klar ist, der Stahl muss nachhaltiger, umweltfreund­licherwerden.DieElbe-Stahlwerke Feralpi GmbH in Riesa, deren Chef Reinecke ist, befindet sich da schon auf einem klimafreundlichen Kurs.

Der Akzent ist überflüssig Zum einen handelt es sich bei der Fabrik, die vor 30 Jahren an den ­italienischen Stahlriesen Feralpi (knapp 2 Milliarden Euro Jahres­umsatz) privatisiert wurde, um ein Elektrostahlwerk. Anders als die Konkurrenten mit Hochofen „sind wir schon jetzt relativ nachhaltig“, sagtReinecke.ProTonneStahlwerden derzeit 52 Kilogramm CO2 ausgestoßen, bei gewalzten Produkten sind es 80 Kilogramm. Stahl aus einem Hochofen dagegen kommt auf 1,75 Tonnen CO2 Entweder, Deutschland schaffe erfolgreich die Transformation der Stahlindustrieodersieverschwinde langsam, aber sicher, heißt es bei der ThyssenKrupp Steel Europe in Duisburg. Soll die Fertigung klimaneutral werden, muss der graue Stahl also schnell grün werden. SchließlichsolldieBranchebis2030 ihre Emissionen um 30 Prozent reduzieren. Wenigstens 10 Millionen der rund 30 Millionen Tonnen an Jahresproduktion sollen umweltfreundlich werden. Raus aus Kohle und Gas, lautet das Motto.

Infrastruktur für Wasserstof fehlt „Wir können das Gas ersetzen“, meint Reinecke, zumindest für den sächsischen Standort. Um allerdings die fossilen Energieträger durch Wasserstoff zu ersetzen, ist nocheineganzeMengezutun.„Dazu müssen wir erst die Infrastruktur schaffen“, betont der gebürtige Niedersachse.Wichtigseiindiesem ­Zusammenhang, die Industrie­regionMeißenaneineentsprechende Pipeline anzuschließen, die jedoch erst 2027 fertig sein soll. Für grünen Wasserstoff wird ein erhebliches Mehr an erneuerbaren Energien benötigt. Doch es dauere im Schnitt sieben Jahre, bis ein Windpark ans Netz gehe, kritisiert der Werkschef. „Der Ausbau muss einfacher und schneller gehen“, forderter.OhneStahlkönntenimÜbrigen keine Windräder hergestellt werden.

Ein weiteres Problem: Derzeit müssten 1,1 Einheiten Strom eingesetztwerden,um1,0EinheitenWasserstoff zu erzeugen. Da bleibt die HoffnungauftechnologischenFortschritt. Zudem müsse die Politik auch auf europäischer Ebene dafür sorgen, dass der so hergestellte ­grüne Stahl wettbewerbsfähig bleibe. „Dann dürfen wir in der EU ­keinen grauen Stahl mehr einführen“, verlangt Reinecke. „Andernfalls schneiden wir unsere Lebensadern ab.“

Neues Stahlwerk mit Spitzentechnologie Unabhängig davon sehen sich die Riesaer auf einem guten Weg. Für 180 Millionen Euro ziehen sie ein neues Stahlwerk hoch, das weit­gehend emissionsfrei arbeiten soll.

Stahl ist ein dominierender Werkstoff, den wir für unsere Evolution ­weiter ­brauchen ­werden.

Uwe Reinecke Elbe-Stahlwerke Feralpi GmbH

Also für Gas, aber eben auch Wasserstoff geeignet ist. Zugleich wird damit die Jahresproduktion von knapp1MillionTonnenauf1,3Millionen Tonnen erweitert. Zu den derzeit 800 Arbeitsplätzen sollen 100 weitere dazukommen. Das Werk wird mit Spitzentechnologie ausgestattet. „Die Anlage setzt neue Maßstäbe bei Innovation und Nachhaltigkeit“, sagt Reinecke. Mit ihr wird das Unternehmen über die weltweit erste Spooleranlage für Acht-Tonne-Coils und ein Induktionssystem zur Erwärmung von Stahlknüppeln verfügen, mit dem direkte CO2 -Emissionen vermieden werden. Damit kann Walzdraht zu einem sauber gespulten Ringverarbeitetwerden.DieDrahtbündel (Coils) können größer und schwerer werden. „Das macht die Produktion effizienter.“

Das Elbe-Stahlwerk stellt seine Produktezu100ProzentausSchrott her, ist also tief verankert in der Kreislaufwirtschaft. Die Kunden kommen komplett aus der Bauwirtschaft. Sorgen bereiten dem Werkleiter die nachlassende Baukonjunktur sowie die stark gestiegenen Energiepreise. „Unsere Margen schrumpfen.“ Aber die mittelfristige Zuversicht bleibt angesichts der Investitionen. mi

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„Herausfordernde Aufgaben führen zu höherer Kreativität und Innovation“
Forschung
Innovation & Leben Stil
AB SOFORT DIGITAL. Mitteldeutschen ­Industrie stellt die ­Weichen für eine ­grüne Zukunft

Mittel zur Glättung von Falten kommt aus ­Dessau-Roßlau

Die Herstellung von pharmazeutischen Produkten ist eine hohe Kunst. Jeder einzelneVorganghatseine Besonderheiten. Angefangen bei der Wirkstoffherstellung. Dort werden die einzelnen biotechnologischen Maßnahmen mit präzisen ­Geräten durchgeführt, die exklusiv für die Merz Pharma GmbH & Co.KGaAinDessauentwickeltwurden.In200Fertigungsschrittenwird

über einen Zeitraum von vier ­Wochen das reine, komplexfreie ­Botulinumtoxin fabriziert. Nur das Zusammenspiel aller Produktionsund Prüfschritte führt letztlich zu einem qualitativ hochwertigen Ergebnis.Andersformuliert:DiePharma-Produktion ist eine Herausforderung und setzt ständige Innovationen voraus.

Fachliche Kompetenz

Botulinum ist ein Mittel zur Faltenglättung. Hauptkonkurrent ist das Botox. Experten sagen der ästhetischenMedizinjährlicheWachstumsraten von gut zehn Prozent ­voraus. Der Weltmarkt hat ein Volumen von rund 20 Milliarden US-Dollar.

DerfamiliengeführteFrankfurter

Pharma-Konzern Merz betreibt seit 2002 in Dessau-Roßlau ein eigenes Werk. Dort werden mehrere Produkte hergestellt, neben Botulinum auch neurologische wie das verschreibungspflichtige Xeomin, das bei Bewegungsstörungen eingesetzt wird. „Wegen der fachlichen KompetenzvorOrtundauchwegen der attraktiven Erweiterungsoptionen ist die Ansiedlung im Biopharmapark Dessau-Roßlau eine gute Entscheidung gewesen“, sagt Standortleiter Björn Niemczak. Wirtschaft und Wissenschaft als Partner

Der Park ist einer von zwölf Zukunftsorten in Sachsen-Anhalt und liegt keine 100 Kilometer von den

Wegen der fachlichen Kompetenz vor Ort und auch wegen der attraktiven ­Erwei­terungsoptionen ist die Ansiedlung im ­Biopharmapark ­Dessau-Roßlau eine gute Entscheidung gewesen.

Metropolen Leipzig und Berlin entfernt.DieFabrikaufdem136Hektar großen Areal ist nach Einschätzung von Merz ein optimaler Raum für eine enge Zusammenarbeit von Wirtschaft und Wissenschaft, für innovative Ideen und Investitionen.

Merz profitiert dabei von der ­Nähe zu den Wissenschaftsstand­orten. Neben Leipzig und Berlin

zählen auch Magdeburg und Halle dazu. Aus diesem Einzugsgebiet kommen Ingenieure, Chemiker, Biologen, Apotheker und Laboranten.MitzweiMitarbeiterngestartet, sorgen inzwischen mehr als 200 Beschäftigte mit einem Altersdurchschnitt von 37 Jahren für 40 Prozent des gesamten Konzernumsatzes, der bei rund 1 Milliarde Euro liegt.

„Die Mischung aus Erfahrung, ­Dynamik, Leidenschaft und entsprechende Identifikation mit dem Produkt und unserem Standort ­haben dazu geführt, dass die Entwicklung von Merz Dessau eine echte Erfolgsgeschichte ist“, kommentiert Niemczak. Ihn begeistere die pragmatische und zielorientierte Arbeitsweise.

Merz Pharma entwickelt ästhetische und neurologische Produkte in einer eigenen Forschungs- und Entwicklungsabteilung. Seinen Standort in Dessau-Roßlau hat das Pharmaunternehmen ausgebaut und dort vor kurzem eine neue Produktionslinie eingeweiht. Fotos: Merz GmbH

Strategie zur Nachhaltigkeit Noch sei seine Fabrik nicht so stark vom Fachkräftemangel betroffen. Aber vorbeugend solle unter anderem an der Etablierung einer starken und bekannten ArbeitgebermarkeinderRegiongearbeitetwerden. Zudem werde in Sachen Nachhaltigkeit an einer Strategie zur Nutzung von grünem Wasserstoff

gearbeitet. So soll das Werk näher an eine klimaneutrale Fertigung ­gebracht werden, was zugleich unabhängiger von Lieferketten fossiler Energieträger mache. Moderner Entwicklungsstandort wird ausgebaut 2022 wurde mit der Inbetriebnahme einer neuen Fertigungslinie der Outputverdreifacht.FürdiesesJahr ist ein Neubau geplant, der unter anderem ein Hochregallager enthalten soll. Als wichtiges Ziel gilt, das Werk weiter zu einem modernen Entwicklungsstandort auszubauen. Dazu soll unter anderem die Optimierung der vorhandenen Technologien in Zusammenhang mit Industrie 4.0 beitragen. Mit der Errichtung einer neuen, smarten und digitalen Anlage, mit drei­facher Produktionskapazität zur bestehenden, soll die künftige Marktversorgung sichergestellt werden. Der Interaktion von Mensch-Maschine gehöre die Zukunft, damit die Fertigung effizienter und hochwertiger erfolgen könne. mi

Innovationen sind die Basis für gutes Wirtschaften bei Profiroll

Not nimmt Hoffnung, beschert Sorgen – macht aber mitunter auch erfinderisch.

Wie beispielsweise bei der Bad Dübener Firma Profiroll Technologies. Wegen der von der Bundesregierung geförderten Elektromobilität weg vom Verbrenner „brachnach2018dieHälfteunseres Maschinenbau-Umsatzes weg, der bisdahinwiederumdieHälfteunserer Gesamterlöse ausmachte“, ärgert sich Jens Wunderlich (56). Der gebürtige Leipziger, der seit 1994 bei Profiroll arbeitet und vor fünf Jahren einen der zwei Geschäftsführerposten übernommen hat, spricht von einem Schock für das Unternehmen. Zwar würden mit Werkzeugendieanderen50Prozent des Geschäfts erwirtschaftet, aber „ein mächtiger Schlag ins Kontor war es auf jeden Fall“, betont der Diplom-Ingenieur für Maschinenbau.

Neue Methode zur Herstellung von ­Rotorwellen im E-Getriebe Doch die 380 Mitarbeiter des weltweit agierenden Werkzeugmaschinen-Herstellers im Bereich Gewinde- und Profilwalzen nördlich von Leipzig steckten ihre Köpfe nicht in den Sand, setzten vielmehr auf Innovationen. „Wir entwickelten das sogenannte Durchschubwalzen für Hohlwellen.“ Die dadurch entstehenden Rotorwellen, „sind ein wichtiges Bauteil für Elektromotoren“, sagt Michael Hirsch. Der 43Jährige ist Geschäftsbereichsleiter NeueTechnologienbeiProfirollund erklärt, worum es hierbei geht: Diesel- oder Ottomotoren arbeiten in der Regel bei einer Drehzahl zwischen 2000 bis 5000 Umdrehungen pro Minute. Um entsprechend auf Tempo zu kommen, „ist die Gangschaltungalsounverzichtbar.Indiesen Schaltgetrieben werden Zahnräder mittels Pass- beziehungsweise Steckverzahnung auf Getriebewellen gefügt.“ Bei herkömmlichen Verbrennungsaggregaten seien an die 20 Verzahnungen erforderlich, die auf den Bad Dübener Walzanla-

gen hergestellt werden. E-Motoren arbeiten in einem viel größeren Drehzahlbereich von 0 bis zu 15 000 Umdrehungen und benötigen daher höchstens ein „zweistufiges Getriebe mit zwei bis vier Steckverzahnungen“. Um die neuen EGetriebe möglichst leicht zu halten, werden Hohlkörper verwendet. „Diese“, so Wunderlich, „können aber nicht mit unseren bisherigen Walzverfahren hergestellt werden. Zu hoher Druck auf das Rohrstück würde es verformen.“ Die ProfirollExperten nutzten daher erstmals für Elektro-Getriebe die Durchschubtechnologie.DabeiwirddieVerzahnung anfänglich nur auf eine sehr geringe Breite angewalzt und dann im Laufe des Prozesses durch den Walzspalt der rotierenden Werkzeuge geschoben. „Die sehr schnelle und spanlose Fertigungsmethode hat die Fachwelt überzeugt“, freut sich Hirsch, der in Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) geboren wurde und dort Maschinenbau studiert hatte, später seinen Doktor-Titel erwarb.

Profiroll ist ein weltweit agierender Werkzeugmaschinenhersteller im Bereich Gewinde- und Profilwalzen. An ihrem Standort in Bad Düben sorgen die 340 Mitarbeter dafür, dass die Umformtechnik weiter attraktiv, umweltfreundlich und effizient in Bereichen wie dem Automobilbau oder der Windkraft eingesetzt wird.

Fotos: Profiroll/Kowalewsky

„Große deutsche Autohersteller nutzen inzwischen unsere neuen Maschinen für die Herstellung der Rotorwellen“, freut sich Wunderlich. „Etwa ein Jahr lang haben wir für die Neuentwicklung gebraucht. Die dazu nötigen neuen Werkzeuge kreierten wir ebenfalls.“ Der Markt, so Hirsch, „hat unser Produkt und unser Verfahren gut angenommen“. Sein Team entwickelt zudem gemeinsam mit den Kunden „die komplette konstruktive Verzahnungsauslegung der Rotorwelle als ingenieurtechnische Dienstleistungen. Wir sind also auch Systemanbieter.“ Kein Wunder, dass der Profiroll-Exportanteil in der Sparte Maschinenbei70Prozentliegt.„Siege-

Wir sind also auch Systemanbieter.

Jens Wunderlich Geschäftsführer von Profiroll

henfaktischindieganzeWelt“,sagt Wunderlich.

Glatte Schnecken verbessern Elektroauto-Lenken „All das hat uns gut geholfen, den ausgefallenen Umsatz zu kompensieren.“ Dazu habe nicht zuletzt eine weitere Technologieneuheit beigetragen, die in Profiroll-Produkten eingesetzt wird. „Hierbei werden Schneckenverzahnungen, die für die Lenkradsteuerung erforderlich sind, durch einen Kaltwalzprozess auf Hochglanz’ gebracht“, scherzt der Chef. Wenngleich er damitimübertragenenSinnenichtunrecht hat. Die zuvor gefrästen Schneckengewinde werden so

„kosteneffizient, dank moderner NC-Technik“ geglättet, beschreibt Hirsch den Vorgang. Durch Kaltwalzen würden Gratrückstände, Unebenheiten und sogar noch Profilkorrekturen an den Metallschnecken vorgenommen. „Wir versprechenhierhöchsteQualität“,fügtder Vater zweier Kinder hinzu. Dies garantiere, die Geräusche und gefühlten Vibrationen beim ElektroautoLenken zu minimieren. Früher sei Hydraulikeingesetztwordenfürdie Servolenkung, um den Fahrer zu entlasten. „Nun helfen die Schnecken mit ihren spiegelblanken Oberflächen, Fahrerassistenzsysteme und sogar das autonome Fahren zu ermöglichen“, sagt Wunderlich und strahlt dabei.

Leitsystem für interne Prozesse Genauso freut ihn, dass innerhalb des Unternehmens die Abläufe immer effizienter laufen als noch vor Kurzem.„Dr.Hirschhatfürdieseinnerbetrieblichen Abläufe den Hut auf. Und das Ergebnis kann sich sehen lassen.“ So sei die Digitalisierung vorangekommen. „Mit einer elektronischen Verknüpfung der einzelnen Arbeitsschritte überschauen wir nun alles viel genauer: die Verfügbarkeit und Nutzung der Maschinen, um etwa Ausfallzeiten zu verringern; oder das Umrüsten der Maschinen effizienter zu machen; oder die Qualität der Produktion zu überwachen“, so Wunderlich. Nun sei ein Prozessleitsystem am Wirken, das die Informationen vonProzess-,Auftrags-undMaschinendaten zusammenführt. Die Mitarbeiter verfügen über einen Monitor, mit dem sie ebenfalls die aktuellen Geschehnisse beobachten und im Zweifelsfall eingreifen können. „Das Ganze ist auf der einen Seite mit dem Auftragseingang, auf der anderen mit der Ergebnisanalyse einschließlich Qualitätskontrolle gekoppelt“, berichtet Hirsch. Die Programmierung habe Profiroll selbst vorgenommen, „passgerecht zugeschnitten auf unsere inneren Prozesse“. Seinem Chef nennt er

eine Steigerung der Arbeitsproduktivität im Betrieb von etwa zehn Prozent. „Und dabei“, so Wunderlich, „haben wir ja hier nicht bei Null angefangen.“ Zugleich setzen die Profiroller auf Kostenersparnis. Etwa bei der Energie. „Weniger Verbrauch etwa durch Modernisierung der Beleuchtung in den Werkshallen ist angesagt“, so der Geschäftsführer. In zweienersetzebereitsErd-undProzesswärme das bisherige Heizen mit Gas. Schließlich verweist er auf die Photovoltaikanlage auf mehreren Dächern des Geländes. „Sie läuft seit Mitte vorigen Jahres“, erzählt Hirsch. „Seitdem haben wir 218 Tonnen CO2 eingespart und 550 Megawattstunden Strom erzeugt.“ Das sei eine riesige Menge, „damitkönnenetwa140Vier-Personen-Haushalte ein Jahr lang mit Strom versorgt werden“. U.L.

NeueForschungs­kooperationbeim ThemaWasserstoff Gemeinsam mit dem Fraunhofer Institut für Werkzeug­maschinen und Umformtechnik (IWU) in Chemnitz ist das Maschinenbauunternehmen Profiroll aus Bad Düben angetreten, neue Entwicklungen bei der Nutzung von Wasserstoff anzuschieben. „Als eine der möglichen Zukunftsenergien ist das wichtiger denn je“, erklärt der Geschäftsführer des Unternehmens, Jens Wunderlich. Im Konkreten gehe es bei der Forschungskooperation ums Profilieren von Biopolar-Platten für die Wasserstoff-Elektrolyse (WasserstoffHerstellung) und für das ­Betreiben von Brennstoffzellen (Wasserstoff-Nutzung).

Weitere Details lässt sich der Firmenchef jedoch nicht ent­locken.

25 Forschung Innovation & Leben Stil

Traumschmiede

Der Weg aus dem Nachwuchs in die Bundesliga ist lang und steinig. Zu groß ist für viele Vereine der Spagat zwischen der Entwicklung von jungen Spielern und schnellem Erfolg. Erfahrung statt Talent heißt deshalb oft die Devise auf höchster Fußballbühne. Das ist auch bei RB Leipzig nicht anders.

Allein im Sommer 2022 verließen zwölf Spieler aus dem eigenen Nachwuchs den Verein. Sechs ­Spieler wurden verliehen, sechs Spieler wurden gleich ganz verkauft. Darunter war auch das Leipziger Top-Talent ­SidneyRaebiger,der für 80000 Euro zum BundesligaAbsteiger SpVgg Greuther Fürth wechselte. Der damalige Trainer Julian Nagelsmann hatte den talentierten MittelfeldspielerbereitsvorzweiJahren in den Profi-Kader geholt – als 16-Jährigen. Im Frühjahr 2021 stand der gebürtige Freiberger sogar dicht vor seinem BundesligaDebüt. Geklappt hat es allerdings nicht. Nun versucht der inzwischen 17-JährigeseinGlückinder2.Bundesliga in Fürth.

Veränderungen angekündigt

Etwa 30 Millionen Euro jährlich investiert RB Leipzig in die Nachwuchs-Akademie, die 2015 eröffnet wurde. Der Ertrag aus dem teuren Nachwuchsleistungszentrum am Cottaweg für das eigene Profiteam war bislang aber nicht besonders groß. Dass soll sich in den nächsten Jahren aber grundlegend ändern. Der neue Geschäftsführer Max Eberl,derimDezemberseineArbeit bei RB Leipzig aufgenommen hat, hat bereits Veränderungen im Nachwuchsbereich angekündigt.

Mit dem spanischen Talent Hugo Novoa hat bislang nur ein Spieler aus dem eigenen Nachwuchs überhaupt nachhaltig den Sprung in die Bundesligamannschaft geschafft.

Nach nur 23 Pflichtspielen in den letzten beiden Jahren, wurde der 20-jährige Offensivspieler im Winter allerdings für eineinhalb Jahre zum FC Basel verliehen. Hier soll er in der Schweizer Super League und in der Europa League wichtige Spielpraxis sammeln. Spielpraxis, die ihm aufgrund der großen KonkurrenzbeiRBLeipzigbislangnicht in nötigem Maße vergönnt war. Immer wieder schaffen Spieler aus der JugenddenSprungindenLeipziger Bundesliga-Kader – den Durchbruchhatbislangnochniemandgeschafft.ZugroßsinddieAmbitionen anderBundesliga-Spitzeundinder Champions League. Um sich dennoch den Traum von der großen Fußballbühne zu erfüllen, bleibt für die Talente oft nur der Wechsel zu einemanderenVerein.MitAbwehrspielerSanoussyBahofftderzeitein weiteres Talent bei RB Leipzig auf den großen Durchbruch. Der 19Jährige,derEndeNovemberseinen ersten Profivertrag unterschrieb, durfteindieserSaisonbereitseinige

Pflichtspiele auf der großen Bühne bestreiten. Außerdem stehen mit Oskar Preil, Jonas Nickisch und ­Timo Schlieck noch drei Torhüter aus dem eigenen Nachwuchs im Profikader von RB Leipzig. Die Chancen auf einen Einsatz im Bundesligateam sind für das Trio allerdings – zumindest in dieser Saison –äußerst gering.

Klare Prioritäten: Schule und Fußball

Insgesamtgehenmehrals250Spielerinnen und Spieler in den 20 Nachwuchs-Teams für die „Roten Bullen“ auf Punktejagd. Wer

Es gibt viele ­Gespräche, in denen wir offen sagen, was wir von den Jungs ­erwarten. Es hilft ja nichts, wenn man ­immer nur rosa ­Wolken malt.

Sabine Schiefer Pädagogische Leiterin des Nachwuchsleistungszentrums

Meine Mutti war traurig, als ich aufs Internat gehen wollte. Vati fand’s gut.

einen der insgesamt 50 Plätze im ­Internat der Nachwuchs-Akademie am Cottaweg ergattert hat, darf von einer Zukunft im Profifußball träumen. Wie Lenny Hennig. Der 17JährigeistseitdemSommer2021im RB-Internat und fühlt sich hier pudelwohl. „Ich spiele aber schon seit derU8beiRB“,verrätderJugendliche mit den blonden Haaren. Vor seiner Aufnahme ins Internat stand wie bei allen Internatsbewohnern ein langwieriger Prozess. Sichtung. Eignungstest. Mehrere Gespräche, auchmitdenEltern.„IndiesemProzess der Aufnahme werden die Jungsnatürlichintensivvonunsbegleitet. Es gibt viele Gespräche, in denen wir offen sagen, was wir von den Jungs erwarten. Es hilft ja nichts, wenn man immer nur rosa Wolken malt“, sagt die Pädagogische Leiterin des Nachwuchsleistungszentrums, Sabine Schiefer. Wir, das sind fünf pädagogische Mitarbeiter, die sich täglich um die Belange der Nachwuchsfußballer kümmern. Bei den Eltern waren die Reaktionen auf den Internatswunsch von Lenny Hennig unterschiedlich. „Meine Mutti war traurig, als ich aufs Internat gehen wollte.Vatifand’sgut.Erwardamalsbei

Lok, hat den Schritt aufs Internat ­damals aber nicht gewagt“, sagt er. „Weil ich aus der Nähe von Wurzen komme, habe ich das Privileg, jedes Wochenende nach Hause fahren zu können–zumindestdann,wennam Wochenende kein Spiel ansteht.“

Die Prioritäten sind für den Innenverteidiger und die anderen Internatsbewohner klar gesetzt: Schule und Fußball. Dass er diesen Spagat täglich richtig gut meistert, wurde im vergangenen Mai im Rahmen der Porsche Jugendförderung ­„Turbo für Talente“ mit dem Porsche Turbo Award 2022 belohnt. „Dieser Preis ist für mich eine tolle Anerkennung und macht mich stolz“,sagtLennyundlächeltdabei. Er besucht das Sportgymnasium in der Marschnerstraße, ist ein guter Schüler. Der Schulstoff falle ihm glücklicherweise leicht. Deshalb müsse der Elftklässler auch nicht viel lernen. Sein Tag besteht aus Schule,Fußball,schlafenundessen.

In seiner knapp bemessenen Freizeit zockt Lenny Hennig gern auch malamgroßenFernseher.Amliebsten FIFA. Gemeinsames Fußballgucken gehört ebenso zur beliebten Freizeitgestaltungwiedasregelmäßige Tischtennis spielen.

Gulácsi, Nkunku und Co.

vor Augen

Sein Ziel, Fußballprofi zu werden, hat Lenny Hennig täglich vor Augen–unddasimwahrstenSinnedes Wortes. Denn wenn er aus den bodentiefenFensternseinesInternatszimmers schaut, hat er ihn. Diesen Ausblick, für den ihn sicher HunderttausendeJungenundMädchen beneiden. Auf die Plätze des Trainingszentrums. Dort, wo die Stars Nkunku,ForsbergundCo.vonTrainerMarcoRoseundseinemTeamfit gemacht werden. Für Bundesliga, DFB-PokalundChampionsLeague. Aktuell absolviert Lenny Hennig seine erste offizielle Saison im U17Bundesliga-Team – und das gleich als Kapitän. Bis zum Ende seiner Internatszeit, die mit dem Schulabschluss endet, will er „bei den Großenreinschnuppern“undsichdann schrittweise in der Mannschaft etablieren.DafürarbeitetdasTalent jeden Tag. Auf und neben dem Platz.Selbstwennermalfreihat,ist

Lenny Hennig mit Freunden auf einem der Plätze am Cottaweg mit dem Ball am Fuß unterwegs, um unter anderem an seinem schwächeren linken Fuß oder seiner Beweglichkeit zu arbeiten. Mit Erfolg:

Traum von der Profikarriere: Lenny ­Hennig schafft im Internat am Cottaweg die Grundlagen.

Foto: Jonas Dengler

In der WM-Pause im Dezember durfte er mit der Profimannschaft trainieren und Coach Marco Rose hautnah von seinen Fähigkeiten überzeugen.

Keine Schule, kein Training

Der Fokus der Akademie geht weit über Tore und gewonnene Zweikämpfe hinaus. Sabine Schiefer setzt als Pädagogische Leiterin ­klare Prioritäten. „Die Schule ist bei uns Plan A. Die Regel ist: Keine Schule, kein Training. Das ist auch so mit den Trainern besprochen.“ Auch auf der Suche nach einem beruflichen Leben nach dem Fußball werde mit der Vermittlung von Praktika, Ausbildungsstellen oder Gasthörerschaften an Hochschulen weitergeholfen. Schließlich erfüllt sich am Ende längst nicht für alle ­Internatsbewohner der Traum vom Profifußball.

Wirtschaftsfaktor

Nachwuchsarbeit Für viele Vereine im Profifußball ist dieNachwuchsförderungeinechter Wirtschaftsfaktor. Das Geschäftsmodell: Talentierte Fußballer ausbilden, diesen in der Bundesligamannschaft das Vertrauen schen-

Nachwuchshoffnung RB Leipzig Fotos: Jonas Dengler; Grafik: Mattia Massa/Adobe StocK
Lenny Hennig Die große Karriere im Blick: Sanoussy Ba hat Ende des ver­gangenen Jahres ­seinen ­ersten Profi­vertrag bei RB Leipzig unterschrieben. Foto: Christian Modla Von Andreas Neustadt
26 Stil Leben
& Unternehmen Unternehmer

ken und später für Millionen-Ablösesummen an größere Vereine verkaufen. Ein Verein, der traditionell auf den eigenen Nachwuchs setzt und immer wieder überragende ­Talente hervorbringt, ist der FC Schalke 04. In den vergangenen fünf Jahren nahm der Verein durch den Verkauf und den Verleih von zwölf Spielern – darunter der deutsche Nationalspieler Thilo Kehrer –aus der eigenen Nachwuchsakademie, der weit über die deutschen Landesgrenzen hinaus bekannten „Knappenschmiede“, insgesamt 79,51 Millionen Euro ein. Zum Vergleich:RBLeipzignahmimgleichen ZeitraumfürsechsNachwuchsspieler insgesamt 3,72 Millionen Euro ein. Schon vor dem vergangenen Sommer hatten bereits mehr als 50 Talente außerhalb von Leipzig ihr Glück im Profifußball gesucht – die meisten von ihnen ablösefrei. Einer, der sein fußballerisches Glück außerhalb von Leipzig gefunden

ImVergleich:Spielerausdem­eigenenNachwuchs im­aktuellen­Bundesliga-Kader

hat, ist Ermedin Demirovic. Der ­AngreiferwardreiJahreinderAkademie,bevoresihnimSommer2017 nach Spanien zog. Zuletzt spielte er zwei Jahre beim SC Freiburg, im SommerwechselteerzumFCAugsburg. Auch der gebürtige Leipziger Tom Krauß, der im Sommer zum Bundesliga-Aufsteiger FC Schalke 04 ausgeliehen wurde, ist in den vergangenen Monaten längst in der obersten deutschen Spielklasse angekommen. Möglicherweise kommt der 21-jährige gebürtige Leipziger im Sommer zurück in seine Heimat.

AB SOFORT DIGITAL. Wie RB Leipzig seinen eigenen Nachwuchs fit fürs Profigeschäft ­machen will

LucaUnbehaun TomRothe FelixPasslack

GiovanniReyna JamieBynoe-Gittens YoussoufaMoukoko

JanSchröder MehdiLoune NachoFerri

JanOlschowsky TonyJantschke

SimonWalde

ConorNoßYvandro BorgesSanchez PatrickHerrmann

NoahAtubolo

KennethSchmidt

ChristianGünter KimberlyEzekwem

KiliannSildillia

Große Fußballbühne: Die Profimannschaft ist das Ziel der RBLTalente.

Foto: IMAGO/ Michael ­Taeger

RobinZentner

FinnDahmen

LasseRieß StefanBell

AlexanderHack

PhilippSchulz

LeandroBarreiro

EnissShabani BenBobzien BrajanGruda JonathanBurkardt MarlonMustapha NelsonWeiper

Dudu FabioChiarodia IliaGruev ChristianGroß

JeanManuelMbom NiklasSchmidt ErenDinkci

FlorianSchock

AntonisAidonis LilianEgloff LaurinUlrich ThomasKastanaras AlouKuol

BenjaminLeneis AaronZehnter LukasPetkov

LucaPhillipp

NahueNoll

JustinChe

DennisGeiger UmutTohumcu

ChristophBaumgartner

TomBischof FisnikAsllani

TimMaciejewski

PaulGrave

TimOermann MohammedTolba

TimoHorn MatthiasKöbbing

JonasHector

GeorgStrauch

MathiasOlesen

JoshuaSchwirten

JanThielmann

TimLemperle

FlorianDietz MaximilianSchmid

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NiklasLomb
DerryScherhan ThomasMüller JosipStanisic JamalMusiala PaulWanner ArijonIbrahimovic FSVMAINZ05 1.FCUNIONBERLIN VFLBOCHUM FCAUGSBURG EINTRACHTFRANKFURT BOR.MÖNCHENGLADBACH VFBSTUTTGART BORUSSIADORTMUND SVWERDERBREMEN TSG1899HOFFENHEIM 1.FCKÖLN SCFREIBURG RBLEIPZIG VFLWOLFSBURG BAYERLEVERKUSEN FCSCHALKE04 HERTHABSC FCBAYERNMÜNCHEN 13 1 3 3 3 6 6 6 7 8 10 10 4 4 4 4 5 5 Grafik: Christiane Kunze
YannikKeitel NicolasHöfler RobertWagner NoahWeißhaupt JonathanSchmid SanoussyBa JonasNickisch TimoSchlieck OskarPreil PhilippSchulze NiklasKlinger MaximilianArnold OmarMarmoush
AymanAzhil JoshuaEze FlorianWirtz HenningMatriciani MehmetAydin NassimBoujellab SoichiroKozuki TjarkErnst MártonDardai MaximilianMittelstädt JulianEitschberger
Leben Stil & Leben Stil 27

Vom tiefen Fall

Präsenzmessen sind nach wie vor die wichtigste Plattform für die deutsche Wirtschaft.“ Das ist die feste Überzeugung von Michael Kynast, Geschäftsführer der Messe Erfurt. „In den letzten zwei Jahren hat sich die Bedeutung von Präsenzmessen als effektives Marketingtool deutlich gezeigt. In Zeiten der zunehmenden Digitalisierung unserer Gesellschaft haben Unternehmen verstanden, dass zur langfristigen Sicherung des geschäftlichen Erfolges der direkte Kundenkontakt unerlässlich ist“, betont er. „Wir glauben nach wie vor an das Live-Erlebnis und die Begegnung mit ,echten’ Menschen.“

Allerdings haben auch die Thüringer Veranstalter nach Corona viel Skepsis gespürt. Sowohl Gäste als auch Aussteller seien sehr verhalten gewesen hinsichtlich Anmeldung und Besuch. Das Vertrauen von beiden Zielgruppen musste demnach erst wieder gewonnen werden. „Inzwischen, seit Anfang 2023, haben wir in Erfurt, aber auch in ganz Deutschland, bereits wieder sehr erfolgreiche Messen erlebt, die in den Besucherzahlen an ein Vor-Corona-Niveau anknüpfen, es zum Teil übertreffen.“

Leider seien wegen der Pandemie viele Veranstaltungen abgesagt oder verschoben

worden, was zu einem erheblichen Einbruch bei allen Veranstaltungsformaten, ob Messen und Ausstellungen, Kongressen und Tagungen, Corporate Events und Konzerten und anderen Kulturevents geführt habe. Um so froher stimme, dass seit einigen Monaten die Branche wieder volle Fahrt aufnehme. Kynast untersetzt das mit Zahlen: „Vor Corona fanden jährlich mehr als 30 Messen und Ausstellungen auf unserem Gelände statt.“ Wegen der Pandemie habe es zum Teil ein vollständiges Messe-Verbot gegeben. Aber: „Die Prognose für 2023 und die kommenden Jahre sieht gut aus – glücklicherweise sind alle unsere Gastveranstalter noch an Bord.“

zum Optimismus

Foto: CHRISTOPHER SCHMID

Verband der deutschen Messewirtschaft Auma rechnet nach den vielen Ausfällen mit einem deutlichen Erholungstrend

Die Besucherzahlen lägen in Erfurt bei nahezu allen Messen und Ausstellungen aktuell bereits wieder auf Vor-Corona-Niveau, zum Teil sogar höher. Bei der Anzahl der Aussteller seien in den vergangenen Wochen zwischen 75 bis 80 Prozent erzielt worden. „Bis zur Erreichung des Niveaus der Jahre 2018/19 werden wir jedoch noch zwei bis drei Jahre benötigen.“ UL

„Wirtschaft braucht Messen“

Ähnlich sieht es die Geschäftsführung der Messe in Halle (Saale), die die Bedeutung derartiger Veranstaltungen besonders hervorhebt: „Die Wirtschaft braucht Messen als Plattform und Impulsgeber“, betont Beate Zwerenz, Geschäftsführerin der Halle ­Messe GmbH, und fügt hinzu: „Produkte zum Anfassen, Präsentation von Innovationen und persönliche vertrauensbildende ­Kontakte im direkten Wettbewerb gibt es nur hier.“

Ohne Messen fehle der direkte Erfahrungsaustausch innerhalb der Branche. Zwar sei Online nicht mehr wegzudenken. Aber: „Vieles lässt sich nicht adäquat digitalisieren, Präsenzveranstaltungen sind nicht zu ersetzen“, ist Zwerenz überzeugt. Klar sei ­allerdings: Der Messe-Lockdown hätte nicht nur für große Umsatzeinbußen bei der Messebranche geführt, sondern „die gesamte deutsche Wirtschaft spürte die ­erheblichen Folgen“. Verluste wegen Messe-Absagen in Milliarden-Höhe seien deutschlandweit zu beklagen gewesen.

Die Geschäftsführerin sei überzeugt, „dass Messen wieder wie bisher stattfinden werden können. Online- oder auch Hybridformate brachten vielerorts nicht den gewünschten Erfolg.“ Besonders deutlich sei der Bedarf nach Karrieremessen – die Unter-

nehmen suchten händeringend Azubis und Fachkräfte, „gerade dort ist der direkte und persönliche Kontakt, den das Format Messe bietet, unersetzlich. Bereits jetzt sind hier die Messen wieder auf Vor-Corona-Niveau“ –sowohl mit Blick auf die Aussteller, als auch Besucherzahlen.

Beate Zwerenz, ­Geschäftsführerin Halle Messe GmbH

Foto: Claudia ­Jacquemin

Generell positiv schauen die Messemacher in Halle (Saale) positiv in die Zukunft – auch mit Blick auf die Zeit vor Corona. „Da haben wir vier hauseigene und zehn weitere Messen externer Anbieter durchgeführt.“

Während der Pandemie sei das Veranstaltungsgeschäft faktisch zum Erliegen gekommen. „Wir beginnen in der Regel mit der Vorbereitung unserer Messen fast ein Jahr im Voraus. Durch die kurzfristigen politischen Entscheidungen und damit verbundenen Maßnahmen war eine wirtschaftlich sichere Planung sowohl für uns als auch für unsere Aussteller so gut wie unmöglich“, erklärt Zwerenz. Mit Blick auf das erste Quartal zeigt sich das Management zufrieden. „Die Akzeptanz seitens der Aussteller ist sehr gut.“ UL

Mehrwert für Messebesucher schaffen

Die Zuversicht ist zurück bei der Messegesellschaft Dresden. „Für 2023 planen wir mit 370000 Besuchern und mit 5000Ausstellern“, kündigt Ulrich Finger an. Der Messe-Chef wagt sogar einen Blick ins nächste Jahr, in dem er von 400000 Besuchern und 5500 Ausstellern ausgeht. Damit ist die schlimmste Zeit vorbei, ist Finger überzeugt.

Seit Anfang 2020 war die Messe Dresden ein großes Impfzentrum. Dann gab es einen kleinen Lichtblick im Herbst 2021. Ansonsten habe sie sich aber danach in der besonderen Situation befunden: Sie diente als Unterkunft zuerst für Geflüchtete aus der ­Ukraine und später aus anderen Ländern. „Damit kam jegliches Messegeschäft zum Erliegen“, berichtet Finger. Das sei ein herber Schlag gewesen. Kein Vergleich mit der Entwicklung vor Corona. „Im Jahr vor Corona richteten wir fünf Messen selbst aus und führten etwa sieben größere Messen von Gastveranstaltern durch.“

Zwar erreiche sein Unternehmen diese Werte in diesem Jahr noch nicht wieder, so der Geschäftsführer. „Aber immerhin sind es schon wieder vier Eigen- und sechs Gastmessen, was in den kommenden Jahren wahr-

scheinlich erst einmal so fortgesetzt wird.“

Hinzu kommen noch eine Vielzahl von Tagungen, Kongresse, Firmenveranstaltungen, Shows und Konzerte, freut sich Finger.

Ulrich Finger, ­Geschäftsführer Messe Dresden.Foto: MESSE DRESDEN.

Für ihn hat trotz der scharfen Einschnitte der vergangenen Jahre und des verstärkten

Online-Trends die Präsenzmesse weiterhin

Bedeutung. „Ich gehe davon aus, dass Messen auch weiterhin in Präsenz stattfinden“, gibt sich der Geschäftsführer überzeugt. ­Voraussetzung dafür sei allerdings, „dass sie den Besuchern mehr als das Internet bieten. Dies hat insbesondere etwas mit dem Wohlfühl- und Erlebnisfaktor zu tun.“ Es spielte auch eine Rolle, sich vor Ort einen Überblick zu verschaffen, es gehe ebenso um Beratung, Schmecken, Fühlen und so weiter. Wenngleich für Finger klar ist: „Es ist erst einmal sowohl von Besuchern als auch von Ausstellern eine gewisse Zurückhaltung zu verzeichnen, die sich aber schrittweise wieder verlieren wird. Dann wird es mehr oder weniger wieder zu einem Normalzustand kommen“, gibt er sich optimistisch. UL

Eine ernüchternde ­Bilanz über die vergangenen Jahre zieht der Verband der deutschen Messewirtschaft Auma. „Im durchschnittlichen Messejahr finden wenigstens 340, 350 Messen in Deutschland statt“, berichtet Auma-Sprecher Steffen Schulze. Etliche davon seien globale Leitmessen der Branchen. Dann treffe sich für gut eine Woche quasi die Wirtschaftswelt in den großen Messestädten. „2020 fanden zu Jahresbeginn noch Messen statt, in Summe waren das um die 100“, so Schulze. „2021 gab es kurze Öffnungsräume, sodass dort auch gut 100 Messen stattfinden konnten. 2022 haben etwa 280 Messen ihre Gäste empfangen können. Mehr als 410 waren jedoch geplant.“

Abwärtstrend durch Messeverbot

Und insgesamt malt Schulze ein düsteres Bild: „Wir schauen zurück auf nahezu zwei Jahre schmerzhafter Messeverbote.“ 2020 habe die MessewirtschaftinDeutschlandmit einem der stärksten Jahre gerechnet. „Was kam war ab März 2020 der ­denkbar tiefste Fall. 2021 sah nicht wesentlich besser aus. Auch 2022 begann mit Messeverboten.“ Die Abwärtsentwicklung ­spiegelte sich analog in den Gästezahlen wider. „Vor Corona zählten wir auf den internationalen und nationalen Messen in Deutschland jährlich bis zu 190000 Aussteller und rund 10 Millionen Besucher.

Mit den regionalen Messen kamen noch einmal 55000 Aussteller und ­etwa 6 Millionen Besucher hinzu.“Diese Zahlen würden sich nun seit Herbst vorigen Jahres stetig erholen.„Wirliegenderzeitbeieinem Niveau zwischen 65 und 70 Prozent“, fügt Schulze hinzu.

Allerdings habe der Rückgang auch kräftige Einnahme-Einbußen verursacht. Der gesamtwirtschaftliche Schaden durch Verbote, Verschiebungen und Streichungen von Messen beläuft sich seit Beginn der ­Corona-Pandemie in Deutschland auf mehr als 56 Milliarden Euro sowie 9 Milliarden Euro weniger Steuereinnahmen für den Staat“, macht Schulze die Rechnung auf. Nahezu 180000 Jobs hätten durch

MesseplatzDeutschland

2021–GesamtergebnisdescoronabedingtreduziertenProgramms

Kurzarbeit abgesichert werden ­müssen. Insgesamt hängen nach seiner Aussage in Deutschland wenigstens 230000 Jobs an der Messewirtschaft. „Bis zum ­Beginn der Corona-Pandemie hat unser Wirtschaftszweig mit bis zu 28 Milliarden Euro jährlich zum gesamtwirtschaftlichen Plus beigetragen.“

Publikumsmessen ein Höhepunkt im Wirtschaftsjahr Endverbraucher-Messen haben es den Fachleuten zufolge im Moment nicht so leicht, wieder auf ihr hohes Vor-Corona-Niveau zurückzukehren. Viele Menschen seien zurückhaltender beim Geldausgeben angesichts von Inflation, Rezession, hohen Energiepreisen. Dennoch: „Fachbesucher-Messen sind für viele Wirtschaftsbereiche nach wie vor ein Muss, ein Höhepunkt im Wirtschaftsjahr.“ Schulze betont, dass die Aussteller seit Öffnung der Messen größtenteilswiederzurückseien.„Allerdings waren die Besucher vielerorts abwartender. Seit Herbst ist aber einklarerErholungstrendzuerkennen.“ImvergangenenSommerhätten noch durchschnittlich 55 Prozent der Besucher von Vor-Corona die deutschen Messen besucht, im Herbst schon 65 Prozent übers ganze Land gesehen.

Messeplätze deutschlandweit, vier der zehn weltgrößten gibt es in Deutschland

„Die Aussteller waren von Anfang an zu rund 70 Prozent zurück auf deutschen Messen – verglichen mit den Zahlen der Zeit vor Corona.“ Angesichts ­etlicher Reisebeschränkungen und -hindernisse wie schwieriger Visa-Erteilung, vor allem in Asien, „werten wir das als Erfolg“, sagt Schulze.

Und perspektivisch betrachtet betont er: „Wir gehen im ­Moment davon aus, dass wir 2024 branchenweit erstmals wieder bei einem VorCorona-Niveau landen könnten.“

Unter allen Messebesuchern ist der Anteil der Entscheider ausgesprochen hoch und liegt bei 63 Prozent. ­Geschäftsführer, Vorstandsmitglieder und selbstständige Unternehmer aus Deutschland stellen 35 Prozent der Fachbesucher, bei ausländischen ­Besuchern sind es sogar 73 Prozent.

Quelle: Auma | Foto: Audobe Stock

AB SOFORT DIGITAL. Die Mitteldeutsche Messewirtschaft –trotz Pandemie bleiben ­Messen wichtige ­Plattform

Von Ulrich Langer
28 Leben Stil & Leben Stil
„Direkter Kundenkontakt unerlässlich“
Michael Kynast, ­Geschäftsführer Messe Erfurt
ZahlderMessengeplant2023 49 52 26000 10000 0,94 Mio 0,37 Mio 1,3 Mio 0,76 Mio Internationale/nationaleMessen RegionaleMessen 151 international 146 regional 21 national 20 neu 101* Messen 338 Messen
36000 Aussteller 1,3Mio Standflächem
2,1Mio Besucher 70
**379warenursprünglichgeplant
2
63

Persönlich und nah –das sind die Potenziale einer Messe

Manfred Kirchgeorg, Professor für Marketingmanagement und Nachhaltigkeit an der Leipziger Handelshochschule, bewertet digitale Messeformate, zeigt, wie Präsenzmessen in der heutigen Zeit für Besucherinnen und Besucher neue Anreize schaffen und welche Chancen sich für die Leipziger Messe ergeben

Deutschland war als Land der Weltleitmessen durch die Corona-Pandemie stark gebeutelt. „Viele Messeplätze haben mit digitalen undhybridenVeranstaltungsformatenexperimentiert“,berichtetManfred Kirchgeorg. Der Professor für Marketingmanagement und NachhaltigkeitanderLeipzigerHandelshochschule (HHL) ist aber skeptisch, ob das erfolgreich war. „Digitale Formate können Live-Communication nicht ersetzen.“ Die persönliche Erfahrbarkeit von neuen Produkten mit allen Sinnen lasse sich digital nicht kopieren. Unternehmen berichteten, dass sie bestehendeKundenübereinedigitale Kontaktpflege betreuen könnten. Hingegen sei die Gewinnung von Neukunden auf digitalem Wege sehr schwergefallen. „Genau hierfür sind Live-Kontakte auf Messen unschlagbar.“

Besondere Atmosphäre

In der Messebranche werde gerne vom„Lagerfeuer“gesprochen.Hier treffen sich die Menschen persönlich, können Produkte in die Hand nehmenunddabeiplaudern.„Digitale Veranstaltungen können diese Atmosphäre nicht herstellen“, sagt derWissenschaftler.AmLagerfeuer treffensichübrigensalleGenerationengerne,auchdieNewDigitallassen sich für Live-Kontakte begeistern.

Digitale Anreicherung der ­Präsenzmesse als Mehrwert

Dennoch müssen sich Präsenzmessen nach Einschätzung des Experten wandeln. Warum? „Der LiveKontakt ist überaus wertvoll, allerdings erwarten Aussteller wie auch Besucher die Anreicherung einer Präsenzmessemitdigitalem Service vor, während und nach der Veranstaltung, ohne dass der wertvolle Live-Kontaktdigital„vergewaltigt“ wird“, begründet Kirchgeorg. Noch eine Entwicklung gelte es zu berücksichtigen. Auf dem Weg zu einer CO2-neutralen Wirtschaft werden sich Aussteller wie auch Messebesucher fragen müssen, ob dies noch mit dem verfügbaren CO2-Budget vertretbar ist. „Sowohl auf Aussteller- wie auch auf Besucherseite werden nicht mehr ganze Mannschaften zum Messeplatz reisen.“ Den vielzitierten Spruch „Qualität vor Quantität“ müssten die Messeanbieter ernst nehmen. Das habe Konsequenzen für die Messeinfrastruktur.ÜberJahrzehnte gewachsene Hallen- und Flä-

Leipziger Messe spielt wieder mit

Gaming-Festival „Caggtus Leipzig“ soll einer der Höhepunkte des Ausstellungsjahres werden.

chenkapazitätenkönntenzukünftig zum Klotz am Bein werden. Veranstalter von Präsenzmessen müsstenganzengandenBedürfnissen der Aussteller und Besucher dran sein, um den größtmöglichen Nutzen für einen Besuch herzustellen, meint der Fachmann. Für das Live-Erlebniswerdeauchzukünftig dasMesseumfeldeineRollespielen. Neue Liveformate entfernten sich häufig von klassischen Messeplätzen. „Vielfach werden Innenstädte und andere Infrastrukturen als Experimentierflächen einbezogen.“

Es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, bis die digitalen ­Player sich dem ­Geschäftsmodell der Messebranche ­annehmen werden.

Manfred Kirchgeorg Professor für Marketingmanagement und Nachhaltigkeit an der Leipziger Handelshochschule

Zudem werde die digitale Anreicherung des Messebesuches zur Selbstverständlichkeit. Dies stellt insbesondere kleinere Messeveranstalter vor besondere Herausforderungen,weildigitaleInfrastrukturen mit dreidimensionalen Projektionsmöglichkeiten durch das VoranschreitendesMetaversezunehmend Einzug halten werden. Die Kompetenzen und Investitionsbereitschaft werden erheblich strapaziert werden, um mithalten zu können.

Inwieweit Messegesellschaften die digitale Anreicherung von Präsenzveranstaltungen als Einzelkämpferbewältigenkönnen,„stelle ich in Frage“. Das Thema Daten, Daten,Datenwerdenebenderdigi-

talen Infrastruktur in den nächsten Jahren für Messeveranstalter überlebenswichtigwerden.Hierkönnen die digitalen Giganten mit ihren sozialen Netzwerken und MetaversePlattformen punkten. Die Messebranche sollte Kooperationsoptionen ausloten. „Denn es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, bis die digitalen Player sich dem Geschäftsmodell der Messebranche annehmen werden“, sagt Kirchgeorg voraus.

Leipzig bietet Möglichkeiten an innovativen Messekonzepten Durchaus positiv beurteilt der Professor die Leipziger Messe. Nach demRe-StartallerMessenwirdman sehen, wo man „Federn“ lassen musste. Mit dem langjährigen Aufbau einer integrierten Veranstaltungskompetenz (Messen, Kongresse,Messebau)undServicesaus einerHandhättendieVerantwortlichen einen richtigen Weg eingeschlagen. Die erneute Auszeichnung als Service Champion unterstreiche dies. „Potenziale für Messeinnovationen könnten sich zukünftig aus den Bezügen zu mitteldeutschen Clustern im Bereich Automotive, Logistik, Bioökonomie oder Chemie ergeben.“ Hier müssten die Messemacher an den Entwicklungen der Industrie dran sein. DerErwerbderPaintExpoWeltleitmesse stelle ein Beispiel dar, wie hierüber regionale Bezüge zur Automobilindustriehergestelltwerden können.

Besondere Möglichkeiten bieten sich nach Einschätzung von Kirchgeorg zukünftig durch die weitere Vernetzung von Aktivitäten auf dem Messegelände mit Attraktionen und Eventlocations (etwa die Kongreßhalle) in der Innenstadt. Es seizubeobachten,dasssichinnovativeMessekonzeptevontraditionellenFlächen-undHallenkapazitäten lösen. „Hierfür gibt es in Leipzig ­interessante Spielräume.“ Würde man die alte Idee der Messe in der Innenstadt–wofürLeipzigstand–in die Zukunft projizieren, ließen sich gegebenenfalls einige Gedanken aus der Historie wiederbeleben. Beim Umweltschutz habe die Leipziger Messe bereits 2009 eine Zertifizierung nach dem Green-GlobeStandard erreicht. In den nächsten JahrenseiderWegzurCO2-Neutralität der Messegesellschaft zu beschreiten. „Es werden weiterhin turbulente Zeiten bleiben und das Messegeschäft steht unter Druck“, bilanziertKirchgeorg.Abereseröffneten sich auch Chancen.

DieMesseLeipzigistImpulsgeberund Wirtschaftsmotor für die gesamte ­Region. Doch die Corona-Pandemie veränderte alles: Messeabsagen, Verschiebungen,Einnahmeverluste.DasvergangeneMessejahrkonnteLeipzigallerdings trotz der Ausfälle im ersten Quartal erfolgreich abschließen. Das neue Jahr soll dieses Ergebnisnocheinmalsteigern.DieGeschäftsführer der Leipziger Messe, Martin BuhlWagner und Markus Geisenberger, geben im Interview einen Ausblick auf 2023, welche neuenFormateentwickeltwurden,warumsie eineGaming-Messeneuauflegenwollenund welcheWegedieZukunftfürMesseneröffnet.

Wie bewerten Sie den Jahresauftakt der ­Leipziger Messe? Martin Buhl-Wagner: Wir sind damit sehr zufrieden.DiePartnerPferdübertrafaufAnhieb dasNiveauderletztenvorpandemischenVeranstaltung 2020. Auch die Haus-Garten-Freizeit, die Mitteldeutsche Handwerksmesse und die Cadeaux-Messefamilie sowie die Gast- und Kongressveranstaltungen erfüllten unsere Erwartungen. Unser Messedoppel ­Intec und Z wurde erstmals durch die Grindtec, die Internationale Fachmesse für Werkzeugbearbeitung und Werkzeugschleifen, verstärkt. Alle diese Formate stießen bei den FachbesuchernaufguteResonanz.Sokannes weitergehen: Die Leipziger Messe wird ihrer Verantwortung als Wirtschafts- und Innovationsmotor der Region weiterhin gerecht.

Rechnen Sie 2023 mit einem normalen Messejahr? MarkusGeisenberger: Wir rechnen auf jeden FallmiteinemweiterenAnziehendesMesseundKongressgeschäfts.ImVorjahrerreichten wir mit 191 Veranstaltungen, an denen über 7800 Aussteller und über 443000 Besucher teilnahmen, sowie mit einer Vielzahl von nationalen und internationalen Kundenprojekten einen Umsatz von mehr als 70 Millionen Euro. Das bedeutet einen erheblichen Umsatzsprung gegenüber den Pandemiejahren. Wir werden 2023 dieses Ergebnis noch einmal steigern.

Sie erreichen dann das Niveau vor Corona?

Geisenberger: An das vorpande­mische ­Rekordjahr 2019 werden wir noch nicht anknüpfen können. Zu unwägbar sind aktuell die Folgen der schwierigen Rahmenbedingungen wie Inflation, steigende Energiekosten, Fachkräftemangel und die gestörten globalen Lieferketten.

Wie sehr hat Corona Ihnen zugesetzt?

Buhl-Wagner: Die Zeit der Pandemie und die damit verbundenen Veranstaltungsverbote haben natürlich zu einem erheblichen ­wirtschaftlichen Einschnitt geführt. Wir ­haben aber die Hände nicht in den Schoß gelegt,sonderndieZeitintensivgenutzt,unsere PositionalsbreitaufgestellterOrganisatorvon Veranstaltungsformatensowiealsintegrierter Lösungsanbieter für Dienstleistungen zu Messen,KongressenundEventsauszubauen.

Was haben Sie konkret getan?

Buhl-Wagner: Wir haben das Neugeschäft ­angekurbelt und selbst neue Formate entwickelt: die Zahntechnik Plus, die Therapie München, die Fachmesse Netze On für Energietechnik, Verteil und Breitbandnetze. Und natürlich die „Caggtus Leipzig“, die vom 14. bis 16. April ihre Premiere feiert und die langjährige Tradition der Leipziger Gaming Festivals fortsetzt.

Ihre Premiere feiert die „Caggtus Leipzig“ vom 14. bis 16. April 2023 auf dem Leipziger ­Messegelände. Sie soll die Tradition der Leipziger GamingFestivals erfolgreich fortsetzen.

Foto: Leipziger Messe/ Tobias Stoffels

Was versprechen Sie sich von der Caggtus?

Geisenberger: Dazu gehört auch, dass wir zwei große Industrie­messen zugekauft habe; die Paint Expo, die Weltleitmesse für industrielle Lackiertechnik, die bereits 2022 mit großem Erfolg ­debütierte, sowie die bereits erwähnte ­Grindtec. Darüber hinaus haben wir die Entwicklung unserer digitalen ­Formate und Services vorangetrieben und unsere Abläufe weiter optimiert und digitalisiert. Unter anderem wurde auf dem Messegelände ein eigenes Streamingstudio eingerichtet.

Geisenberger: Gaming gehört nach Leipzig und auf die Leipziger Messe. Mit der Caggtus lösen wir unser Versprechen ein, für die Community ein neues Festival auf die Beine zu stellen. Dank des gesammelten Know-hows aus den vergangenen Jahren und mit Unterstützung starker Partner und treuer Fans könnten die Voraussetzungen kaum besser sein. Seit der Ankündigung des ­Festivals begleitet uns eine enorme Welle der Begeisterung aus der ­Gaming Community.

Was erwartet die Besucher?

Die Geschäftsführer der Leipziger Messe: Martin Buhl-Wagner und Markus Geisenberger (oben). foto: MesseLeipzig/JOERG SINGER

Geisenberger: Das Festival gliedert sich in drei Bestandteile. In der ­Entertainment Area haben die ­Besucher die Möglichkeit, in den Freeplay-Bereichen an voll ausgestatteten Gaming-Plätzen Spiele anzutesten oder an Fun-Matches- und Turnieren teilzunehmen. In der Stream Area entwickeln wir mit Partnern aus der Branche eigene ­Formate, in denen bekannte Streamer live von der Caggtus aus senden. In einer eigenen Halle steigt Deutschlands größte Lan-Party. Dort treffen sich ­voraussichtlich bis zu 2000 Spielerinnen und Spieler, um 68 Stunden lang zu zocken. Erst verlor Leipzig die Games Convention an Köln, auch die Dreamhack gibt es nicht mehr. Warum solle es nun besser laufen?

Geisenberger: MitderGamesConventionhaben wir unsere Kompetenz als Veranstalter von Gaming-Events gezeigt. Deswegen konnten wir auch die Dreamhack als Lizenznehmer für Deutschland gewinnen. Da wir das Thema Gaming jedoch selbst in die Hand nehmen wollten, haben wir die Dreamhack weiterziehen lassen. Wir besitzen einen reichenErfahrungsschatz,derunsbeiderErstellung des Caggtus-Konzeptes enorm geholfen hat.WirsindhervorragendinderBranchevernetzt und haben viel Ermutigung erhalten, eine eigene Veranstaltung auf die Beine zu stellen.

Welche Zukunft geben Sie Messe allgemein angesichts der Konkurrenz durch das Internet?

Buhl-Wagner: Um es klar zu sagen: Das Internet bedroht die Präsenzmessen nicht. VielmehrerhöhtesdieReichweiteundBedeutung und eröffnet neue Möglichkeiten bei der Durchführung. Präsenzmessen, Kongresse und Events bleiben ­unverzichtbar, denn wir sindalle­sozialeWesen.Wirbrauchendaspersönliche Kennenlernen, den ­direkten Austausch,umVertrauenzueinanderaufzubauen – die Basis für eine erfolgreiche Zusammenarbeit. Unerwartete Eindrücke und überraschende Begegnungen kann es nur live und vor Ort geben.

Wie binden Sie das Internet ein?

Buhl-Wagner: Messen und Kongresse finden zwar in Präsenz statt, aber sie werden längst digital organisiert. Das Internet ermöglicht daher,sieinZukunftnochbesserundeffizienter auszugestalten, indem zum Beispiel das Live-Erlebnis für externe Teilnehmer mittels Livestream zugänglich gemacht wird oder im NetzbeiYoutubedauerhaftfestgehaltenwird. Unsere Möglichkeiten haben sich vervielfacht.

Welche regionalwirtschaftliche Bedeutung hat die Leipziger Messe?

Geisenberger: Messen haben eine enorme Bedeutung für die wirtschaftliche Dynamik und Prosperität einer Region. In Zahlen heißt dies, dass durch die Aktivitäten der Leipziger Messe in normalen Messejahren ein Kaufkraftvolumen von rund 650 Millionen Euro entsteht. An unserer Tätigkeit hängen unmittelbarundmittelbar6600Arbeitsplätze.Darüber hinaus leisten wir mit unseren Services und Einrichtungen aktive und professionelle Unterstützung in Krisenzeiten, wie etwa mit Erstaufnahmeeinrichtungen, Test- und Impfzentren.

Das gilt ähnlich auch für Deutschland?

Geisenberger: Ja. Deutschland ist weltweit Messestandort Nummer 1. Annähernd zwei Drittel der international führenden Messen findenhierstatt.IneinemMesse-undAusstellungsjahr ergeben sich allein Steuereinnahmen in Höhe von rund 4,5 Milliarden Euro. DiesenherausragendenErfolggiltesauchfür die Zukunft abzusichern.

Interview:UlrichMilde

Leben Stil & Leben Stil 29

Die professionelle Pflege der Marke

Der Name Artkolchose verwirrt.

Denn so rasch wird nicht klar, worum es sich bei dieser Firma handelt. Das Leipziger Unternehmen, das 2004 gegründet wurde, wird von Andreas Geisler (45) und ­Sebastian Ullmann (46) geleitet. „Hinter dem Wort verbirgt sich Art – wie Kunst – und Kolchose steht für Gemeinschaft. Wir begreifen uns sozusagen als Kunst-Kollektiv, das schöpferisch tätig ist, in der Gemeinschaft der Gruppe“, beschreibt Geisler.

Und worin besteht das unternehmerische Anliegen der Firma? „Darin, Unternehmen und Organisationen bei der strategischen Entwicklung und professionellen Pflege ihrer Marke unter die Arme zu greifen“, so der verheiratete Vater eines Sohnes, der überzeugt ist: Ein Betrieb, der mit einer eigenständigen, besonderen, zugkräftigen Marke am Markt agiert, steigert seine Chancen im knallharten Konkurrenzkampf. Der Chef spricht auch von Zukunftssicherung, bei der sie den Firmen helfen – „zumindest ist das immer unser Ziel. Nämlich die Widerstandsfähigkeit unserer Kunden im Wettbewerb stärken.“

Auffallend anders

Das Credo von Artkolchose ist: „Die Welt schöner und unsere Kunden erfolgreicher zu machen“, bringt er es auf den Punkt. Dabei müssten die Betriebe mit ihren Mitarbeitern natürlich auch selbst äußerst aktiv werden – „von allein kommt nichts. Dass sie dies schaffen können, dafür stehen wir ihnen zur Seite“, umschreibt Geisler das Aufgabenfeld von ihm und den zwölf Mitarbeitern der ­Artkolchose.

Eine Marke könne ein Produkt betreffen, aber auch eine Firma selbst, oder eine spezielle Veranstaltung wie „Klassik airleben“ im Leipziger Rosental oder auch eine Person, die im Rampenlicht steht. Dabei, so Geisler, müsse der Wiedererkennungseffekt gesichert werden, die Einzigartigkeit der Marke und ihr Alleinstellungsmerkmal. „Das erhöht die Chancen, auch in disruptiven Märkten zu bestehen und sich positiv zu entwickeln“, ist Geisler überzeugt. Um diese Eigenschaften erfolgreicher Markenführung auszubilden, „sollten strukturiert mehrere Dinge in Angriff genommen werden“, berichtet der studierte Architekt, der 2003 an der Leipziger Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK) sein Diplom machte. Im ersten Schritt werde eine Unternehmensanalyse vorgenommen und eine Konzeption erarbeitet. „Manchmal spreche ich davon, dass wir hinter die Fassade schauen und wie Archäologen erforschen, was im Verborgenen des jeweiligen Projekts liegt. Wir halten den Beteiligten sozusagen einen kritischen Spiegel vor, zeichnen ein Bild über die noch ungenutzten Potenziale.“ Das geschehe oft im Rahmen längerer Beratungen und Workshops. „Nicht selten komme ich mir dabei wie ein Psychologe vor, der nach dem richtigen Therapieansatz sucht, also nach Handlungsempfehlungen, um Hemmnisse gemeinsam mit dem ‚Patienten‘ zu überwinden.“

Dann folge der nächste Schritt – die Design-Phase. „Dabei wird die abgestimmte Markenstrategie in Form des Corporate Design sichtbar, die wichtigsten Eckpunkte der Marke definiert“. Dem folgen sämtliche analogen und digitalen Medien-Anwendungen vom Geschäftsbrief über Flyer und Broschüren bis hin zu Plakaten, Newslettern, Unternehmenswebseiten und Shops. Und schließlich „die Werbung. Im übertragenen Sinne bedeutet das: mit maximaler Lautstärke, Sichtbarkeit, Reichweite die Markenbotschaft nach außen tragen und davon die Mitarbeiter im Inneren begeistern“.

Über 3000 Projekte stehen bei Artkolchose inzwischen zu Buche. „Bislang haben wir bundesweit etwa 190 Firmen betreut“, so Geisler, „manche über 15 Jahre lang.“ Ausdauer sei eben gefragt – „sonst geht man schnell im Konkurrenzkampf unter“, gibt der passionierte Radfahrer zum Schluss zu bedenken. UL

Die OKM GmbH

Nahe der sächsisch-thüringischen Grenze liegt Altenburg. Wer in die etwa 33 000 Einwohner zählende Kreisstadt hineinfährt, kommt kaum umhin, einen Blick auf die Pyramide zu werfen, die zwischen B93 und B180 in die Landschaft ragt und das Stadtbild prägt. Das auffällige Bauwerk aus gefärbtem Glas ist seit 2012 Sitz der OKM GmbH – einer Firma, die sich auf Metalldetektoren spezialisiert hat. „Da wir die meisten Geräte im arabischen und ägyptischen Raum absetzen, lag es nahe, eine Immobilie dieser Art zu errichten“, erklärt Geschäftsführer Stephan Grund. Zuvor hatte das 1998 gegründete Unternehmen aus einem Container im nahegelegenen Windischleuba agiert. Das Wachstum des Unternehmens, das heute 30 Mitarbeitende zählt, ließ den Standort jedoch zu klein werden.

Das Äußere eines Unternehmens ist mehr als bloße Fassade. Wohl durchdacht können Form, Material und Freiflächen die Philosophie und das Image einer Firma transportieren. An Mitarbeitende wie Außenstehende. Drei Beispiele aus Sachsen und Thüringen.

Elobau Sensor Technology

Berührungslose Sensoren, Bedienelemente und andere Komponenten für den Maschinen- und Nutzfahrzeugbau sind das Spezialgebiet des Technologieunternehmens Elobau. Gegründet 1972 in Leutkirch im Allgäu, hat es heute Niederlassungen weltweit. Seit 2010 arbeitet die Firma an allen Standorten klimaneutral. Diesen Nachhaltigkeitsanspruch erfüllt auch das Betriebsgebäude mit Produktionshalle, das im thüringischen Probstzella errichtet und 2016 eröffnet wurde. Das Unternehmen baut seit 2012 Energie-Plus-Gebäude und seit 2014 ausschließlich Gebäude aus Holz und setzt damit auf einen nachwachsenden Rohstoff, der ein ganz eigenes Raumklima und Ambiente mit sich bringt. Etwas, das den 17 Mitarbeitenden am Standort in Probstzella zugutekommen soll. Auf Dach und Freiflächen wurden circa 4000 Quadratmeter Fotovoltaik verbaut. Ebenfalls ein Zeichen nach außen, dass Elobau auf Nachhaltigkeit und Umweltfreundlichkeit setzt. Außerdem entschied sich die Firma für eine durchgängige, transparente Verbindung zwischen Büro und Werkhalle als von außen sichtbares Sinnbild für demokratische Arbeitsstrukturen. Das Werksgebäude im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt sollte sich außerdem gut in die Landschaft – das Thüringer Schiefergebirge – einfügen und nicht als Fremdkörper wahrgenommen werden, erläutert Michael Hetzer, ehemaliger Geschäftsführer und heutiger Beiratsvorsitzender. „Passend zu der Region haben wir uns deshalb für Fassadenflächen aus traditionellem Schiefermaterial entschieden, die in moderner Weise verwendet wurden“, erklärt er. Einzelne Fassadenflächen sind leicht aus der Vertikalen geneigt und erzeugen so die Erscheinung einer Fassadenfläche, die zerklüftet und gleichsam selbstähnlich der Oberfläche der einzelnen Schieferschindel erscheint. Die Bauzeit des Betriebsgebäudes, das 2018 mit dem Thüringer Staatspreis für Architektur und Städtebau ausgezeichnet wurde, betrug ein Jahr. Die Kosten dafür beliefen sich auf etwa 5,17 Millionen Euro.

Nach dreijähriger Bauzeit erfolgte der Umzug nach Altenburg. Im Erdgeschoss ist seither die Produktion verortet, die übrigen Etagen beherbergen Büroräume. Insgesamt wird hier auf circa 1600 Quadratmetern Innenfläche entwickelt, produziert und getestet. Die Eingangshalle wartet mit einem Brunnen, Wasserlauf, Ornamenten und Säulen auf. Auf einem Testfeld neben der Pyramide kann die Kundschaft die Geräte ihrer Wahl auch ausprobieren. Seit jeher ist die Pyramide Teil des Firmenlogos. Mit ihrem Bau wollte das Unternehmen, das Tochtergesellschaften in der Türkei und den Vereinigten Arabischen Emiraten hat, noch näher heranrücken an seinen primären Absatzmarkt und sich der größtenteils männlichen Kundschaft nähern. Der Entwurf stammt vom Ingenieurbüro Jan Kleinhempel aus Chemnitz. Verbaut wurde zu großen Teilen Glas, das – ebenfalls in Anlehnung an den vorrangigen Absatzmarkt – Gold eingefärbt wurde. Gleichzeitig ist die Farbe ein Hinweis auf das, was viele Schatzsuchende antreibt: die Entdeckung von Gold. Denn auch das lässt sich mit den OKM-Detektoren aufspüren. Umgeben ist die Pyramide, deren Portal große Statuen zieren, von einem aufwendig angelegten Garten. Sowohl dieser als auch das Firmengebäude selbst sind nicht frei zugänglich für Passanten. „Häufig kommen jedoch Leute vorbei und wollen Fotos machen. Die sollen auch partizipieren können, wir wollen der lokalen Umgebung schließlich etwas zurückgeben. Deswegen öffnen wir uns immer mal wieder im Rahmen von Tagen der offenen Tür“, sagt Grund.

Die Sächsische Aufbaubank

Seit knapp zwei Jahren und nach beinahe fünfjähriger Bauzeit präsentiert sich die Sächsische Aufbaubank (SAB) im Zentrum Leipzigs mit einem auffälligen, kaum zu verwechselnden Ensemble aus Metall, Holz, Glas und Wolle. Das SAB-Forum soll dabei bewusst mehr sein als ein Bürogebäude für 500 Mitarbeitende. Dazu hat das Londoner Architekturbüro ACME der traditionellen Typologie eines Bankgebäudes eine neue Gestalt gegeben. „Mit dem städtebaulichen Ensemble des SAB-Forums tragen wir zur Quartiersentwicklung bei und schaffen für die Stadt Leipzig einen öffentlichen Raum. Mit Veranstaltungen, den öffentlich zugänglichen Wandreliefs von Wegbereitern der Leipziger Schule sowie dem frei zugänglichen Säulengarten wollen wir uns für die Leipzigerinnen und Leipziger und ihre Gäste öffnen“, sagt die Vorstandsvorsitzende Dr. Katrin Leonhardt. Mit den sich klar abzeichnenden grünen Inseln und dem Wasserspiegel nimmt der 6000 Quadratmeter große Säulengarten Bezug auf den um 1777 an dieser Stelle erbauten Löhrs Garten – einem der ersten landschaftlichen Bürgergärten Deutschlands. Die 251 Säulen sind im Schnitt 20 Meter hoch und haben einen Durchmesser zwischen 40 Zentimetern und 1,10 Metern. Obenauf befinden sich Stützenköpfe, sogenannte Canopies, mit einem Durchmesser von 2,5 bis fünf Metern. Transparenz und Durchlässigkeit werden auf unterschiedliche Weise hervorgehoben. So zeichnet sich etwa der Bodenbelag vom Fußweg bis hinein ins Forum durch Einheitlichkeit aus. Außerdem sind die beiden Gebäudeflügel in den unteren Geschossen voneinander getrennt, wodurch der Weg quer über den Platz freigegeben ist. Die Freifläche orientiert sich Richtung Innenstadt und soll bei den in diese Richtung steuernden Besuchern Neugierde wecken. In den Neubau mit seinen 16 493 Quadratmetern Nutzfläche auf einer Grundfläche von 34 698 Quadratmetern sind 164,8 Millionen Euro geflossen.

30 Leben Stil & Leben Stil
Fotos: OKM GmbH; Strohhut Pictures; Tom Maurer Photography Andreas Geisler Foto: André Kempner

Hightech im Weinberg

Drohnen über den Rebflächen sind ein deutliches Zeichen, dass auch im Weinbau mit Hightech gearbeitet wird. Von einer digitalen Revolution ist mancherorts die Rede, von Innovationen in Flur, Keller und Marketing.

Was ist da los in einer Branche, die noch immer Idylle verheißt?

DievonHandgelesenen Trauben, der imposante Fasskeller, das Glas Rotwein am Kamin, und so weiter.

Dasgibtesallesimmernoch,eswird geliebt und zelebriert. Aber da sind ja auch noch Klimawandel, Kostenexplosion, Trockenheit, Inflation, Flächenstilllegungen und andere misslicheUmstände.UndderWeinverbrauch ist rückläufig. Also müssen sich auch die Weinbaubetriebe Gedanken machen, nicht nur wie sie durch die aktuelle Krise kommen, sondern wie sie langfristig erfolgreich sein können.

Nachhaltigkeit ist Gebot der Stunde Besuch bei Till Neumeister. Der Weinbauleiter des Staatsweinguts Schloss Wackerbarth in Radebeul kann über die Entwicklung der vergangenen Jahre einiges erzählen, denn Wackerbarth hat sich neuen Trends und Innovationen zeitig geöffnet. In den letzten zehn Jahren hat es in nahezu allen Weinbau­-

Die Pflanze sagt uns ganz viel. Wir sehen ­Mineralstoff­mangel, Trockenstress und noch vieles mehr. Du musst das alles nur verstehen.

Till Neumeister Weinbauleiter vom Sächsischen Staatsweingut Schloss Wackerbarth

Weinbauleiter Till Neumeister prüft die Wetterstation

Foto: Martin Junge | Sächsisches Staats­weingut GmbH Schloss Wackerbarth

regionen Europas einen Innovationsschub gegeben wie in Jahrzehnten zuvor nicht. Nachhaltiger Weinbau ist das Gebot der Stunde. Und Digitalisierung kann dabei ­helfen. Klar, es gibt noch weitere Mittel, etwa moderne Kellerwirtschaft, raffiniertes Marketing oder intelligente ­Logistik. Aber aller ­Anfang ist die Rebe.

Die Digitalisierung im Weinbau hat positive Effekte auf den nachhaltigenWeinbau,daherrschtinder Branche weitgehend Einigkeit. Das sehenauchTillNeumeisterundseine Kollegen auf Schloss Wackerbarthso.AberwasbeutetetDigitalisierung konkret? Neumeister holt aus: „Die Pflanze sagt uns ja ganz viel.WirsehenMineralstoffmangel, Trockenstressundnochvielesmehr.

Du musst das alles nur verstehen.“

Beim Verstehen können eben auch Drohnen helfen. Doch die Drohne sei nur ein Beispiel, sagt Neumeister. „Wir haben auch noch Wetterportale, um das Wetter parzellenspezifisch zu erfassen.“

Eigene Wetterstationen Wetterportale? Dafür gibt es doch denDeutschenWetterdienst(DWD)

oder Kachelmanns Firma. Doch das ist nicht genug für das Staatsweingut.SeitknappzehnJahrenbetreibt eseigeneWetterstationen.Einegibt es in Radebeul, die andere in Diesbar-Seußlitz. Zwischen den beiden OrtenerstreckensichWackerbarths 90-Hektar-Rebflächen. Gemessen werden Sonnenstunden, Niederschläge und vieles mehr. „Wir haben gemerkt, dass es ­große Unterschiede zur Station des DWD in Dresden-Klotzsche und unseren Stationen gibt“, erzählt Till Neumeister. „Dazu liefern uns unsere Stationen viel mehr Daten, und die brauchen wir. Zum Beispiel zur Bodenfeuchte in verschiedenen Tiefen, was für das Wassermanagementwichtigist.DieBodenfeuchtesensoren zeigen auch, wie Niederschläge wirken. Denn Starkregen wird vom Boden anders aufgenommen als Landregen oder Niesel. Oder die Blattnässe, die Intensität der Sonneneinstrahlung, die Luftfeuchte, der Niederschlag. Wir bekommensovieleanalytischeWerte, ausdenenwirdanndieBewirtschaftung ableiten können.“ Vor allem für den Pflanzenschutz sei das enorm wichtig und von Vorteil.

NochmehrInnovationen

So spannend das Thema Spek­tralkameras, Feuchtesensoren oder Drohnen auch ist – es gibt viele weitere innovative Ansätze im Weinbau. So halten als Antwort auf den Klimawandel neue Rebsorten am 51. Breitengrad Einzug. Martin Schwarz, einer der Star-Winzer Sachsens, baut neuerdings Nebbiolo an. Die Rotweinsorte war bisher im Piemont, 1000 Kilometer südlich von Meißen, zu Hause. Eine ganz andere Idee beim Thema Innovation hat Sandra Frölich: „Drohnen für den Pflanzenschutz sind eine tolle Sache“, sagt die ehemalige deutsche Weinkönigin, die jetzt mit ihrem Mann Volker ein Weingut in der Nähe von Naumburg betreibt. „Für mich ist Innovation auch Back to the Roots. Also Weinbau wie er früher praktiziert wurde. Zum Beispiel den Weinausbau in Amphoren, ganz ohne technische Hilfsmittel und Zuchthefen.“

Till Neumeister steht mit einem Tablet im Weinberg vor dem ­Belvedere. Seit gut fünf Jahren setzt das Weingut auf Drohnentechnik, um sich von oben einen Überblick über den ­Zustand der Reben zu verschaffen.

Fotos: ROBERT MICHAEL/DPA; Adobe Stock/tostphoto

„Denn die Daten geben uns eine Prognose für den Pilzdruck, etwa beimEchtenundFalschenMehltau. Nur so ist ein effizienterer und zielgerichteter Pflanzenschutz möglich.“ Der Aufwand mit den Wetterstationen lohne sich und habe sich schon bezahlt gemacht. „Vielleicht sind zwei Wetterstationen noch zu wenig“, meint Neumeister. „Wir schauen,obwirnochweitereStationen nachrüsten müssen.“ Drohnen tragen Kameras AberwasistmitdenDrohnen?Auch die sind seit einigen Jahren im Einsatz – um Daten zu liefern. „Es sind größere Drohnen, nicht wie die, die es im Baumarkt gibt. Wir haben auch keine eigenen Drohnen, das macht ein Dienstleister für uns“, stellt Neumeister erst mal klar. Die Drohnen tragen Spektralkameras und Thermalkameras. Die geben Auskünfte unter anderem über Photosynthese und Stickstoffanteil bei den Rebstöcken. Die Thermalmessungen seien vor allem in heißen, steilen Lagen sinnvoll. Die Mauern strahlen Hitze ab, es gibt Temperaturunterschiede bis zehn GradaufkleinenRäumen.„DasZiel ist eine gezielte Bewässerung im Weinberg. Theoretisch ist das wie eine Klimaanlage im Weinberg.“

Innovationen im Weinbau können ganz vielfältig sein. Im Keller sind Sensor-gesteuerte Sortiermaschinen, die automatisch ungesunde Trauben erkennen und aussortieren, der neueste Schrei. Dann ist noch das Thema Flaschen, die für immerhin 50 Prozent des CO2-Fußabdrucks des globalen Weinbaus verantwortlich sind. Flaschen gibt es mittlerweile aus alternativen Materialien, zum Beispiel Papier, Flachs, Faserguss, Plastik. Ein Weingut in Umbrien setzt auf eine Flasche namens „Frugal Bottle“, die zu 94 Prozent aus recycelter Pappe besteht und mit einer lebensmittelgerechten Innenbeschichtung ausgekleidet ist und gerade einmal 83 Gramm wiegt. Und eine französische Firma hat die „Green Gen Bottle“ entwickelt. Sie wird aus geflochtenen pflanzlichen Leinfasern und Harz erzeugt. Die Entwicklung ist noch lange nicht zu Ende.

Die Idee mit den Drohnen im Weinberg hatten zwei Studenten der TU Dresden. Die haben ein Start-up gegründet und die Drohnen-Messungen für Weinbaubetriebe und kleinparzellige Landwirtschaft angeboten. Wackerbarth hat als einer der ersten Betriebe in der Region zugegriffen. „Alles begann mit einer digitalen Drohnengesteuerten Rebstockinventur“, erzählt der Weinbauleiter. Im zweiten Schritt kam die Spektralkamera zum Einsatz, dann folgten die Thermalmessungen. Wichtig ist, dass man mit den Daten auch etwas anfangen und damit umgehen kann. Also kurz gesagt: erst Datenerhebung, dann Datenanalyse und schließlich daraus die richtigen Maßnahmen ableiten. Das große Ziel bleibt, nicht zu viel einzugreifen.“ Die Entwicklung ist noch lange nicht am Ende. Der nächste Schritt sind Drohnen bei der praktischen Arbeit, etwa beim Pflanzenschutz oder bei der Bewässerung –dasspartKraftstoffeundmindertdie Bodenverdichtung.

Vielleicht werden eines Tages Drohnen auch Weinkisten ausliefern …

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Von Uwe Köster Sandra und Volker Frölich vom Weingut Frölich-Hake Foto: torsten biel

Der mit dem Hund heilt

Sven Griehl bietet in Delitzsch eine tiergestützte Therapie an – für ein aktives Leben ohne Angst und Unsicherheit

Der fünfjährige Lukas hat motorische Probleme. Und weil ihm deshalb in schöner Regelmäßigkeit Becher aus der Hand fallen, mangeltesihmauchanSelbstvertrauen.

Da kommt die Delitzscher ErgotherapiepraxisErlotraininsSpiel.InhaberSvenGriehlkümmertsichintensiv um den Jungen – und hat einen vierbeinigen Co-Therapeuten dabei: Selma, eine ausgebildete dreijährige Hundedame der als ausgesprochen lernwillig geltenden RasseViszla.DerJungehebtdenZeigefinger – Selma macht Sitz. Das Kind strahltvorFreude:„Dashabeichtoll gemacht“, sagt er stolz. Griehl ist ebenfallszufrieden:„Jetztnimmter das gewonnene Stück Selbst­bewusstsein mit nach Hause.“

Besondere Beziehung zum Hund

EinHundersetzekeinenTherapeuten, „kann aber eine wichtige Unterstützung und Motivation

sein“, sagt der 46-Jährige, der seit 2009 seine Praxis mit inzwischen acht Mitarbeitern betreibt. Zwischen dem Tier und dem Kind komme es in der Regel meist schnell zu einer unverfälschten Beziehung.

„Hunde wie Selma geben den Kindern eine direkte Rückmeldung auf ihr Verhalten“, so der Ergotherapeut. Der Vierbeiner könne dazu beitragen,dasSelbstwertgefühldes

kleinen Patienten zu verfestigen und die nonverbale Kommunikation zu verstärken. Schwächen in der Grob- und Feinmotorik bei-

spielsweise könnten dadurch ein Stückweitbegegnetwerden,indem das Kind den Hund an- und ableint, beim Bürsten des Fells hilft oder im Spiel einen Ball wegwirft, den das Tierapportiert.UnddaSelmastreitschlichtendsei,„kannichmitihrbei aggressiven Kindern gegensteuern“, berichtet Griehl. Hin zu einem normalen Leben LautmehrererStudienderUniversität Freiburg wirken Therapiehunde gesundheitsfördernd und heilend. Bei Kindern lasse sich mit ­ihnen der Blutdruck normalisieren, es würden Glückshormone produziert und ausgeschüttet. Auch bei Erwachsenen und alten Menschen kommt Selma zum Einsatz. Sie ist etwa in Seniorenheimen dabei, holt bei Bedarf die Pantoffeln und übernimmt beim MenschÄrgere-Dich-NichtSpieldasWürfeln.Sie stupst den großen Würfel mit der Nase an. Viele Ältere, die dort leben, waren früher selbst jahrelang Hundebesitzer. „Ich hatte einen Demenzpatienten. Als er mit Selma Kontakt aufnahm, sprang plötzlich sein Langzeitgedächtnis an,ersprachkurzzeitigwiederganzeSätze“,erinnertsichGriehl.Auch

bei Behandlungen nach einem Schlaganfall wird Selmas Hilfe oft genutzt.

Griehlwartetmiteinemweiteren Beispielauf.Dahatteereine37-jährige Patientin, die sich nach einem schweren traumatischen Erlebnis nicht traute, aus der eigenen Wohnung zu gehen. Behutsam baute er Vertrauen zu ihr auf, später wagte sie in seiner Begleitung die ersten vorsichtigen Schritte aus den eigenenvierWänden.DieSpaziergänge wurden länger. Später kam Selma mit hinzu. Die Frau erhielt die Hundeleine indieHandgedrückt, musste also auf einmal Verantwortung übernehmen. Ein wichtiger Schritt hin zu einem normalen Leben.

Hunde wie ­Selma geben den Kindern eine direkte Rückmeldung auf ihr Verhalten.

Vollwertige ­Mitarbeiterin

Selma ist eine ganz besondere Co-Therapeutin. Die dreijährige Vizsla-Hundedame steht Sven Griehl in seiner Ergotherapiepraxis in der Delitzsch der Marienstraße zur Seite, wenn Groß oder Klein körperliche oder seelische Beschwerden haben. Mit ihrer unverfälschten Art baut sie sofort eine Bindung zum Patienten auf und schenkt diesem ihre ganz eigene Aufmerksamkeit. Foto: Praxisgemeinschaft „ErLoTrain“

Griehl ist, selbst­redend, ein Hundeliebhaber. Eine zwingende Voraussetzung, um Tiere in der Therapie einzusetzen.VorlängererZeit kam er auf die Idee, dasinseinerFirmaumzusetzen.„Es ist schließlich so etwas wie ein ­Alleinstellungsmerkmal“, hebe von der Konkurrenz ab. Notwendig war eine umfangreiche Zusatzausbildung.Esgehtumeinedeut­licheAbgrenzung vom Streichel- oder Be-

Sven Griehl Ergotherapeut suchshund,derinderRegelvonEhrenamtlichen geführt wird und hauptsächlich dem allgemeinen Wohlbefinden dient.

Griehl lernte (fast) alles über den besten Freund des Menschen, von derAnatomieundPsychologieüber den Tierschutz bis hin zu den Einsatzmöglichkeiten in der Behandlung. Der Begriff Therapiehund er-

fährt dabei durch die Zertifizierung des Berufsverbandes Therapie­begleithunde Deutschland einen Schutz. Die praktische Arbeit ist an die entsprechenden Voraussetzungen und Kontrollen des Berufsverbandes geknüpft. Das erfordert ein regelmäßiges und intensives Training mit Selma, die für Griehl ein Familienmitglied

ist. „Beim Gassigehen wird zu 30 Prozent gearbeitet.“ Selma zählt zu den gehorsamen Hunden, kann inzwischen mehrere Tricks, ist bei derBerufsgenossenschaftgemeldet und zählt als vollwertiger Mitarbeiter – allerdings ohne Entlohnung. Kein Wunder das, was Selma für ­Patienten und Therapeuten leistet, ist ja auch unbezahlbar.

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