Max-Reger op. 52,1-Erläuterungen (Lukas Stollhof)

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Drei Choralphantasien op. 52 Nach dem Bericht von Regers erstem Lehrer Adalbert Linder geht die Entstehung der drei Choralphantasien op. 52 auf einen im September 1900 in der Zeitschrift Der Kunstwart erschienenen Artikel des Leipziger Kritikers Georg Göhler zurück. Neben überschwänglichem Lob wurden „Regers Erfindung und Phantasie [...] in diesem Artikel nur als gering bewertet. Bei Reger [...] wäre vielfach ein instinktives Verdeckenwollen des Mangels an innerer Kraft fühlbar, vielfach fehle die Überzeugungskraft“. Diese Kritik muss Reger „tief berührt“ haben, denn kaum zehn Tage nach ihrem Erscheinen brachte Reger die drei Phantasien op. 52 zu Lindner mit den Worten: „Da drinnen ist der Reger, der keine Phantasie und keine Erfindung hat.“ Daneben ist die Auferstehungsthematik in op. 52 offensichtlich und nicht zufällig, denn in dieser Zeit beschäftigte Reger sich nachweislich mit den großen literarischen Auferstehungswerken von Tolstoj und Ibsen. Wie als wollte Reger auf die literarische Trilogie „Der Tod“ von Tolstoj seine musikalische folgen lassen, schrieb er op. 52 als „eng zusammengehörende Triologie“, in der nicht nur in jeder einzelnen Choralphantasie der Weg vom Tod zur Auferstehung durchlebt wird, sondern in der Reger durch die Zusammenfassung der drei Werke zu einer Opuszahl sowie in der Anordnung und Auswahl der Choräle dasselbe Programm im Großen darstellt. So führt das Erleben von Tod und Verwesung („Alle Menschen müssen sterben“) über die Auferweckung der Toten („Wachet auf, ruft uns die Stimme“) zum Jubel über das neugeschenkte, ewige Leben („Halleluja! Gott zu loben, bleibe meine Seelenfreud“). Scheinbar überwindet Reger wieder die Enttäuschung über die aus seiner Sicht mangelnde Anerkennung und Wertschätzung seiner Werke (Göhlers Bericht) durch Arbeit und findet ganz im Sinne Tolstojs durch die Erhebung über kleinliche, irdische Kränkungen zu neuem inneren Glück.

Phantasie über den Choral „Alle Menschen müssen sterben“ (op. 52,1) Regers Zeitgenossen hörten in diesem Werk „die verkörperte Unruhe“, „grausige Töne“ von Tod und Verwesung und „Stimmungsbilder kühnster Art, die bisher für Orgel überhaupt geschrieben worden sind“. Reger dagegen unterschrieb die Erstschrift für Karl Straube ironisch: „Recht inniges Vergnügen, Lieber Carl! Im Falle es beim Anhören dieses ‚Verbrechens’ Todte geben sollte, übernehme ich die Beerdigungskosten. Besten Gruß dein alter Organiste Max Reger.“

Als Leitmotiv und Symbol für die Todesschrecken verwendet Reger die abwärtsgerichteten Intervalle große Septim und übermäßige Oktav, kleine None, die im Gegensatz zum vollkommenen, reinen, göttlichen Intervall der reinen Oktav Unvollkommenheit ausdrücken. Introduzione 1. Alle Menschen müssen sterben, alles Fleisch vergeht wie Heu; was da lebet, muß verderben, soll es anders werden neu; dieser Leib, der muß verwesen, wenn er anders soll genesen

Ausmalung der Todesschrecken mit dem Leitmotiv, wuchtigen Akkorden, virtuosen Läufen und Steigerungen - Melodie in der Mittelstimme, begleitet vom Leitmotiv (rechte Hand) - Melodie im Pedal, Leitmotiv in der linken Hand - ruhiger Manualsatz, Melodie im Sopran - Melodie wieder im Pedal, Leitmotiv in der rechten Hand - Agitato: Melodie im Tenor, schnelle Leitmotive in Pedal und re. Hand - Moderato: ruhiger, kein Leitmotiv zur Melodie, Beginn der Steigerung


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