metamorphosis (winter 12)

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metamorphosis.de

metamorphosis Studentisches Wirtschaftsmagazin Winter 2012

4,00 € 7,00 sfr ISBN 978-3-8442-3946-1

Thank me for Smoking: Stirbt die Tabakindustrie aus? Bekenntnisse einer Raucherin. / Fuck off Netzwerk: Warum Networking Zeitverschwendung ist. / Ökonomie der Liebe: Lohnt sich Liebe tatsächlich finanziell? / Die Macht der Ideen: TED ist ein globaler Hype, doch der Erfolg zeigt erste Risse.


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Der Sonne einen Job vermitteln

The opportunity of a lifetime

Rebekka Manz, Management Consulting

Rebekka Manz durfte als Managerin im Team „Consulting“ Europas Süden von seiner sonnigen Seite kennenlernen. In einem interdisziplinären Team hat sie ihren Mandanten dabei beraten, das Projektmanagement zum Bau eines Solarkraft werks zu optimieren und somit viele Menschen mit erneuerbarer Energie zu versorgen. Wenn auch Sie sich in ein exzellentes Team einbringen und an Ihren Aufgaben wachsen möchten, dann starten Sie Ihre Karriere bei PwC.

© 2012 PricewaterhouseCoopers Aktiengesellschaft Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Alle Rechte vorbehalten. „PwC“ bezeichnet in diesem Dokument die PricewaterhouseCoopers Aktiengesellschaft Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, die eine Mitgliedsgesellschaft der PricewaterhouseCoopers International Limited (PwCIL) ist. Jede der Mitgliedsgesellschaften der PwCIL ist eine rechtlich selbstständige Gesellschaft.


Editorial

Editorial Liebe Leserinnen und Leser, die letzte Ausgabe beendeten wir mit einem Versprechen. Dem Versprechen noch mehr zu wagen, kritischer und mutiger zu sein. So haben wir im Zuge der Entstehung dieses Heftes vieles kritischer hinterfragt als üblich, heftiger diskutiert als zuvor und sind stets der Frage der Aktualität unserer Themen nachgegangen. Passend zu unserem neuen Anspruch haben wir Themen und Menschen porträtiert, die Raum für Diskussionen lassen. Stirbt die Tabakindustrie aus? Was ist die Zukunft des europäischen Modells? Sind Socialising und Networking nicht letztendlich doch nur Zeitverschwendung und lohnen sich Beziehungen eigentlich finanziell? So haben wir uns in dieser Ausgabe der allgegenwärtigen Frage nach dem „Was wäre wenn“ gewidmet, die unserer Generation wie ein Stempel aufgedrückt wurde. Letztlich bleibt dabei aber einzig die Erkenntnis, dass die Zeit reif ist Neues zu wagen und Selbstreflexion immer ein Prozess ist, der sich durch Erfahrungen definieren muss anstelle von Tagträumereien. Der Drive etwas Neues zu schaffen und den Alltag von Menschen zu beeinflussen, wie es TED, der Carrotmob und selbst die U-Bahn täglich tun, ist nötig, um nicht nur erfolgreich, sondern auch glücklich zu sein. Etwas verändern wollten auch die Gründungsmitglieder des BDSU, als sie vor 20 Jahren eine in Deutschland in dieser Form einzigartige Verbindung von Studenten schufen. Sie wollten unternehmerisch tätig werden, aus dem Hörsaal in die Praxis treten. Dass dieser Drive auch außerhalb des BDSU weiterlebt, zeigen 20 Gründer aus seinen Reihen. Drive wird auch nötig sein, um metamorphosis im kommenden Jahr in eine neue Dimension zu katapultieren. Vieles wird sich verändern, was auch uns dieses furchtbare „was wäre wenn“ durch den Kopf schießen lässt. Dennoch haben wir beschlossen, es einfach so zu handhaben, wie es Eileen Burbridge – eine der ersten Mitarbeiterinnen von Skype – formuliert: „If you’re trying to make the next big thing or push the envelope you have to make choices that make you nervous“. Wir freuen uns auf den Weg, der vor uns liegt und darauf, ihn mit Ihnen zu beschreiten. Das metamorphosis Team

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Inhalt

metamorphosis

Innovators and Hidden Champions

Business Insights

Creative Minds

18 Die Macht der Ideen TED ist der Inbegriff modernen Infotainments, doch das Konzept hat Schwächen

42 Der Kunde wird Premiumkönig Mass Premium Supermärkte reiten europaweit auf einer Erfolgswelle. Bald auch in Deutschland?

22 Ethischer Konsum im Zeichen der Karotte Wie Carrotmobs Unternehmen zu mehr sozialer Verantwortung zwingen

46 Thank me for Smoking? Die Tabakindustrie stirbt langsam wie ein Krebspatient. Wie die Industrie ihren Untergang zu verhindern versucht

56 Courageous Concepts Keine Lust auf studentische Unternehmensberatung. Warum Studenten Tipps für die Karriere verkaufen

26 Sprint der Jungunternehmen Können rasant wachsende Gazellenunternehmen uns aus der Krise ziehen?

50 Das ist doch alles gar nicht meines Werden wir in Zukunft nichts mehr besitzen, sondern stattdessen alles leihen?

32 Warum Familienunternehmen sexy sind Ein Plädoyer

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60 Tales from the Underground Wir steigen ein und erleben drei der spannendsten U-Bahn Systeme Europas 66 Was macht eigentlich ein Senior Consultant Creativity? Ein Gespräch über Kreativität, Probleme und den ganz normalen Arbeitswahnsinn


Inhalt

Contributions

How To

74 Streitgespräch Wir streiten über Zahlen, Europa und seine Banken

90 Wir sind doch alle Psychos! Warum die Visitenkarte immer noch die anhaltendste Form des Händedrucks ist

82 Fuck off Netzwerk Über die Absurditäten des Netzwerkens. Ein Essay.

92 Books, books, books Gefährliche Ideen für sich selbst und andere effizient gemanaged 94 Ökonomie der Liebe Lohnt sich Liebe eigentlich finanziell? 96 20 Jahre BDSU 20 Jahre, 20 Portraits. Unternehmergeist erfolgreich umgesetzt.

Standards: 5 Editorial 14 Das Team 8 Kick Off 70 Bestellung 98 Impressum

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Kick Off

Sportschuhkauf wie in Minority Report Dem immer stärker werdenden Onlinegeschäft begegnen die Stores an der Straße mit neuen erfrischenden Ideen. Adidas plant in Kooperation mit dem Chiphersteller Intel ein neues Verkaufsinstrument. Auf einer riesigen virtuellen Wand, die aus mehreren Bildschirmen besteht - Adiverse genannt - will der Sportartikelhersteller dem Kunden das ultimative Schuhregal bieten. Automatisch wird erkannt, ob der Einkäufer männlich oder weiblich ist und bekommt unter Auswahl der gewünschten Sportart gleich das gesamte Sortiment präsentiert. So schaffen es die lokalen Geschäfte dem Kunden anstatt einiger hundert gleich bis zu 4000 Schuhe präsentieren zu können. Jeder Schuh kann dabei in einem hochauflösenden 3D-Modell betrachtet, rotiert und individualisiert werden. Umfangreiche Produktinformationen und -hintergründe, sowie Social Media Features zur Information an die Lieben daheim runden das neue Shoppingerlebnis ab. Diese neue Interaktion lässt den Einkaufsbummel zu einem echten Erlebnis werden. Das gewünschte Produkt wird ganz einfach an einer der aufgestellten TabletDer Mensch als PC-Station gekauft und innerhalb kürEnergielieferant zester Zeit nach Hause geliefert. Weitere Veränderungen im Bereich Die Franzosen planen die nächste Re- deutscher Retailer gibt’s ab Seite 42. volution. Wieder wird die Kraft der Hier stellen wir innovative Konzepte für den Premiumsektor des LebensMenschen auf der Straße genutzt. Nur mitteleinzelhandels vor. diesmal geht es nicht darum die neue Regierung zu stürzen, sondern um Nachhaltigkeit. In Toulouse, Frankreichs Technologiestandort Nummer eins, plant man zurzeit elektronische Bürgersteige, die durch Druckplatten Energie erzeugen. Ähnlich dem Funktionsprinzip eines Kinderkreisels wird durch die gehenden Passanten in der Einkaufspassage Druck auf die Platte erzeugt. Diese wandelt die Energie in Strom und soll somit die Straßenbeleuchtung in der Innenstadt versorgen. Ein Funktionsprinzip, dass auch in einer niederländischen Diskothek zum Einsatz kommt – wir berichteten. Ein Fußtritt erzeugt ca. sechs Watt. Nicht viel, aber durch die Kraft der Masse wird richtig viel Energie erzeugt. Eine richtige Revolution eben.

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Kick Off

BUSINESS AS UNUSUAL 9


Kick Off

Curated E-Commerce

Die Auferstehung des Filterkaffees George Clooney verführt zum Kaffeekauf. Kleine Kapseln eingelegt in die Maschine und fertig. Einfach und bequem, aber für Puristen nicht wirklich befriedigend. Zumal das tatsächliche Kaffeeerlebnis auf der Strecke bleibt. Einen anderen Ansatz verfolgt das Berliner Start-Up KAFFEE TORO. Mit der hauseigenen Entwicklung einer eigenen Kaffeemaschine möchte man Filterkaffee zu neuem Leben verhelfen. Die Maschine röstet, mahlt und brüht Kaffeebohnen in individuellen Intensitätsstufen. Jene verkauft das Unternehmen ebenfalls frisch, grün und naturbelassen an den Endkonsumenten – Bio versteht sich. KAFFEE TORO setzt dabei auch den Fokus auf Unternehmen, die auf größere Mengen Kaffee angewiesen sind und mit kleinen teuren Kapseln nur wenig anfangen können. Ein erfrischend anderes Konzept für alle Koffeinjunkies, die eine Alternative suchen und den Entstehungsprozess ihres Kaffees miterleben wollen.

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Als Ben Silbermann im März 2010 Pinterest lancierte, sein soziales Netzwerk, das häufig aussieht wie die Fotowand eines Teenagers auf Drogen, ahnte er vermutlich nicht, dass seine Website den Anstoß zu einem der aktuell größten E-Commerce Trends geben würde. Curated Sales heißen die neuen Umsatztreiber. Ihr Prinzip entspricht in etwa dem eines Editorials in einer Modezeitschrift. So werden Produkte nicht länger in Kategorien zusammengefasst, wie etwa Amazon es tut, sondern von Stylisten themenspezifisch kombiniert. Themen reichen dabei von Farben über Lebenssituationen (gerne verwendet: alles zum Thema Hochzeit), bis hin zu Persönlichkeiten (James Bond, Audrey Hepburn). Um den Betrachter zum Kauf zu animieren, wird die Präsentation häufig mit redaktionellen Inhalten angereichert, es entsteht der Eindruck man kaufe direkt aus einem Hochglanzmagazin. Auf die Spitze treiben dieses Prinzip Abonnement-basierte Angebote. Dabei bekommt der Nutzer monatlich eine zuvor zusammengestellte Auswahl an Produkten zugeschickt, was nicht gefällt geht zurück. Um Curated Sales zu bewerben, kehren viele Anbieter übrigens zur Quelle zurück. Pinterest ist das bevorzugte Werbemedium.


Kick Off

Nachhaltige Lösungen für den sicheren Einsatz von Chemikalien SAFECHEM Europe GmbH ist ein führender Anbieter von nachhaltigen und innovativen Lösungen für die Textil- und industrielle Oberflächenreinigung mit Lösemitteln. SAFECHEM ist bekannt für die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle. Eines der bedeutendsten ist COMPLEASE™ Chemical Leasing, welches bei der Verwendung von Chemikalien ein Gleichgewicht zwischen Ökologie, Ökonomie und sozialer Verantwortung ermöglicht. In 2012 wurde das Model mit dem „Golden Chemical Leasing Award“ ausgezeichnet, der vom deutschen und österreichischen Umweltministerium sowie von UNIDO verliehen wurde. Für mehr Informationen kontaktieren Sie uns: SAFECHEM Europe GmbH +49 (0)211 4389-300 service@safechem-europe.com

™ Marke von The Dow Chemical Company („Dow”) oder verbundenen Unternehmen von Dow www.safechem-europe.com

SAFECHEM Europe GmbH ist eine Tochtergesellschaft von The Dow Chemical Company

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Kick Off

Jägermeister Vom Eckkneipenlikör zum Kultgetränk in den USA. Wie ein Kräuterschnaps aus der niedersächsischen Provinz die Welt erobert. Die Geschichte eines deutschen Traditionsunternehmens.

Für Aufsehen sorgten besonders die Marketingkampagnen von Günter Mast, dem Neffen von Jägermeistererfinder Curt Mast. So war Jägermeister die erste Marke, die auf Fußballtrikots in der Bundesliga beworben wurde. Mit Werbesprüchen wie „Ich trinke Jägermeister, weil …“ wurde der Siegeszug der Marke fortgesetzt und Jägermeister die meistverkaufte Spirituose Deutschlands. Anfang der 90er hatte Jägermeister jedoch vor allem in Deutschland ein eher angestaubtes Image. Durch ausgedehnte Marketingkampagnen, initiiert von Hasso Kaempfe, ehemaliger Top-Manager von Tchibo und Nachfolger von Günter Mast, wurde die Marke radikal verjüngt. Sponsoring von Bandcon-tests, eigene Partyreihen und knapp bekleidete Damen, die mit Reagenzgläsern den Kräuterlikör eisgekühlt in Clubs an den Kunden bringen, trugen entscheidend dazu bei, dass Jägermeister sowohl die jungen Kunden gewinnen als auch die Stammkundschaft halten konnte. Heute ist Jägermeister auf Platz acht der beliebtesten Premium-Spirituosen und die verkaufsstärkste Likörmarke weltweit. /

1878 Gründung des Unternehmens von Wilhelm Mast als Essigfabrik und Weinhandlung in Wolfenbüttel. 1934 Der Sohn des Gründers, Curt Mast, entwickelt das Rezept für den Kräuterlikör Jägermeister. 1973 Eintracht Braunschweig trägt den Hirsch und JägermeisterSchriftzug auf den Trikots. Das war die Geburtsstunde der Trikotwerbung in der deutschen Bundesliga! 1973 Jägermeister startet unter Günter Mast die Werbekampagne „Ich trinke Jägermeister, weil …“. Diese läuft mehrere Jahre bis 1986, mit über 3000 verschiedenen Motiven. 1996 Das Unternehmen eröffnet ein Werk zur Abfüllung von Jägermeister im sächsischen Kamenz, das vor allem den Osten und Süden Europas sowie Deutschland beliefert. 1998 Dr. Hasso Kaempfe wird Nachfolger von Günter Mast. 2000 In knalligem Orange gekleidete Damen, sogenannte Jägerettes, besuchen Bars und spendieren Gästen eiskalten Jägermeister aus Reagenzgläsern. 2001 Rudi und Ralph, zwei animierte Hirsche, werden Markenbotschafter in den TV-Werbespots von Jägermeister, um vor allem das junge Publikum anzusprechen. 2003

2006 In Wolfenbüttel entsteht neben den bestehenden Werken ein weiterer Standort, der den US-Markt bedienen soll. 2007 Nachfolger von Kaempfe wird der derzeitige Sprecher des Vorstandes Paolo Dell ’Antonio.

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Illustration: Lukas Nita

Die neue Marketingkampagne „Achtung Wild!“ wird gestartet. Ziel ist eine weitere konsequente Verjüngung der Marke.


Deutsche Bank db.com/careers

Kick Off

Manche halten unsere Arbeit für

Ein wacher Verstand taucht tiefer ein Praktika Inhouse Consulting Erleben Sie für die Dauer von zwei bis sechs Monaten, wie sich Einsatz und Erfolg in einer internationalen Bank anfühlen. Legen Sie den Grundstein für eine erfolgreiche Bankkarriere und nutzen Sie die Chance, an innovativen Projekten und im anspruchsvollen Im Inhouse Consulting sind Sie ganz nah dabei, wenn es um die Zukunftsgestaltung der Deutschen Bank geht – und nehmen dabei

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Das Team

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Tim Felten Text tim.felten@via-ev.de VIA Studentische Unternehmensberatung e. V. Dortmund

Saruul Krause-Jentsch Text saruul.krausejentsch@cct-ev.de Company Consulting Team e.V. Berlin

Julia Bauch Fotografie julia.bauch@gmx.net http://cargocollective.com/ juliabauch

Viktoria Keiper Text viktoria.keiper@ stunt-bielefeld.de STUNT e.V. Bielefeld

Wilm Lindenblatt Grafik, Illustration wilm.l@gmx.de http://wilmlindenblatt. com

Demian Büchner Projektleitung demian.buechner@ via-ev.de VIA Studentische Unternehmensberatung e. V. Dortmund

Raphael Rettig Text, Projektunterstützung r.rettig@aixsolution.com aixsolution e.V. Aachen

Lukas Nita Illustration contact@lukasnita.com http://lukasnita.com

Frauke Engler Fotografie Frauke-Engler@web.de http://cargocollective.com/ fraukeengler

Paul Quick Text paul.quick@cct-ev.de Company Consulting Team e.V. Berlin

Denise Bossert Lektorat denise.bossert@ liebeundplan.de

Matthias Grottendiek Grafik, Illustration info@matthias grottendieck.com http://matthias grottendieck.com

Philipp Gieseler Grafik, Illustration contact@ philippgieseler.com http://philippgieseler.com

Lennart Säger Text, Redaktion lennart.saeger@cct-ev.de Company Consulting Team e.V. Berlin

Sandra Müllrick Text sandra.muellrick@ campuscontact.de Campus Contact Halle e.V. Halle

Rabea Dittmar Grafik, Illustration rabeadittmar@gmail.com http://esistfrühling.de

Sabrina Schell Text, Redaktion sabrina.schell@study.de Study & Consult e.V. Siegen

Das Team

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Contributions

Fuck off Netzwerk „Und haben Sie gut hergefunden?“ „Ja, danke. Es wurde ja eine exzellente Wegbeschreibung mitgeliefert. Es war ein bisschen knapp, ein Kunde hatte noch eine dringende Anfrage … Sie wissen schon.“ „Ach ja, es ist ja auch immer dasselbe. Und natürlich auch immer an den Tagen, an denen man mal so gar nicht kann. Aber wann hat man schon mal Zeit (lacht).“ Autor: Sabrina Schell

Der 1. Eindruck zählt.

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Contributions

Smalltalk, Networking. Immer schön lächeln. Interessiert, eloquent und natürlich vollkommen auf Augenhöhe agieren. Man weiß ja nie, wofür es gut ist. Networking-Events wohin man sieht. Sich kennenlernen, austauschen und einfach einen schönen Abend verleben. Auch interne Veranstaltungen in den großen Konzernen und Beratungen zu einem bestimmten Thema, manchmal auch nur zum Kicker-Turnier – ein einziges Schaulaufen, ein Sehen und Gesehen werden. Die Networker kommen zusammen und die, die keinen kennen, stehen unbeteiligt daneben. Sie versuchen sich, an ihrem Glas festgekrallt, locker zu geben und nicht daran zu denken, dass sie seit dem Mittagessen einen Fleck auf der Hose haben. Sie hoffen darauf, dass sie irgendwer anspricht. Fast so wie beim ersten Diskobesuch mit 15, bei dem noch nicht so ganz klar war, was es hier für Möglichkeiten gibt. Man hätte diese ja eh nicht wahrnehmen können, da die Eltern es wohl nicht so lustig gefunden hätten, den Flirt der letzten Nacht aus dem Haus schleichen zu sehen. „Du bist ein so guter Netzwerker, ich beneide dich darum.“ … kotz. Was sagt das denn bitte aus. Dass man in der Lage ist, oberflächliche Gespräche zu führen? Dass man auch ohne Glas in der Hand durch die Menschenmenge gehen kann und trotz des verlorenen Kicker-Turniers Menschen das Gespräch mit einem suchen? Und was kommt bei diesen Gesprächen raus? Ach, ich finde es ja so unheimlich spannend, was Sie machen, da kann man sich ja ein Beispiel dran nehmen. Ich mache aber auch ganz spannende Sachen. Wir sollten unbedingt in Kontakt bleiben. Schwupps: Ein Xing-Kontakt mehr. Na bravo! Fuck off Netzwerk! Diese lockeren oberflächlichen Bindungen sollen mir wirklich so viel Zeit wert sein? Worum geht es hier eigentlich? Ja okay, unser Arbeitsleben macht acht bis zwölf Stunden unseres Tages aus. Keine Frage: Das ist viel! Und deshalb muss ich mich prostituieren? Ich

soll Goffmanns Theorie von dem „Wir alle spielen Theater“ professionalisieren und die Bühne nutzen, um meine Netzwerke genauso zu weben, dass die wichtigen Informationen fließen. Die Informationen, die mir irgendwann den Deal meines Lebens bringen oder den Traumjob verschaffen. Das sogenannte Sozialkapital wurde seit dem 20. Jahrhundert von verschiedensten Soziologen geprägt und ist wohl die wissenschaftliche Rechtfertigung für Networking. Für Hanifan sind die Vorteile, die aus der Einbettung in gesellschaftliche Strukturen generiert werden, das Sozialkapital. Also immer schön anpassen, den neusten Boss-Anzug im Schrank haben und neben den perfekten Seitenscheitel eine attraktive Blondine mit Perlenohrringen stellen. Gut, Bourdieu hat das noch ein bisschen weiterentwickelt: Sozialkapital ist bei ihm die Gesamtheit der aktuellen und potentiellen Ressourcen. Diese sind mit dem Besitz eines dauerhaften Netzes von mehr oder weniger institutionalisierten Beziehungen gegenseitigen Kennens und Anerkennens verbunden. Wie soll ich jetzt jemanden, den ich noch nie gesehen habe und der auch noch einen Fleck auf der Hose hat und schief grinsend in der Gegend rumsteht, anerkennen? Ach ja, es fehlt dann ja auch die Institutionalisierung und die entsteht auch erst dann, wenn ich mit dem Guten mehrfach gesprochen habe. Wir müssen beide zu einer Gruppe gehören, und dass wir beide auf dem gleichen Event rumstehen, ich das aber ohne schiefes Grinsen schaffe, macht uns wohl noch zu keiner Gruppe. Individuelle oder kollektive Investitionsstrategien, die früher oder später zu einem Nutzen führen, die muss ich nun also an den Tag legen und vielleicht doch mit ihm sprechen. Und dann könnte ich ein Problem bekommen. Denn nach Granovetter wird zwischen strong und weak ties unterschieden – also zwischen starken und schwachen Kontakten. Die Stärke

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Contributions

einer Beziehung wird bei ihm an den Faktoren Zeit, emotionale Intensität, Vertrautheit und Gegenseitigkeit gemessen. Wenn ich den Kerl mit dem Fleck auf der Hose anspreche und wir in ein erstes Gespräch kommen, ist das eine schwache Beziehung, also ein weak tie. Burt stellt die These auf, dass strong ties, also die richtig engen Kontakte, wertlos sind. Warum? Na, weil ich die Informationen, die dieser Kontakt hat, wahrscheinlich schon habe. Nun gut! Und was mache ich, wenn ich diesen Menschen, der da in der Ecke steht mit seinem Fleck auf der Hose, plötzlich nett finde? Er hat nämlich heute Mittag das gleiche Mittagessen gegessen wie ich. Da es vollkommen versalzen war, würde er genauso wie ich gerne zwei Bier mehr trinken, aber das geht ja nicht, weil wir noch netzwerken müssen. Er ist nett. Vielleicht sehr nett. Und wir haben Gemeinsamkeiten. Wir sind uns ähnlich. Und wir werden Freunde. Hilfe! Dann springt nämlich auch noch die gute alte Freundschaftssemantik dazwischen. Schon Aristoteles unterschied zwischen der Tugendfreundschaft, der Lustfreundschaft und der Zweckfreundschaft. Ihm war klar, dass nur die Tugendfreundschaft die wahre Freundschaft darstellt. Diese wiederum kann man aber auch nur mit einem Menschen haben. Dem haben sich auch große Dichter und Denker der folgenden Jahrhunderte, und von denen gab es nach Aristoteles ja einige, angeschlossen. Zum Beispiel Plutarch. Er hat sich die Mühe gemacht einen Text zu verfassen mit dem Titel: „Wie man den Schmeichler vom Freund unterscheidet.“ Ein kleiner aber feiner Überblick wie man auch mit praktischen Tipps und Tricks enttarnt; wer wirklich mein Freund und wer nur ein Netzwerkkontakt mit ökonomischen Absichten ist. Montaigne hat in einem Essay seinen Freund verteidigt und Loblieder auf ihn gesungen. Derrida und seine „Politik der Freundschaft“ hat zwar keiner verstanden, aber immerhin haben wir noch jemanden aufgetan, der seine Zeit mit diesem Phänomen verbracht hat. Und die großen Philosophen waren sich einig. Es geht um die Exklusivität von Freundschaft. Man kann nur einen oder sehr wenige Freunde haben. Vor allem Plutarch führt das zutreffend aus, wenn er die Frage aufwirft, was wir täten, wenn alle unsere wahren Freunde gleichzeitig unsere Aufmerksamkeit bräuchten. Der eine weil er trauert, der andere weil er sich freut. Dann müssen wir uns entscheiden. Und wir brauchen Freunde im Glück manchmal mehr als in der Trauer, damit sie uns auf dem Boden halten.

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Wenn man sich die Netzwerkveranstaltungen anschaut, dann ist da nicht viel mit Boden. Sehen und gesehen werden ist ja nicht alles. Sprechen und gehört werden lautet die Devise. Das Projekt hier, der Kontakt da. Höher, schneller, weiter. Bewunderung von allen Seiten. Und natürlich bewundert man auch den neuen Kontakt, der gerade ein Projekt in Übersee macht. Man weiß ja nie ob man nicht auch mal dorthin möchte, auch wenn grade der Mittelstand in OstwestfalenLippe den eigentlichen Hauptkundenstamm darstellt. Die Nasen in der Luft, aber bitte so unauffällig und pseudo-bescheiden, dass man gerne auch noch Unterstützung oder Engagements auf „Augenhöhe“ in Anspruch nimmt. Plutarch und Aristoteles haben sich – Gott sei Dank – Lösungen ausgedacht, wie man in diesem oberflächlichen Dschungel der persönlichen Kontakte diesen einen wahren Freund finden kann. Wahre Freundschaft kann es nur zwischen wesensgleichen Menschen geben. Zudem braucht wahre Freundschaft umso länger zum Entstehen, aber dafür ist sie auch beständiger. Freundschaft ein Leben lang. Ah, die Netzwerktheorie meldet sich schnellstmöglich zu Wort: Nach Burt wäre das eine Katastrophe. Lückenhafte Strukturen in sozialen Netzwerken (Achtung: Wir sprechen hier nicht über facebook!) sind die Chance eines jeden Individuums. Die Konfiguration des Netzwerks als Ganzes ist entscheidend. Netzwerklücken zum Beispiel entstehen durch das Nicht-Vorhandensein von Beziehungen. Menschen, die es schaffen als einziger einen Zugang zu einem anderen Netzwerk zu erhalten und damit Informationen zu generieren, um sich so einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen, das sind die Gewinner. Wenn ich also einer von dieser Sorte bin – oftmals trifft dies nach Burt auf Entrepreneure zu – dann habe ich brückenbildendes Sozialkapital. Das sollte man auf der nächsten Firmenfeier aufgreifen: Sprechen Sie ruhig mit mir, ich habe brückenbildendes Sozialkapital. Und so geht sie weiter – die wissenschaftliche Rechtfertigung und Diskussion des Netzworkings. Passen Sie sich an, nutzen Sie Netzwerklöcher, lächeln und winken Sie. Und lassen Sie bloß die Finger von Freunden. Will uns das die Networking-Theorie, die natürlich auch Begründungen findet, warum strong ties ja doch irgendwie auch ganz nett sind, nicht sagen. Warum soll ich mir denn die Mühe machen und prüfen und schauen ob dieser Mensch, dem ich da


Contributions

Reden ist Silber. Schweigen ist Gold.

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Contributions

Kleider machen Leute.

gerade begegnet bin, wirklich Ähnlichkeiten mit mir hat, meine Werte versteht und teilt und vielleicht auch noch den gleichen Musikgeschmack aufweisen. Oder warum soll ich denn meinen Freund, den ich seit Schulzeiten kenne, noch regelmäßig anrufen, um mich zu erkundigen, was so geht. Den kenne ich doch eh schon in- und auswendig, und was gibt es denn da schon Neues zu erfahren. Diese Zeit kann ich doch viel besser nutzen. Jeden Tag zwei kleine aber feine Xing-Nachrichten an ausgewählte Netzwerkkontakte schreiben. Kurz erkundigen wie es denn so läuft und für ein ach so wichtiges Problem ein kurzes Telefonat anpeilen. Ob es nun stattfindet oder nicht, das ist im stressigen Projektalltag doch unerheblich. Das kennen Sie doch, oder? Und diese Netzwerkveranstaltungen machen doch Spaß. Wo bekommt man denn sonst so häufig gesagt, wie beeindruckend das doch alles ist, was man so macht? Und wo kann man sich so herrlich über steife Menschen in Ecken mit Fleck auf der Hose amüsieren? Oder über diese Typen an der Bar, denen man auf 200 Meter Entfernung ansieht, dass das einzige Thema, um das es sich wirklich dreht, die Frage ist, wer den Größeren hat.

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Und bei Freunden? Es ist doch nur einer, vielleicht sind es auch zwei. Diese wahren Freunde. Diese Menschen, die ans Ende der Welt fahren, um dich abzuholen. Diese Menschen, die dir nach einer durchzechten Nacht die Haare aus dem Gesicht halten. Diese Menschen, die ich nach diesem tausendsten nervigen Netzwerkevent anrufen werde, mit denen ich über den Typ da mit dem Fleck auf der Hose lästere und die dann ganz genau wissen was ich meine, wenn ich vom perfekten Seitenscheitel mit der Blondine nebendran erzähle. Dieser Mensch, der weiß wie ich in einem Workshop gestolpert bin und vor der versammelten Mannschaft auf dem Boden lag. Und der Mensch, der weiß, dass ich nun mal spießig und langweilig bin, auf Parties aber immer ganz witzig rüber komme, weil es mir einfach vollkommen egal ist, ob ich mit jedem im Raum gesprochen habe oder nicht. Und der Mensch, der wenn er auf dem gleichen Netzwerkevent ist wie ich, mit mir an der Bar steht und zu mir und meinem Cosmopolitan sagt: „Guck mal, die glauben alle ernsthaft, nur weil Sie heute zusammen feiern und sich zum zweiten Mal in ihrem Leben sehen, Sie wären Freunde. Fuck off Netzwerk! Wollen wir verschwinden?“ /


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Impressum / Imprint

Herausgeber Bundesverband Deutscher Studentischer Unternehmensberatungen e.V. (BDSU)

Hausanschrift Bundesverband Deutscher Studentischer Unternehmensberatungen e.V. (BDSU) Zitelmannstrasse 22 53113 Bonn Kontakt Redaktion: redaktion@metamorphosis.de Abo-Service: bestellungen@metamorphosis.de Anzeigenberatung: anzeigen@metamorphosis.de

Das Magazin erscheint halbjährlich (Sommer/Winter). Die Publikation und alle in ihr enthaltenen einzelnen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jeder Verwendung außerhalb der Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Bundesverbands Deutscher Studentischer Unternehmensberatungen e.V. (BDSU) und des Autors unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in elektronischen Systemen. Nachdruckgenehmigungen kann der Bundesverband Deutscher Studentischer Unternehmensberatungen e.V. (BDSU) erteilen.

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Redaktion Sabrina Schell (Redaktionsleitung, Warum Familienunternehmen sexy sind, Fuck off Netzwerk, Was macht eigentlich ein Senior Consultant Creativity, Buchrezensionen)

Druck Oktoberdruck AG Rudolfstraße 1–8 (Oberbaumcity), 10245 Berlin

Lennart Säger (Redaktionsleitung, Kick off, Der Kunde wird Premiumkönig, Visitenkarten) Paul Quick (Redaktionsleitung, Kick off, Die Macht der Ideen, Tales of the Underground, Das ist doch alles gar nicht meins, Interview Courageous Concepts, Ein Streitgespräch) Raphael Rettig (Kick off) Viktoria Keiper (Ethischer Konsum im Zeichen der Karotte) Sandra Müllrick (Gazellenunternehmen, Ein Streitgespräch) Saruul Krause-Jentsch (Thank me for Smoking?) Tim Felten (Ökonomie der Liebe)

Das Papier für diese Publikation wurde aus verantwortlich bewirtschafteten Wäldern gewonnen. Die Druckerei Oktoberdruck ist zertifiziertes Mitglied des Gemeinschaftsystems für freiwilliges Umweltmanagement EMAS. Projektleitung Demian Büchner Akquise Thomas Jurk, Matthieu Dorner, Jonas Komoß, Jan Scherpinski Distribution Thomas Schnur, Thomas Eger, Johannes Wohlleb, Kilian Schmitz, Isabel Schorm, Uwe Siegwart, Marwin Hubach, Tobias Richard Weimer Lektorat Denise Bossert Grafik / Layout Philipp Gieseler, Matthias Grottendiek, Rabea Lepping Illustration Wilm Lindenblatt, Lukas Nita Fotografie Frauke Engler, Julia Bauch


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