Holzbulletin 107/2013

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Holzbulletin 107/2013 Mehrfamilienhäuser Residenza Villa Lugano Mehrfamilienhaus Müsli, Elm Mietshäuser ‹Le Clos des Forches›, Martigny Mehrgenerationenhaus Giesserei, Winterthur Wohnüberbauung Gutenberg 4, Rapperswil-Jona Mehrfamilienhaus Kirchrainweg, Kriens

Zwei sechsgeschossige Längsbauten und zwei niedrige Querbauten formen das Mehrgenerationenhaus Giesserei der Gesewo in Oberwinterthur. Architektur: Galli Rudolf Architekten AG ETH BSA, Zürich


Konstruktive Deklination einer Bauaufgabe – mit spannenden Erkenntnissen

In diesem Holzbulletin dokumentieren wir sechs Mehrfamilienhäuser aus verschiedenen Schweizer Regionen. Standortabhängig weisen sie eine hohe Individualität an Volumengrösse und -form sowie im Fassadenbild auf. Hinter diesen unmittelbar ins Auge fallenden Unterschieden versteckt sich aber auch ein für den Holzbau typischer Aspekt, nämlich dessen konstruktive Vielfalt. Praktisch jedes der vorgestellten Objekte ist anders konstruiert. Da taucht die Skelettbauweise in Stahl (Lugano), Beton (Elm) und Holz (Winterthur) auf, immer mit nichttragenden Holzrahmenbauelementen umhüllt. Neben der fast schon klassisch anmutenden Holzrahmenbauweise (Rapperswil) bilden wir mit den beiden in Holzplattenbauweise erstellten Objekten, einmal mit Brettsperrholz (Martigny) und einmal mit Blockholz (Kriens), die konstruktive Palette des modernen Holzbaus schon fast komplett ab. Entsprechend zu den lastabtragenden Bauteilen sind die Decken und Dächer aufgebaut: So finden sich Stahlbeton-Verbunddecken zum Skelett in Stahl in Lugano, Stahlbetondecken in Elm, Decken aus Brettsperrholz in Martigny, solche aus liegendem Brettschichtholz im Holz-Beton-Verbund in Rapperswil, Decken aus Brettstapeln in Winterthur sowie Decken und Dächer aus Kasten- und Rippenelementen in Kriens und Winterthur. Die bauliche Vielfalt verweist darauf, dass für das Bauen mit Holz eine breite Palette an Instrumenten bereitsteht, mit der die Konstrukteure objektbezogen die jeweils optimale Lösung bieten können, unter Beherrschung der spezifischen Eigenschaften jeder Bauweise und jedes Elementes. So stimmen sie Anforderungen aus dem Brandschutz, Schallschutz und Wärmeschutz mit den Lasteinwirkungen auf das Tragwerk ab und bringen dies mit den ästhetischen Ansprüchen aus der Architektur und Objektvermarktung in Einklang. Zu guter Letzt optimieren sie die Konstruktion auf effiziente Bauabläufe und die technischen Möglichkeiten der ausführenden Betriebe, immer mit dem Ziel, die beste Lösung zu vernünftigen Preisen zu erzielen. So offensichtlich sich die dokumentierten Objekte also in Nutzung und im Baustoff gleichen, so unterschiedlich sind sie im Kern. Dabei stechen einige Komplementaritäten bei den Baustoffen hervor. Holz–Holz: Beim Objekt in Winterthur zeigt sich aufgrund seiner Grösse und somit der Bauteilflächen, dass ein Bauprojekt nicht zwingend aus einem einzigen Bausystem realisiert werden muss, um effizient zu sein. Nein, hier ergänzen sich verschiedene Aufbauten in Holz, je nach spezifischer Lage und entsprechenden Anforderungen, um über die Menge des Bauvolumens auch eine kostenoptimierte Lösung zu erhalten. Mit der wachsenden Grösse von Bauprojekten könnte das ein zunehmend wichtiger Aspekt in der Konstruktion werden, insofern sich so auch unterschiedliche Bausysteme mit grundsätzlich identischen Eigenschaften (Temperaturausdehnung, Planungsgenauigkeit, Vorfertigungsgrad, Nachhaltigkeitsbeurteilungen) kombinieren lassen. Holz–Beton: Bei praktisch allen mehrgeschossigen Holzbauten kommt heute eine Kombination aus Bauteilen in Holz und in Beton vor. Die minimalste Betonvariante ist die mit dem betonierten Treppenhauskern. Hinzu kommen oft Holz-Beton-Verbunddecken oder dann die Skelette in Stahlbeton, umhüllt mit Holzrahmenelementen in den Fassaden. Diese Materialkombination wird seit längerer Zeit angewandt, vielleicht auch noch aus einer Unsicherheit heraus gegenüber dem Holzbau im mehrgeschossigen Bereich. Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass die Baustoffe Holz und Beton aufgrund der oben erwähnten Eigenschaften eigentlich nicht optimal zusammenpassen und dass beispielsweise

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in der Planung grössere Masstoleranzen aus dem Massivbau im Holzbau zu berücksichtigen sind. Holz–Stahl: Sehr viel besser als mit Beton lässt sich Holz mit Stahl kombinieren. Bisher konnten wir noch wenige Objekte mit einer ausdrücklichen Mischstruktur in Stahl und Holz vorstellen. Ein Grund dürfte darin liegen, dass seit dem Beginn der Industrialisierung beide Baustoffe primär als lineare Bauteile eingesetzt werden – sie brauchen also Komplementärbaustoffe, die sie zu flächigen Bauteilen werden lassen. Die Entwicklung bei den Bauprodukten in Holz und der Elementvorfertigung im Holzbau geht aber genau dorthin, dass sich der Holzbau als eigentlicher Komplementärbaustoff zum Stahl anbieten würde. Insbesondere in den Bereichen der Planungsgenauigkeit, des Vorfertigungsgrades und der Montageab­ läufe bringen beide Baustoffe fast identische Voraussetzungen mit. Bei Hybriden aus Stahl und Holz bliebe schliesslich die Frage der Nachhaltigkeitsbeurteilung. Meine Überzeugung ist, dass mit optimierten Hybridbauteilen und einer etwas sachlicheren Beurteilung echte Vorteile gegenüber massiven Bauteilen erzielt werden können. Denn vielerorts, wo die Dimensionen der Holzträger das vertretbare Mass überschreiten, weichen die Konstrukteure schon seit Jahren auf den Stahlbau aus – ohne damit nach eigenem Gefühl die Domäne des Holzbaus zu verlassen. Der hier vorgestellte Bau in Lugano geht diesbezüglich explizit einen Schritt weiter – vielleicht den ersten Schritt zu einem neuen Verständnis von mehrgeschossigen Holzbauten.

Roland Brunner Technische Kommunikation Lignum


Residenza Villa Lugano Lugano zeigt sich als grösste Stadt der Ferienregion Tessin weltläufig und bietet zugleich das Cachet einer Kleinstadt mit mediterranem Flair. So ist Lugano nicht nur Kongressstadt und regionales Wirtschafts- und Finanzzentrum, sondern eben auch eine Stadt der Parks und Blumen, der Villen und Sakralbauten. Diesem Standort werden die Eigentumswohnungen mit gehobenem Standard in der Residenza Villa Lugano gerecht. Der Neubau liegt in unmittelbarer Nähe des Stadtzentrums von Lugano, leicht zurückversetzt von den stark befahrenen Strassen und somit vor Lärm geschützt. Die Lage bietet optimale Infrastruktur mit guter Erschliessung durch den öffentlichen Verkehr sowie unzählige nahegelegene Einkaufsmöglichkeiten und Freizeitangebote. Das siebengeschossige Gebäude mit einer Tiefe von 11,4 m orientiert sich in seiner Länge von Südwesten nach Nordosten. Das Volumen mit dem Durchgang in den ersten fünf Geschossen und den Verbindungsstegen darin gibt dem Gebäude Charakter und ein Stück Intimität. Die Fensterbandfassade mit ihrer gestreiften Erscheinung erzeugt Eleganz und unterstützt die Ausdruckskraft des Volumens; die abgerundeten und in der Höhe versetzt angeordneten Balkone brechen die Härte wieder auf. In den Obergeschossen sind insgesamt 16 Wohnungen mit 60–170 m2 Wohnfläche, zwei Attikawohnungen mit privater Dachterrasse und eine Duplexwohnung angeordnet. Das Erdgeschoss wird mit Büros genutzt, und in den zwei Untergeschossen sind Einstellhalle, Keller- und Technikräume vorhanden. Das Tragwerk ist komplett in Stahl ausgeführt. Diese Leichtbauweise wurde dem konventionellen

Massivbau vorgezogen, um eine Pfählung der Fundamente aufgrund des schwierigen Baugrundes zu vermeiden. Das Stahltragwerk besteht aus Stützen RRW 180 x 6,3 und Unterzügen IPE 360, ergänzt um vorgefertigte Stahlbeton-Verbunddecken, aufbauend auf Wabenträgern. Die Decken spannen über die gesamte Gebäudebreite von 11,4 m frei, womit keine tragenden Innenwände erforderlich sind und die Wohnungen frei gestaltet werden können. Die Installationen werden über den in Ortbeton errichteten Liftund Treppenturm oder in separaten Installationsschächten geführt. Aufgrund der Anzahl Geschosse muss das Tragwerk der Anforderung R 60 (nicht brennbar) genügen. Die Stahlkonstruktion ist nicht brennbar, hat im Brandfall aber ein Temperaturproblem, weshalb eine Bekleidung EI 60 oder ein Brandschutzanstrich EI 60 erforderlich ist. Die im Projekt vorgesehenen Kassetten in Sandwichbauweise hätten deswegen einer zusätzlichen Bekleidung bedurft. In der Weiterentwicklung des Projektes überzeugten Fassadenelemente in Holzrahmenbauweise, da sich darin das Stahltragwerk integrieren liess. Damit konnte der geforderte Feuerwiderstand, gleichzeitig aber auch der gewünschte Wärmedämmwert erreicht werden – eine effiziente Konstruktion, die neben Planern und Bauherrschaft auch den Stahlbauer überzeugte. Die hinterlüftete Fassade mit Paneelen für die Brüstungsbänder aus Acrylpolymer, versetzt mit natürlichen Mineralien, sowie mit AluminiumVerbundplatten für die Fensterbänder wurde beibehalten. Da jedoch die kunststoffbasierte Bekleidung als brennbares Material eingestuft ist, waren ähnlich einer Bekleidung aus Holz Brandschutzmassnahmen vorzusehen: eine nicht-

brennbare Schicht von mindestens 10 mm Stärke hinter der Hinterlüftungsebene, Einhalten der Anforderung EI 30 für den nichttragenden Wandaufbau sowie Schürzen aus nichtbrennbarem Material zur geschossweisen Unterbrechung der Hinterlüftungsebene. Bei Vergabe des Holzbauauftrages war die Planung des Stahlbaus bereits abgeschlossen. Planung, Produktion und Montage von Stahl- und Holzbau erfolgen jedoch mit denselben Methoden, weshalb die Planungssicherheit sehr hoch und die Toleranzen sehr klein ausfielen. Beispielsweise konnten sämtliche Schraubenköpfe aus dem 3D-CAD des Stahlbaus übernommen und in den Holzbauteilen schon im Werk ausgespart werden. Ungewöhnlich für den Holzelementbau war die Übernahme des bestehenden Stahlstützenrasters, was zu relativ kleinen Formaten der insgesamt 175 Elemente für die 2200 m2 Fassadenfläche führte. Die Anlieferung der Fassadenelemente auf die Baustelle erfolgte schliesslich nach einem mit dem Stahlbauer abgestimmten Fahrplan. Die geschossweise Montage der Holzelemente geschah gleichzeitig mit dem Hochziehen des Stahlbaus – beispielsweise wurden die Holzelemente montiert und darüber der Unterzug in Stahl eingebaut. Alles in allem also ein effizienter Hybrid, von der bauphysikalischen Symbiose über die durchgängigen Planungsschnittstellen mit äquivalenten Genauigkeitsvorstellungen bis hin zur abgestimmten und gemeinsamen Montage.

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Ort Via Vanoni 4, 6900 Lugano Bauherrschaft Reosa Real Estate Opportunities SA, Lugano Architektur SGB & Associati Sagl, Giubiasco Bauingenieur Wetter AG, Stetten (Stahl), Studio d’Ingegneria R. Prati, Lugano (Beton) Bauphysik Studio d’Ingegneria Visani Rusconi Tallerie SA, Taverne Brandschutz Studio d’Ingegneria Visani Rusconi Tallerie SA, Taverne (Konzept), Laube SA, Biasca; Fachingenieur: Martin Hügli Holzbau Laube SA, Biasca Materialien Schichtverleimtes Vollholz 125 m3; Platten: OSB 18 mm 1640 m2, Gipsfaserplatten 12,5 mm 2800 m2 Baukosten CHF 16,5 Mio. Grundstücksfläche 1500 m2 Geschossfläche 275–480 m2 Gebäudevolumen 8300 m3 und 12 800 m3 unterirdisch Bauzeit 2010–2012 Fotograf Franco Mattei, Claro

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Längsschnitt

Erdgeschoss

1. Obergeschoss

6. Obergeschoss

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Tragwerksaxonometrie

Detail Deckenauflager an Aussenwand: Aus gestalterischen und konstruktiven Gründen sind die Unterzüge, Stützen und Windverbände aus Stahl von den Holzelementen umhüllt, was den notwendigen Feuerwiderstand von 60 Minuten zusammen mit der geforderten Wärmedämmung gewährleistet. Aufbau Aussenwand von innen: Gipskartonplatte 2 x 15 mm Lattung 40 mm/Dämmung Dampfbremse Ständer 240 mm/Dämmung OSB 18 mm Windpapier Unterkonstruktion in Aluminium 80 mm, zweilagig Fassadenbekleidungsplatte 12 mm Fassadenschnitt

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Mehrfamilienhaus Müsli, Elm Elm im Glarner Hinterland ist ein kleines Bergdorf und seit einiger Zeit konfrontiert mit einer relativ hohen Abwanderung. Zudem sind Mietwohnungen Mangelware, attraktiver Wohnraum fehlt fast komplett. Das Mehrfamilienhaus Müsli gibt beherzt Gegensteuer. An einer Gemeindeversammlung im Herbst 2008 traten junge Elmer an die Gemeindebehörde heran, um gegen den Wohnungsmangel etwas zu unternehmen. In enger Zusammenarbeit zwischen dem Elmer Gemeinderat, interessierten Mietern und einem lokal verankerten Immobilieninvestor wurde daraufhin ein Projekt für zwölf Wohnungen ausgearbeitet. Das dreigeschossige Wohnhaus entstand ab Anfang 2010 am nördlichen Dorfeingang von Elm auf einer Bauparzelle zwischen Hauptstrasse und dem Sernf. Es umfasst die vorgegebenen zwölf Wohnungen, je sechs 4½-ZimmerWohnungen und 3½-Zimmer-Wohnungen, wovon ein Teil alters- und behindertengerecht ist. Pro Wohnung ist ein Autoabstellplatz in der Tiefgarage im Untergeschoss vorhanden. Die im Glarnerland reichlich vorhandene Ressource Holz wird für das Mehrfamilienhaus Müsli gleich mehrfach genutzt: zum einen als Baustoff für das Tragwerk, die Fassaden­ bekleidung und den Innenausbau, zum anderen als Energieträger zur Wärmeerzeugung mittels Holzpellets-Heizung.

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Das Untergeschoss, das Treppenhaus und die Geschossdecken sind in Beton ausgeführt. Die Innenwände im Erd- und im Obergeschoss sowie die Wohnungstrennwände sind gemauert. Das Dach baut auf sichtbar belassenen Kastenelementen in Holz auf, worüber eine Faserzementeindeckung eingebaut ist. Die Aussenwände bestehen aus vorfabrizierten Holzrahmenbauelementen. Zentrales Element jeder Wohnung ist ein durchgehender, überhoher Wohnraum mit einem grossen Balkon an der Südfassade. Die geschossweise Versetzung des überhohen Wohnraumes führt zu einer verzahnten Schnittfigur, die im Dachgeschoss übersteigert als Sheddach zum Ausdruck kommt. Formal orientiert sich der Neubau an ähnlich grossen Fabrikgebäuden im Glarner Hinterland. Einen Beitrag zur massstäblichen Einbindung in die dörfliche Umgebung leistet auch die Fassade, bestehend aus stehender und liegender Schalung in Douglasie, wobei sie aber primär auf das innere räumliche Abbild verweist. Die grossen und aussen angeschlagenen Panoramafenster sind mit einem Verschleissrahmen in Douglasie geschützt und im Innern mit einem Sitzfutter in Fichte ausgekleidet. Holz und Holzwerkstoffe sind neben dem Einsatz an der Fassade auch in verschiedenen weiteren Bauteilen verwendet worden: Türen, Böden oder Garderobenschränke bestehen alle aus Holz.

Situation


Ort Müsli 17, 8767 Elm Bauherrschaft Marti AG Immobilien & Projektentwicklung, Matt Architektur Marti AG Architekten, Matt Bauingenieur TBF – Marti AG, Schwanden Holzbauingenieur Marti AG Holzbau, Matt Holzbau Marti AG Holzbau, Matt Materialien Rahmenbaukanteln und Brettschichtholz 142 m3; Dreischichtplatten und OSB 3530 m2; Fassadenbekleidung: Schalung in Douglasie 20 mm 630 m2 Baukosten BKP 1–5 CHF 3,42 Mio. Baukosten BKP 2 CHF 3,26 Mio. davon BKP 214 CHF 628 000.– Grundstücksfläche SIA 416 1480 m2 Geschossfläche SIA 416 1353 m2 (Obergeschosse), 475 m2 (UG) Gebäudevolumen SIA 416 6100 m3 Kubikmeterpreis SIA 416 (BKP 2) CHF 534.– Bauzeit Mai 2010 – Mai 2011 Fotograf Rasmus Norlander, Zürich/Stockholm

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Längsschnitt

Erdgeschoss

Obergeschoss

Dachgeschoss

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Dachaufbau von aussen: Eindeckung Lattung 60 mm Konterlattung 60 mm Unterdachfolie Kastenelement: Dreischichtplatte 27 mm Rippen 180 mm/Dämmung Dreischichtplatte 27 mm, sichtbar Aufbau Aussenwand von innen: Dreischichtplatte 15 mm (DG) oder OSB 15 mm, deckend gestrichen (EG, OG) Ständer 180 mm/Dämmung Holzfaserdämmplatte 52 mm Lattung 27 mm Schalung in Douglasie 20 mm

Fassadenschnitt

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Mietshäuser ‹Le Clos des Forches›, Martigny Die beiden neuen Mietshäuser befinden sich auf einem dreieckigen Grundstück ganz in der Nähe des Naturschutzgebiets Follatères, oberhalb des Rhoneknies bei Martigny, und sind nach Südosten zur aufgehenden Sonne hin ausgerichtet. In einer gebrochenen Linie angeordnet, beherbergen die zwei im Minergiestandard erstellten Mehrfamilienhäuser ins­ gesamt 80 Wohnungen von jeweils 2½ bis 4½ Zimmern. Das neu geschaffene, rasch wachsende Quartier in Martigny profitiert von der Nähe zu einem Einkaufscenter, das den Bewohnerinnen und Bewohnern zahlreiche Annehmlichkeiten bietet. Auch das Stadtzentrum von Martigny ist sehr nahe und dank einer Fussgängerüberführung aus Massivholz, welche etwas weiter südlich die Dranse überquert, schnell erreichbar. Die beiden neuen Liegenschaften stellen die erste Etappe der Überbauung eines grösseren Gebietes dar. In einer zweiten Etappe sind nochmals Bauten etwa des gleichen Ausmasses wie der ersten Etappe vorgesehen. Dank der Gebäude wird es möglich sein, eine breite Palette von Mietwohnungen anzubieten – in einem städtischen Umfeld, welches sich nichtsdestotrotz weit zur Natur und zu den bewaldeten Abhängen der umliegenden Berge hin öffnet. Die unterschiedlichen Grössen der angebotenen Wohnungen begünstigen eine gute soziale Durchmischung der zukünftigen Bewohnerschaft. Die beiden Neubauten von ‹Clos des Forches› gruppieren sich um einen breiten, mit Bäumen bepflanzten Platz, der zum Innehalten einlädt und auch einen Kinderspielplatz umfasst. Da die Abendsonne früh hinter den Gipfeln der Dents

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du Midi verschwindet, wurden die Häuserfronten gegen Südosten hin ausgerichtet, so dass sich auch im Winter die Morgensonne nutzen lässt. Die tiefen Balkone verhindern eine sommerliche Überhitzung der Wohnungen. Mobile, in die Fassade integrierte Sonnenstoren sorgen sowohl für den nötigen Schatten als auch für die gewünschte Intimität in den einzelnen Wohnungen. Die Schlafzimmer liegen auf der Nordseite, wo die Fassaden lediglich von Fenstern durchbrochen sind. Dadurch erreicht die Wärmedämmung der pistazienfarben verputzten Gebäudehülle eine maximale Effizienz. Die einzelnen Wohnungen sind funktionell, von hoher Qualität und rund um die etwas von der Fassade zurückversetzten Aussenkorridore angeordnet. Lediglich das Erdgeschoss mit Eingängen und Korridoren, Technik- und Stauräumen sowie die Stabilisierungselemente zugunsten der Erdbebensicherheit sind in Beton erstellt. Die vier oberen Geschosse mit den Wohnungen entstanden dagegen in Holzbauweise. Die Wände und die Fussböden bestehen aus fünfschichtigen Brettsperrholzplatten, welche den streng ökologischen Charakter des Baus unterstreichen. Allerdings verschwindet das Holz hinter den Gipsfaserplatten, welche aus Brandschutzgründen angebracht werden mussten. Die Anzahl und die Dicke der Beplankungen richteten sich nach den Anforderungen des Brandschutzes. Nur im Bereich der Balkone bleibt das Holz sichtbar und verleiht diesen ein angenehmes Gefühl von Wärme. Dadurch lässt sich im Sommer der Wohnraum auf die Balkone ausdehnen. Dank des rationellen Grundrisses und der Vor­ fabrikation der Holzelemente in der Werkstatt konnten die beiden Gebäude in Rekordzeit errichtet werden. Dank der Wahl des Baustoffs

Holz mit seinem geringen Gewicht liessen sich zudem auch die in der Rhoneebene erhöhten Anforderungen an die Erdbebensicherheit erfüllen, und die Stabilisierungselemente aus Beton konnten kleiner dimensioniert werden. Der hohe Grundwasserspiegel verhinderte auf der einen Seite den Bau von Untergeschossen. Andererseits bildet er auch die Quelle für die Energie­versorgung der Gebäude, welche mittels Wärmepumpen und eines Brunnens von 30 m Tiefe erfolgt. Diese ökologische Energieversorgung entspricht perfekt dem gewählten Minergiestandard der Bauten.

Situation


Ort Rue des Follatères 56–64, 1920 Martigny Bauherrschaft Econ Home SA, Wollerau Architektur Tau Architectes – Gilbert Favre, M. Arch. FSAI/SIA, Sitten; Mitarbeiterin: Sandrine Jaunin Bauingenieure BPA Ingénieurs civils, Sitten Bauphysik BS_Bruno Schroeter, Saxon Geologische Untersuchung BEG – Bureau d’études géologiques SA, Aproz Brandschutz Cedotec, Le Mont-sur-Lausanne; Fachingenieur: Daniel Ingold Holzbauingenieur Indermühle Bauingenieure HTL SIA, Thun Holzbau Zimmerei Kühni AG, Ramsei Materialien Brettsperrholzplatten in Fichte 1800 m3 Baukosten BKP 2 CHF 16,1 Mio. davon BKP 214 CHF 2,3 Mio. Grundstücksfläche SIA 416 9464 m2 Geschossfläche SIA 416 7720 m2 Gebäudevolumen SIA 416 29 500 m3 Kubikmeterpreis SIA 416 (BKP 2) CHF 545.– Bauzeit September 2010 – März 2012 Fotografin Corinne Cuendet, Clarens

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20 m

Querschnitte

Grundriss

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40 m


Dachaufbau von aussen: Kies 50 mm Trennlage Dichtungsbahn Dämmung 300 mm Dampfsperre Beschwerung 30–60 mm Brettsperrholz 110 mm Aufbau Aussenwand von innen: Gipskartonplatte 15 mm Brettsperrholz 90 mm Verputzbare Aussendämmung 220 mm Aussenputz 5 mm, eingefärbt Deckenaufbau von oben: Zementunterlagsboden 70 mm, gefärbt Trennlage Trittschalldämmplatte 30 mm Beschwerung 100 mm Brettsperrholz 110 mm Gipskartonplatte 15 mm

Fassadenschnitt

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Mehrgenerationenhaus Giesserei, Winterthur Auf dem ehemaligen Sulzer-Areal in Oberwinterthur hat die Genossenschaft für selbstverwaltetes Wohnen Gesewo zusammen mit dem Verein Mehrgenerationenhaus im Jahre 2011 das Baufeld neben dem Eulachpark erworben. Darauf ist ein Mehrgenerationenhaus nach Minergie-P-Eco entstanden. Die Siedlung Giesserei verwaltet sich nach dem Prinzip der Gesewo selbst. Der dazu gegründete Hausverein übernimmt diese Aufgabe. Der Vorstand des Hausvereins beschäftigt sich mit allgemeinen Fragen der Organisation und des Zusammenlebens; verschiedene Arbeitsgruppen sind verantwortlich für den Aufbau der Strukturen und der Organisation. Mit den Arbeitsgruppen wird unter anderem auch gezielt an der angestrebten Durchmischung der Mieterschaft gearbeitet, die als strategische Ausrichtung massgeblich das Nutzungskonzept des Neubaus mitgeprägt hat. Städtebaulich setzt ein Masterplan – das ‹Hybrid Cluster›-Modell – die Rahmenbedingungen für die Neubebauung, womit Massstab und Fussabdruck des industriellen Areals übernommen wurden. Zwei in Richtung Ost-West orientierte sechsgeschossige Längsbauten umfassen zusammen mit zwei niedrigen Querbauten einen grossen Hof, der zu einem kollektiv genutzten Identifikationsraum wird. Im Erdgeschoss befinden sich hofseitig ein Gemeinschaftsraum, ein Restaurant, Wohnungen, Gewerberäume und ein Tageszentrum für Menschen mit Hirnverletzung. Der feingliedrig gestaltete Hofraum besteht aus zueinander versetzten Beeten mit unterschiedlicher Heckenbepflanzung. Ein verzweigtes Netz aus Wegen und Aufenthaltsbereichen schliesst an die Gebäudedurchgänge an und stellt eine Beziehung zur Nachbarschaft her. Eine durchgängig begehbare Raumschicht mit Loggien prägt das Fassadenbild der vier Längsseiten. Alternierend sind die Loggen gegen die äussere Fassadenhülle durch stellenweise zweigeschossig angeordnete Öffnungen gegliedert: Ein Spiel zwischen einem mehr privaten eingeschos-

sigen und einem grosszügigen zweigeschossigen Bereich entsteht. Zusätzlich schaffen farbige, horizontal gestaffelte Holzlatten an den Brüstungen zusammen mit vertikalen Schiebeelementen bewegte, oszillierende Aussenräume. Mittels unterschiedlicher Massnahmen entsteht eine lebendig wirkende Gebäudehülle, die durch den Gebrauch der Bewohner ihr Aussehen laufend wechselt. Die Ost-West-Lage ermöglicht mehrheitlich zweiseitig ausgerichtete Wohnungen. Ein modulares System erlaubt es, über eine Treppenhaushalle entweder drei oder vier Ein- bis Siebenzimmerwohnungen oder eine Grosswohnung mit bis zu neun Zimmern zu erschliessen. Letztere besetzt ein ganzes Modul. Die kleinste Wohnung misst mit 1½ Zimmern 48 m2. Mit einfachen baulichen Mitteln können mehrere Kleinwohnungen in Grosswohnungen umgewandelt und Zimmergrössen angepasst werden. Eingangsbereich, Gang und Wohnzimmer sind jeweils ineinander übergehende Bereiche. In räumlichem Kontrast dazu sind die Individualzonen in Gruppen zusammengefasst. Durch das Wohnungskonzept kann die angestrebte Durchmischung der Generationen bestmöglich gestaltet werden. Das Untergeschoss, die Einfahrt in die Tiefgarage und die Treppenhäuser bestehen zur Gebäudeaussteifung aus Stahlbeton. Die gesamte restliche Tragkonstruktion ist in Holz ausgeführt. Die Holzkonstruktion ist eine Skelettbauweise, bestehend aus Dach- und Deckenelementen, aus Unterzügen als längs zum Gebäude verlaufende Mehrfeldträger und aus Stützen in einem Abstand von 3–4 m. Der erforderliche Brandwiderstand der Holzkonstruktion, R 60/EI 30 (nbb) für die Hauptgebäude beziehungsweise EI 30 für die Hofgebäude, wird mit Bekleidungen erreicht, welche gleichzeitig dem Schallschutz dienen. Die Dach- und Deckenelemente sind als Einfeldträger zwischen den im Deckenaufbau integrierten Unterzügen eingehängt. Die Aussenfelder sind als Rippendecken mit Spannweiten gegen 5 m, die Innenfelder als Brettstapelelemente mit Spannweiten gegen 3 m aufgebaut. Die Tragwerksstützen in Brettschichtholz sind in den nichttragenden Aussenwänden integriert sowie in den Wohnungen mit Brandschutzbekleidungen erkennbar. Einzelne Bauteile wie Stützen, Unterzüge und Deckenelemente sind zudem auf Brandwiderstand bemessen.

Situation

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Erdgeschoss

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40 m

1. Obergeschoss


Querschnitte

F7.6

2. Obergeschoss

5. Obergeschoss

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Ort Ida-Sträuli-Strasse 65/67/69/71/73/75/77/79, 8404 Winterthur Bauherrschaft Gesewo, Genossenschaft für selbstverwaltetes Wohnen, Winterthur Projektleitung Bauherr Architektick, Zürich Architektur Galli Rudolf Architekten AG ETH BSA, Zürich Bauleitung ph baumanagement ag, Frauenfeld Landschaftsarchitekt Rotzler Krebs Partner GmbH, Winterthur Mitarbeit Farbkonzept Pascal Seiler, Gampel Bauphysik und Akustik BAKUS, Akustik & Bauphysik GmbH, Zürich HLKS-Ingenieur ADVENS AG, Winterthur Elektroingenieur EGO Elektrikergenossenschaft, Winterthur Minergie-Eco Bau- und Umweltchemie AG, Zürich Holzbauingenieur Indermühle Bauingenieure HTL SIA, Thun Brandschutzspezialist Josef Kolb AG, Romanshorn Kontrollingenieur Brandschutz Holzbaubüro Reusser GmbH, Winterthur Holzbau Knecht AG, Oberwil, sowie ARGE MGH Giesserei mit Implenia Bau AG, Zürich, und Brunner Erben AG, Zürich Materialien Brettschichtholz, schichtverleimtes Vollholz und Brettstapelelemente 2400 m3; Platten: Dreischichtplatten 20 600 m2, OSB 11 800 m2; Fassadenbekleidung: Schalung 12 400 m2; Balkonboden 5100 m2 Baukosten BKP 2 CHF 61,1 Mio. Grundstücksfläche 11 037 m2 Geschossfläche SIA 416 29 265 m2 Gebäudevolumen SIA 416 96 367 m3 Kubikmeterpreis SIA 416 (BKP 2) CHF 645.– Bauzeit April 2011 – Januar 2013 Fotograf Hannes Henz, Zürich

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Dachaufbau von aussen: Extensive Begrünung Wasserdichtung Gefällsdämmung Dampfbremse Rippenelement: Dreischichtplatte 19 mm Rippen 280 mm/Dämmung OSB-3 12 mm, luftdicht abgeklebt Schwingende Abhängung mit Federbügel 58 mm Gipskartonplatten 2 x 15 mm Deckenaufbau von oben: Anhydritestrich 60 mm, geschliffen Trittschalldämmplatten 2 x 20 mm Schüttung in Waben 30 mm Rippenelement: Dreischichtplatte 27 mm, luftdicht abgeklebt Rippen 280 mm/Dämmung 100 mm Vlies Schwingende Abhängung mit Federbügel 58 mm Gipskartonplatten 2 x 15 mm Aufbau Aussenwand von innen: Gipskartonplatten 2 x 12,5 mm Metallständer 50 mm/Dämmung OSB-3 15 mm, luftdicht abgeklebt Holzständer 240 mm/Dämmung/Tragwerksstützen 240 x 240 mm Lattung 80 mm/Dämmung Gipsfaserplatte 15 mm Windpapier Lattung 2 x 30 mm Schalung in Fichte/Tanne Fassadenschnitt

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Wohnüberbauung Gutenberg 4, Rapperswil-Jona Seit 2001 hat die Ortsgemeinde RapperswilJona im Gebiet Gutenberg in drei Bauetappen rund 70 Wohnungen und zwölf Reiheneinfamilienhäuser erstellt. Das so bereits bestehende Wohnungsangebot ergänzt nun eine vierte Bauetappe, deren Ausrichtung auf Nachhaltigkeit zielt. Aus diesen Randbedingungen ergaben sich die Umsetzung in Holzbauweise und eine Zertifizierung nach Minergiestandard. Die Überbauung liegt in unmittelbarer Nähe zum Zentrum Jona und ist bestens angebunden an die öffentlichen Verkehrsmittel wie S-Bahn und Bus. Die beliebte Veloverbindung zwischen den beiden Zentren von Rapperswil-Jona führt direkt an der Überbauung vorbei. Das Neubauprojekt mit der polygonalen, fliessenden Form des Baukörpers reagiert differenziert auf die besondere Lage in der städtebaulich heterogenen Struktur sowie auf die schwierige Form der Bauparzelle. Ein prägnanter Kopfbau setzt an der Strassengabelung Spinnereistrasse/PiusRickenmann-Strasse einen städtebaulichen Akzent. Zusammen mit dem langgestreckten Hauptbau entlang der Pius-Rickenmann-Strasse wird ein grosser Freiraum Richtung ehemalige Spinnerei aufgespannt, der durch seinen halböffentlichen Charakter eine hohe Aufenthaltsqualität besitzt. Der unkonventionelle Lösungsansatz erreicht in jeder Hinsicht eine stimmungsvolle Gesamtsituation und gibt dem Quartier eine neue Identität. Die beiden Gebäudekörper formen das Eingangsportal für Gutenberg 4. Die zentral gelegene Grünfläche bildet den attraktiven Erschliessungs-, Aufenthalts- und Spielbereich der Wohnungen in dieser Anlage. Buschwerk und feingliedrige, hochstämmige Bäume säumen den Freiraum und filtern zur Nachbarschaft. Mit einer zusätzlich vermietbaren gewerblichen Nutzung im Erdgeschoss des Kopfbaus und dem angrenzenden gedeckten Spielplatz wird dieser Bereich zusätzlich aufgewertet und der neue Siedlungsteil in direkte Beziehung zur Spinnereistrasse gesetzt. Von der PiusRickenmann-Strasse gelangt man in die Einstellhalle mit 24 Einstellplätzen sowie in die Velound Kinderwagenräume. Westlich des Grundstücks befinden sich die Besucherparkplätze. Grosszügige Hartflächen erschliessen die gesamte Umgebung. Die Gebäude profitieren sowohl von der Südausrichtung auf die Glarner Alpen als auch von der attraktiven Aussicht gegen Norden auf den Meienberg. Durch eine feingliedrige, das gesamte Gebäude umspannende horizontale Holzlattung werden beide Gebäudeteile zu einer Einheit zusammengefasst. Die silbergraue Holzbehandlung verleiht der Überbauung eine edle Erscheinung. Durch das Vor- und Zurückweichen der Fassade werden die Gebäudekörper strukturiert, die Aussenräume differenziert und den Wohnungen individuelle Ausrichtungen verliehen. Direkte Gegenüber werden vermieden. Mit der gegenüber dem Hof erhöhten Lage des Erdgeschosses ergeben sich grosszügige Eingangssituationen zu den Treppenhäusern, und gleichzeitig erhalten die Wohnungen im Erdgeschoss eine angemessene Privatsphäre. Die insgesamt 21 Wohnungen ergeben sich aus einem einfachen Raster und sind als fliessende Raumeinheiten mit möglichst grosser Offenheit konzipiert. Mit den frei in den Raum gestellten Nebenräumen und Küchen erhalten die Wohnungen gleichzeitig einen loftähnlichen

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Charakter. Die Südfassade ist in direktem Übergang zur wohnungsbreiten Loggia vollumfänglich raumhoch verglast. Somit ergibt sich eine attraktive Wohnraumerweiterung in den Aussenraum, der durch die Holzlattenschalung und die Stoffmarkisen einen individuell anpassbaren Filter bildet. Raumhohe Schiebetüren im Innern unterstützen das Raumgefühl der Grosszügigkeit und Offenheit und ermöglichen es, neben unterschiedlichen Raum- und Nutzungssituationen vielfältige Sichtbezüge herzustellen. Der Bewohner kann frei wählen, welche Funktion er welchem Raum zuordnen will. Die zwei Untergeschosse und die Treppenhäuser sind in Beton ausgeführt. Darüber weisen die beiden viergeschossigen Wohnbauten ein Tragwerk in Holz auf, womit diese Gebäude in ihrer Art die ersten mehrgeschossigen Holzbauten in der Region sind. Holz-Beton-Verbunddecken, aufbauend auf liegendem, vollflächig angeordnetem Brettschichtholz, bilden die Deckenscheiben aus und gewähren das Einhalten der Anforderungen aus Brandschutz und Bauakustik. Zur Ausbildung der Dachscheibe dient eine OSBBeplankung auf dem liegenden Brettschichtholz, worauf ein Kompaktdach eingebaut ist. Die tragenden Aussenwände sind in Holzrahmenbauweise konstruiert, ebenso wie die mehrheitlich nichttragenden Innenwände. Zur Verhinderung einer unzulässigen Brandausbreitung über die brennbare Fassadenbekleidung sind umlaufende horizontale Schürzen und vertikale Unterbrechungen eingebaut. Wegen Unterschreitens des Schutzabstandes zwischen den zwei Gebäuden ist in diesem Bereich zudem eine nichtbrennbare Bekleidung mit Brandschutzfunktion hinter der Hinterlüftungsebene montiert, und die Fenster lassen sich nur zu Unterhaltszwecken öffnen. Zur Umsetzung des Minergiestandards dienen eine Komfortlüftung mit Wärmerückgewinnung sowie die hochdämmenden Gebäudehülle mit Holz-Metall-Fenstern mit einer Dreifachisolierverglasung. Eingebaut sind auch eine Holzschnitzelheizung für die Wärmeerzeugung und eine Solaranlage für die Warmwasseraufbereitung auf dem extensiv begrünten Flachdach. Damit wird der Energiebedarf nahezu zu 100 % durch erneuerbare Energieträger gedeckt. Die Argumentation für den Einbau einer Holzschnitzelheizung bezieht auch die ökonomische Nachhaltigkeit mit ein: Die Ortsgemeinde verfügt über einen eigenen Forstbetrieb, der rund 400 ha Wald bewirtschaftet. Daraus fallen grosse, stofflich nicht weiter verwertbare Restholzbestände an. Diese können einem Heizsystem zugeführt werden. Damit wird nicht nur Wärme erzeugt, sondern auch Arbeitsplatzerhaltung betrieben.

Situation


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Querschnitt Treppenhaus West

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20 m


Erdgeschoss

1. + 2. Obergeschoss

40 m Attikageschoss

Querschnitt Treppenhaus Ost

Querschnitt Treppenhaus Kopfbau

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Dachaufbau von aussen: Substrat 80 mm Schutzschicht 20 mm Trennlage Wasserdichtung Dämmung 160 mm Gefällsdämmung 50–150 mm Dampfbremse OSB 22 mm Liegendes Brettschichtholz 180 mm Installationshohlraum 132 mm/Lattung mit Federbügel/Mineralwolle 60 mm Gipskartonplatte 18 mm Deckenaufbau von oben: Bodenbelag 10 mm Zementunterlagsboden 80 mm Trennlage Trittschalldämmplatte 20 mm Dämmung 20 mm Holz-Beton-Verbunddecke: Überbeton 120 mm liegendes Brettschichtholz 160 mm Installationshohlraum 132 mm/Lattung mit Federbügel/Mineralwolle 60 mm Gipskartonplatte 18 mm Deckenaufbau Loggia von oben: Lattenrost in Lärche 25 mm Lattung 50 mm auf Stehfüssen Wasserdichtung Trennlage Holz-Beton-Verbunddecke: Überbeton 80–120 mm liegendes Brettschichtholz 160 mm Lattung 130 mm/Dämmung Gipsfaserplatte 18 mm Aufbau Aussenwand von innen: Gipsfaserplatte 15 mm Lattung 60 mm mit Federbügel/Dämmung OSB 15 mm, luftdicht abgeklebt Ständer 200 mm/Dämmung Gipsfaserplatte 12,5 mm Lattung 50 mm/Dämmung Windpapier Lattung 50 mm Offene Schalung in Fichte 40 mm, vorvergraut

Fassadenschnitt

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Ort Pius-Rickenmann-Strasse 4/6/8, 8640 Rapperswil-Jona Bauherrschaft Ortsgemeinde Rapperswil-Jona Architektur roosarchitekten gmbh, Rapperswil Landschaftsarchitekt Zschokke & Gloor, Jona Bauingenieur Huber & Partner AG, Rapperswil Bauphysik Zehnder & Kälin AG, Winterthur HLKS-Ingenieur Tri Air Consulting AG, Jona Elektroingenieur Grögli.ch AG, Rapperswil Geologie Grübeli AG, Jona Brandschutzingenieur Josef Kolb AG, Romanshorn Holzbauingenieur Josef Kolb AG, Romanshorn Holzbau Hector Egger Holzbau AG, Langenthal Materialien Bauholz: schichtverleimtes Vollholz 147 m3, Brettschichtholz 561 m3; Platten: Brettsperrholzplatten 15 m3, Furnierschichtholz 4 m3, Dreischichtplatten 27 mm 247 m2 und 49 mm 646 m2, OSB 15 mm 938 m2 und 22 mm 1265 m2, Gipsfaserplatten 12,5 mm und 15 mm 7080 m2; Fassadenbekleidung: Schalung 2250 m2 Baukosten BKP 1–9 CHF 18,1 Mio. Baukosten BKP 2 CHF 16,1 Mio. davon BKP 214 CHF 3,3 Mio. Grundstücksfläche 3918 m2 Geschossfläche SIA 416 5690 m2 Gebäudevolumen SIA 416 16 897 m3 (Gebäude), 1046 m3 (Loggien) Kubikmeterpreis SIA 416 (BKP 2) CHF 900.– (Gebäude und Loggien) Bauzeit März 2011 – Februar 2013 Fotografie roosarchitekten gmbh, Rapperswil

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Mehrfamilienhaus Kirchrainweg, Kriens Als erstes Mehrfamilienhaus der Zentralschweiz erfüllt dieser Neubau die Vorgaben von Minergie-A-Eco. Das Haus zeigt, dass nachhaltige Lösungen auch ästhetisch und wirtschaftlich sein können. Die Einlösung der Postulate nach Gemeinschaft, Hindernisfreiheit, Anpassbarkeit und Wohlbefinden war von zentraler Bedeutung. Das ehemalige Areal der Holzwerkzeugfabrik Bollmann im Zentrum von Kriens wurde im Sinne einer innerstädtischen Verdichtung zu einem Wohngebiet weiterentwickelt. Es schliesst auf der einen Seite direkt ans Dorfzentrum an und grenzt auf der anderen Seite an eine Grünzone. Das Mehrfamilienhaus am Kirchrainweg 4a ergibt zusammen mit weiteren drei Bauten auf dem Areal ein Quartier für unterschiedliche Generationen, welches das Zusammenleben von jungen und älteren Menschen fördert. Das ganze Haus mit den privaten Aussenräumen und die gesamte Umgebung sind so gestaltet, dass sie von allen ohne Einschränkung genutzt werden können. Das Eingangsgeschoss mit seinen Nebenräumen ist ebenerdig erreichbar, ein Lift führt in alle Geschosse, und die gesamte Erschliessung ist schwellenlos. Eine gute Ausleuchtung des Treppenhauses und ansprechende Farbkontraste im Erschliessungsbereich erleichtern Menschen mit einer Seheinschränkung die Orientierung. Das Konzept der Raum- und Tragstruktur ist so ausgelegt, dass eine Anpassung an sich ändernde Familienverhältnisse wie auch an wechselnde Nutzerbedürfnisse mit geringem Aufwand möglich ist. Die Anlage der Wohnungen mit ihren stattlichen Entrées zeugt von gehobener Wohnkultur. Die Grundrisse sind so organisiert, dass der Blick vom Wohnbereich trotz urbaner Umge-

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bung in die Ferne schweifen kann. Jede Wohnung wird über eine Loggia erschlossen, wodurch sich die Wohnung in zwei separat nutzbare Wohnungsteile aufteilen lässt. Von der Loggia betritt man entweder ein Zimmer mit angegliederter Nasszelle oder die eigentliche Wohnung mit Wohn- und Schlafzimmer sowie Küche und den angrenzenden Nassräumen. Präzis gesetzte Fensteröffnungen sorgen für eine hohe Tageslichtnutzung. Die Lage und die Grösse der Fenster in den einzelnen Räumen unterstützen die Innenarchitektur und sorgen für angenehme, gleichmässige Lichtverhältnisse. Die Kombination von Materialien für die Innenräume mit hohen Wärmespeicherkapazitäten und ein guter Sonnenschutz schaffen im Sommer hohe Behaglichkeit. Im Bereich Umwelt wurden ein möglichst geringer Primärenergiebedarf und eine geringe Treibhausgasemission für Erstellung, Betrieb und Mobilität angestrebt. Beide Werte unterschreiten die Anforderungen des SIA-Effizienzpfades Energie und erfüllen damit klar die Anforde­ rungen der 2000-Watt-Gesellschaft. Treppenhaus, Eingangs- und Loftgeschoss bestehen aus Recyclingbeton, die Wohngeschosse sind in Holzplattenbauweise erstellt. Die Unterterrainräume sind auf einen minimalen Aushub angeordnet. Die Verwendung des Baustoffes Holz reduziert die Lasten auf dem Fundament um 30 %, was wiederum den Aufwand an grauer Energie für die Fundation verringert. Zudem stammen 85 % der 230 m3 verbauten Holzes aus Luzerner Wäldern. 95 % des Holzes kommen aus Schweizer Wäldern, weshalb das Projekt mit dem Herkunftszeichen Schweizer Holz ausgezeichnet wurde. Die Wände des Holzbaus bestehen aus einer 35 mm starken Tragschicht aus dreischichtigen

Blockholzplatten. Die nach aussen aufgebrachten Rippen dienen zur Stabilisierung der Platten und zur Aufnahme der Dämmung. Die Decken in den Wohngeschossen bauen auf Kastenelementen auf, beidseitig ebenfalls mit 35 mm starken, dreischichtigen Blockholzplatten versehen. Alle tragenden Holzplatten sind in den Innenräumen sichtbar belassen und mit einem UV-Schutzanstrich behandelt. Die hinterlüftete Fassadenbekleidung besteht aus einer sägerohen, vertikal angeordneten Schalung aus einheimischer Dou­ glasie. Aufgrund der brandschutztechnischen Einstufung als dreigeschossiger Wohnbau – Hanglage mit zwei Untergeschossen – waren keine besonderen konstruktiven Massnahmen an der Fassadenbekleidung erforderlich. Dennoch wurden im Bereich der über vier Geschosse verlaufenden Holzfassade Brandschutzabschottungen in der Hinterlüftungsebene im Übergang vom Massivbau zum Holzbau eingebaut. Dank der sehr guten Gebäudehülle ist der Wärmebedarf für das Warmwasser bei diesem Objekt deutlich höher als der Wärmebedarf zur Beheizung. Der Heizwärmebedarf wird mit einer Wärmepumpe gedeckt und mit einer Bodenheizung eingebracht. Die in die Dachfläche integrierte Fotovoltaikanlage liefert mehr Strom, als für den Betrieb der Wärmepumpe, der Komfortlüftung und der Hilfsbetriebe notwendig ist. Kurze Warmwasserleitungen und wassersparende Armaturen sorgen für eine Reduktion des Wärmebedarfs für das Warmwasser. Für die fest eingebauten Haushaltsgeräte und Beleuchtung kommen ausschliesslich Best-Practice-Geräte zum Einsatz. Dank einem innovativen Gebäude­ management wird ein hoher Anteil des Strombedarfs direkt mit der gebäudeeigenen Fotovoltaikanlage gedeckt (Betrieb der Geräte in den Fotovoltaik-Produktionszeiten).


Hinsichtlich Mobilität wird beim Neubau auf den Langsamverkehr gesetzt: Direkt neben dem Eingang befindet sich die Veloeinstellhalle. Mit dem Veloanhänger für die Kinder oder dem täglichen Einkauf kann man direkt in die Wohnungen fahren. Die Loggien als Eingangsbereiche der Wohnungen bieten genügend Platz, um den Veloanhänger innerhalb der Wohnung abzustellen. Bei Bedarf nach einem Privatfahrzeug steht auf dem Areal ein Mobility-Fahrzeug zur Verfügung. Die Haltestellen des öffentlichen Verkehrs sind nur rund 100 m entfernt und verbinden Kriens in kurzen Taktfrequenzen direkt mit dem Bahnhof Luzern.

Situation

Ort Kirchrainweg 4a, 6010 Kriens Bauherrschaft Kirchrainweg AG, Kriens Strategie und Gesamtkonzeption e4plus AG, Kriens Architektur, Nachhaltigkeit und Gesamtkonzeption aardeplan ag, Baar Bauingenieur FMB Engineering AG, Baar Elektroplanung NET-DESIGN AG, Luzern Haustechnikplaner Zurfluh Lottenbach GmbH, Luzern Landschaftsarchitekt Freiraumarchitektur GmbH, Luzern Holzbauingenieur AG für Holzbauplanung, Rothenthurm Holzbau Walter Küng AG, Alpnach Dorf, und Pius Schuler AG, Rothenthurm (Hersteller Blockholzplatten) Materialien Bauholz: schichtverleimtes Vollholz 48 m3, Vollholz 34 m3, Brettschichtholz 2 m3; Platten: Blockholzplatten 96 m3, Dreischichtplatten 5 m3, Holzfaserplatten 5 m3; Fassade: Schalung in Douglasie 15 m3, Unterkonstruktion 7 m3; Fensterkanteln in Tanne 6 m3; Holzwerkstoffplatten für Innenausbau 15 m3 Baukosten BKP 2 CHF 4,35 Mio. davon BKP 214 CHF 651 000.– Grundstücksfläche 762 m2 Geschossfläche SIA 416 1442 m2 Gebäudevolumen SIA 416 4424 m3 Kubikmeterpreis SIA 416 (BKP 2) CHF 985.– Bauzeit März 2012 – April 2013 Fotograf Gabriel Ammon, Fotoagentur AURA, Luzern

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Querschnitt

Längsschnitt

0:

%2 *6

.6

Eingangsgeschoss

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20 m

Loftgeschoss


Dachaufbau von aussen: Dacheindeckung Lattung 30 mm Konterlattung 120 mm Dichtungsbahn Rippenelement: Dreischichtplatte 27 mm Rippen Holzfaserplatte 16 mm Lattung 60 mm/Dämmung Schalenelement: Rippen 300 mm/Dämmung Blockholzplatte 35 mm, sichtbar Deckenaufbau von oben: Bodenbelag 15 mm Anhydritestrich 80 mm Trittschalldämmplatte 30 mm Lattung 120 mm/Schüttung Kastenelement: Blockholzplatte 35 mm Rippen 220 mm/Dämmung 60 mm, im Randbereich nur Schüttung Blockholzplatte 35 mm, sichtbar Aufbau Aussenwand von innen: Blockholzplatte 35 mm, sichtbar Ständer 260 mm/Dämmung Lattung 80 mm/Dämmung Holzfaserplatte 22 mm Winddichtung Lattung 30 mm Schalung in Douglasie 25 mm, sägeroh Aufbau Decke von oben über Loft: Anhydritfliessestrich 50 mm, geschliffen und versiegelt Trittschalldämmplatte 40 mm Stahlbeton 250 mm

Fassadenschnitt

.6

%2

6

0

*

6

%2 60 *6

.6

1. und 2. Wohngeschoss

Attikageschoss

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Lignum Holzwirtschaft Schweiz Economie suisse du bois Economia svizzera del legno Mühlebachstrasse 8 CH-8008 Zürich Tel. 044 267 47 77 Fax 044 267 47 87 info@lignum.ch www.lignum.ch

Holzbulletin, Juni 2013 Herausgeber Lignum, Holzwirtschaft Schweiz, Zürich Christoph Starck, Direktor

Redaktion Roland Brunner, Lignum, und Denis Pflug, Lignum-Cedotec Gestaltung BN Graphics, Zürich

Das Holzbulletin erscheint viermal jährlich in deutscher und französischer Sprache. Jahresabonnement CHF 48.– Einzelexemplar CHF 20.– Sammelordner (10 Ausgaben) CHF 140.– Sammelordner leer CHF 10.– Preisänderungen vorbehalten.

Administration, Abonnemente, Versand Andreas Hartmann, Lignum

Lignum-Mitglieder erhalten das Holz­bulletin und die technischen Informationen der Lignum, Lignatec, gratis. Die Rechte der Veröffentlichung für die einzelnen Bauten bleiben bei den jeweiligen Architekten. Alle Angaben stammen von den Bauplanern.

ISSN 1420-0260

Lignum-Hotline: 044 267 47 83 Benutzen Sie unsere Fachberatung am Tele­fon von 8–12 Uhr, die täglich von Montag bis Freitag gratis zur Verfügung steht.

Druck Kalt-Zehnder-Druck AG, Zug


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