LFI Magazin 7/2020 D

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Mikhail Kirakosyan

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Alexandre Chamelat

Peter Bialobrzeski

Sven Zellner

Micha Bar-Am

7. 2 0 2 0    O K TO B E R

D 8,90 € A 9,90 € L 10,10 € I 10,20 € CHF 15,60

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L E I C A F O T O G R A F I E I N T E R N AT I O N A L

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Mehrfacher Gewinner des TIPA-Awards 2013 | 2017 | 2020

„Das beste Fotolabor der Welt“ Alle Rechte, Änderungen und Irrtümer vorbehalten. WhiteWall Media GmbH, Europaallee 59, 50226 Frechen, Deutschland © Photo by Anastasiia Popova

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P O RT F O L I O L I G H T B OX

F / S TO P

92 | LFI . GALERIE

74 | L E I C A M 1 0 - R

Über 30 000 Fotografen präsentieren in der LFI.Galerie mehr als 700 000 Bilder. In dieser Ausgabe mit dabei: eine verstörende Maske, eine atemberaubende Aussicht und das süße Leben

Die neue hochauflösende M10-R stieß auf eine sehr positive Resonanz – auch bei der britischen Fotografin Lucy Laucht, die sie als eine der Ersten getestet hat 82 | ONE R 1-INCH

P H OTO

Die neue modulare Action-Kamera One R 1-Inch Edition von Insta360 ist auch mit einem Kameramodul von Leica mit großem 1-Zoll-Sensor erhältlich

104 | BÜCHER

Sven Zellner, aus seiner Serie Denjiin Myanga

8 6 | H UAW E I P4 0 P R O + Huawei hat sein erst zwei Monate zuvor vorgestelltes Smartphone-Flaggschiff durch eine weitere Version mit zwei neuen Tele-Objektiven ergänzt 8 8 | L E I C A W E LT Der New Yorker Audiospezialist Master & Dynamic hat jetzt zwei ANC-Kopfhörer für Leicas vom Noctilux inspirierte DesignKollektion 0.95 vorgestellt

1 0 6 | AU S ST E L LU N G E N

Micha Bar-Am 6 | LEICA KLASSIKER

Der Magnum-Fotograf gilt als das „Auge Israels“. Eine Hommage aus Anlass des 90. Geburtstags von Micha Bar-Am

Peter Bialobrzeski 26 | GIVE MY REGARDS TO ELIZABETH

Die erst jetzt veröffentlichte Abschlussarbeit des Fotografen gibt tiefe Einblicke in das England nach der Margaret-Thatcher-Ära

Sven Zellner 4 0 | D E N J I I N M YA N G A Ein Hingucker: die ActionKamera One R 1-Inch Editition mit Kameramodul von Leica

Neue Publikationen von Piotr Zbierski, Kristian Schuller, Josef Koudelka und Peter Fink

Der Alltag von sechs Geschwistern in der wilden Siedlung Denjiin Myanga am Rande der mongolischen Hauptstadt Ulaanbataar

Alexandre Chamelat 54 | LITÓSFERA

Auf langen Wanderungen durch die Vulkanwelten der Kanaren entstand eine Serie mit surreal anmutenden Aufnahmen

Erik Madigan Heck, Zürich; Jörg Brüggemann, Mannheim; Herlinde Koelbl, Berlin; Zusammenleben, Darmstadt; Matt Black, Hamburg 1 0 8 | F E S T I VA L S Der European Month of Photography, Berlin, steht in diesem Jahr unter dem Thema Europa – Identität, Krise, Zukunft 109 | LEICA GALERIEN Das Programm der Leica Galerien weltweit. Unter anderem mit dabei: die 6 x 6 Show in Los Angeles und Key Ogata in Kyoto 1 1 0 | I N T E RV I E W Diandro Donecker, Geschäftsführerin beim Berliner Auktionshaus Grisebach, spricht über Fotografie als Sammelobjekt 114 | MEIN BILD Ana María Arévalo hat eine Aufnahme aus ihrer Knastserie Días Eternos ausgewählt 114 | IMPRESSUM

Mikhail Kirakosyan 64 | WIR SIND WIE IHR

Während des Lockdowns war der Moskauer Zoo geschlossen – der Fotograf hatte alle Zeit der Welt für seine berührenden Tierporträts

COVER: Micha Bar-Am, Modeschau für israelische Soldatinnen, 1963

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L F I -A P P

N E U E I O S -V E R S I O N O P T I M I E R T F Ü R N E U E G E R ÄT E

Die App unterstützt nun Formate und Auflösungen aktueller iOS-Geräte

Eine neue Version der LFI-App für iOS-Geräte ist ab sofort in Apples App Store verfügbar. Die App-Version 3.2 enthält zahlreiche Verbesserungen und Layout-Anpassungen. Die App unterstützt nun die Formate und Auflösungen aller aktuellen iOS-Geräte. Zudem wurden kleinere Verbesserungen in der Bedienung der App umgesetzt. Beim Lesen der Magazin-Ausgaben im Querformat wird das Navigationsmenü abgeblendet, sodass eine bildschirmfüllende Ansicht möglich ist. Diese Einstellung war bei der App für iPhones bereits integriert, jetzt gibt es sie auch in der Version für iPads. Im Bereich der LFI.Galerie ist neben den Leica Master Shots, den Kategorien und dem Bild der Woche nun auch die beliebte Rubrik der Challenges integriert. In der App finden Sie jetzt alle früheren sowie die aktuelle Challenge. Eine Anpassung der App für Android-Geräte folgt im nächsten Schritt. Die App ist in Apples App Store kostenlos verfügbar: bit.ly/lfi-app

M I C H A B A R -A M

Er gilt als „Auge Israels“. Doch befragt man den Fotografen zu seiner Fotografie, so erhält man ein überraschendes Resümee: „Ich bin nie wirklich glücklich mit den Ergebnissen meiner Arbeit und versuche immer wieder, mich zu verbessern und neue Blickwinkel zu finden.“ Dass Micha Bar-Am in seiner langen Karriere als Fotograf zum wichtigsten Chronisten Israels wurde, ist dennoch unbestreitbar. Viele seiner Motive sind längst ikonisch – wir zeigen eine Auswahl seiner besten Motive. 4 |

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A L E XA N D R E C H A M E L AT Für die Serie Litósfera unternahm Alexandre Chamelat lange Wanderungen durch die Vulkanlandschaften der kanarischen Inseln. Dabei begegnete er kaum einem Menschen. Wenn, dann waren es entweder Surfer oder – so vermutet er – Hirten. Meist konnte er sich aufgrund der Sprachbarriere nicht mit ihnen verständigen. Doch „Blicke und ein Lächeln sind oft viel wichtiger als Worte, um zu einem Fremden jene Nähe herzustellen, die eine Porträtaufnahme erlaubt“, sagt der Fotograf.

P E T E R B I A LO B R Z E S K I

Regelmäßig und vielfältig hat der Fotograf in den letzten 17 Jahren ebenso viele monografische Bildbände veröffentlicht. Mit seinem jüngsten Buch kehrt der Fotograf noch einmal zu seinen Anfängen zurück: Die Serie Give my Regards to Elizabeth, die wir in diesem Heft vorstellen, war seine Abschlussarbeit an der Folkwangschule in Essen. Damals unveröffentlicht, ist sein Blick auf die britische Gesellschaft auch nach dreißig Jahren eine Entdeckung. Und nach dem Brexit vielleicht umso aktueller.

Fotos: © Micha Bar-Am/Magnum Photos, courtesy of Tina Ruisinger; © Paul Gouëzigoux; © Kochi Biennale

CONTRIBUTOR


Helmut Newton, David Lynch and Isabella Rossellini, Los Angeles 1988

AMERICA 1970s/80s

EVELYN HOFER, SHEILA METZNER, JOEL MEYEROWITZ, HELMUT NEWTON HELMUT NEWTON FOUNDATION | MUSEUM FÃœR FOTOGRAFIE | 09.10.20 - 16.05.2021 JEBENSSTRASSE 2, 10623 BERLIN | DONNERSTAG - SONNTAG 11-20 UHR


Längst gilt er als der bedeutendste Chronist des Staates Israel. In vielen Jahrzehnten hat Micha Bar-Am die Hoffnungen und Enttäuschungen, Höhen und Tiefen, Kriege und den Alltag im Land mit der Leica festgehalten. Seinen 90. Geburtstag nehmen wir zum Anlass, eine Auswahl aus seinem reichen Werk zu zeigen.

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Micha Bar-Am

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Beduinen-Kinder in der Negev-Wßste, 1957 (oben). Mitten im Krieg: Artilleriesperrfeuer auf israelische Soldaten und ägyptische Gefangene, Suez-Kanal, 1973 (links). Hommage an Rodtschenko: Durst, 1962 (vorherige Seite)

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Überlebende suchen auf Listen nach Namen ihrer Angehörigen in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, Jerusalem 1981



Schützengräben am Kibbuz Hatzerim, Negev 1956 (oben). Moshe Dayan (1915–1981), damals Verteidigungsminister Israels, bei einer Besprechung mit einem palästinensischen Ältestenrat, Qalandya 1967 (links)

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Ultraorthodoxe Gläubige, die versuchten, das Gebet von Frauen an der Klagemauer zu verhindern, werfen von der Polizei eingesetzte Gasgranaten zurück, Jerusalem 1989 (oben). Familienporträt mit Schutzausrüstung gegen einen Gasangriff während des Golfkriegs, Ramat Gan 1991 (links)

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Kühne Perspektiven während einer Parade in der Stadt Bew’er-Sheva, die als Hauptstadt des Negev bezeichnet wird, 1973


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Wäscheleinen vor der alten Stadtmauer Jerusalems, von Westen gesehen, 1976 (oben). Befreite Geiseln bei der Rückkehr: Ein israelisches Militärkommando hatte eine entführte Maschine der Air France in Entebbe, Uganda, gestürmt und die 102 Passagiere befreit, Flughafen Ben Gurion, 4. Juli 1976 (links)

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Demonstration in der Ben-Yehuda-Straße in Jerusalem gegen den Rückzug von der besetzten Sinai-Halbinsel, 1957 (oben). Porträt im Künstlerviertel Little Paris, Neve Tzedek, Februar 1967 (links)

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Laufsteg einer Modenschau im Ausbildungsstützpunkt Nr. 12 in Tzrifin für Soldatinnen, 1963 (oben). Soldaten erlernen Krav Maga, ein israelisches Selbstverteidigungssystem, Wingate Institute, 1972 (links); Selbstporträt mit geschmuggelter Kamera, Mount Scopus Enklave, Jerusalem 1958 (folgende Seite)

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Fotos: Š Micha Bar-Am / Magnum Photos


M I C H A B A R -A M Geboren am 26. August 1930 als Michael Anguli in Berlin. Sein Vater war Geschäftsführer eines Kaufhauses in Ulm, 1936 emigrierte die Familie nach Palästina. Er wuchs in Haifa und einem Kibbuz auf und war aktiv im anti-britischen Untergrund. Sein Codename Bar-Am blieb. In den 1950ern Mitbegründer eines Kibbuz, als Schweißer und Schlosser tätig, bevor die Fotografie seine Existenz sicherte. 1959 und 1960 Auszeichnung mit dem Robert Capa Award, ab Mitte der 1960er freiberuflich tätig. 1961 heiratete Bar-Am Orna, mit der er drei Söhne hat. Seit 1968 Korrespondent für Magnum, bis heute ist er dort der einzige Fotograf aus Israel. 1974 unterstützt er den Aufbau des ICP in New York, von 1977 bis 1993 war er Kurator für Fotografie am Tel Aviv Museum of Art. BarAm lebt in Ramat Gan.

MAG NU M PHOTO S.CO M BA R -A M .D E : Mehr Bilder sind im Projekt-

raum BarAm, Berlin, zu sehen B Ü C H E R : (Auswahl) M I C H A BAR -AM : KIBBUTZ (Beit Shturman Museum, Ein

Harod 2019); MICHA BAR-AM LOGBOOK (Israel Museum, Jerusalem 2017); MICHA BAR-AM’S ISRAEL: INSIGHT (Walter König, Köln 2011); ISRAEL: A PHOTOBIOGRAPHY – THE FIRST FIFTY YEARS ( Simon & Schuster, New York 1998)

Endlich Wasser: Selten rückte das Verlangen, den Durst zu löschen, so monumental in den Fokus. Ein Bild von fast skulpturaler Kraft und Anmut, das in seiner strengen Reduktion von Micha Bar-Am überzeugend als Hommage an den expressiven Konstruktivismus Alexander Rodtschenkos bezeichnet wird. Auch Rodtschenko setzte in seinem fotografischen Werk ähnliche Stilmittel ein, um eine überwältigende Bildwirkung zu erzielen. Der nach hinten geneigte Kopf, ein Armbogen, der die Flasche zum Mund führt, freigestellt vor dem lichten Himmel: Bar-Am komponierte aus wenigen Elementen ein Motiv, das den Betrachter unmittelbar trifft. Als Autodidakt fand er über Umwege zur Fotografie, spätestens als man ihm eine eigene, wiedererkennbare Bildsprache zusprach, entschloss er sich, die Fotografie zum Beruf zu machen. Zuvor hatte Bar-Am im Hafen von Haifa gearbeitet. 1948 zur Armee eingezogen, kämpfte er im Unabhängigkeitskrieg und übte in einem Kibbuz verschiedene Berufe aus. „Meine erste Begegnung mit einer Leica war, als mein Freund Yoav eine Kamera von Verwandten erhielt, die nach dem Zweiten Weltkrieg nach Israel eingewandert waren. Yoav war großzügig und lieh mir seine Leica, um damit zu experimentieren. Die kompakte Größe und einfache Bedienung war eine große Veränderung gegenüber den sperrigen Kameras zu Hause“, erinnert sich der Fotograf und berichtet weiter: „Mein Leben änderte sich, als ich endlich meine erste Leica kaufte – Jahrgang 1930, mein Geburtsjahr. In einem kleinen Notizbuch hielt ich die Belichtungszeiten und Lichtverhältnisse jedes einzelnen Fotos fest. So brachte ich mir das Fotografieren durch trial and error selbst bei. An den Wochenenden hängte ich meine Arbeiten am Schwarzen Brett im öffentlichen Speisesaal aus, und nach und nach wurden meine Aufnahmen veröffentlicht.“ Mit seiner Leica verfolgte er seit der Staatsgründung die Entwicklung Israels. Nach Veröffentlichung seines ersten Buchs Across Sinai, 1957,

wurde er Bildreporter bei Ba-Mahaneh, dem Magazin der israelischen Armee. Er fotografierte den Alltag im Kibbuz, die Konflikte mit den Palästinensern, die Hoffnungen und Nöte der Einwanderer, begleitete 1961 den Eichmann-Prozess. Und er hat in allen Nahostkriegen fotografiert. Doch als Kriegsfotograf hat er sich nie verstanden: „Bei meiner Arbeit habe ich mir den Ausspruch von Robert Capa zu eigen gemacht: Wenn deine Fotos nicht gut genug sind, bist du nicht nah genug dran. Aber im Nachhinein füge ich eine Folgerung hinzu: Wenn man zu nah am Geschehen ist, verliert man die Perspektive. Es ist nicht leicht, fair mit den Fakten umzugehen und seine eigene Überzeugung vom Bild zu bewahren. Es ist fast unmöglich, gleichzeitig an den Ereignissen teilzunehmen und ihr Beobachter, Zeuge, Vermittler zu sein. Die Anstrengung bringt große Anerkennung und genauso große Frustration mit sich.“ Im Werk Bar-Ams dominiert zumeist die menschliche Dimension der politischen Konflikte: „Die Spannung zwischen den äußeren Dramen und dem täglichen Leben zu Hause war eine Herausforderung, die es auszudrücken galt“, so Bar-Am, der in seinen Bildern immer wieder die Komplexität und Widersprüchlichkeit der israelischen Alltagsrealität zeigt. Eine von ihm besonders geschätzte Aufnahme entstand im Golfkrieg 1991: Eine Mutter und ihre Söhne hocken mit Gasmasken in einem Schutzkeller. Ein stilles Bild, trotz aller Dramatik. Und ein sehr persönliches, handelt es sich doch um Bar-Ams eigene Familie. Das Archiv des heute 90-Jährigen umfasst Hunderttausende Bilder, die er derzeit digital organisiert: „Heute bin ich nicht mehr als Fotograf tätig, ich habe nur noch eine kleine digitale Leica V-Lux 20, mit der ich das Heranwachsen meiner Enkelkinder festhalte“, berichtet der Fotograf. Doch auch hier wird er seinen ganz eigenen Blick haben. ULRICH RÜTER

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LEICA M

Peter Bialobrzeski GIVE MY REGARDS TO ELIZABETH

Großbritannien hat Ende Januar die EU verlassen. Der Hamburger Fotograf lebte dort 30 Jahre zuvor und untersuchte den Alltag im Lande, die merkwürdigen Gebräuche und Codes. Seine Aufnahmen dokumentieren gesellschaftliche Brüche, die bis heute fortbestehen.

Ein Club im Londoner Stadtteil Putney, 1992, mit einem Porträt des Fotografen Yousuf Karsh: Princess Elizabeth, 1951, im Jahr vor ihrer Krönung

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Mit seiner Leica immer ganz dicht an den Menschen: StraĂ&#x;enszene in Crook, County Durham 1992 (oben), Jugendliche in Wood End, Coventry 1992 (rechts oben), und eine spezielle Jackengestaltung, gesehen in Earls Court, London 1991 (darunter)

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Picknick in Pastell: Gruppenporträt in einer Londoner Vorstadt, Epsom, Grafschaft Surrey 1992


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Oft sind es nur kleine Gesten und Accessoires, mit denen Bialobrzeski in seiner Serie den Blick auf die britische Klassengesellschaft lenkt: Epsom, Surrey 1992 (oben), Private Estate, Surrey 1991 (rechts oben), und Chilham, Kent 1992 (darunter)

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Dresscode: Krawatten und Kappen in bestimmten Farben definieren die Zugehรถrigkeit zu einem College, Putney, London 1992


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Bialobrzeski reiste quer durch England: Diese Aufnahmen entstanden in Foleshill, Coventry 1992 (oben), in der Londoner Tube, 1991 (rechts oben), in Crook, County Durham 1992 (darunter) und einer Straße in Easington, 1992 (übernächste Seite)

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PETER BIALOBRZESKI hat in den letzten 17 Jahren ebenso viele Bücher veröffentlicht und wurde vor allem durch seine Studien asiatischer Metropolen bekannt. 1961 in Wolfsburg geboren, studierte er zunächst Politik und Soziologie, bevor er Fotograf wurde und an der Folkwangschule Essen und am LCP in London studierte. Heute unterrichtet er regelmäßig als Professor für Fotografie an der Hochschule für Künste in Bremen.

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Das Buch Give my Regards to Elizabeth war bereits 1993 fertig: Format, Bildfolge und sogar der Titel standen fest. Mit dem Dummy seiner Abschlussarbeit an der Folkwangschule Essen zog der frisch diplomierte Fotograf Peter Bialobrzeski über die Frankfurter Buchmesse, aber nur der britische Verlag Thames & Hudson zeigte freundliches Interesse. Doch aufgrund der in England herrschenden Rezession, die auch den Buchmarkt traf, verlief auch diese Hoffnung im Sande. Bialobrzeski kam aus dem durch die Wiedervereinigung noch euphorisierten Deutschland in ein Land mit wachsender Arbeitslosigkeit und Depression. Margaret Thatchers neoliberale Politik hatte tiefe Spuren im Land und bei den Menschen hinterlassen. Die ihm fremde Klassengesellschaft Englands hielt er in seinen Farbaufnahmen fest. Dass seine Serie nichts an Brillanz, aber vor allem nicht an gesellschaftlicher Brisanz verloren hat, zeigt die vorliegende Publikation, erschienen bei Hartmann Books, Stuttgart in Kooperation mit dem englischen Verleger Dewi Lewis. Die erste Auflage ist fast vergriffen – der Bildband scheint erfolgreich eine Stimmung zu treffen, für die wohl auch der Brexit Verantwortung trägt. Wir sprachen mit ihm über das Projekt. LFI: Wie kam der Dummy Ihres Buchs damals auf der Messe an? Peter Bialobrzeski: Eigentlich habe ich von vielen Leuten Lob bekommen, allerdings nicht direkt aus der Fotoszene. Bei den Verlegern wurde ich hingegen abgebügelt. Warum jetzt die Veröffentlichung? Das hängt tatsächlich mit dem Brexit zusammen. Ich wusste schon immer, dass ich mir das Buch irgendwann einmal gönnen würde – ich habe immer wieder hineingeschaut und fand es gut. Daher wollte ich auch, dass sich das Buch so dicht wie möglich an den ursprünglichen Dummy hält.

Wie sah nun der Prozess aus? Die analogen Originalabzüge von damals habe ich jetzt mit einer Reprokamera aufgenommen, ganz klassisch, weil ich die Farbigkeit des alten TuraFotopapiers erhalten wollte. Daher dieser fast nostalgisch anmutende Farbton der Bilder? Ja, das ist zum Teil schon zauberhaft und zeigt immer wieder, wie sehr doch eigentlich auch die Entwicklung der Fotografie immer von den technischen Möglichkeiten abhängig war. Meine Serie entstand in der Zeit, in der die Farbfotografie tatsächlich an den Hochschulen Einzug hielt. Warum damals England? Eigentlich eine private Geschichte. Ich war fünf Jahre mit einer Engländerin zusammen, wir hatten uns in China kennengelernt und ich habe dann ein Praktikum bei der Agentur Network Photographers in London gemacht und so schon während des Studiums für das Sunday Times Magazine als Bildrechercheur gearbeitet, eine Tätigkeit, die damals extrem gut bezahlt war – jedenfalls aus der Sicht eines Jungen aus Wolfsburg. Hätten Sie Vergleichbares auch in Deutschland fotografieren können? Ich sehe das heute etwas differenzierter. Das, was ich damals in England wahrnahm, war ein geschundenes Land. Eine gespaltene Gesellschaft, in der die einen nichts von den anderen wussten. Und das kannte ich damals nicht aus Deutschland. Aber heute habe ich schon das Gefühl, dass auch Deutschland viel stärker gespalten ist, nur dass sich die Schichten hier anders manifestieren. War damals schon klar, dass Sie ein politisches Buch machen, auch wenn es zunächst nicht so aussieht? Die Bilder wurden in England von Anfang an politischer gelesen, die Klassengegensätze waren dort sofort erkennbar. Zum Beispiel gibt es ein Bild mit zwei Männern mit seltsam gestreiften Mützen und Krawatten – das sind die Farben eines bestimmten Col-

leges, was in Deutschland eben nicht sofort als Code lesbar ist und hier vielleicht eher als geschmacklos angesehen wird. In England ist das ganz klar identifizierbar, das bezieht sich dann auch auf die Orte, die Pferde oder wo ein Picknick gemacht wird. Sie waren immer ziemlich dicht an den Menschen dran. Ja, ich fand das immer leicht. Ich habe ja eine journalistische Ausbildung. Schon als Lokalreporter in Wolfsburg bin ich den Leuten dicht auf die Pelle gerückt, 28 mm war damals das Standardobjektiv. Ich fand es immer einfacher, dicht dran zu sein, weil man den Rahmen besser kontrollieren kann. Als Vorbilder haben mich damals Fotografen wie Garry Winogrand, Gilles Peress oder Alex Webb geprägt, wie die auf der Straße Figuren in den Griff bekommen haben. Später bin ich dann weiter weg gegangen, das war dann eine Übung, auch diese Bildräume besser zu kontrollieren. Reizt Sie das jetzt nicht mehr? Doch, sehr. Aber heute muss man sehr viel mehr bedenken. Ethisch, aber auch die Tatsache, dass ich heute durch die Möglichkeiten der Gesichtserkennung Menschen viel stärker gefährden kann. Das ist für mich gerade das schwierigste Argument. Es gibt für mich aber kein Entweder-oder. Meine City-Diaries werde ich weiterverfolgen und auch weiterhin mit Großbildkamera und Stativ arbeiten. Aber ich kann jetzt schon verraten, dass ich darüber nachdenke, demnächst in Deutschland wieder dichter an den Menschen zu fotografieren. INTERVIEW: ULRICH RÜTER

B IALOB RZE S KI.N E T BU C H : GIVE MY REGARDS TO ELIZABETH;

96 Seiten, 48 Farbabbildungen, 29 × 23 cm, deutsch/englisch; Hartmann Books, publiziert gemeinsam mit Dewi Lewis Publishing EQUIPMENT: Leica M6, Summicron-M 1:2/35

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LEICA M

Sven Zellner

D E N J I I N MYA N GA



Denjiin Myanga ist eine der unzähligen wilden Siedlungen, die sich im rasant wachsenden Speckgßrtel der mongolischen Hauptstadt Ulaanbaatar zu verlieren scheinen. Sven Zellner begleitete dort den turbulenten Alltag von sechs Geschwistern.

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Etwa 60 Prozent der Bevölkerung von Ulaanbaatar lebt in Jurtenvierteln am Rande des Stadtzentrums. Als Gast einer der zahlreichen dort wohnenden Familien erlebte der Fotograf und Filmemacher Sven Zellner für einige Tage das Alltagsleben am Rande der Großstadt – mit allem, was dazugehört. Die Lebensbedingungen sind schlecht, die Luftverschmutzung hoch und die Sicherheit kaum gewährleistet. Die Kinder sorgen mit ihren Hunden dafür, dass kein unerwünschter Gast das Grundstück der Familie betritt, während die Mutter arbeitet

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Die Zukunftsaussichten im Viertel sehen trĂźbe aus. Die Mieten in Ulaanbaatar sind fĂźr die meisten Menschen von auĂ&#x;erhalb kaum zu bezahlen, sodass die Bewohner der Stadtrandsiedlungen bei teilweise extremen Wetterbedingungen unfreiwillig ihr Dasein in den traditionellen Jurten fristen


„Gesichter und Augen sind für mich absolut faszinierend, ich möchte sehen, was in den Menschen vorgeht“, erzählt Sven Zellner. Die insgesamt sechs Geschwister, die im Fokus seines Reportageprojekts stehen, lernte er auf der Suche nach Locations für einen Film kennen


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„Am besten ist es, wenn ich nicht nach Bildern suche und ganz intuitiv vorgehe“, beschreibt Zellner seine Arbeitsweise. Diese Intuition kam ihm auf den Straßen von Denjiin Myanga zugute. Mehrfach wurde er während des Fotografierens beschimpft und bedroht


Während seines Aufenthalts in Denjiin Myanga war der Fotograf bei der alleinerziehenden Byambaa und ihren sechs Kindern zu Gast. Da der Vater die Familie verlassen hat und die Mutter die meiste Zeit in einem Schönheitssalon arbeitet, übernehmen die Töchter den Haushalt. Die Brüder streunen unterdessen auf dem nahegelegenen Friedhof herum und kümmern sich um ihre Hunde. Auf die Frage, was sie später einmal machen möchten, antworteten zwei der Geschwister, dass sie ihren Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Hunden bestreiten möchten

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„GEW I S S I ST E S MO RA L IS CH PROB L E MATIS CH, IM JUR TENVIERTEL ZU FOTOGRAFIEREN. DENNOCH ZEIGEN DIE B IL DE R, W I E D I E LE B EN S R EAL ITÄT D ORT AUS S IE H T. “

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Es sind seltene Ansichten, die Zellner mit seiner Leica einfängt. Nur wenige Menschen, die nicht in Denjiin Myanga leben, haben die Möglichkeit, einen Blick hinter die Wände der Jurten zu werfen

SV E N Z E L L N E R Zellner studierte Kamera an der Hochschule für Fernsehen und Film in München und veröffentlichte sein erstes Fotobuch im Alter von 22 Jahren. Er ist Produzent und Kameramann des Films Schwarze Milch unter der Regie von Uisenma Borchu und feierte sein Kino-Dokumentarfilmdebüt als Regisseur von Preis des Goldes. Seine Fotos erschienen unter anderem in der Zeit, Geo, Terra Mater und der SZ.

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In der Zange zwischen seinen großen Nachbarn Russland und China fristet die Mongolei als eines der Länder der Welt, die am dünnsten besiedelt sind, ein regelrechtes Schattendasein. Dennoch ist der Fotograf und Filmemacher Sven Zellner dem nordostasiatischen Steppenland verfallen und zieht aus jedem Besuch neue, intensive Eindrücke. Seine Fotoreportage über eine Nomadenfamilie am Rande von Ulaanbaatar liefert ein rohes und ungeschöntes Zeitdokument einer Lebensrealität von Heranwachsenden am Rande der Großstadt. Herr Zellner, was zeichnet ein spannendes Motiv für Sie aus? Ich interessiere mich für Menschen und beobachte sehr gern. Augen, überhaupt Gesichter sind für mich absolut faszinierend und ich möchte wissen, was in ihnen vorgeht. Es war nie meine Art, Informationen durch Gespräche herauszufinden – ich schaue lieber hin. Aber ich will nicht aufdringlich sein. Wenn ich einen Auftrag habe, überlege ich sehr genau, was ich fotografieren will und wie ich mit Bildern bestimmte Zusammenhänge herstelle. Am besten ist es aber eigentlich, wenn ich diese ganzen Gedanken hinter mir lasse und einfach reagiere – wenn ich nicht nach Bildern suche, sondern ganz intuitiv vorgehe. Was bedeutet die Mongolei für Sie? Das Land hat mich tief beeindruckt. Ich fühle mich den Menschen sehr verbunden und die Wüste Gobi hat eine unbeschreibliche Wirkung auf mich. Ich habe aber keinen verklärten Blick auf die Mongolei, es gibt Korruption und multinationale Bergbaukonzerne beuten das Land aus. Man muss sich sehr viel Zeit nehmen, um es wirklich kennenzulernen. Bei welcher Gelegenheit sind Sie auf Ihre Protagonisten gestoßen? Ich war im Jurtenviertel unterwegs auf der Suche nach Locations für unse-

ren Film Schwarze Milch, der damals noch eine grobe Idee war. Ich traf die Kinder an einem Brunnen beim Wasserholen. Sie hatten ihre Kampfhunde dabei und ich beschloss, ihr Leben zu dokumentieren. Wie haben Sie kommuniziert? Ich verstehe ein wenig Mongolisch, aber nicht gut genug für längere Gespräche. Was schade ist, aber auch von Vorteil, da ich mich so besser auf das Beobachten konzentrieren kann. Uisenma Borchu, Regisseurin von Schwarze Milch, war auch einmal mit dabei und hat die Kinder, die Mutter und die Nachbarn ausgefragt. Was charakterisiert den Alltag der Menschen, die dort leben? Die Menschen leben in traditionellen Filzjurten (Ger) und kleinen Häusern auf eingezäunten Grundstücken (Khashaas). Es gibt unbefestigte Straßen, die Wasserversorgung funktioniert über Brunnen und die Toiletten sind Latrinen. Die Winter sind sehr hart. In jeder Ger befindet sich ein Kohleofen zum Heizen und Kochen, aber in vielen Fällen wird Plastik verbrannt. Die Bewohner leiden unter den schlechten Lebensbedingungen und der Luftverschmutzung.

Wie bewerten Sie das heute? Moralisch ist meine Arbeit problematisch. Ich habe Zweifel, aber ich denke auch, dass die Fotos Zeitdokumente sind, die zumindest zeigen, wie es dort aussieht. Aber ist die Veröffentlichung dieser Bilder in Ordnung? Ich habe zwar die Zustimmung der Jungen und ihrer Mutter, aber trotzdem weiß ich nicht, was sie darüber denken. Mit welchem fotografischen Ansatz haben Sie sich dieser sensiblen Thematik genähert? Ich glaube, dass ich nicht besser oder schlechter bin als die Menschen, die ich fotografiere. Ich fühle mich ihnen sehr verbunden und weiß, dass es ein Privileg ist, dass ich so arbeiten kann. Ich hatte einfach auch Glück. Möglich machen das aber in erster Linie die Menschen, weil sie es zulassen und mich akzeptieren, obgleich ich ein Eindringling bin, ein Fremder. Wie war die fotografische Arbeit mit den Heranwachsenden? Es war schwierig, die Jungs dazu zu bringen, dass sie vor der Kamera einfach nur ihr Ding machen, ohne für die Aufnahmen irgendetwas vorzuspielen. Das gelang am Anfang kaum und benötigte einige Zeit.

Das klingt alles sehr extrem … Ja, den meisten Menschen fehlt es an Perspektiven, um ihre Probleme selbst lösen zu können. Projektgelder zur Verbesserung wurden von korrupten Politikern fehlgeleitet und ignoriert. Die Menschen sind frustriert und häusliche Gewalt und Alkoholprobleme kommen häufig vor. Für die Bewohner ist das allerdings Alltag und Normalität. Niemand hofft auf Verbesserung oder Hilfe von außen.

Was haben Sie bei dem Projekt in Denjiin Myanga gelernt? Ich habe bei den Nomaden sehr viel Geduld üben können und vor allen Dingen gelernt, dass man nicht alles planen und verabreden kann, wie man es sich vorstellt. Man muss die Dinge hinnehmen, wie sie kommen, und sollte nicht böse sein, wenn mal etwas anders läuft, als man es sich erhofft hat.

War es schwierig, eine Verbindung mit den Personen aufzubauen? Nicht wirklich, die Jungen waren gleich sehr freundschaftlich. Verständlicherweise sahen manche Erwachsene mit Skepsis, dass ich dort fotografiere. Weil ich als Ausländer deutlich zu erkennen war, gab es auch Beschimpfungen und Bedrohungen.

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INTERVIEW: DANILO RÖSSGER

LF I-ON LIN E .DE /B LOG: PORTFOLIO MIT WEITEREN BILDERN VON SVEN ZELLNER EQUIPMENT: Leica M (Typ 240) mit Summicron-M 1:2/35 Asph

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Alexandre Chamelat LITÓSFERA

Lange Wanderungen auf den Kanaren führten Alexandre Chamelat zu surreal anmutenden Motiven. Mit der Leica Q schuf er faszinierende, irritierende Aufnahmen, die von weit mehr als einer Vulkanlandschaft und ihrer geologischen Vergangenheit erzählen.

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Oben: Israël und seine Hunde kurz nach einer Surf-Session in Punta Gorda auf Fuerteventura; links: Steine im Nationalpark Timanfaya, Lanzarote. Der Begriff Lithosphäre ( „Steinkugel“) – bei Chamelat: Litósfera – bezeichnet die Erdkruste und einen Teil des Erdmantels; vorherige Seite: Elefantenplastik auf Fuerteventura

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Oben: Blick auf La Graciosa vom Mirador del Rio auf Lanzarote; rechts oben: Die Flagge der Kanaren weht im Wind auf Fuerteventura – der zentrale blaue Streifen symbolisiert das Meer, der gelbe die Sonne und der weiĂ&#x;e Frieden; links unten: im Norden Fuerteventuras und Skulptur auf Teneriffa

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Oben: die Versteinerung einer Pflanze auf dem schwarzen Lavaboden der Vulkaninsel Lanzarote; links: Hirte in der auf mehr als 2000 Metern Hรถhe gelegenen Caldera del Teide, einer geologischen Struktur vulkanischen Ursprungs auf Teneriffa; folgende Seite: ein Kolkrabe auf Fuerteventura, er gehรถrt zur kleinsten Unterart von Corvus corax

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A L E XA N D R E C H A M E L AT Chamelat, geboren 1990 in Les Lilas bei Paris, wuchs in Toulouse auf und lebt in Bordeaux. Der künstlerische Ansatz des Absolventen der École de Photographie et de Game Design basiert auf der Entdeckung eines Territoriums, das oft in enger Beziehung zu Menschen und der Erde steht. Seine fotografische Herangehensweise ist ästhetisch und dokumentarisch zugleich. Chamelat ist Mitglied der Gruppe Cyclop. A L EXA ND R E C HA M ELAT. F R LF I -O NL I N E .D E / B LOG : ONE PHOTO — ONE STORY EQUIPMENT: Leica Q,

Summilux 1:1.7/28 Asph

Es sind karge, raue Landschaften. Unwirtlich breiten sie sich aus und scheinen von nichts weniger als der Unendlichkeit zu erzählen. Oder zumindest von einer fernen, unbewohnten Region, irgendwo am Rand der Welt. Wären auf Alexandre Chamelats Aufnahmen nicht hin und wieder, vereinzelt, Menschen zu sehen, die wie aus dem Nichts zwischen Gesteinsbrocken und Gebirge auftauchen, könnte man meinen, die Aufnahmen seien in den endlosen Weiten einer Wüste oder gar auf dem Mond entstanden. Tatsächlich aber hat Chamelat mit der Leica Q – „diskret, kompakt und ideal für Reisen und Wanderungen“ – die Kanaren durchstreift – von Teneriffa über Fuerteventura bis nach Lanzarote. „Surfer und Hirten stehen da wie Aiolos vor den Böen der Passatwinde, einige halten zwischen zwei Meereswellen den Atem an, andere folgen ihren jahrhundertealten Pfaden“, beschreibt Chamelat. Und so blass und verloren wie seine wenigen Protagonisten erscheinen, so genau kennen sie doch ihren Weg. Ebenso wie Chamelat, der die Inseln auf langen, bis zu neunstündigen Wanderungen erkundet hat. Abseits der Küsten und Strände war er unterwegs und damit abseits der Touristenmassen. Die Serie ist ein Folgeprojekt seiner Arbeit Entre deux Vagues, die er im Jahr 2019 realisierte. Dort beschäftigte sich Chamelat mit der Natur und der Surfkultur an der französischen Atlantikküste. „Die Reise auf die Kanaren entstand aus dem Wunsch heraus, ein neues Gebiet zu entdecken, das diese Serie erweitern könnte“, erzählt er. Dort angekommen, entdeckte er bald seine Faszination für die vielfältigen Mineralien und Gesteine der Inseln, für diese besondere Landschaft. Mit ihrer unglaublichen Gesteinsvielfalt sind die Kanaren aus geologischer Sicht eine der interessantesten vulkanischen Regionen der Welt. Die mit Sand aus der Sahara aufgeladene Calima, der heiße, heftige Ostwind, scheint das zu unterstreichen und die Inseln noch zusätzlich zu versteinern. Litósfera, nach der geologischen Bezeichnung für die „Steinkugel“,

die die Erde umhüllt, heißt die Serie, die Chamelat an scheinbar verlorene Orte geführt hat. „Ich habe diese Orte nicht wirklich gesucht und so verloren sind sie auch gar nicht“, erzählt er und fügt hinzu: „Ich denke, es sind der jeweilige Ausschnitt und auch die Retusche, die diesen menschenleeren, wüstenartigen Eindruck verstärken.“ Neben der klugen Komposition, die von einem genauen Blick zeugt, ist es das besondere Licht, das Chamelats Bilder ausmacht. Es ist ein gleichmäßig diffuses Licht, das die Aufnahmen dominiert und fast farblos erscheinen lässt. Orientierungslos irrt der Betrachter durchs Raum-Zeit-Kontinuum: Ist das noch die Morgendämmerung oder schon die flirrende Mittagshitze? Nur wenige Dunstschleier sind am Himmel zu sehen, die auf allen Bildern den Hintergrund in ein irritierend gleichmäßiges fahles Taubenblau tauchen. Diese Homogenität der Serie erschafft eine ganz eigene Atmosphäre und zieht den Betrachter in ein surreales, traumhaftes Universum hinein. „Um diese besondere Lichtstimmung zu erreichen“, erklärt Chamelat, „fotografiere ich zu jeder Tageszeit, am liebsten aber dann, wenn am Himmel diese Dunstschleier auftauchen. Die Details verfeinere und perfektioniere ich in der Retusche.“ Diese Manipulationen sind ein wichtiger Teil seiner fotografischen Arbeit – nicht zufällig vergleicht Chamelat die Postproduktion mit der Malerei. „Wenn ich ein Foto retuschiere, taste ich mich vor, probiere aus, beschneide und entferne. Ich führe viele kleine Aktionen aus und schließlich sind es diese Details, die meiner Arbeit ihre Homogenität geben.“ In der Retusche entfernt er all jene Elemente, die sein Auge stören, und lässt den Betrachter nur noch das sehen, was ihn selbst zufriedenstellt. Am Ende also ist dieser Fotograf ein Maler, der Kunstwerke schafft, und mit ihnen den Betrachter zum Traumwandeln einlädt. KATRIN ULLMANN

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LEICA S

Mikhail Kirakosyan WIR SIND WIE IHR

Der georgische Fotograf bezeichnet seine Serie, die im Moskauer Zoo entstanden ist, als ein soziales Projekt. Es erzählt von der Schönheit, Anmut, Faszination der Tiere. Und dass sie uns viel ähnlicher sind, als wir vielleicht glauben.

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Mehr als eine Woche lang wartete er auf den Löwen. Bis zu zwei oder drei Stunden saß Mikhail Kirakosyan jeden Tag vor dessen Gehege, um sein Wesen einzufangen. Nun kann man den König der Tiere auf einer seiner Schwarzweißaufnahmen sehen: wilde Mähne, aufgerissenes Maul, spitze Zähne und gerunzelte Stirn. Die Gefühle, an die man denken muss, sind Ärger, Wut, Aggressivität. Der Fotograf sagt: „Ich habe versucht, in den Tierfotografien Emotionen und Charaktere wie die des Menschen darzustellen. Meine Herangehensweise bestand darin, genau hinzuschauen, in der Hoffnung auf einen Zufall und eine gute Reaktion. Es war fast schon eine Fotojagd.“ Kirakosyans Projekt Wir sind wie ihr ist in der Zeit der Corona-Pandemie entstanden. In der russischen Hauptstadt war der große Lockdown ausgerufen, der Tourismus blieb aus, der Rote Platz leer, und der Moskauer Zoo war zum ersten Mal seit 156 Jahren für die Öffentlichkeit geschlossen. Das bot den Anlass für eine ernsthafte Studienarbeit: keine Ablenkung, volle Konzentration. Der georgische Fotograf schrieb ein Konzept, schickte es an den Direktor und zog gewissermaßen in den Zoo ein. Die Mitarbeiter halfen ihm bei der Organisation, erklärten ihm die Charaktere der Tiere, ihr Verhalten und ihre Gewohnheiten. Sie berieten ihn, zu welcher Tageszeit es sich am besten fotografieren ließe. „Ich liebe Tiere sehr“, erzählt Kirakosyan, „mich faszinieren ihre Ästhetik, Schönheit, Perfektion und Individualität. Tiere haben eine therapeutische Wirkung auf mich, in ihrer Nähe ruht mein Bewusstsein.“ Die Echse guckt schelmisch, der Elefant trompetet, das Zebra blickt ernst und nachdenklich, der Orang-Utan wirkt so gelassen, als sei er über alles erhaben – mehrere Wochen lang fotografierte Kirakosyan in klassischer Porträttechnik jene Momente, in denen das Tier wie ein Mensch aussieht.

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Mitunter saß der Fotograf stundenlang in einem Gehege, manchmal schliefen die Tiere ein, während er auf seine Gelegenheit wartete. Die Idee für sein Projekt kam Kirakosyan bei der Lektüre einer Untersuchung von Charles Darwin. Der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei dem Menschen und den Tieren zeigt auf, dass die äußeren Ausdrucksformen verschiedener emotionaler Zustände bei Tieren viel mit denen bei Menschen gemeinsam haben. Die Serie Wir sind wie ihr sei seine Illustration der Darwin’schen Theorie, meint er. Entstanden ist die Serie mit der Leica S007, für Kirakosyan die ideale Mittelformatkamera, kompakt und in allen Genres einsetzbar, von der Reportage bis zur Produktion. „Ein sehr wichtiger Punkt war für mich, dass die Kamera wasserdicht ist, da es während des Projekts oft geregnet hat. Hervorheben möchte ich die Qualität der Objektive des S-Systems und die Tatsache, dass man mit der S007 gemachte Aufnahmen ohne Qualitätsverlust auf 120 mal 180 Zentimetern drucken kann.“ Damit Farbe und die damit einhergehende Dramatik die Aufmerksamkeit des Betrachters nicht zu sehr ablenken, habe er sich dafür entschieden, die Porträts in Schwarzweiß aufzunehmen, erklärt der Fotograf. So wollte er den Zustand und die Stimmung des Tieres klarer und eindeutiger vermitteln. Obwohl seine Arbeit kein politischer Appell sei, wünsche er sich, dass die Serie beim Betrachter positive Emotionen und vielleicht das Bedürfnis hervorrufe, Tiere zu retten: „Es ist ein soziales Projekt, das die Einzigartigkeit der Schöpfungen der Natur und den Wert der Tiere für den Menschen zeigen soll.“ Sein Lieblingstier ist der Leopard. Dessen Anmut sei für ihn einzigartig. Zwei Tage lang beobachtete er ihn, wartete auf den richtigen Augenblick, für den das Tier stets zu weit weg war. Bis es sich auf einmal für ein paar Minuten dem Fotografen näherte, in der passenden Entfernung posierte, ihn plötzlich ansprang – und am Käfig hängen blieb. Mehr dazu finden Sie unter LFI-online.de/Blog. KATJA HÜBNER

MIKHAIL K I R A KO S YA N Kirakosyan ist Architekt und seit 16 Jahren Fotograf. Er sagt: „Mein Ziel ist es, kein flüchtiges Bild zu entwerfen, sondern eines, das Momente der Zeit bewahrt.“ Seit sechs Jahren fotografiert er mit der Leica S. Er ist Mitglied der Federation of European Professional Photographers, der Nationalverbände der Fotografen Armeniens und Georgiens sowie Präsident des Leica Club International. WWW.MIKH AILKIRAKOSYAN .RU LF I-ON LIN E .DE /B LOG: ONE PICTURE — ONE STORY EQUIPMENT: Leica S007 mit Leica-Adapter H und Hasselblad HObjektiven (120 mm Makro, 180 mm, 30–90 mm und 300 mm)


F/ S TOP – L E I C A M 1 0 - R – H UAW E I P 4 0 P R O + – M A S T E R & D Y N A M I C –

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S T RA N D L ÄU F E R LEICA M10-R

Selten gab es ein so positives Echo auf eine neue M wie bei der M10-R. Mit dem jüngsten Spross der M-Familie wanderte die britische Fotografin Lucy Laucht an der Küste von Cornwall entlang.

Man sollte meinen, Leica habe mit der M10-R alles richtig gemacht, denn das Echo auf diese hochauflösende Variante der M10 fällt ungemein positiv aus. Selbst die Netzgemeinde, sonst nie darum verlegen, auch das kleinste Haar in der Suppe zu finden, lobt die deutlich verbesserten Qualitäten der M10-R, die mehr Auflösung, mehr Dynamik und bessere Leistung bei hohen Empfindlichkeiten verspricht – was wir ja in unserem ersten Test (LFI 6/2020) auch nur bestätigen konnten. Die Tatsache, dass Leica die M10-R zu einer Variante der M10 machte und die bisherigen Modelle im Programm beließ, stößt offenbar ebenfalls auf breite Zustimmung. Mittlerweile waren auch schon einige Fotografen mit der M10-R unterwegs und haben eigene Erfahrungen gesammelt. Eine von ihnen ist die britische Fotografin Lucy Laucht, die mit der Leica M10-R auf Wanderschaft gehen konnte und dabei durchweg positive Erfahrungen mit der wohl leistungsfähigsten M aller Zeiten sammeln konnte. NE U E KA M E RA U ND A LT E O BJ E KT I V E . Laucht

Kaum etwas unterscheidet die M10-R optisch von einer „normalen“ M10. Technisch hingegen entspricht sie eher einer M10-P mit einem deutlich höher auflösenden Bildsensor

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ist eine passionierte LeicaFotografin und nutzte die M10-R mit ihren eigenen Objektiven. Über die Frage, die offenbar viele andere beschäftigt, nämlich ob die Kamera zu den bereits vorhandenen Objektiven passen würde, dachte die Fotografin nicht lange nach. Sie hat ein anderes Problem: „Meine zwei Lieblingsobjektive sind das 35er- und das 50er-Summilux“, sagte sie, „manchmal ist es hart, sich zwischen ihnen zu entscheiden.“

Manche haben Bedenken, dass die sehr hochauflösende Kamera Schwächen älterer Optiken sichtbar macht und man folglich nur noch neuere, sehr leistungsfähige Objektive an dieser Kamera einsetzen kann. Doch schon in unserem ersten Test konnten wir das nicht bestätigen, sondern fanden vielmehr, dass die M10-R den eigenständigen Charakter der Objektive wieder zum Tragen kommen lässt. Auch Laucht bekräftigte das, denn auf die Frage, ob sie sich bei der Auswahl der Optiken irgendwie eingeengt gefühlt habe, meinte sie nur: „Nicht im Geringsten, alle Objektive funktionieren an der M10-R wunderbar.“ Die hohe Sensorauflösung der Leica M10-R ist also keine Bürde, der man irgendwie gerecht werden müsste. Vielmehr ist sie eine zusätzliche Option, die man zu seinem Vorteil nutzen kann: Die M10-R ist einfach eine M10, die deutlich mehr kann. Umgewöhnen müssen sich M10-Fotografen dabei nicht: Als wir mit Laucht über die Unterschiede zwischen M10 und M10-R sprachen, fiel ihr nur die Bildqualität ein: „Ich habe einen echten Unterschied in der Bildqualität bemerkt – die Schärfe und die Menge an Details sind einfach eine Stufe weiter.“ I NS BI L D G EZO O MT. Das Mehr an Auflösung lässt sich einerseits für mehr Bildqualität, andererseits aber auch für Ausschnittvergrößerungen nutzen, was die Fotografin sehr begrüßte: „Ich liebe es, belebte Strandszenen aufzunehmen, was oft heißt, dass man den Bildausschnitt nachträglich →


Fotos: © Lucy Laucht; Produktfotografie: Leica Camera AG

1/350 s, Blende 4.8, 200 ISO; Seite 80: 1/500 s, Blende 1.7, 200 ISO; beide Summilux 1:1.4/35 Asph

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Oben: Summilux 1:1.4/35 Asph, 1/1500 s, Blende 2.4, 200 ISO; rechts: Summilux 1:1.4/50 Asph, 1/1000 s, Blende 4, 100 ISO

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Oben: Summilux 1:1.4/35 Asph, 1/750 s, Blende 1.7, 100 ISO; links: Summilux 1:1.4/35 Asph, 1/500 s, Blende 6.8, 200 ISO

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Die Fotografin Lucy Laucht schätzt an der M10-R alles, was eine M immer auszeichnet: Kompaktheit und Diskretion. Doch durch den neuen Sensor kommt eine enorme Bildqualität hinzu, durch die sich die M10-R für viele andere Aufgaben empfiehlt

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anpassen muss. Es ist toll, dass man das tun kann, ohne an Bildqualität zu verlieren.“ Natürlich hat auch das Beschneiden der Bilder seine Grenzen, doch diese sind deutlich weiter gesteckt als bei den M10-Modellen mit 24-Megapixel-Sensoren. Eine höhere Auflösung bringt auch mit sich, dass eine Aufnahme etwas leichter verwackeln kann: Kleinste Wackler, die bei einer niedriger auflösenden Kamera kein komplettes Pixel ausmachen, könnten, wenn man denn unbedingt auf PixelEbene heranzoomen möchte, mit der M10-R zutage treten. Betrachtet man das Bild dagegen im Ganzen, sieht man sie oft gar nicht mehr. Und man sollte die Kirche im Dorf lassen, denn der Unterschied zwischen den 5976 mal 3992 Pixeln einer M10 zu den 7864 mal 5200 Pixeln einer M10-R ist zwar in der Praxis deutlich spürbar, macht aber die M10 auf keinen Fall zu einer Kamera, die jetzt nicht mehr zu gebrauchen ist. In der Praxis bemerken Besitzer der M10-R auch eine Steigerung der Dynamik, die rund eine Blendenstufe beträgt und sich vor allem dadurch bemerkbar macht, dass man in den hellen Bildbereichen mehr Zeichnung findet. Ausgefressene Lichter wird man mit dem neuen Bildsensor seltener zu sehen bekommen und kann damit kritische Belichtungssituationen etwas besser meistern als mit dem bisherigen M10Sensor. Bei der M10 belichten manche Fotografen bewusst etwas knapper, um in der Nachbearbeitung mehr Details in die Lichter zu bekommen, doch bei


der M10-R ist diese Vorsicht unnötig, die gesteigerte Dynamik sorgt für mehr Reserven. Auch Laucht konnte uns das schnell bestätigen: „Mir kommt da eine spezielle Aufnahme in den Sinn, auf einem Boot und mit sehr hartem Licht“, meinte sie dazu, „ich konnte direkt in die Sonne fotografieren und trotzdem sehr viele Details in den Lichtern bewahren.“ GESCHWIND GENUG. Ein Punkt, über den man sich bei Leica bei der Entwicklung viele Gedanken machte, der jetzt aber, da die Kamera bei den Kunden ist, kaum moniert wird, ist die Geschwindigkeit. Die M10R nutzt die gleiche Hauptplatine und auch die gleiche Menge an Speicher wie die

anderen M10-Modelle. Dadurch kann es bei der M10-R theoretisch einen Hauch länger dauern, bis ein Bild auf dem Display erscheint, und auch Bildserien fallen etwas kürzer aus, weil der Speicher schneller voll ist. Doch grau ist alle Theorie, denn in der Praxis stößt man gerade mit einer M einfach nicht so schnell an Geschwindigkeitsgrenzen. Natürlich kann man den Effekt provozieren und schnelle Serienbilder machen, bis die Kamera blockiert – nur wird man das in der Praxis mit einer M praktisch nie tun und wenn doch, gibt es ja noch die M10 als etwas schnellere Alternative zur M10-R. Im normalen Gebrauch wirkt die M10-R jedenfalls alles andere als lahm, was ihr

auch Laucht attestierte, als wir sie fragten, ob sie sich auf irgendeine Weise eingeschränkt gefühlt habe. „Bei meiner Art zu fotografieren habe ich keinerlei Verzögerung bemerkt“, lautete ihr knapper Kommentar dazu. Für hektische Bildserien wird die M ohnehin selten genutzt, eher schon für die unauffällige Fotografie aus dem Hintergrund. Auch Laucht ist genau deshalb Anhängerin der Messsucherkamera und sieht sich darin durch die M10-R nochmals bestärkt. „Ich habe die M10R in Cornwall getestet, wo ich an einem Projekt gearbeitet habe, bei dem ich auf dem South West Coast Path wanderte und die Kreativen entlang des Wegs traf“, berichtete sie. „Ich mag es,

wie klein und flink die Kamera ist. Der Verschluss ist extrem leise und dadurch kann ich die Kamera in vielen Situationen nutzen, um still und leise Aufnahmen zu machen. So etwas geht mit einer größeren DSLR einfach nicht.“ Es ist jedoch die Steigerung der Bildqualität, die für Laucht den Unterschied macht: „Diese Qualität ist großartig, für mich ist diese Kamera ein Game Changer! Denn diese Bildqualität bedeutet, dass ich die M10R für meine kommerziellen Arbeiten einsetzen kann.“ Nur die Frage, ob es Probleme mit der M10-R gegeben habe, verneinte sie: „So sehr ich auch darüber nachdenke, es gab wirklich keine.“ HOLGER SPARR

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U N D AC T I O N , B I T T E ! ONE R 1-INCH EDITION

Mit der One R 1-Inch Edition entstand bei Insta360 in Kooperation mit Leica eine Action-Kamera der Extraklasse – mit ungewöhnlich großem Sensor und Leica-Objektiv. Sie ist auch in den Leica Stores erhältlich.

Eine Leica-Kamera ist ein Präzisionsinstrument, das man so sorgfältig wie möglich behandelt und mit der man bevorzugt klassischer, von kompositorischer Sorgfalt geprägter Fotografie nachgeht. Wenn es die Kamera erlaubt, dann filmt man natürlich auch, aber auf die Idee, seine Kamera am Selfiestick in die Gegend zu halten, käme wohl kaum ein Leica-Fotograf. Die Kamera, um die es hier geht, ist so ziemlich das Gegenteil davon: Mit der One R 1-Inch Edition von Insta360 geht man natürlich ebenso sorgfältig um, aber sie ist vor allem für Action gedacht und dafür, ihren Besitzer beim Sport und auf seinen Abenteuern zu begleiten. Und dabei kann es auch ruhig mal nass und dreckig zugehen – die Kamera läuft schließlich auch unter Wasser. 82 |

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Auf der Messe für Consumer-Elektronik CES hat Leica Anfang 2020 eine strategische Partnerschaft mit dem Action-Kamera-Spezialisten Insta360 bekannt geben, deren erstes Ergebnis nun die One R 1-Inch Edition ist. Zu der modular aufgebauten Kamera gehören ein Steuer- und ein Kameramodul sowie die AkkuEinheit. Das Kameramodul hat Leica mitentwickelt und dafür gesorgt, dass es einen für Action-Kameras ungewöhnlich großen 1-Zoll-Sensor erhält, vor dem mit dem Super-Elmar-A 1:3.2/14 Asph (Kleinbild-Äquivalent) ein sehr potentes Super-Weitwinkel steckt. MOD U LA RE BAUW E I SE .

Außer dem Leica-Modul kann der Käufer einer One R auch zu separat erwerbbaren alternativen Kamera-

modulen greifen – derzeit sind es zwei. Das „4K Weitwinkel“-Modul mit etwas reduzierter Auflösung und 16,4-mm-Brennweite (Kleinbild-Äquivalent) macht wenig Sinn, eine Bereicherung ist aber das „Dual Lens 360“-Modul mit zwei einander gegenüberliegenden Kameras mit 7,2-mmBrennweite, von denen jede 180 Grad abdeckt. Dieses Modul nimmt 360-GradPanoramen auf, aus denen man in der Nachbearbeitung gewünschte Ausschnitte exportieren kann. Später lässt sich optional ein Film mit dynamisch anpassbarem Ausschnitt oder ein 360Grad-Film, in dem man sich während der Wiedergabe selbst umsehen kann, exportieren. Diese Filme sind auch eine passende Grundlage für die Wiedergabe mit VR-Brillen.

Das typische Einsatzgebiet einer Action-Kamera und damit auch der One R 1-Inch Edition ist sicherlich das Filmen – gern auch, während man selbst in Bewegung ist. Action-Kameras sollen deshalb leicht und robust sein, was der One R trotz modularer Bauweise gut gelingt. Akku, Steuer- und Kameramodul fasst man mit einem stabilen Rahmen ein, der den Zusammenhalt sichert und sich per Stativgewinde und über Zubehör wirklich überall montieren lässt. Hersteller Insta360 streicht die One R 1-Inch Edition als „co-engineered with Leica“ heraus. Die Handschrift der Wetzlarer wird schon bei der Sensorgröße deutlich, denn das Leica-Modul übertrifft mit seinem 1-Zoll-Sensor den in den anderen Modulen →


Die One R ist dreigeteilt in Akku, Steuer- und Kameramodul – nur das Steuermodul bleibt immer gleich. Das Kameramodul mit dem groĂ&#x;en 1-Zoll-Sensor und SuperWeitwinkel wurde gemeinsam mit Leica entwickelt

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Das extreme Weitwinkel ermöglicht zusammen mit der kleinen, sehr robusten Kamera ungewöhnliche Perspektiven in der Fotografie

Das eigentliche Metier der One R sind Videos – hier ein Standbild. Dabei machen Dreck, Wasser oder Erschütterungen der Kamera wenig aus

verwendeten 1/2,3-ZollSensor um ein Vielfaches. Bei Leicas eigenen Kompaktkameras, die anfangs mit ähnlich kleinen Sensoren ausgestattet waren, wuchs deren Größe über die Jahre stetig. Das Modul für die Insta360-Kamera nutzt einen Sensor in derselben Größe wie das aktuelle V-Lux-Modell, allerdings mit der etwas geringeren Auflösung von immer noch respektablen 19 Megapixeln. Mit dieser Auflösung übertrifft das große Modul die standardmäßige „4K Wide Angle“-Variante, die bis 84 |

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zu 12 Megapixel bietet, recht deutlich, hat aber dennoch größere Pixel als die kleinen Sensoren und damit eine deutlich geringere Rauschneigung und eine höhere Dynamik. Das macht sich auch dadurch bemerkbar, dass der HDR-Modus, den die kleineren Module unterstützen, mit dem großen Sensor nicht verfügbar ist. MIT A P P OD ER OHNE .

Die Entwickler aus Wetzlar konnten nicht nur die Erfahrung beisteuern, dass große Sensoren die Bildqualität deutlich verbessern,

sondern auch das Objektiv. Das Super-Elmar-A 1:3.2/14 Asph ist ein bei Action-Kameras übliches, extrem kurzes Weitwinkel mit leichtem Fisheye-Charakter. Beim Export der Fotos aus der Smartphone-App kann man den Bildwinkel etwas reduzieren und hat so etwa ein Spektrum zur Verfügung, das vom starken bis zum Super-Weitwinkel reicht. Anders als bei den alternativen Kameramodulen überragt das Leica-Objektiv das eigentliche Modul deutlich und kann deshalb sogar abgeschraubt werden, um die Montage von Zubehör zu ermöglichen. Dass seine Lichtstärke geringer ausfällt als die der deutlich kleineren Objektive der anderen Module wird durch den großen Sensor mehr als kompensiert, denn die Leistung bei schlechtem Licht, etwa in Innenräumen oder bei Nacht, ist für eine ActionKamera ungewöhnlich gut. Steuern lässt sich die Kamera auf mehrere Arten: Der winzig kleine Touchscreen und Auslöser des Steuermoduls ermöglicht eine direkte Bedienung, deutlich einfacher geht es aber über die für Androidund Apple-Smartphones verfügbare App, mit der man sich per WLAN verbindet. Im Zubehör gibt es auch eine „GPS Smart Remote“ zur Steuerung und sogar für die Apple Watch gibt es eine App. Während Fotos optional im Jpeg- oder Raw-Format auf der SD-Karte und dem Smartphone gesichert werden, nutzt die Kamera für Videos ein eigenes Format, das von der App oder einer kostenlosen Software für Windows oder macOS konvertiert werden kann,

nachdem man den passenden Ausschnitt gewählt hat. Erstaunlich gut funktioniert die hauseigene Bildstabilisierung „FlowState Stabilization“. Sie greift auf einen Gyro-Chip in der Kamera zurück und kann sogar ziemlich übles Geruckel, etwa am Fahrradlenker im Gelände, verblüffend gut beseitigen. Diese Tatsache erstaunt umso mehr, als diese Form der Bildstabilisierung rein elektronisch und ohne „Wackellinse“ im Objektiv funktioniert. FAZ I T. Videos sind das ei-

gentliche Metier der Kamera und das merkt man ihr auch in der Praxis an. An dem für Leica-Fotografen eher ungewohnten Selfiestick lassen sich in Verbindung mit der Bildstabilisierung Videos drehen, die aussehen, als seien sie mit einem Dolly oder einer Drohne entstanden. Das von Leica mitentwickelte Kameramodul sichert diese Qualität auch noch bei ziemlich schlechtem Licht und hebt das Niveau so deutlich an. Wer nun also vor allem Videos machen möchte und für rauere Drehbedingungen eine Action-Kamera sucht, ohne dabei auf die gewohnte Leica-Qualität verzichten zu wollen, sollte unbedingt einen Blick auf die Insta360 One R 1-Inch Edition werfen. Geht es ausschließlich um Fotos, gibt es sicher bessere bedienbare Alternativen, doch sobald sich etwas bewegt, macht dieser kleinen Kamera kaum eine andere etwas vor. HOLGER SPARR


BLOG R E I S E F OTO G RA F I E LFI VOR 50 JAHREN

Z E I C H N E N S TAT T F O T O G R A F I E R E N – DA S E M P FA H L D I E F R A N K F U R T E R A L L G E M E I N E AM 11. JUNI 1970 TOURISTEN.

Unbehagen an der Fotografie beim Reisen – unter diesem Titel ist im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen ein Artikel erschienen, der nicht unwidersprochen bleiben kann. Der Autor empfiehlt den Touristen, lieber zu zeichnen als zu fotografieren und begründet dies mit der Tatsache, daß ein Foto höchstens den Bruchteil einer Bewegung in einem zufälligen Augenblick zum Stillstand bringt. Ähnliches gelte vom Porträt, der Tier- und Landschaftsfotografie. Das stimmt alles und ist doch nicht ganz wahr. Es ist eine Binsenweisheit, daß das Sehen etwas ganz anderes ist als das Fotografieren, weil ja das Auge in ständiger Bewegung ist und somit von dem Geschauten die verschiedensten Aspekte zu einem Bild zusammensetzt, das letzlich gültiger sein kann als das fotografierte.

So viele Bilder und so begrenzt der Platz? Mehr Bilder, mehr Interviews, mehr Rezensionen und mehr Hintergrundberichte finden Sie online im LFI-Blog. Aktuell, überraschend und informativ! LFI-ONLINE.DE/BLOG

Etwas von diesem Vorgang der Bildentstehung im Auge geht auch in eine Zeichnung über. Daß es aber auch Fotos gibt, die sehr wohl die Qualität des Geschauten haben, nämlich das Wesentliche, die Essenz auszudrücken, ist ebenso bekannt. Es kommt auf den Menschen an, sein geistiges Niveau, sein Auge und seine Fähigkeit, im entscheidenden Moment den Auslöser zu betätigen. Die Millionen von Knipsbildchen, die diesen Ansprüchen nicht genügen, sind also kein Beweis für den angeblich niedrigen Aussagewert einer Fotografie der Zeichnung gegenüber. L FI 5/ 1 970: Leitz-Prototyp 1:6,3/800 mm angekündigt, Schwarz-Weiß-Negative von Farbdias u. v. m. für 1,09 Euro in der LFI-App für Android und iOS

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DAS F Ü N F T E E L E M E N T H U AW E I P 4 0 P R O +

Fünf Kameras, verbesserte Tele-Möglichkeiten und eine edle Rückseite aus polierter Keramik. Huawei liefert das neue Flaggschiff früher aus und erobert erstmals die Tabellenführung auf dem Smartphone-Markt.

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Ende Juli 2020 veröffentlichte das Marktforschungsinstitut Canalys die aktuellen Zahlen zum Smartphone-Markt für das Quartal II/2020. Huawei setzte sich dort erstmals vor Samsung als Smartphone-Weltmarktführer durch. Das klang im ersten Augenblick verwunderlich, waren doch die verhängten US-Handelsbeschränkungen gegen den chinesischen Hersteller und die damit einhergehende Verbannung aus dem Google Play Store als klar verkaufshemmende Maßnahmen zu bewerten. Der Zwang, auf so manche beliebte App verzichten zu müssen, ließ in den letzten Monaten den einen oder anderen nicht in China lebenden Kunden zweimal überlegen, ob sie oder er sich ein neues Smartphone der P40-Serie zulegen sollte. Auch wenn die Performance der Geräte kaum Wünsche offenließ. „Mit dem Sprung auf den Smartphone-Thron bringen wir unser Motto ‚Make it possible‘ zum Leben. Vor einem Jahr hätte kaum einer auf uns gesetzt, doch wir haben immer an uns geglaubt“, sagte William Tian, Country Manager Germany der Huawei Consumer Business Group. Es wirkt sicherlich wie Balsam auf die Seele des chinesischen Herstellers, dass im Quartal II/2020 insgesamt 55,8 Millionen Geräte ausgeliefert werden konnten, fast zwei Millionen mehr als beim Konkurrenten aus Korea. Sicherlich spielte Huawei bei dem Ranking die Tatsache in die Karten, dass


das P40 Pro+ nicht erst im Herbst, sondern noch im QII ausgeliefert werden konnte. Fraglos wird die Konkurrenz demnächst auch wieder aufholen. Trotzdem ein beachtliches Ergebnis, das von der Stärke des chinesischen Markts, einer selbst unter schwierigen Umständen funktionierenden Lieferkette und der fortschreitenden Entwicklung von Huaweis eigener AppGallery zeugt. EIN PLUS AN QUA LITÄT.

Kommen wir aber zum neuen Flaggschiff selbst, dem Huawei P40 Pro+. Anders als bei manchen anderen Herstellern steht das +-Zeichen beim neuen Modell nicht für ein größeres Display, sondern für verbesserte Features und Leistungen. In der Größe entspricht das Pro+ der P40-Pro-Version. Beide arbeiten mit dem flotten Prozessor Kirin 990 5G und einem 8 Gigabyte großen RAM-Speicher. Das Pro+ ist standardmäßig mit einem größeren 512-GigabyteROM-Speicher ausgestattet. Das schnurlose Laden des Geräts erfolgt mit höherer Geschwindigkeit. Die haptischen und optischen Unterschiede spielen sich hauptsächlich auf der Rückseite des Smartphones ab. Zum einen besitzt das Huawei P40 Pro+ eine neue, besonders stabile Rückseite aus Keramik. Damit bringt das Smartphone mit 226 g zwar 15 g mehr auf die Waage als das Pro-Modell, doch wirkt es mit der polierten schwarzen oder weißen Oberfläche ausgesprochen edel. Einen Tick höher geworden ist auch das Kameragehäuse, das nun fünf Kameras beherbergt.

Damit haben Huawei und Leica Camera einen weiteren Schritt in Sachen Smartphone-Fotografie gemacht. F Ü N F FACH- KA M E RA .

Leica Vario-Summilux-H 1:1.8–4.4/18–240 Asph heißt die neue Kameragruppe, die besonders bei den TeleMöglichkeiten zugelegt hat. So erlaubt allein die neue Superzoom-Kamera einen zehnfachen optischen Zoom, der in etwa einer Brennweite von 240 mm beim Kleinbild entspricht. Diese optische Leistung verdankt sich auch hier der Periskopbauweise, bei der der Lichtstrahl im Kameragehäuse fünfmal gebrochen wird. Die zweite neue Kamera ist ebenfalls eine Tele-Kamera, die einen alltagstauglichen, dreifachen optischen Zoom erlaubt. Gemeinsam ermöglichen die neuen Kameras einen 20-fachen HybridZoom. Ein praktisches Feature ist dabei ein kleines Fenster, das ab einer 15-fachen Vergrößerung auf dem Display aufleuchtet und die momentane Position beim Zoomen anzeigt. Wem diese Brennweiten immer noch nicht lang genug sind, der kann den 100-fachen MaxZoom ausprobieren. Dieser trumpft zwar mit einer verbesserten Bildstabilisierung auf, bedarf aber immer noch einer sehr ruhigen Fotografenhand. Da die Kamera jedoch auch unter schwierigen Lichtbedingungen und bei Langbelichtungen sehr gute Ergebnisse liefert, wäre ein Smartphone-Stativ ohnehin eine sinnvolle Anschaffung.

Enorme Brennweitenspanne: oben ein Bild mit der 18-mm-Ultraweitwinkel-Kamera, in der Mitte ein zehnfacher optischer Zoom und unten ein 100-facher Zoom, der 2649 mm beim Kleinbild entspricht

DAVID ROJKOWSKI

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M AS T E R & DY N A M I C 0.95 L E I C A W E LT

Schon seit 2017 trägt das Unternehmen Master & Dynamic aus New York Kopfhörer zur 0.95-Kollektion von Leica bei. Ein Gespräch mit Gründer und CEO Jonathan Levine über Musik, Fotografie und Design.

2008 stellte Leica das Noctilux-M 50 1:0.95 Asph vor, bis heute das lichtstärkste asphärische Objektiv für das Kleinbildformat. Mit seiner minimalen Schärfentiefe bei offener Blende erschloss es der Fotografie kreative Möglichkeiten, die es zuvor nicht gab. Als Hommage an das Noctilux startete Leica 2015 die 0.95-Kollektion, für die namhafte Hersteller Accessoires produzieren, deren Gestaltung Akzente des Noctilux-Designs aufgreift – etwa das berühmte Gasfeuerzeug von S.T. Dupont oder Kopfhörer von Master & Dynamic. Die Produkte zeichnen sich durch innovative Materialien und Techniken aus und stehen für Werte wie Ingenieurskunst, Präzision und Materialgüte. Aufgrund limitierter Auflagen sind frühere 0.95Produkte heute nicht mehr erhältlich. Das gilt auch für die meisten Kopfhörer, die Master & Dynamic bisher zur 0.95-Kollektion 88 |

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Jonathan Levine, Gründer und CEO des Unternehmens Master & Dynamic, das sich zum Ziel gesetzt hat, Kopfhörer zu entwickeln, die „gutes Design mit ernsthafter Klangqualität verbinden“

beigesteuert hat. Das erst 2014 gegründete Unternehmen hat sich in der audiophilen High-End-Szene schnell einen Namen gemacht und stellte nun aber zwei weitere Kopfhörer in einem vom Noctilux inspirierten Design vor, die sich insbesondere durch ihre aktive Geräuschunterdrückung von den früheren Modellen unterscheiden.

LFI: Warum haben Sie Master & Dynamic im Jahr 2014 gegründet? Jonathan Levine: Als mein ältester Sohn Robert etwa 15 Jahre alt war und als DJ und Produzent arbeitete, bemerkte ich eine Lücke auf dem Kopfhörermarkt – es war schwierig, Kopfhörer zu finden, die gutes Design mit ernsthafter Klangqualität verbinden. Ich bin ein geborener Unternehmer und hatte schon immer meinen eigenen Standpunkt in puncto Design, ebenso wie meine Mitgründerin und Partnerin Vicki Gross. Deshalb waren wir begeistert, solch schöne Objekte zu schaffen – Kopfhörer, die meine beiden Söhne mit Stolz verwenden würden. LFI: Wie charakterisieren Sie das Unternehmen? Jonathan Levine: Wir sind leidenschaftliche Gestalter, manche sagen sogar, wir seien besessen von Design, Materialien und Hand-

werkskunst. Wir sind fest in unserer Marke und unseren Produkten verwurzelt, aber in dieser Wachstumsphase auch kleiner und jünger als die meisten unserer direkten Konkurrenten, sodass ich uns gern als eine Art „Herausforderer“ betrachte. Nicht nur in dem Sinne, dass wir mit bekannten Namen konkurrieren, sondern wir wollen auch bestimmte Selbstverständlichkeiten in der Branche und auf dem Personal-Audio-Markt infrage stellen, um neue Wege zu erfinden, wie wir das beste Produkt herstellen können – von den Materialien bis hin zu Kooperationen: Wir neigen dazu, die Dinge etwas anders zu handhaben, und darauf sind wir stolz. LFI: Wie kam es zur Zu‑ sammenarbeit mit Leica? Jonathan Levine: Eigentlich kam die Idee der Zusammenarbeit mit Leica schon vor dem Start →


Die neuen Kopfhörer von Master & Dynamic für die 0.95-Kollektion: die In-Ears MW07 Plus mit schwarzer Ladestation aus Edelstahl (oben links, unten rechts) und die drahtlosen Over-Ears MW65. Beide Systeme verfügen über eine aktive Geräuschunterdrückung, die In-Ears zusätzlich über einen Ambient-Modus

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von Master & Dynamic auf … ich erkläre es Ihnen. Eine der Aufgaben, die wir uns anfangs bei der Definition unserer Marke stellten, bestand darin, uns am runden Tisch zu versammeln und uns zu fragen: Wenn wir Uhren statt Kopfhörer herstellen würden, welches Unternehmen wären wir gern? Wenn wir ein Autohersteller wären, wer wären wir dann? Das machten wir für viele Branchen, die wir lieben und bewundern. Es herrschte Einigkeit darüber, welche Kamerafirma wir sein möchten: Leica. Viele Aspekte von Leica – das ikonische Design, die Haptik, die feinmechanischen Fähigkeiten – waren Dinge, die wir sehr bewunderten. In meinem Innersten bin

ich ein Produktmensch. Man könnte sagen, dass die Partnerschaft mit Leica für mich die Verwirklichung eines Traums war. LFI: Viele Musiker foto‑ grafieren, einige Fotogra‑ fen widmen sich auch der Musik. Wie sehen Sie die Verbindungen zwischen Fotografie und Musik? Jonathan Levine: Es gibt so viele Verbindungen. Beide Kunstformen sind wie das Einfangen von Blitzen in einer Flasche – ein Moment in der Zeit oder ein Moment mit einem Musiker und seinem Instrument. Beide können ohne Worte Geschichten erzählen und spielen eine große Rolle in der Erinnerung und nostalgischen Anwandlungen. Jeder der

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LFI: Betätigen Sie sich selbst auch als Fotograf? Jonathan Levine: Täglich – mit und ohne Kamera. Als visueller Mensch entdecke ich ständig Dinge und Bilder. Als Designer finde ich immer wieder Inspiration und Ideen in meiner Umgebung: eine Form, ein Detail, eine Farbe, ein Material, eine Textur. Die Spontaneität, mit der man ein Bild festhalten, speichern und wieder abrufen kann, ist ein großer Vorteil in meinem Gestaltungsprozess.

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LFI: Sowohl Musik als auch Fotografie haben etwas mit Komposition zu tun. Wie wichtig sind hervorragende Instrumente, in diesem Fall Kamera und Kopfhörer? Jonathan Levine: Sie sind definitiv unverzichtbar. Als Musikliebhaber weiß ich, dass ich mit einem guten Kopfhörer Details in der Musik hören kann, die ich zuvor noch nie gehört habe, und sie auf eine ganz neue Art und Weise schätzen lerne. Genauso ist es mit einer Qualitätskamera – das Noctilux-M 1:0.95/50 zeigt Details, die selbst das menschliche Auge nicht sehen kann. Gute Werkzeuge bieten dieses Maß an Detailgenauigkeit, das so viele Künstler besitzen – und das so

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Fotografen, mit denen wir befreundet sind, Dario Calmese, Danny Clinch, Erik Madigan Heck, Dennys Ilic, Chi Modu oder Jason Peterson, verwendet Musik, um seine Kreativität zu fokussieren und zu inspirieren.

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viele Liebhaber von Musik und Fotografie schätzen. LFI: Sie haben nun die dritte 0.95-Kollektion seit 2017 vorgestellt. Wie ha‑ ben Sie bei den neuen Kopfhörern Leicas Designspra‑ che interpretiert? Jonathan Levine: Wir haben das matte Schwarz der Kamera als Designelement genommen und sogar für die Ladestation der Kopfhörer MW07 Plus True Wireless verwendet. Das ist für uns eine neue Farbe und Oberfläche, die Ladestation besteht sonst aus poliertem Edelstahl. Es war auch eine interessante kreative Herausforderung, Leicas Markenzeichen auf die True Wireless In-Ears zu übertragen, da sie sehr klein

sind. Wir verwenden das 0.95-Logo als grafisches Element und das Leica-Rot für die Multifunktionstaste, die wirklich ins Auge springt. LFI: Was sind die techni‑ schen Vorteile des MW65 und MW07 Plus gegenüber vergleichbaren Produkten? Jonathan Levine: Bei den Over-Ear-Kopfhörern MW65 war es für uns unglaublich wichtig, einen Kopfhörer mit aktiver Geräuschunterdrückung (ANC) zu entwickeln, der keine Abstriche beim Klang macht. Allzu oft verfügen Kopfhörer über eine ANC, die dem Benutzer zwar Ruhe, aber auf Kosten von Detailtreue und Klangreichtum verschafft. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, dass un-

„ E S WA R EIN E IN TERESSANTE UND K R EAT IV E HER AUS FOR DERU N G, L EIC AS M A R K EN Z EIC HEN AU F DIE T RU E WIR EL E S S IN-EARS ZU ÜBERT RAG EN, DA S IE SEHR KLEIN SIND.“

sere ANC die Qualität der Musik verbessert, statt sie zu beeinträchtigen. Für die In-Ears MW07 Plus setzen wir – abgesehen von der Verwendung von Celluloseacetat, das sie optisch von anderen Kopfhörern abhebt – einen 10-mm-Berylliumtreiber ein, der eine Schlüsselkomponente bei der Erzeugung unseres charakteristischen Klangs ist. Auch die Batterielebensdauer ist ziemlich überragend, wenn ich das an dieser Stelle selbst einmal sagen darf. Die In-Ears haben eine Hördauer von zehn Stunden und sogar von 40 Stunden mit der Ladestation, die gleichzeitig zur Aufbewahrung dient, man kann sie problemlos überallhin mitnehmen. INTERVIEW: BERND LUXA

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B E S T O F L F I . G A L L E RY

HOME ALONE „Die Aufnahme gehört zu einem Projekt, das ich Ende Oktober 2019 begonnen habe. Das Ziel war es, all die spontanen Momente einzufangen, die man erlebt, während man allein zu Hause ist – allerdings nicht in der Art, wie es Dokumentarfotografen vielleicht tun würden. Ich wollte die Szenen des Alltagslebens traumartig gestalten.“ Tuan Anh Le Leica SL2 mit Vario-Elmarit-SL 1:2.8-4/24-90 Asph

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L IG H T BOX


SPEECHLESS „Dieses Motiv soll das Zitat ‚Das Schweigen allein ist groß, alles andere ist eine Schwäche‘ des französischen Dichters Alfred de Vigny in einem Bild ausdrücken. Während das Schweigen durch die Käfigmaske dargestellt wird, fügen die zu Fäusten geballten Hände links und rechts dem Bild eine kraftvolle Komponente hinzu.“ Daniel Schrick Leica S2 mit Summarit-S 1:2.5/70 Asph

T H E C YC L I S T „In der Aufnahme sieht man eine bekannte Brücke für Fußgänger und Fahrradfahrer in Antwerpen. Das Sonnenlicht, das durch die Löcher in der Brückenstruktur fällt, gibt dem Ganzen diesen schönen Effekt. Als der Fahrradfahrer durch das Bild fuhr, nahm ich die Chance wahr und drückte auf den Auslöser.“ Geert Verstrepen Leica M10 mit Summilux-M 1:1.4/50 Asph

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L A D O L C E V I TA „Dieses Bild entstand in San Felice Circeo, ein mystischer Ort in Latium, in dem große Regisseure wie Pasolini, Fellini und Bertolucci ihre Filme drehten. Es ist inspiriert von italienischen Schwarzweißfilmen der 1960erJahre, wie etwa La Dolce Vita. Man kann förmlich die Sonne fühlen, das Mittelmeer hören und die Blumen riechen!“ Max Malatesta Leica M10 mit Apo-Summicron-M 1:2/90 Asph

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B A C K S TA G E

S K Y S TAG E

„Die Models auf diesem Bild machen während einer Modenschau in Köln gerade eine Zigarettenpause, deshalb wollte ich beim Fotografieren so diskret wie möglich sein. Als Model nahm ich mehrere Male an der Veranstaltung teil, hier stand ich erstmals selbst hinter der Kamera und erkundete die Umgebung.“

„Shibuya, ein Stadtteil in Tokio, soll bis 2027 modernisiert werden. Der Shibuya Scramble Square konnte bereits im November 2019 eröffnen. Bei diesem Gebäude war es mir wichtig, ein Foto zu schaffen, das mit einer speziellen Perspektive dazu verleitet, es nachzustellen. Ich denke, das ist mir gelungen!“

Sebastian Trägner Leica M10 mit Summilux-M 1:1.4/35 Asph

B.B. Yuta Leica M (Typ 240) mit Summilux 1:1.4/35 Asph

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FA R B L I C H PA S S E N D „Der Mann mit orangener Brille und blauer Jacke zog meine Aufmerksamkeit auf sich, weil diese Farben so gut zur Auslage im Schaufenster passten. Das Nachmittagslicht und die Schatten formen jeden Passanten so, wie Filmemacher ihre Schauspieler formen würden!“ Wenpeng Lu Leica Q2, Summilux 1:1.7/28 Asph

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METRO „Wenn es mich langweilt, die Straßen von Istanbul entlangzuschlendern, benutze ich die U-Bahn. Ich wartete in der Station Taksim und sah diesen wunderbaren Hintergrund. Das Bild ist etwas ganz Besonderes, es war das Erste, das ich während meiner ersten eigenen Ausstellung verkauft habe.“ Mehmet Esen Leica M Monochrom mit Summicron-M 1:2/28 Asph

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Break the rules. Change their view. Tell the bitter truth. Challenge the status. Stand strong. Don’t look back. Stay hungry. Find the spark. Risk. Fail. Repeat. Succeed.

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Foto: Kristian Schuller: Lera Abova, Actress, aus dem Buch Anton’s Berlin, erschienen bei Hatje Cantz

P H OTO – B Ü C H E R – AU S S T E L L U N G E N – F E S T I VA L S – AWA R D S –


J O S E F KO U D E L KA RUINS

KRISTIAN SCHULLER

Fotos: © Kristian Schuller 2020; © Josef Koudelka/Magnum Photos; © Peter Fink 2020, VG Bild-Kunst, Bonn; © Piotr Zbierski

A N TO N ’ S B E R L I N

Berlin wartet auf Euch! So lockt der Berliner Fotograf (*1970) den Betrachter in seinem neuen Bildband durch eine bunte Mischung der vielgestaltigen Szene der Hauptstadt. Jede Menge Prominente, aber auch Unbekannte, die er im angesagten Club Berghain angesprochen hat, treten auf: Schauspieler, Künstler, Galeristen, Musiker, Tänzer oder eben auch sich in Berlin stetig selbst neu erfindende Lebenskünstler, die als Personal Shopper, Drag Performer, Dance Captain, oder einfach als „Human Being“ vorgestellt werden. Das Repertoire von Schullers Inszenierungen ist so vielfältig wie die Protagonisten seiner Bilder. Berlin als Kulisse ist dabei nicht zu unterschätzen: Der Fotograf spielt mit den Klischees der Stadt, bestätigt sie ebenso, wie er sie augenzwinkernd hinterfragt. Schuller, der einst in Berlin bei F.C. Gundlach und Vivienne Westwood studierte, hat gemeinsam mit seiner Frau Peggy hemmungslos frei den historischen Fundus der Mode- und Porträtfotografie geplündert. So lässt er eine Gruppe von Schauspielern in Kartons posieren – Will McBrides Inszenierungen lassen grüßen – oder er stellt eine Gesellschaft von Künstlerpersönlichkeiten zur Schau, ganz im Stil der bekannten Gruppenporträts von Warhols Factory-Entourage, die Richard Avedon 50 Jahre zuvor in Szene setzte. Überhaupt Vorbilder: die Zutatenliste für Schullers Bildideen ist lang. Aber nur so ist die einzigartige Cocktailmischung von Anton’s Berlin entstanden. Rasant, berauschend – und hoffentlich ohne Kater am Folgetag. 224 Seiten, 150 Abbildungen, 25 × 32,5 cm, englisch, Hatje Cantz

Für sein jüngstes Buch absolvierte der legendäre Fotograf (*1938) zwischen 1991 und 2015 eine epische Reise durch 20 Mittelmeerländer und erforschte die Schönheit der Überbleibsel aus der Welt der Antike. Seine Panoramen zeigen nicht einfach Ruinen in der Landschaft, sondern sie werden vielmehr zu einer Landschaft der Ruinen. 368 Seiten, 170 Abb., 24,4 × 32,1 cm, engl., Thames & Hudson; franz. Ausgabe: Éditions Xavier Barral

P I OT R Z B I E R S K I ECHO SHADES

Der Spiritualität ein Bild geben: Der polnische Fotograf (*1987) sucht in seinen intensiven Arbeiten mehr als die reale Abbildung der Welt. Auch in seinem zweiten Buch führt der Preisträger des Leica Oskar Barnack Newcomer Awards 2012 die Betrachter in eine Zwischenwelt, hinter die materielle Realität. Zbierski ist viel gereist, hat schamanische Rituale in Sibirien

PETER FINK MY MIND’S EYE

Ein Faible für das Schöne prägte sein Leben, ob als Designer, Artdirector oder Fotograf. Noch gilt es das Werk des US-Amerikaners (1907–1984) zu entdecken. Diese erste umfassende Publikation mit Reisefotografien, Straßenszenen, Menschen auf dem Land oder in der Stadt lädt dazu ein. 208 Seiten, 188 Abbildungen, 24 × 28,8 cm, englisch, Kehrer

dokumentiert, war bei den Stämmen im Omo River Valley, Äthiopien, und in den Bergen Indonesiens unterwegs. Seine geheimnisvollen Motive des multikulturellen Austauschs leben von der Magie des Moments und lassen eigenen Interpretationen Raum. 224 S., 130 Abb., 17 × 22 cm, engl./ poln., Pix House; engl./franz. Ausgabe: André Frère Éditions

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JÖRG BRÜGGEMANN ZEPHYR, MANNHEIM

ERIK MADIGAN HECK GALERIE CHRISTOPHE GUYE, ZÜRICH

Die Band Kraftwerk widmete ihr ein Lied, im Ausland steht sie für „no speed limit“: Die Autobahn ist das monumentalste Bauwerk Deutschlands. Noch prägt der Verbrennungsmotor ihr Bild, neue Technologien werden es verändern. Die Ausstellung wie lange noch vereint Fotografien aus den letzten fünf Jahren. 5. September 2020 — 6. Januar 2021 Foto: Jörg Brüggemann, A2 – 4, aus der Serie Autobahn, 2014–2019

H E R L I N D E KO E L B L A KA D E M I E D E R W I S S E N SCHAFTEN, BERLIN

4. September — 21. November 2020 Foto: Erik Madigan Heck, Not Titled, 2020

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Z U SA M M E N L E B E N K U N S T H A L L E D A R M S TA D T

In der Schau Zusammenleben des Engländers John Myers, der Thüringerin Ute Mahler und des Westfalen Joachim Brohm steht der Mensch der 70er- und 80er-Jahre im Mittelpunkt fotografischer Erzählungen. Trotz verschiedener Sichtweisen auf die Gesellschaft werden Grundzüge des Individuums sichtbar. Grenzüberschreitend. 13. September 2020 — 3. Januar 2021 Foto: Ute Mahler, aus Zusammenleben, Aue, Zirkus Hein, 1973

„Are we alone?“, fragt Avi Loeb, theoretischer Physiker, Astrophysiker und Kosmologe. Diese Worte hat er sich auf seine Hand geschrieben, hält sie direkt in die Kamera. Und gibt damit Einblick in die Essenz seiner Forschung. Avi Loeb ist einer der 60 Porträtierten in Herlinde Koelbls neuer Arbeit. Mit Faszination Wissenschaft – 60 Begegnungen mit wegweisenden

Forschern unserer Zeit sucht sie den Menschen hinter der großen Entdeckung und das, was ihn antreibt. 5. Oktober 2020 — 29. Januar 2021 Fotos: Herlinde Koelbl; Jennifer Doudna, Biochemie, Molekularbiologie; Paul Nurse, Biochemie, Molekularbiologie; Avi Loeb, Theoret. Physik, Astrophysik, Kosmologie

Fotos: © Erik Madigan Heck; © Jörg Brüggemann; © Ute Mahler/Ostkreuz; © Herlinde Koelbl

Der Garten: ein Paradies mit Blumen, zartem Grün und einem spiegelnden Teich, Augenweide des Moments und Lichtblick des Lebens. „Ich habe keinen anderen Wunsch, als mich enger mit der Natur zu verbinden“, sagte einst der französische Maler Claude Monet, der den Garten mit dem Seerosenteich in seinen Gemälden verewigte, ein impressionistischer Hauch der Farben und Pinselstriche. An dieser Stelle findet die Ausstellung The Garden ihren Bezugspunkt, erinnert an die Form jener Bildtradition, zeigt die Liebe des Fotografen zur Malerei. Erik Madigan Heck erläutert: „Für mich ging es in der Malerei immer mehr um die Farbe. Genau da liegt die Schnittstelle zu meiner Fotografie: wie man Farbe so darstellen kann, wie es ein Maler mit dem Pinsel vermag.“ Seine Serie hat Heck überwiegend im Haus seiner Familie in Neuengland aufgenommen, in verschiedenen Szenerien, aber trotzdem ist sie nicht das eigentliche Thema seiner Arbeit. Vielmehr ist er an den ästhetischen Möglichkeiten interessiert, die ihm die Fotografie bietet: die Grenze zwischen Malerei und Fotografie zu verwischen, Erzählungen anhand von Farben zu schaffen. Seine Bilder zeigen ein Dasein, das in direkter, unmittelbarer Erfahrung von Schönheit gelebt wird. Rein, spontan, idyllisch. So ist The Garden, ausgestattet mit prächtigen Kleidern und traumhaften Bildern in romantischer Umgebung gleichsam ein Märchen, in dem Figuren und Schauplätze zu Kompositionen werden, in denen Vertrautes und Fantastisches miteinander verschmelzen. Sie wirken wie gemalt.


Foto: © Matt Black/Magnum Photos

Über 100 000 Meilen, 46 US-Bundesstaaten – das sind die Zahlen hinter einem fotografischen Roadtrip durch die Vereinigten Staaten. Eine Farm in der Wüste, eine Tankstelle im Nirgendwo, eine faltige Hand auf einem Holzpfahl. Der Magnum-Fotograf Matt Black hat sich auf seiner Reise den Menschen und ihrem Leben gewidmet, die an Orten mit einer Armutsrate von mehr als 20 Prozent zu Hause sind. „Der wichtigste Schlüssel zum Verständnis dieser Arbeit und warum ich sie mache, liegt darin, woher ich komme. Meine

M AT T B L AC K DEICHTORHALLEN, HAMBURG

Region und viele im ganzen Land sind nicht durch den großen amerikanischen Mythos, die Grundidee Amerikas, repräsentiert“, sagt Matt Black. Er fuhr in den Südwesten, über den Black Belt in den Südosten bis hin zu den postindustriellen Fabrikstädten im Mittleren Westen. „Mit seinen großformatigen quadratischen Schwarz-

weißbildern und überwältigenden Landschaftspanoramen zeigt uns Black ein Land fern der unbegrenzten Möglichkeiten und eine Gesellschaft, die in weiten Teilen von Armut, Chancenlosigkeit und politischer Resignation geprägt ist“, erläutert Kurator Ingo Taubhorn. Und so ist American Geography bei ihrer weltweiten Premiere sowohl eine Schau der Kunst als auch ein humanistisches Projekt. 25. September 2020 — 3. Januar 2021 Foto: Matt Black, El Paso, Texas, USA, 2015

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EMOP BERLIN 2 02 0 1. BIS 31. OKTOBER 2020

Am 31. Januar 2020 fühlte sich die Welt plötzlich viel kleiner an. An diesem Tag verließ Großbritannien die EU und es schien, als würden Harmonie und Einheit Europas mit einem Schlag auseinanderbrechen. Quo vadis, Europa? Mit dieser Frage beschäftigt sich auch das Fotofestival European Month of Photography (EMOP), das in diesem Jahr zum neunten Mal in Berlin stattfindet – unter dem Thema Europa – Identität, Krise, Zukunft. Die Hauptausstellung Kontinent – Auf der Suche nach Europa in der Aka108 |

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demie der Künste vereint Arbeiten der 23 Mitglieder der Fotoagentur Ostkreuz, in denen verschiedene Positionen erforscht werden, über Renationalisierung, Migration und Integration bis hin zum Verständnis von Humanismus und Demokratie. In mehr als 100 Berliner Kulturräumen organisiert der European Month of Photography diverse Schauen und Veranstaltungen. Zu den von einer Jury ausgewählten Projekten – 110 an der Zahl – gehören auch Themen wie 30 Jahre Wiedervereini-

gung oder 100 Jahre Groß-Berlin sowie klassische Genres wie Porträt-, Architektur- und Modefotografie. Leica zeigt in den Capitis Studios die Bildserien der Gewinner des Leica Oskar Barnack Awards aus dem vergangenen Jahr. Sowohl Mustafah Abdulaziz, unmittelbar, als auch Nanna Heitmann, mittelbar, haben sich in ihren Werken dem Wasser als einem der wichtigsten Elemente, als Ressource und als Lebenselixier gewidmet. www.emop-berlin.eu

Fotos: © Dawin Meckel/Ostkreuz, courtesy Akademie der Künste, Berlin; © Birk Alisch, 2020, courtesy Lette Verein Berlin; © Mustafah Abdulaziz; © Nanna Heitmann/Magnum Photos

Von links oben im Uhrzeigersinn: LOBA-Gewinner 2019 Mustafah Abdulaziz, Terrebonne Parish, Louisiana, aus der Serie Water; Dawin Meckel, Die Wand, 2017—2018; Birk Alisch, Gamechangers, 2020; LOBA-Newcomer 2019 Nanna Heitmann aus der Serie Hiding from Baba Yaga (2)


LEICA GALERIEN S ÃO PAU L O

Derzeit geschlossen BRA  |  01240–000 São Paulo, Rua Maranhão, 600 Higienópolis SINGAPUR

Derzeit geschlossen SIN  |  Singapur, Raffles Hotel Arcade, #01-20/21, 328 North Bridge Rd., 188719 STUTTGART

Claus Friedrich Rudolph: Voll. Fett. Lecker. Jeff Garlin stellt in LA aus (li.); Nürnberg zeigt Dr. Paul Wolff & Alfred Tritschler (re.)

BOSTON

MADRID

Leica Women Foto Project Exhibition: Debi Cornwall, Yana Paskova & Eva Woolridge

PhotoEspaña: Elliot Erwitt

USA  |  Boston, MA 02116, 74 Arlington St. 5. März — 25. Oktober 2020

ESP  |  28006 Madrid, Calle de José Ortega y Gasset 34 1. Juli 2020 — 9. Oktober 2020

GER  |  Calwer Straße 41, 70173 Stuttgart 7. Juli — 17. Oktober 2020 SUZHOU

Aktuelle Ausstellung stand bei Redaktionsschluss nicht fest CHN  |  Suzhou, Moonlight Dock, No. 1 Guanfeng Street, Suzhou Industrial Park, Jiangsu

MAILAND DÜSSELDORF

Walter Vogel: Gabi im Sassafrass GER  |  KÖ Galerie, Königsallee 60, 40212 Düsseldorf 10. September 2020 — Januar 2021

Fotos: © Jeff Garlin; © Dr. Paul Wolff & Alfred Tritschler/alle Rechte bei Thomas Sommer, Offenburg

FRANKFURT

M’innamoravo di tutto – Originale von Werner Bischof, Richard Avedon, Henri Cartier-Bresson, Franco Fontana und anderen ITA  |  20121 Mailand, Via Mengoni 4 30. September — 21. November 2020 MELBOURNE

GER  |  60311 Frankfurt am Main, Großer Hirschgraben 15 September 2020 — Januar 2021

AUS  |  Melbourne, VIC 3000, Level 1 St Collins Lane, 260 Collins Street

Esther Haase: Move! GER  |  78462 Konstanz, Gerichtsgasse 10 29. Juli — 23. Oktober 2020 KYOTO

Kei Ogata: Portraits of Cool Japanese JPN  |  Kyoto, 570–120 Gionmachi Minamigawa, Higashiyama-ku 1. August — 5. November 2020

Derzeit geschlossen

NÜRNBERG

Dr. Paul Wolff & Alfred Tritschler: Mit dem Kraftwagen von Frankfurt nach Nürnberg

GBR  |  London, 64–66 Duke Street W1K 6JD 5. Oktober — 16. November 2020

USA  |  West Hollywood, CA 90048, 8783 Beverly Boulevard 16. Juli 2020 — 10. Januar 2021

Kundo Koyama: Restaurant JPN  |  Tokio, 6-4-1 Ginza, Chuo-ku 23. Juli — 3. November 2020 WA R S C H A U

Aktuelle Ausstellung stand bei Redaktionsschluss nicht fest POL  |  00–496 Warschau, Mysia 3 WETZLAR

PRAG

GER  |  35578 Wetzlar, Am Leitz-Park 5 23. Oktober 2020 — 7. Februar 2021

Vasil Stanko: Family Portrait

LOBA 2020: Die Gewinner

TCH  |  110 00 Prag 1, Školská 28 10. September — 1. November 2020

WIEN

PORTO

AUT  |  1010 Wien, Walfischgasse 1 6. August — 7. November 2020

Alfredo Cunha: Leica Years – 50 years career using Leica POR  |  4000-427 Porto, Rua d. Sá da Bandeira, 48/52 12. September 2020 — 5. Januar 2021

LOS ANGELES

The 6 x 6 Show: Neal Preston, Jesse Diamond, Maggie Steber, Deborah Anderson, Alan Schaller, Jeff Garlin

TWN  |  Taiwan, No. 3, Ln. 6, Qingtian St., Da’an Dist., Taipei City 106 25. Mai — 30. September 2020

GER  |  90403 Nürnberg, Obere Wörthstr. 8 5. Oktober 2020 — 16. Januar 2021

LONDON

Behind the Scenes of No Time to Die: Images from the latest James Bond film in the making

Alan Schaller: Metropolis

TOKIO

Ausstellung mit Bildern aus der Sammlung renommierter Fotografen

KO N S TA N Z

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SALZBURG

Phil Hill: The Racing Photographer

ZINGST

Nomi Baumgartl: Eagle Wings – Protecting the Alps GER  |  18374 Zingst, Am Bahnhof 1 1. September — 10. Dezember 2020

Oskar Anrather: Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes, von 1965 bis 1998 AUT  |  5020 Salzburg, Gaisbergstr. 12 31. Juli — 7. November 2020

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„ KU N S T H A N D E L I S T E I N P E O P L E ’ S B U S I N E S S .“ I N T E RV I E W

Foto links: © August Sander; Fotos rechts: © Werner Mantz, © Thomas Ruff; alle Bilder courtesy Grisebach GmbH/VG Bild-Kunst, Bonn 2020

Das 1986 gegründete Berliner Auktionshaus Grisebach versteigert seit über 20 Jahren auch Fotografien. Geschäftsführerin Diandra Donecker über Zufallsfunde, teure Sammlerstücke und wichtige Netzwerke.

LFI: Welche Epoche der Fotografie

ist derzeit besonders gefragt? DIANDRA DONECKER: Generell funktionieren Vintage-Fotografien der 1920er- bis 1940er-Jahre sehr gut, genauso aber auch zeitgenössische Namen wie Peter Lindbergh, Candida Höfer oder Thomas Ruff. LFI: Was sind Ihre persönlichen High-

lights seit Sie bei Grisebach tätig sind? DONECKER: Im Jahr 2018 konnten wir ein seltenes, im Zustand perfektes Moholy-Nagy-Photogramm aus seiner Zeit am Bauhaus in Weimar anbieten, das schließlich den Rekord für das teuerste Foto auf dem deutschen Markt jemals aufstellte. Außerdem im

Herbst 2019 ein Konvolut von 72 Abzügen von August Sanders Menschen des 20. Jahrhunderts, die noch aus seiner Zeit stammten. Daneben gibt es eine Vielzahl von Fotografien, die durch ihre Provenienz berühren oder mir einfach persönlich gut gefallen. LFI: Seit wann bietet Grisebach Fotografien an und in welchem Umfang? DONECKER: Fotografie als eigenständige Abteilung gibt es bei Grisebach seit 1998. Für unser Angebot in den Auktionen bedeutet die Fotografie eine gute Ergänzung und wir arbeiten seit Jahren viel dafür, dass Fotografie und Kunst als gleichwertige Begriffe behandelt werden. Allerdings setzen wir im Moment nur etwa zehn Prozent mit Fotografie um. LFI: Seit wann, würden Sie sagen, wird Fotografie bei Sammlern als begehrte Kunstform wahrgenommen? DONECKER: In den USA sicherlich schon seit den 1970er-Jahren. Hier in Deutschland scheint das noch immer da und dort zu haken. Woran das liegt? Ich kann es mir nur erklären durch die technischen Eigenheiten, die Reproduzierbarkeit und teilweise herausfordernde Nachvollziehbarkeit →

Oben: Thomas Ruff, Aufnahme aus seiner Serie Porträts. 1983–85/1998; links: Werner Mantz, Haus der Kölnischen Zeitung auf der Internationalen Presse-Ausstellung ‚Pressa‘ bei Nacht, Köln 1928; linke Seite: August Sander, Konditor, Köln-Lindenthal, um 1928. Aus seiner Serie Menschen des 20. Jahrhunderts, 1912–32

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V. o. im Uhrzeigersinn: Horst P. Horst, Hands, Hands, Hands, New York 1941; László MoholyNagy, Ohne Titel, Weimar 1923/25, VintagePhotogramm; Gertrud Arndt, Negativ-Porträt Wera Meyer-Waldeck, Dessau, 1930

Oben: Albert Renger-Patzsch, Das Bäumchen, 1929. Die berühmte Aufnahme des jungen Kirschbaums war eines der Lieblings­m otive des Fotografen und wurde 2016 bei Grisebach für 70 000 Euro (inklusive Aufgeld) verkauft

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Fotos: © Horst P. Horst, courtesy Grisebach GmbH; © László Moholy-Nagy, courtesy Grisebach GmbH; © Gertrud Arndt, courtesy Grisebach GmbH/VG Bild-Kunst, Bonn 2020; © Bettina Rheims, courtesy Grisebach GmbH; © Ren Hang, courtesy Grisebach GmbH; © Albert Renger-Patzsch, courtesy VG Bild-Kunst, Bonn 2020

Oben: Bettina Rheims, 7 Novembre, Paris, aus ihrer Serie Chambre close, 1991; unten: Ren Hang: Untitled, 2014


von Auflagen, Editionsnummern, Stempeln und diesen ganzen Dingen. LFI: Inwieweit sind ganze Serien im Vergleich zu Einzelmotiven eventuell besonders interessant? DONECKER: Das ist eine interessante Frage. Fotografen wie zum Beispiel Beate Gütschow, Tata Ronkholz, Stephen Shore oder Irving Penn konzipieren ihre Arbeit zum großen Teil in Serien und trotzdem „funktionieren“ auch die Einzelmotive in ihrer Aussagekraft. Die Porträts von August Sander oder von Thomas Ruff versteht man in der Reihung auf eine andere Weise, ohne dass die Serie vollständig sein muss. Bei anderen, wie etwa der Serie Denkmal von Sibylle Bergemann oder den Brown Sisters von Nicholas Nixon, ist es auf jeden Fall sinnvoll

DONECKER: Interessenten und Bieter haben wir aus allen Bereichen, darunter natürlich Museumsvertreter und professionelle Sammler. Bei Preisen, die bei 500 Euro beginnen können und bei 500 000 Euro enden, sind das verschiedene Einkommensschichten und Hintergründe, die wir zu unserer Kundschaft zählen. Dazu natürlich auch ein Mix aus Privatpersonen, dem Handel, aber auch Institutionen. LFI: Jagen Sie nach Zufallsfunden, nach etwas wie den Bildern von Vivian Maier? Wäre ein solcher Fund Ihrer Meinung nach wiederholbar? DONECKER: Man soll ja niemals nie sagen, aber das halte ich für schwer nachahmbar. Im Falle Maiers kommt viel zusammen: sehr gute Qualität plus aufregende Bildkompositionen und

gie und Ausdauer, gepaart mit Geduld. Kunstkauf hat eine Menge mit Wahrhaftigkeit, Vertrauen und Verständnis für das Werk und für den Kunden zu tun – neben Wissen und Expertise. LFI: Sie verkaufen nicht nur, sondern beraten auch in Schätzungsfragen. DONECKER: Wir bieten das als konstenlosen Service an. Sollten Sie also eine Entdeckung im Haus der Großeltern machen, dann senden Sie uns einen Schnappschuss der Vorder- und Hinterseite mit Angaben zu Maßen, Datierung, Künstlername und Titel. Hilfreich ist auch immer die Angabe der Provenienz, also: Wann wurde das Werk erworben? Von wem vererbt? LFI: Was sehen Sie für die Entwicklung von Fotografie in Zukunft voraus?

„ I C H G E H E DAVO N AU S, DAS S D E R F OTO M A R K T I N N ÄC H S T E R Z U K U N F T N O C H Z U L E G E N W I R D. “

und spannend, die gesamte Abfolge der Serie sehen zu können. LFI: Welche Rolle spielt die Höhe der Auflage bei den Werken? DONECKER: Das ist ein wichtiges Kriterium. Eine Auflage von sechs ist schneller vergriffen als eine Auflage von 200, eine vom Fotografen autorisierte und signierte Auflage begehrter als eine vom Nachlass herausgegebene. Generell werden nummerierte Abzüge gern gekauft, weil man dann weiß: Von diesem Motiv in dieser Größe gibt es eben nur diese bestimmte Anzahl. Die Registrierung und eventuelle Erfassung des Erstverkaufs liegt beim Herausgeber, üblicherweise in Zusammenarbeit mit den Fotografinnen und Fotografen und/oder deren Galerien. LFI: Aus welchen Bereichen kommen Interessenten für Fotografien?

letztlich eine sofortige Einbindung in Vermarktung und Unterstützung einer wichtigen Galerie, in dem Fall Howard Greenberg in New York. LFI: Auf welche Weise werden Werke bei Ihnen eingeliefert und wie akquirieren Sie selbst? DONECKER: Kunden melden sich selbstständig bei uns zurück und machen Angebote, dann gibt es gewachsene Beziehungen zu Privatpersonen oder Händlern, die man für die Saison kontaktiert und anspricht, und Händler, die auf uns zukommen. Außerdem bin ich mindestens zweimal im Jahr in New York und Paris, wo man die Kontakte pflegt oder Fäden aufnimmt … LFI: Welche Voraussetzungen braucht man im Kunsthandel, und welche speziell im Bereich Fotografie? DONECKER: Der Kunsthandel ist ein People’s Business, gute und enge Beziehungen sind langfristig das A und O. Wichtig sind auch viel Disziplin, Ener-

DONECKER: Ich gehe davon aus, dass der Handel mit Fotografien in der nächsten Zukunft noch weiter zulegen wird. Auf dem Fotomarkt herrschen – im Vergleich zu vielen anderen Sammlungsgebieten – durchaus noch erschwinglichere Preise. Gerade hier kann man also als jemand, der gerade mit seiner Sammlung anfängt, auch mit einem relativ kleinen Budget schon viel erreichen und sich etwas Schönes zusammenstellen. INTERVIEW: Carla Susanne Erdmann

DIAN DRA DON E C KE R Geboren 1988. Sie hat

einen M.A. in Kunstgeschichte, Neuere Deutsche Literatur und Rechtswissenschaften von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Nach einer Station bei Christie’s übernahm sie 2017 die Leitung der Abteilung Fotografie bei Grisebach. Seit 2019 ist sie mit Micaela Kapitzky Geschäftsführerin des Unternehmens. N ÄC H STE AU KTION : „Photographie 323“ im

November 2020, www.grisebach.com

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LEICA FOTOGRAFIE I N T E R N AT I O N A L

A N A M A R Í A A R É VA LO MEIN BILD

Schönheit hinter Gittern: Diese Aufnahme schuf die venezolanische Fotografin während der Arbeit an ihrem Langzeitprojekt Días Eternos.

72. Jahrgang | Ausgabe 7.2020

LFI PHOTOGR A PHIE GMBH Burchardstraße 14, 20095 Hamburg Telefon: 0 40/2 26 21 12 80 Telefax: 0 40/2 26 21 12 70 ISSN: 0937-3969 www.lfi-online.de, mail@lfi-online.de CHEFREDA KTION Inas Fayed A RT DIRECTION Brigitte Schaller REDA KTION Katrin Iwanczuk (ltd. Redakteurin), Denise Klink, Bernd Luxa, Danilo Rößger, David Rojkowski BILDREDA KTION Carol Körting L AYOUT Thorsten Kirchhoff MITA RBEITER DIESER AUSGA BE Carla Susanne Erdmann, Katja Hübner, Ulrich Rüter, Holger Sparr, Katrin Ullmann GESCH Ä FTSFÜHRUNG Steffen Keil A NZEIGENLEITUNG & M A RKETING Samira Holtorf Telefon: 0 40/2 26 21 12 72 Telefax: 0 40/2 26 21 12 70 E-Mail: holtorf@lfi-online.de Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 48 vom 1.1.2020

Aus der Serie Días Eternos, Venezuela 2018

Dieses Porträt entstand während eines Langzeitprojekts über die Bedingungen von Frauen in Haftanstalten und Gefängnissen in Venezuela. Um die Nähe und Intimität zu erreichen, die ich suchte, bat ich die Wachen, mich so lange wie möglich mit den Gefangenen allein zu lassen. Schönheit war für venezolanische Frauen schon immer wichtig. Selbst an Orten wie diesen kümmern sie sich um ihr Aussehen, auch wenn sie weder einen Spiegel besitzen, noch Besucher erwarten. An diesem Tag war die Zelle völlig überfüllt: 22 Frauen teilten sich einen kleinen Raum. Sie verbrachten den Nachmittag damit, sich die Haare zu machen und sich zu schminken. Diese Frau hatte die längsten Haare von allen, also halfen ihr die anderen Insassinnen beim Frisieren, was sehr lange dauerte. Als sie schließlich fertig war, fragte ich sie, ob ich das Ergebnis fotografieren dürfe. Ana María Arévalo, geboren 1988 in Caracas, studierte Fotografie in Toulouse. Sie nutzt Fotografie für visuelle Erzählungen mit hohem dokumentarischen Wert. Für Días Eternos erhielt sie ein Stipendium des Pulitzer Center on Crisis Reporting.

LFI 8/ 2020 ERSCHEINT AM 30. OKTOBER 2020

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REPRODUKTION: Alphabeta, Hamburg DRUCK: Optimal Media GmbH, Röbel/Müritz PA PIER: Igepa Profimatt A BO-BEZUGSBEDINGUNGEN LFI erscheint achtmal jähr­lich in deutscher und englischer Sprache. Jahresabonnement (inkl. Ver­sandkosten): Deutschland: 69 € Belgien, Österreich, Luxemburg, Niederlande, Schweiz: 74 € weltweit: 80 €; digital: 49 € LFI gibt es auch als kostenlose App im iTunes Store und bei Google Play. LFI-A BOSERVICE Postfach 13 31, D-53335 Meckenheim Telefon: 0 22 25/70 85-3 70 Telefax: 0 22 25/70 85-3 99 E-Mail: lfi@aboteam.de Für unverlangt eingesandte Fotos und Texte übernimmt die Redak­tion keine Haftung. Die Zeitschrift und alle Abbildungen und Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheber­ rechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verla­gs unzulässig und strafbar. LFI druckt klimaneutral und unterstützt Klimaschutzprojekte in Norddeutschland. Mehr dazu unter climatepartner.com

Leica – eingetragenes Warenzeichen.


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KLAUS FENGLER | EXPEDITIONS-FOTOGRAFIE

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AUSSTELLUNG 29. Februar bis 23. Juli 2020, der Eintritt ist frei Eintritt ist fr er 2020, der ktobVereinbarung O . 23 hr is b st ÖFFNUNGSZEITEN Mo bis Fr 10:00 – 18:30 Uhr, Sa,09:30 – 14:00 Uhr oder nach .30 – 14.00 U 01. Augu , Samstag 09 G Samstag

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