Wirtschaftsmagazin Bodensee 2017

Page 59

politischer und soziostruktureller Sicht wichtig sein wird, Familienbetriebe zu unterstützen. Im Südwesten Deutschlands waren diese historisch gewachsenen Betriebe immer eine tragende Säule des Handwerks. Betriebe, die enorm zur Wertschöpfung im Lande beitragen. Ein wichtiger Punkt ist die Unterstützung für eine erfolgreiche Nachfolgeregelung in den Betrieben, aber auch ganz allgemein Beratung in der Umsetzung aktueller und zukünftiger Anforderungen, die der Markt erfordert und der Endkunde auch von ihnen erwartet. Während bei Kleinstbetrieben meist ein zwar effizientes, aber weniger kompliziertes Businessmodell verfolgt wird, kann es bei familiengeführten Betrieben mit einer Mitarbeiterzahl von zwei bis zehn durchaus komplexe Strukturen geben, die eine stärkere Beratungsleistung erfordern. Substantiell gut geführte Familienbetriebe sind darüber hinaus der Garant in der Ausbildung junger Menschen. Man muss die Beratungsleistung der Kammern also auch aus soziopolitischer Sicht betrachten. Beraten werden zudem Institutionen und die Ministerien. Für die Politik ist es wichtig, auf fundierte, empirisch gesicherte Daten zurückgreifen zu können. Das Wirtschaftsministerium war gleichzeitig Fördermittelgeber des Projektes und mit Dr. Hoffmeister-Kraut steht eine Frau mit starkem Mittelstandbezug an der Spitze des Ministeriums. Was ist unter dem Stichwort „Digitalisierung“ im Handwerk zu verstehen? Die Wirtschaftsbranche Handwerk steckt in einigen Gewerken bereits mittendrin in der Digitalisierungsthematik. Es geht dabei nicht nur um die technologieorientierten Branchen, sondern für alle Betriebe gilt es, die Herausforderung der digitalen Kommunikation auf allen erdenklichen Kanälen mit dem Endkunden anzunehmen. Die Kunden nehmen den Handel im Internet als Maßstab und erwarten die zeitnahe Bearbeitung einer Anfrage. Da stellt sich die grundsätzliche Frage, ob ein Feedback unmittelbar erfolgen muss oder eine Antwort am Tag darauf ausreicht. Die Betriebsinhaber bieten in der Regel eine hervorragende handwerkliche Leistung, aber die Form der Kommunikation mit dem Kunden hat bereits heutzutage und wird in noch stärkerem Maße einen gewichtigen Anteil an der Wertschöpfung des Betriebes haben. Das gilt auch für die Büroorganisation mitsamt Vertriebsstrukturen und Akquise, die ohne den Einsatz von IT kaum mehr auskommen wird. Ein weiterer Punkt sind Bewertungsplattformen, die beim Handwerk schon gang und gebe sind und immer wichtiger werden. Überall im Internet wird kommentiert. Bei einem unserer neuen Formate mit der Bezeichnung „Morgenstund – Vortrag & Frühstück für Aufgeweckte“ für junge Unternehmer und Gründer wurde deutlich, dass der Druck, ständig bewertet zu werden, durchaus ein Thema ist, mit dem man sich in der Branche beschäftigt. Angenommen, in einer digital vernetzten Wohnung geht eines der Haushaltsgeräte kaputt: Wird der Handwerker vor Ort auch in Zukunft der passende Ansprechpartner sein? Darauf haben die Handwerkskammern schon vor einiger Zeit in ihrer Ausbildungsordnung reagiert, indem die Rahmenlehrpläne in den technologieorientierten Branchen erweitert wurden. Und zwar insbesondere um digitale Inhalte wie Steuerungselektronik oder zum Smart-Home. Die Branche beschäftigt sich intensiv mit der Frage, wie man ein solches Anforderungsprofil erfüllen kann. So kann es notwendig sein, dass in den Betrieben zusätzlich ein IT-Meister tätig ist, der die komplexeren elektronischen Anlagen betreut. Weiterbildungen, wie den noch ganz jungen Meisterausbildungsgang „IT-Meister“ wurden komplementär zu den bisherigen Berufsbildern, wie Elektriker oder Elektroniker entwickelt. Im Kfz-Bereich hat sich die Ausbildung zum Mechatroniker längst etabliert, und auch dort reagierte man in der Ausbildung auf neue Entwicklungen wie E-Mobilität, die heute bereits in der Gesellenausbildung Standard ist. Darüber hinaus gibt es spezielle Weiterbildungsmöglichkeiten in zukünftig wichtigen Bereichen wie eben der E-Mobilität.

Auch auf den demografischen Wandel wird das Handwerk reagieren müssen. Man denkt in diesem Zusammenhang zunächst an die Chancen der Unternehmen des Gesundheitswerks … Auch der demografische Wandel ist von mehreren Seiten aus zu betrachten. Einerseits wird der demografische Wandel Geschäftsmodellen im Gesundheitshandwerk ein Zuwachs an Kunden bringen mit neuen Aufgabenstellungen. Andererseits stellt sich in Zukunft die Frage, wie man in den Betrieben selbst mit einer größeren Anzahl älterer Mitarbeiter umgeht. Gerade in Gewerken, in denen ein hoher körperlicher Einsatz gefordert ist, gilt es in punkto Betriebsorganisation für die Zukunft Lösungen zu finden. Das gilt nicht nur für die Berufsgruppen, an die man sofort denkt, wie Dachdecker, den Zimmermann oder Maurer, auch bei Elektrikern sind Probleme mit dem Rücken ein signifikantes Thema. Wird denn das Thema Gesundheitsprävention in den Betrieben aktiv angenommen? Von Seiten der Handwerkskammer aus versuchen wir im Dialog mit den Betriebsinhabern, die betrieblichen Maßnahmen in der Gesundheitsprävention zu einem Teil der Arbeitgebermarke, also zu einem Teil des betrieblichen Wertesystems zu machen. Gesundheitsprävention ist ein wichtiges Instrument, um den Betriebserfolg zu generieren. Das Thema wird ernster genommen als noch vor fünf oder sieben Jahren, dennoch muss man sagen, dass das in der Tiefe noch nicht durchgängig so gesehen wird. Es ist noch viel Aufklärung notwendig. Alternativen dazu sehe ich nicht, schon jetzt ist der Fachkräftemangel in einzelnen Branchen deutlich spürbar. Im Wettbewerb mit der Industrie gilt es junge Menschen für eine handwerkliche Ausbildung zu gewinnen. Was wird dafür getan? Neben der Prüfungs- und Ausbildungsordnung als eine hoheitliche Aufgabe der Handwerkskammer als Körperschaft des öffentlichen Rechts ist die Anwerbung neuer Auszubildender ein Schwerpunkt unserer Aufgaben. Aktuell gibt es im Südwesten ein leichtes Plus bei der Zahl der Auszubildenden. Positiv zu bewerten ist auch der höhere Anteil an Abiturienten, die sich für einen handwerklichen Beruf begeistern. In der Summe ist es allerdings noch nicht auskömmlich. Über die Arbeitgebermarke müssen Betriebe potentielle Auszubildende von ihrem Betrieb überzeugen. Unterstützend dazu hat die Handwerkskammer ein neues Format entwickelt, das Unternehmen ab Januar 2017 als zertifizierten Ausbildungsbetrieb auszeichnet. Mit diesem Zertifikat, bei dem strenge Regularien einzuhalten sind, soll es jungen Menschen wie auch ihren Eltern leichter gemacht werden, zu erkennen, in welchen Betrieben eine qualifizierte Ausbildung garantiert wird. Imagekampagnen des deutschen Handwerks finden über diesen Weg ihren Widerhall in den einzelnen, zertifizierten Betrieben, verbunden mit der Hoffnung auf eine Strahlkraft auf weitere Betriebe. Wie wird versucht, die Jugendlichen und potentiellen Auszubildenden heute und auch in Zukunft zu erreichen? Schon heute erfolgt die Ansprache an die Jugendlichen auf digitalem Wege. Die Kampagnen, um junge Menschen für das Handwerk zu begeistern, laufen online über soziale Netzwerke. Heutzutage muss man mit Bewegtbildern arbeiten, um die Jugendlichen zu erreichen. Inhalte werden in kleine Videos verpackt und die Texte kurz und prägnant formuliert, so dass schon beim Anteasern klar wird, um was es geht. So möchten wir innerhalb der sozialen Netzwerke mit den Jugendlichen in einen Dialog treten. Umfragen des Markt- und Meinungsforschungsinstituts Forsa, die parallel zu den Imagekampagnen laufen, und das Feedback der Jugendlichen selbst bestätigen uns, dass dieser Weg der richtige ist. Handwerkskammer Konstanz | Politik, Wirtschaft & Bildung 57


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.