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AnNa R.

Adel Tawil
Zeiten von Corona scheinen Adel Tawils introspektiven Ansatz noch einmal auf ein neues Level gehoben zu haben. „Spiegelbild“ dokumentiert auch den aktuellen Stand seiner inzwischen gut zehn Jahre währenden SoloKarriere. Die Anfänge des Musikers, Sängers und Produzenten Adel Tawil reichen aber weitere 20 Jahre zurück. Schauen wir uns diese Geschichte also einmal näher an und lassen sie von ihm selbst kommentieren.
Adel kommt 1978 als erstes von drei Kindern in Berlin zur Welt. Als Sohn eines Ägypters und einer Tunesierin erlebt er als Schüler auch Mobbing und Ausgrenzung. In der Musik, vor allem im HipHop und im R&B, findet er eine emotionale Zuflucht und in der Berliner Clubszene eine Welt, in der er als er selbst akzeptiert wird. Er beginnt zu singen und zu rappen. Die Schule versemmelt er gründlich, er bricht nach der 12. Klasse ab. Sein Plan A heißt The Boyz, die er gerade zusammen mit seinen Club-Bekanntschaften Florian Fischer und Tarek Hussein gegründet hat. Sie werden 1995 vom Produzententeam Triple M unter Vertrag genommen, das ihnen zwei weitere Boyz zur Seite stellt. 1996 tobt der Boyband-Hype und The Boyz werden gnadenlos in den Kommerz-Reißwolf geworfen – der erhoffte nachhaltige Erfolg bleibt aber aus. Mit „One Minute“ gelingt ihm 1998 ein Hit, der Text stammt von Adel, im gleichen Jahr ist aber wieder Schluss. Adel ist wenigstens um ein paar Erfahrungen reicher.
Er erinnert sich: „Wenn man wirklich lernen wollte, wie man es nicht macht und die beiden beginnen zusammen zu komponieren und zu produzieren. Ich + Ich heißt das gemeinsame Projekt, das Debüt-Album kommt 2005. Die beiden Nachfolger „Vom selben Stern“ (2007) und „Gute Reise“ (2009) gehen auf Platz eins der Albumcharts. Adel ist endlich Popstar, doch 2010 trennen sich die Wege von Ich + Ich. Der nächste Schritt ist nur konsequent …
„Bei Ich + Ich hab‘ ich das Musikmachen wirklich neu erlebt, denn bei Typen wie Annette, da gibt es solche Schweinereien, wie ich sie vorher erlebt hatte, überhaupt nicht. Hier habe ich eben auch ein Selbstbewusstsein als Künstler entwickeln können und schließlich hatte ich das Gefühl, dass ich das auch allein stemmen kann. Ich hatte allerdings gedacht, es würde einfacher gehen.“ Aber es geht! Im Herbst 2013 landet seine erste Solo-Single „Lieder“ auf Platz zwei der Charts und auch das gleichnamige Soloalbum-Debüt wird ein Hit. Der Künstler Adel Tawil ist bei sich selbst angekommen und er wird angenommen.
Der Erfolg hat aber – wie eigentlich immer – seinen Preis: „Ich war halt 24/7 eine neue Möglichkeit für mich, mich nur meinen Songs zu widmen. Und das war eine ganz neue Erfahrung.“ Das Ergebnis heißt „So schön anders“ erscheint 2017 und landet auf Platz eins der Albumcharts. Die Songs reflektieren viel stärker als noch auf „Lieder“, den Mensch Tawil und seine Befindlichkeiten und zeigen auch Flagge, z.B. gegen politischen Populismus. Adel will mehr, als „nur fröhliche Tanzlieder“ produzieren. Selbstbewusst und persönlich geht’s auch 2019 mit „Alles lebt“ weiter: „Das Album speist sich auch aus den Erfahrungen vor und während der Produktionszeit. Aber ich will für meine Texte und Songs eigentlich gar nicht die Erklärung mitliefern müssen. Vieles entsteht einfach aus einer Beobachtung oder einem Gespräch. Und vor allem aber habe ich herausgefunden, dass nicht jede Produktion gleich über Leben und Tod entscheidet.“ Also eigentlich alles entspannt im Hause Tawil – doch dann kommt Corona … und wenn man alle Abgründe des Musikgeschäfts auf einmal erleben wollte, dann musste man bei The Boyz gewesen sein. Zumindest bin ich irgendwie in das Business reingekommen. Na ja, dann hab‘ ich von meinem Boyz-Notgroschen mein eigenes kleines Studio aufgemacht.“ Damit schlägt er sich als Produzent für andere Produktionen durch, wodurch sich 2002 eine zufällige aber schicksalhafte Begegnung ereignet. Bei einer dieser Recordingsessions trifft er Annette Humpe – die hatte mit Ideal ihren eigenen Hype hinter sich und arbeitet nun als Produzentin. Aus Zeitnot singt er die Demos selbst ein. Annette verliebt sich in Adels Stimme mit diesem neuen Karriereabschnitt beschäftigt, ich wollte alles kontrollieren und nichts dem Zufall überlassen. Und im Privaten ist ja dann auch was kaputt gegangen.“ 2014 zerbricht seine Ehe. Er stürzt sich in Arbeit und sich im Sommer 2016 während eines Ägypten-Urlaubs leider auch leichtsinnig in einen Hotelpool: „Das war wirklich knapp, ich bin noch mal davongekommen. Ich habe mich bei einem Kopfsprung schwer an der Halswirbelsäule verletzt. Ich musste dann ein paar Monate lang eine Halskrause tragen. Also saß ich die ganze Zeit zuhause und habe Songs geschrieben. Diese drei Monate ohne Konzerte oder Termine waren tatsächlich mal
Die Pandemie und die Folgen werfen für Adel „Fragen nach Prioritäten, nach Sinn, auch nach Identität“ auf. Das „Spiegelbild“ wird zur Chiffre für das was bleibt, wenn das Leben, das wir für selbstverständlich hielten, einfriert. Adel lässt dunkle Bilder und düstere Stimmungen zu und übersetzt sie in für ihn ungewohnte Klänge und Texte: „Ich war die meiste Zeit meines Lebens darauf fokussiert, den Menschen ein positives Gefühl zu vermitteln. Es gibt Momente auf diesem Album, die ich früher definitiv gekillt hätte, weil sie mir zu persönlich, auch zu dark gewesen wären. Aber ich musste das machen. Alles andere wäre nicht ehrlich gewesen.“ „Spiegelbild“ ist Introspektive und Ausbruch zugleich. Und auch ein Grund zur Freude, denn natürlich geht es mit „Spiegelbild“ endlich wieder auf auf Open Air- und Hallentour. Da sind viele positive Gefühle wieder garantiert
Santiano
Zehn Jahre Santiano und eine höchst erfreuliche Bilanz im Logbuch. Die ShantyPopper aus Schleswig-Holstein können zum Beispiel auf fünf Studio-Alben und ein Live-Album zurückblicken, die allesamt auf Nummer eins stiegen. Das Jubiläums-Album „Die Sehnsucht ist mein Steuermann – Das Beste aus 10 Jahren“ fasst die irre Erfolgsgeschichte zusammen: mit neuen Versionen ihrer größten Hits und diversen Gästen und fünf neue Songs gibt’s zusätzlich noch obendrauf. Und selbstredend geht’s auch wieder auf große Fahrt, 25 Häfen steuert der Wellenbrecher in diesem Jubeljahr an, um dort seinen stürmischen Live-Orkan zu entfachen. Pflichttermine sowohl für Seebären als auch für Landratten, nur rechtzeitiges Aufentern wird dringend empfohlen.

12.5.-16.9. U.A. SCHWERIN, BAD SEGEBERG, DRESDEN, ZWICKAU
Iron Maiden

Seit 1986 wird in den USA eine der größten Ehrungen der Musikwelt vergeben: die Aufnahme in die Rock And Roll Hall Of Fame, die sich übrigens in Cleveland befindet. Und nominiert sind in diesem Jahr auch die Metal-Giganten aus London. Allerdings nicht zum ersten Mal, zweimal hat es bereits nicht geklappt, aber diesmal scheinen die Chancen wirklich gut zu stehen. Schließlich gehen etliche Klassiker auf ihr Konto, zum Beispiel das 1986er „Somewhere In Time“-Album. Eben das steht im Fokus der kommenden Tour, zusammen mit den Songs des aktuellen „Senjutsu“-Albums, die sie bislang noch nicht live präsentiert haben sowie den unvermeidlichen Evergreens. Die Abstimmung in Sachen Hall Of Fame läuft noch bis zum 28. April, vielleicht treten Iron Maiden dann also frisch gekürt auf die deutschen Bühnen. Oder eben nicht, wäre auch egal, Legende sind sie so oder so.
11.6.-1.8. U.A. LEIPZIG, HANNOVER, DORTMUND, FRANKFURT
12 rock. pop. folk.
Chris Brown

Tappahannock ist eine Kleinstadt in Virginia, hat etwa 2.500 Einwohner und gilt nicht unbedingt als Wiege amerikanischer Popkultur. Mit Chris Brown hat das Kaff aber einen echten R&B- und HipHop-Weltstar hervorgebracht. Der Legende nach wurde er 2005 während der Arbeit auf der Tankstelle seines Vaters von einem Musikproduzenten entdeckt. Schon die erste Single „Run It!“ging in den USA auf eins, inzwischen sind wir bei etwa 100 Millionen verkauften Tonträgern und dem elften Album „Breezy“ angelangt. Der bislang größte Hit daraus heißt „Under The Influence“ und das ist auch der Titel der kommenden Europatour, die viermal in Deutschland Station macht. Als Special Guest tritt übrigens der jamaikanische Dancehall-Shootingstar Skillibeng an – das Gesamtpaket verspricht eine rauschende Party.
Alin Coen
2018 und 2019 hatte Alin Coen mal Lust auf was anderes und spielte insgesamt sieben gemeinsame Konzerte mit der STÜBAphilharmonie. Moment, STÜBAwer? Die STÜBAphilharmonie ist ein Laien-Orchester aus Mitteldeutschland und ein richtig gutes, mit einem besonders offenen musikalischen Horizont noch dazu – auch Größen wie Clueso oder DePhazz haben schon mit ihnen zusammengearbeitet. Die besagten Coen-Konzerte verliefen jedenfalls ausnehmend erfolgreich und Alin wurde immer wieder um Wiederholungen gebeten. Genau die stehen nun an und noch so einiges mehr. Nämlich ein komplettes Album namens „Alin Coen & STÜBAphilharmonie“ samt dazugehöriger Tour. Ausgewählte Coen-Songs in noch mal neu arrangierten Versionen und großem neuen Rahmen. Diesmal stehen 10 Konzerte an, der Wiederholungstäter freut sich und alle anderen sollten möglichst rasch zugreifen.

10.4.-7.10. U.A.
Depeche Mode

Am 17. März erscheint also nun „Memento Mori“, das fünfzehnte Studioalbum von Depeche Mode. Und es stellt eine Zäsur dar, denn am 26. Mai 2022 verstarb überraschend Keyboarder und Gründungsmitglied Andrew Fletcher im Alter von 60 Jahren. „Fletch“ hat nie einen Song für die Band geschrieben, aber sein kreativer Input prägte 42 Jahre Bandgeschichte mit. Dave Gahan und Martin Gore entschlossen sich nach dem Schock die Arbeit an dem Album zu vollenden, denn „wir sind sicher, dass er das gewollt hätte“ und wohl wissend um die „besondere Bedeutung“ des Werks. Bei der kommenden Tour, es ist die erste seit über fünf Jahren, wird also eine andere Band auf der Bühne stehen – aber eben immer noch Depeche Mode, die Fletch‘s Vermächtnis würdig weiterführen. Ein überwältigendes Live-Erlebnis ist so oder so garantiert und da darf auch die Wiedersehensfreude überwiegen – wenn auch nicht mit allen.
26.5.-9.7. U.A. LEIPZIG, DÜSSELDORF, MÜNCHEN, FRANKFURT
Die Gönnung steigt 2023 16.06.23 Berlin


Madonna
Madonna: Legende, Ikone und nichts weniger, als die erfolgreichste weibliche Künstlerin überhaupt – über ihr rangieren nur noch die Beatles, Michael Jackson und Elvis. Keine Frau wurde mehr fotografiert und über keine wurde mehr diskutiert. Vor 40 Jahren erschien ihr erstes Album. Jetzt kommt die „Four Decades Of Celebration“-Tour. Und zum ersten Mal nach acht Jahren ist auch mal wieder Deutschland dran.
Madonna Louise Ciccone kommt 1958 in Bay City, Michigan zur Welt. Papa Silvio ist Automechaniker, Mama Madonna Louise Hausfrau, die die sechs gemeinsamen Kinder versorgt. Alles nicht so einfach, vor allem nicht, nachdem die Mutter 1963 an Brustkrebs stirbt. Madonna wird in einer Klosterschule unterrichtet und schafft schließlich ihren Highschool-Abschluss unter den besten zwei Prozent, wo man auch ihren IQ ermittelt – satte 140! Sie ist also sehr intelligent und sehr ehrgeizig und sie weiß, was sie will: tanzen und singen. 1978 geht sie nach New York. Sie hat gerade mal 30 Dollar in der Tasche, sie hat Großes vor, fängt aber klein an. Sie singt in unbekannten Pop- und NewWave-Bands (Breakfast Club, Emmy), hat Jobs als Backgroundsängerin und Tänzerin und knüpft Kontakte. Einer davon ist der DJ Mark Kamins, der sie dem Labelmanager Seymour Stein vorstellt und der erkannt das Potential. Im Juli 1983 erscheint ihr Debütalbum „Madonna“ und dann ...ja dann … ...Madonna wird zur alles überstrahlenden Pop-Diva der 80er- und 90erJahre und natürlich darüber hinaus. Die Album-Meilensteine heißen u.a. „Like A Virgin“, „True Blue“, „Bedtime Stories“ oder „Ray Of Light“, die Singlehits sind Legion (dazu gleich mehr). Gleichzeitig inszeniert und etabliert sie sich als Gallionsfigur für sexuelle Freiheit und Selbstbestimmung, sie wird zur Symbolfigur für Toleranz und liberale Ideale und Prinzipien. Die Kontroversen und Skandale häufen sich, vor allem in den USA. Madonna ist nicht einfach nur Popstar, sie wird zum politischen Thema. Eine ziemlich einmalige Geschichte und das ist sie bis heute. Zumindest den rein musikalischen Aspekt der epischen Erfolgs-Saga hat Madonna selbst nun mit ihrem aktuellen Album „Finally Enough Love: 50 Number Ones“ auf den Punkt gebracht. 220 Minuten Remixes ihrer 50 größten Songs und ja, die waren alle mal Nummer eins – es waren sogar einige mehr. Dieses Œuvre bildet dann auch das Repertoire-Fundament der kommenden Tour, die Dokumentation und Zeitreise zugleich ist, aber vor allem wie immer eines: Ein unvergleichliches Show-Erlebnis mit der Allergrößten.
Finaly Enough Love
20.06.2023
15.11.-16.11. KÖLN, 28.11.-29.11. BERLIN
19.07.2023 Hamburg Stadtpark Open Air
Incubus

Die Band aus Calabasas, Kalifornien zieht schon seit 1991 ihr ureigenes Ding durch – nur hat sich besagtes Ding im Lauf der Zeit doch hörbar verändert. In ihren Anfängen standen Incubus für harten Funk Metal mit HipHopKante, im Lauf der Zeit wurde ihr Sound aber weicher und melodischer, man könnte auch Alternative Rock dazu sagen. Damit kam 2004 mit dem „A Crow Left Of The Murder ...“-Album auch der ganz dicke Durchbruch und ihre letzten drei Alben landeten allesamt auf Platz eins der US-Charts. Die letzte Pole ist allerdings schon eine Weile her, nämlich 2017. 2020 kam zwar noch die „Trust Fall (Side B)“-EP, trotzdem, neuer Incubus-Stoff ist rar. Bis jetzt, denn sie haben verlautbaren lassen, endlich wieder an einem neuen Album zu arbeiten. Auch mit Gigs geizen Incubus bislang noch, aber zwei Deutschlandtermine sind schon mal angekündigt. Immerhin – und da kommt hoffentlich noch was.
Nena
Gabriele Susanne Kerner aus Hagen hat einen weiten und manchmal holprigen Weg hinter sich. Ihre Anfänge 1977 in der erfolglosen Band The Stripes. Dann der ganz und gar beispiellose Hype als Nena zusammen mit Nena (der Band eben) in den 80er-Jahren. Die 90er liefen dann ziemlich an ihr vorbei, aber seit gut 20 Jahren zählt Nena wieder zum heimischen Pop-Hochadel. Obwohl man manchmal den Eindruck hatte, dass ihr das im Prinzip egal sei, denn Nena hat ihren eigenen Kopf und eckt immer wieder zum Beispiel mit vermeintlich esoterischen Aussagen an. Kann man sehen, wie man will, aber ihre Haltung zu Themen wie Gesellschaft und Freiheit ist eigentlich ganz einfach, grundehrlich und im Motto der kommenden Tour auch klar auf den Punkt gebracht: „Wir gehören zusammen“. Endlich wieder, könnte man sagen und verbunden durch die Nena-Hits aus gut 40 Jahren. 20.5.-22.8. U.A. GELSENKIRCHEN, BRUCHSAAL, HAMBURG, GERA

Deichkind
Seit dem 17. Februar ist es also raus – das achte Album „Neues vom Dauerzustand“. Wie erwartet ein doppelbödiger Konzeptkunstkracher zwischen HipHop, Electroknarz und Dada-Anarchie. Aber Stillstand und Erfolgsverwaltung gibt’s woanders. Deichkind entfernen sich hier inhaltlich doch deutlich von der gewohnten Dauerironisierung unserer gar nicht so heilen Wohlstandsgesellschaft. DJ Phono alias La Perla merkt an: „Wir hatten das Gefühl, dass wir nicht eins zu eins so weitermachen können wie bisher. Unsere Gespräche drehten sich dann ziemlich schnell um die Frage, welche Inhalte wir mit diesem Album in die Gesellschaft tragen wollten.“ Und das sind so einige, Klimakrise, Ukrainekrieg und Pandemie scheinen nicht spurlos an Deichkind vorbeigezogen zu sein – war eigentlich auch zu erwarten. Klug und schräg wie immer und live wohl nach wie vor der Inbegriff von Remmidemmi –wat mutt dat mutt …

22.6.-2.9. U.A. MÜNCHEN, LEIPZIG, DORTMUND, FRANKFURT
