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Nr. 1/2018 (122) - K 6045 - 3 EURO

ZEITSCHRIFT FÜR DEUTSCH-POLNISCHE VERSTÄNDIGUNG

Pilgerreise deutscher Psychiater S. 6 POLEN und wir 1/2018 75. Krakauer Krippen-Wettbewerb S.22

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EDITORIAL

Liebe Leserinnen und Leser Eine Vierteljahreszeitschrift kann nicht tagesaktuell sein. Da die Herstellung der Zeitschrift auf ehrenamtlicher Basis erfolgt, braucht auch die technische Erstellung einige Zeit. Hinzu kommt die Druckzeit und die nicht unerhebliche Zeit für den Postzeitungsvertrieb. Dennoch hoffen wir, dass Sie alle dieses Heft vielleicht sogar noch vor Weihnachten, spätestens aber zwischen den Feiertagen, in Händen halten. Diese Produktionszeiten bedingen, dass manches geschieht, was nicht mehr ausreichend im Heft gewürdigt werden kann. So die Tatsache, dass lang nach Redaktionsschluss und unmittelbar bevor das Heft in die Druckerei geschickt wurde, die Nachricht vom Wechsel an der Regierungsspitze Polens kam. Natürlich gab es schon einige Zeit lang Gerüchte, dass Beata Maria Szydło nach gerade mal zwei Amtsjahren, ausgetauscht werden sollte. Eine Zeit lang wurde sogar vermutet, dass Kaczynski selbst sich diese Krone aufsetzen wolle. Doch die Angst, dann auf jeden Fall die nächsten Wahlen zu verlieren, schien größer. So wurde Mateusz Morawiecki, der bisherige Wirtschaftsminister, zum neuen Ministerpräsidenten ausersehen. Doch die Nachricht über den Wechsel war doch etwas obscur. Szydło hatte nämlich gerade ein Misstrauensvotum der Opposition überstanden, als sie wenige Stunden später ihren Rücktritt einreichte. Dass dies nicht der einzige Wechsel in der Regierung war, wurde gleich deutlich, doch gab es bis zur Drucklegung unseres Heftes noch keine neuen Informationen. Diese werden wir aktuell auf unserer Internetseite www.polen-und-wir.de präsentieren. Hintergrund des Rücktritts von Szydło, so die Medien, dürfte der zu erwartende härtere Ton innerhalb der EU sein. Morawiecki, Auslands- und Spracherfahren, gilt da als besserer Vertreter. Außerdem scheint er in größerem Maße das Vertrauen des Parteichefs zu besitzen.

Karl Forster

In dieser Ausgabe lesen Sie: Seite 3 Seite 5 Seite 6 Seite 8 Seite 10 Seite 13 Seite 14 Seite 16 Seite 18 Seite 19 Seite 23

Im Blick die Hundertjahrfeier Ein Fall nationalkonservativer Geschichtspolitik Pilgerreise deutscher Psychiater Hingerichtet wegen „verbotenen Umgangs“ Ein „Fuchs“ in Radom und die verfluchte Brigade Die Nazis haben unseren Wisent erschossen Zwischen verordneter und ernsthafter Freundschaft Brücke zwischen Deutschen und Polen Familiärer-Künstlerischer Dialog Presseschau 75. Krippen-Wettbewerb

Unser Titelbild entstand am 7. Dezember 2017 bei einer Recherchereise nach Kraków anlässlich der Präsentation des 75. Wettbewerbs der Krakauer Krippen (Szopka). Foto: Karl Forster Bescheinigung für das Finanzamt bei Zuwendungen bis 200,00 Euro: Diese Bescheinigung gilt in Verbindung mit einem Kontoauszug oder einem Bareinzahlungsbeleg der Bank für Ihre Zuwendungen (Spenden und Mitgliedsbeiträge). Wir sind wegen der Förderung internationaler Gesinnung, der Toleranz auf allen Gebieten der Kultur und des Völkerverständigungsgedankens nach dem letzten uns zugegangenen Freistellungsbescheid für 2015 zur Körperschaftsteuer vom 4.10.2016 vom Finanzamt Düsseldorf-Mitte St-Nr. 133/5906/0194 gemäß $5 Absatz 1 Nr. 9 KStG von der Körperschaftsteuer befreit. Es wird bestätigt, dass die Zuwendung nur zur Förderung internationaler Gesinnung, der Toleranz auf allen Gebieten der Kultur und des Völkerverständigungsgedankens gemäß §52 Absatz 2 Satz 1 Nr. 13 AO verwendet wird. Deutsch-Polnische Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland e.V., c/o Manfred Feustel, Im Freihof 3, 46569 Hünxe

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DEUTSCH-POLNISCHE GESELLSCHAFT DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND E.V. 1. Vorsitzender: Prof. Dr. Christoph Koch, Sprachwissenschaftler, Berlin Stellv. Vorsitzender: Dr. Friedrich Leidinger, Psychiater, Hürth Vorstand: Henryk Dechnik, Lehrer, Düsseldorf - Manfred Feustel, Steuerberater, Hünxe - Karl Forster, Journalist, Berlin - Dr. Klaus-Ulrich Goettner, Berlin - Dr. Egon Knapp, Arzt, Schwetzingen - Dr. Holger Politt, Gesellschaftswissenschaftler, Warschau - Wulf Schade, Slawist, Bochum - Horst Teubert, Journalist, London. Beirat: Armin Clauss - Prof. Dr. sc. Heinrich Fink - Christoph Heubner - Witold Kaminski - Dr. Piotr Łysakowski - Hans-Richard Nevermann. Anschrift: Deutsch-Polnische Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland e.V., c/o Manfred Feustel, Im Freihof 3, 46569 Hünxe, Tel.: 02858-7137, Fax: 02858-7945

IMPRESSUM:

Zeitschrift für deutsch-polnische Verständigung ISSN 0930-4584 - K 6045 Heft 1/2018, 34. Jahrgang (Nr. 122) Verlag u. Herausgeber: Deutsch-Polnische Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland e.V. Redaktion und Layout: Karl Forster Redaktionelle Mitarbeit: Ulrike Höck, Susanne Kramer-Drużycka, Wulf Schade. Redaktionsbüro: POLEN und wir Karl Forster, Neue Grottkauer Str. 38, 12619 Berlin, Tel.: 030-89370650 e-Mail: redaktion.puw@polen-news.de Druck: WIRmachenDRUCK GmbH, Backnang

Aboverwaltung: Manfred Feustel, Im Freihof 3, 46569 Hünxe, Fax: 02858-7945 Bezugspreis: Einzelheft 3,00 €, Jahres-Abonnement 12,00 € inkl. Versand, Ausland: 10,00 € zuzügl. Versandkosten, Mitglieder der DeutschPolnischen Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland e.V. erhalten POLEN und wir im Rahmen ihrer Mitgliedschaft. Kontoverbindung: Konto Postbank Essen, IBAN: DE88360100430034256430 BIC: PBNKDEFF Namentlich gekennzeichnete Beiträge stimmen nicht immer mit der Meinung der Redaktion oder der Herausgeberin überein. Für unverlangt eingesandte Manuskripte oder Fotos wird keine Haftung übernommen. Erscheinungstermin: 1. Januar 2018 Erscheinungstag der nächsten Ausgabe: Montag, 2. April 2018 Redaktionsschluss: 15. Februar 2018


POLITIK

Kindergarten Foto: Jan Opal

Beziehungen zwischen beiden Ländern ins Gerede gekommen

Im Blick die Hundertjahrfeier Überraschende Kampagne durchaus nachvollziehbar Von Jan Opal, Gniesno Am 11. November wird in Polen an die Staatsgründung von 1918 erinnert. Das neue Jahr ist nun ein großes Jubiläumsjahr – zum 100. Mal jährt sich dieser beinahe mythische Gründungsakt, der am Ende des Erstens Weltkriegs die Weichen endgültig auf staatliche Selbständigkeit und die Wiederherstellung Polens stellte. Bereits der 99. Jahrestag im zurückliegenden Jahr aber ließ durchscheinen, wie sehr 2018 in Polen um die sogenannte Deutungshoheit gerungen werden wird. Die wichtigsten politischen Lager werden sich gegenseitig nichts an scharfer Attacke schenken, selbst wenn deren führende Vertreter den hohen Wert der nationalen Unabhängigkeit für alle Polen oben anstellen. Wie zuletzt immer, sparte Jarosław Kaczyński nicht an deutlichen Worten. Für ihn ist das angebrochene Jubiläumsjahr die Gelegenheit, sich konsequent für die nationale Festigung einzusetzen. Im Zusammenhang damit sprach er erneut die Reparationsforderungen gegenüber Deutschland an, denn die politischen Gegner behaupteten immer, es sei ein aus-

schließlich nach innen gerichteter Theaterdonner, doch sei das kein Theater, das seien Polens Forderungen, hinter denen eine große Mehrheit der Polen stehe. Um den berechtigten Forderungen Nachdruck zu geben, müssten allerdings auch diejenigen einbezogen werden, die uns – also

die Nationalkonservativen – trotz der nachweisbaren Erfahrungen ablehnten. Das aber, so Kaczyński einschränkend, beziehe sich nicht mehr auf die Profiteure desjenigen Systems, das wir entschieden ablehnten, oder auf diejenigen, die ohnehin von linker Ideologie befallen seien. Ein solcher Prozess der nationalen Festigung könne Jahre dauern, doch der Weg der Wiederherstellung des polnischen Patriotismus, den Zwillingsbruder Lech Kaczyński eröffnet habe, sei unumkehrbar eingeschlagen worden. Der polnische Patriotismus sei in der VR Polen verfälscht, nach 1989 aber völlig zerstört worden – so Polens führender Mann am 11. November 2017 in Kraków. Das Programm für die nächsten Monate ist entsprechend anspruchsvoll. Kaczyński ließ wissen, dass Polens Nationalkonservative sich in den kommenden Jahren für die konsequente Stärkung der staatlichen Geschichtsbehörde IPN, für die Eröffnung eines Museums zur Geschichte Polens und für die Einrichtung eines Museums der wiedergewonnenen West- und Nordgebiete einsetzen würden. Viel geringeres politisches Gewicht als Kaczyński kann Daniel Olbrychski in die Waagschale werfen. Dennoch steht der weltbekannte Schauspieler dem Anführer der Nationalkonservativen an Klarheit und Deutlichkeit kaum nach, wenn er der Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“ bezeugt: „Patriotismus bedeutet für mich jetzt, zu den Wahlen zu gehen. Vor zwei Jahren hat uns die Gesellschaft gezeigt, dass sie auf die Freiheit und die Chance pfeift, am öffentlichen Leben teilzunehmen. Deshalb meine ich, patriotisch sein bedeutet heute, diese unpatriotische Partei von

TV-Liveberichterstattung vom „Großen Marsch der Patrioten“. Rund 60.000 Nationalisten waren in Warschau auf der Straße.

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POLITIK der Macht zu entfernen. Zu jedem Preis, außer wenn Blut fließt.“ Olbrychski drückt in drastischen Worten aus, was die meisten Kaczyński-Gegner auf der liberalen Seite mittlerweile denken. Die Kommentatoren sprechen also nicht ohne Grund von der tiefen Spaltung, die sich in der polnischen Gesellschaft mit der von Kaczyński angeführten nationalkonservativen Wende immer mehr aufgetan hat. Die geballte Erinnerung an das Jahr 1918 wird so neue Munition für die als wichtig erachteten inneren Gefechte liefern. Während die eine Seite zu einer großen Patriotismus-Feier rüstet, in der sie sich als der einzige und konsequente Garant für staatliche Unabhängigkeit und nationale Souveränität herausstellen kann, wird die andere Seite versuchen, immer wieder die Einigkeit zu beschwören, die im November 1918 über die tiefen Parteigräben hinweg die Möglichkeit eröffnet habe, die Chance beim Schopfe zu packen. Am Ende des Ersten Weltkriegs hatte sich die einmalige historische Situation herausgestellt, dass an der Ostfront beide kämpfenden Seiten ver-

loren hatten – Russland auf der einen genauso wie Deutschland und Österreich auf der anderen Seite. Damit waren die drei Teilungsmächte Polens geschlagen und der Weg zur Wiederherstellung der staatlichen Selbständigkeit in Form der polnischen Republik geebnet. Die Nationalkonservativen werten das als ein historisches Vermächtnis, aus dem sich ihre Mission für die nationale Festigung nahezu zwingend ergebe. Im Kern richtet sich dieses Konzept gegen den bisherigen Weg der EU-Integration Polens, weil damit nationale Identität und Souveränität untergraben würden. Das ist gemeint, wenn Kaczyński behauptet, der polnische Patriotismus sei nach 1989 zerstört worden. Erst sein Zwillingsbruder Lech Kaczyński habe die Umkehr gewiesen, womit vor allem das klare Signal gemeint ist, das mit der Eröffnung des Museums für den Warschauer Aufstand im August 2004 ausgesandt worden sei. Lech Kaczyński war seinerzeit Warschaus Stadtpräsident und hatte die Eröffnung des Museums zum 60. Jahrestag des Auf-

stands zu seiner Chefsache gemacht. Die erfolgreiche Umsetzung der Pläne stützten ein Jahr später die Kampagne zur Wahl des Staatspräsidenten, als der Favorit Donald Tusk in der Stichwahl knapp geschlagen werden konnte. Die Befürworter des bisherigen Wegs der EU-Integration Polens sind politisch unterschiedlich ausgerichtet, aber weitgehend einig in dem Bestreben, Polens EUMitgliedschaft nicht durch eine einseitig instrumentalisierte Debatte, was nun richtiger polnischer Patriotismus sei, zu untergraben. Hier wird verwiesen, dass es über Parteigräben hinweg nach 1989 gelungen sei, die EU-Perspektive zu eröffnen und schließlich bis zur vollen Mitgliedschaft voranzutreiben, was wiederum einer besonderen historischen Situation zuzuschreiben ist, die aus dem Zusammenbruch des sowjetisch geprägten Staatssozialismus im östlichen Teil des Kontinents 1989 entstanden sei. Darauf, diese Situation erfolgreich genutzt zu haben, dürfe mit berechtigtem Stolz zurückgeblickt werden. 

- PRESSESCHAU - PRESSESCHAU - PRESSESCHAU Deutsche und polnischen Medien kommentieren den Aufmarsch vom 11. November Am polnischen Unabhängigkeitstag am Samstag haben rund 60.000 Menschen an einer von ultrarechten Nationalisten organisierten Demonstration in Warschau teilgenommen. Viele von ihnen schwenkten rassistische Spruchbänder. Innenminister Mariusz Blaszczak will davon jedoch nichts gesehen haben und lobte die gute Atmosphäre. Bei vielen Kommentatoren läuten angesichts des Aufmarsches allerdings die Alarmglocken. Am gefährlichsten sind die Familien. Die größte Gefahr sind die Familien, die von den Rechten gerne als Beleg für die Harmlosigkeit des Unabhängigkeitsmarsches angeführt werden, konstatiert die Journalistin Joanna Gierak-Onoszko. Sie beschreibt in ihrem Blog bei Polityka.pl, wie sie die Ereignisse im Fernsehen wahrnahm: „Der Kleine schaut mir über die Schulter, während wir uns Bilder vom Unabhängigkeitsmarsch ansehen: Feuerwerkskörper, Keltische Kreuze, Totenkopfmasken auf den Gesichtern. ‚Ich habe Angst vor diesen

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Männern, Mama‘, sagt er. ‚Ich habe auch Angst, Söhnchen. Aber mehr habe ich Angst vor all diesen Familien mit Kindern. ... Ich habe Angst vor diesen gewöhnlichen, guten Leuten, die jeden Sonntag in der Kirche niederknien und sich dann einem schändlichen Marsch durch Warschau anschließen. ... Denn nicht die Schlägertrupps sind die größte Gefahr, sondern die Familien mit Kindern.‘“ In DIE WELT schreibt Gerhard Gnauck unter dem Titel „Stramm rechts“: In Polen kapern Rechtsradikale und Faschisten den Nationalfeiertag – die Organisatoren des Aufmarsches fühlen sich von der Regierung ermutigt. Doch der Aufmarsch wird zunehmend von Rechtsextremen gekapert. Rassistische Transparente sorgten in diesem Jahr im Inund Ausland für Empörung. „Reines Blut, nüchterner Geist“ verkündete eines, ein anderes lautete: „Europa wird weiß sein – oder entvölkert“. Islam- und flüchtlingsfeindliche Parolen wurden skandiert. Auch das Keltenkreuz, mit dem Rechtsextreme sich europaweit „schmücken“, war zu sehen. Zur

Erklärung seiner Position sagte einer der Organisatoren, er sei ein „rassischer Separatist“ und eine Person dunkler Hautfarbe „kann nicht Pole sein“. Die liberale Warschauer Oberbürgermeisterin Hanna Gronkiewicz-Waltz beantragte am Dienstag, das „National-Radikale Lager“, einen der Organisatoren, zu verbieten. Wer „zum ethnischen, rassischen oder konfessionellen Hass aufruft“, dürfe laut Verfassung in Polen nicht demonstrieren, sagte sie. Die Erfolgsaussichten sind gering. Vor einem halben Jahr hatte sie dasselbe schon einmal beantragt. Der Adressat des Schreibens, Justizminister und Generalstaatsanwalt Zbigniew Ziobro, antwortete damals nicht einmal auf den Brief, wie es im Rathaus heißt. Zustimmung fand der Aufmarsch in rechtsextremen deutschen Medien, wie dem rechtsradikalen Blog „Bayern ist frei“ der laut FAZ von dem ehemaligen NPDFunktionär Stefan Werner gegründet wurde und eng mit Pegida verbunden ist. Hier wurde sogar zur Teilnahme in Warschau aufgerufen und auf Mitfahrgelegenheiten nach Warschau aufmerksam gemacht. 


POLITIK

Name eines Ghetto-Opfers soll aus Blickfeld verschwinden

Ein Fall nationalkonservativer Geschichtspolitik Politische Straßennamen-Änderungen in Warschau Von Holger Politt Zu den wichtigsten geschichtspolitischen Vorhaben der nationalkonservativen Wende in Polen gehört die sogenannte Säuberung des öffentlichen Raums von den Hinterlassenschaften des Kommunismus. Dass sich an diesem das Land eher beschämenden Ungetüm in Polen nur noch Wenige stören, zeugt davon, wie sehr blindmachender Antikommunismus mittlerweile die Köpfe erreicht hat. Könnte diese Geisteshaltung mit verlässlichen Indikatoren nachgewiesen werden, stünde Polen unter allen EU-Ländern ganz gewiss mit an der Spitze. Im Rahmen dieser jüngsten Säuberungswelle hat nun der von der Regierung eingesetzte Wojewode für die Wojewodschaft Mazowsze am 10. November 2017 die Änderungen von Straßennamen verfügt, die in der Hauptstadt Warschau laut entsprechendem Gesetz durch die örtlichen Selbstverwaltungsorgane umgesetzt werden müssen. Unter den angeführten Namen findet sich auch derjenige von Józef Lewartowski, der Ende August 1942 im Warschauer Ghetto von den Deutschen erschossen wurde. Sein Name soll aus der Öffentlichkeit verschwinden, weil er Mitglied kommunistischer Organisationen gewesen war. Der Wojewode beruft sich auf ein Gesetz, dass 2016 mit großer Mehrheit im Sejm und Senat verabschiedet worden war. Die Zahl der Sejm-Abgeordneten, die sich damals dagegen aussprachen, ist an einer Hand abzuzählen. Kurz nach Verkündung seiner Absicht, erreichte den Wojewoden ein offener Brief jüdischer Organisationen aus Polen, der hier wiedergegeben wird: „Sie trafen, wie wir erfahren haben, die Entscheidung, die Józef-Lewartowski-Straße in Warschau künftig nach Marek Edelmann zu benennen. Wir meinen, es gibt in Warschau genügend Straßen, die mit dem Namen Marke Edelmans geehrt werden könnten, denn auf jeden Fall verdient er, dass eine Straße nach ihm benannt wird. Warum wurde im Warschauer Stadtteil Muranów auf dem Gebiet des ehemaligen Ghettos eine Straße nach Lewartowski benannt? Das geschah, um ihn zu ehren für seine Rol-

le im Ghetto bei der Organisation der Widerstandsbewegung der Juden, der polnischen Bürger, gegen den deutschen Okkupanten, für seine Verdienste um das polnische Volk mit besonderer Berücksichtigung des jüdischen Teils dieser Gemeinschaft. Seine linke, ausgesprochen kommunistische Tätigkeit vor dem Krieg war bekannt, doch an Józef Lewartowski erinnerten überaus positiv auch seine politischen Gegner, die seinen Beitrag an der Widerstandsbewegung im Ghetto hoch zu schätzen wussten. Józef Lewartowski starb als Märtyrer. Ihnen als Wojewoden ist bestimmt die Tatsache bekannt, dass Plätze und Straßen

Lesefrucht:

schen Instituts, Marian Turski, Vorsitzender des Trägervereins des Jüdischen Historischen Instituts, Stanisław Krajewski, Ko-Vorsitzender des Polnischen Rats der Christen und Juden, und Gołda Tencer, Vorsitzende der Stiftung Shalom. Der Brief ist ein überaus wichtiger öffentlicher Einspruch gegen die geschichtspolitische Offensive, in die Jarosław Kaczyński seine Nationalkonservativen gedrängt hat. Geschickt geben die unerschrockenen Geschichtsritter vor, Marek Edelman gebührend ehren zu wollen, um einen als unliebsam erachteten Kommunisten loszuwerden. Die Briefunterzeichner verwahren sich entschieden gegen das hinterlistige Ausspielen zweier Männer, die beispielhaft für den bewaffneten jüdischen Widerstand im Warschauer Ghetto standen. Sie verweisen außerdem auf Roman Dmowski, der als unbestrittener Anführer der Nationaldemokraten und wichtigster Gegenspieler von Józef Piłsudski wie kaum jemand sonst den politischen Antisemitismus als Waffe

Reisen nach Auschwitz 1944

Aus einem Kursbuch der Deutschen Reichsbahn:

(eingesandt von Prof. Dr. Ulrich Rüger)

nach bekannten Persönlichkeiten benannt sind, die in der Vergangenheit Antisemiten und Nationalisten gewesen waren. Weshalb? Sicherlich deswegen, um in erster Linie deren Verdienste für die nationale Gemeinschaft hervorzuheben. Folglich erwarten wir, dass Józef Lewartowski als Namenspatron einer Straße in jenem Teil der Stadt beibehalten wird, in dem er gelebt, gewirkt und die Juden, polnische Bürger zum Kampf gegen die Deutschen organisiert hat. Wir sind überzeugt, dass Mordechaj Anielewicz der gleichen Meinung gewesen wäre. Gewiss hätte sich auch Marek Edelman unserem Protest angeschlossen. Als Vertreter jüdischer Organisationen appellieren wir, das Andenken an den gefallenen Helden zu bewahren.“ Den offenen Brief unterzeichneten u. a. Joanna Sobolewska-Pyz, die Vorsitzende des Vereins „Kinder des Holocaust“, Paweł Śpiewak, Direktor des Jüdischen Histori-

im Parteienkampf eingesetzt hatte. Nach Dmowski ist heute in Warschau ein zentraler Platz benannt, unweit der wichtigsten politischen Institutionen des Landes erinnert ein Denkmal an ihn. Józef Lewartowski soll aus dem öffentlichen Gedächtnis verschwinden, weil er Mitglied der Kommunistischen Partei Polens (KPP) war, weil er im Warschauer Ghetto die Polnische Arbeiterpartei (PPR) mitbegründet hat. In dem Polen, das wesentlich von Piłsudski und Dmowski geprägt war, saß er wegen seiner Überzeugung über zehn Jahre als politischer Gefangener ein. Mit dem Kriegsausbruch kam er frei, ging in den sowjetisch besetzten Teil Polens, kam Ende 1941 freiwillig ins Warschauer Ghetto, um den jüdischen Widerstand zu organisieren. Ermordet wurde er, während in Treblinka die Menschen aus dem Warschauer Ghetto in den hunderttausendfa  chen Tod gingen.

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GESCHICHTE

Deutsch-Polnische Gesellschaft für Seelische Gesundheit

Pilgerreise deutscher Psychiater Auf den Spuren von Fort VII, dem Konzentrationslager Posen Von Friedrich Leidinger Ein wenig beachtetes, gleichwohl beachtliches Ereignis jährte sich 2017 zum dreißigsten Male, und da es für die deutsch-polnischen Beziehungen bis in die Gegenwart und Zukunft reichende Folgen hatte, soll an dieser Stelle daran erinnert werden. An einem Mittwoch im Mai 1987 stand eine kleine Gruppe mittags vor dem Gebäude der psychiatrischen Universitätsklinik in Krakau und wartete. Doch die angekündigten Gäste verspäteten sich erheblich. Geduldig standen die Herrschaften auf dem Trottoir, während sich immer wieder dicke Wolken vor die noch schwache Maisonne schoben und Regen und Graupel auf sie niederprasselten. Sie hatten keine Möglichkeit, sich irgendwo unterzustellen oder gar hinzusetzen. Ihre wattierten Jacken waren schnell durchnässt. Doch es schien sie nicht zu stören, die Älteren unter ihnen waren langes Stehen bei Wind und Wetter gewohnt, sie hatten in ihrer Jugend im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau weit Schlimmeres erlebt. Mit über zwei Stunden Verspätung bog ein Reisebus mit Kölner Kennzeichen in die ulica Kopernika ein. Darin 27 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter psychiatrischer Einrichtungen in West- und Norddeutschland. Sie sollten während der kommenden vier Tage bei überlebenden Auschwitzhäftlingen und ihren Kindern wohnen und mit Vertretern der polnischen Psychiatrie zusammentreffen. Die Gruppe aus der BRD - Ärzte, Krankenschwestern, Psychologen, Sozialwissenschaftler und Pädagogen - reiste schon seit einer Woche auf den Spuren deutscher Psychiatriepatienten, die in den Kriegsjahren in das von Deutschland besetzte Polen deportiert und dort ermordet worden waren. Sie reisten zu Schauplätzen von Verbrechen, die in Deutschland immer noch verdrängt oder verleugnet, in Polen dagegen nicht vergessen waren, selbst wenn sie im Schatten der großen Opferzahlen des NS-Terrors standen. Wo immer die deutschen Psychiater hinkamen, wurden sie freundlich aufgenommen und konnten mit Zeitzeugen und Überlebenden sprechen. Als sie am ersten Tag ihrer Reise vor dem Eingang des Psychiatrischen Kranken-

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hauses Międzyrzecz aus dem Bus stiegen, wurden sie mit den Worten begrüßt: „Die letzten Deutschen, die wir hier gesehen haben, trugen Uniform“. Zur Erinnerung: Bereits in den ersten Tagen des Zweiten Weltkriegs griffen Einheiten der SS und volksdeutsche Freischärler planvoll polnische Krankenanstalten und Pflegeheime an. Sie führten die Kranken oft gemeinsam mit dem Personal in Wälder in der Umgebung, wo sie erschossen und verscharrt wurden. Am 15. Oktober 1939 fand in dem „Konzentrationslager Posen“ genannten Fort VII eine erste experimentelle Massentötung mit dem Giftgas Kohlenmonoxid an 50 Patienten der Anstalt Owińska statt. Danach setzte das „SS-Sonderkommando Lange“ entsprechend umgebaute LKW ein, deren Abgase in den abgedichteten Aufbau eingeleitet wurden. Die leergemordeten Anstalten wurden u.a. als Lazarett für SS und Wehrmacht aber auch als psychiatrische Klinik, nun unter deutscher Leitung, genutzt. Ab 1940 wurden zehntausende Patienten aus dem Reich in Anstalten im besetzten Polen verbracht. Ihr Schicksal ist weitgehend ungeklärt, doch ist anzunehmen, dass die meisten der etwa 150.000 Verschollenen infolge von Hunger, Vernachlässigung, Krankheit und auch gezielter Morde umgekommen sind. Nach dem Krieg brachen die Verbindungen zwischen deutschen und polnischen

Psychiatern nahezu vollständig ab. Mit dem Zusammentreffen vor dreißig Jahren in Krakau endeten über vier Jahrzehnte des Schweigens. Dieses erste deutsch-polnische Psychiatriesymposium hatte durchaus den Charakter eines „Clash of Cultures“. Auf der einen Seite schon durch ihr Äußeres erkennbare junge, vom Aufbruch der 1968er Jahre bewegte Repräsentanten eines politischen und kulturellen Nonkonformismus, die gegen politische und institutionelle Widerstände der eigenen Standesvertretung eine Reform der postfaschistischen deutschen Psychiatrie und ihrer menschenunwürdigen und elenden Zustände durchzusetzen versuchten. Schon ihre Art zu reisen fiel aus dem Rahmen. Der Bus und seine Fahrer kamen von der Kölner Firma „Extratour“, einem Unternehmen der antipsychiatrischen „Sozialistischen Selbsthilfe Köln (SSK)“. Auf polnischer Seite trafen sie auf die Spitzen des fachlichen und politischen Establishments der Hochschulpsychiatrie, Herrschaften, die als junge Menschen den deutschen Besatzungsterror in unterschiedlicher Weise kennengelernt hatten. Einige hatten mit der erst wenige Jahre zurückliegenden Solidarność-Bewegung sympathisiert, andere standen eher loyal zur kommunistischen Regierung. Trotz allgemein konservativer Grundhaltung begrüßten sie die Prinzipien der Psychiatriereform, die sie aus den angelsächsischen Ländern kannten. Darin unterschieden sie sich von ihren Peers der deutschen Fachgesellschaft DGPN (heute DGPPN), die sie auch gerne begrüßt hätten. Doch die bekannte sich erst 2011 zu ihrer Verantwortung für die Verbrechen der Psychiatrie während des Dritten Reiches.

Eingang zu Fort VII in Poznań - „Konzentrationslager Posen“.

Foto: Radomił Binek/wikipedia


KULTUR Auch in materieller Hinsicht war diese Zusammenkunft in den Krisenjahren der Volksrepublik Polen ein Treffen von Ungleichen: Der Rechnungsbetrag für ein Abendessen zu viert in einem Touristenrestaurant am Krakauer Rynek entsprach dem Monatsgehalt eines polnischen Assistenzarztes, ein Krankenhaus mit 500 Betten in Polen musste mit einem Jahresbudget von 500.000 DM wirtschaften. Das war etwa 1 Prozent dessen, was ein gleich großes Krankenhaus in der BRD verbrauchte. Zu diesen Asymmetrien traten weitere widrige Umstände hinzu: Damals existierte noch die politische Teilung Europas, hüben wie drüben gab es Ressentiments und Vorurteile zu überwinden. Die Bedeutung dieses Treffens in jenen Maitagen lässt sich daher in der Rückschau kaum überschätzen. Es eröffnete eine Serie von deutschpolnischen Psychiatrie-Begegnungen, die bis heute anhält. Die Gründung einer gemeinsamen Fachgesellschaft, der DeutschPolnischen Gesellschaft für Seelische Gesundheit, im Herbst 1990 gab dem Ganzen einen institutionellen Rahmen. Der bilaterale fachliche Austausch übertrifft an Umfang und Themenvielfalt alles, was etwa im deutsch-französischen oder deutsch-niederländischen Bereich geschieht. Das Besondere an diesen Gesprächen ist die Bereitschaft, auch Unterschiede, Trennendes und Vorurteile offen auszusprechen und zum Thema zu machen. In regelmäßig seit 30 Jahren stattfindenden „Tabu-Gruppen“ hat sich gezeigt, dass diese Trennlinien oft gar nicht entlang der nationalen Grenzen verlaufen, und dass Verständigung ihre ganz eigenen Gesetzmäßigkeiten schafft. In wachsendem Maße beteiligten sich auch Angehörige und Betroffene an diesem Austausch. Sehr früh schon kamen Zaungäste aus den Niederlanden, Litauen und der Ukraine dazu. Parallel entstand ein polnischisraelisches Forum und sehr schnell wurde es zu einem polnisch-israelisch-deutschen Dreieck mit Konferenzen in Krakau, Neve Shalom und Jerusalem erweitert. Im Jahr 2000 wurde die Deutsch-Polnische Gesellschaft für Seelische Gesundheit mit dem Deutsch-Polnischen Preis für besondere Verdienste um die Verständigung ausgezeichnet. Psychisch Kranke waren die ersten Opfer des NS-Terrors in Polen und in Deutschland. Vor dreißig Jahren begann mit einer Pilgerreise deutscher Psychiater an die Stätten der Vernichtung der deutsch-polnische Dialog auf dem Gebiet der Psychiat rie.

Musikfestival zwischen Peenemünde und Świnoujście

Das Orkiestra Symfoniczna Polskiej Filharmonii Bałtyckiej w Gdańsku (Symphonieorchester der polnischen Ostseephilharmonie Danzig) im Dom Kultury Świnoujście Foto: Usedomer Musikfestival / Geert Maciejewski

„Mit durchschnittlich 1.906 Sonnenstunden im Jahr scheint die Sonne nirgendwo in Deutschland so häufig wie auf der zweitgrößten Insel des Landes - der Sonneninsel Usedom“, wirbt die Touristinfo der Ostseeinsel. Aber auch im Herbst und Winter ist Usedom ein attraktives Reiseziel. Was viele nicht wissen: Usedom (poln. Uznam) ist nicht rein deutsch. Auf dem östlichsten Eck der Insel liegt ein Teil der heute polnischen Stadt Świnoujście (Swinemünde). Der Rest der Stadt liegt dann auf der benachbarten polnischen Insel Wolin. Diese deutsch-polnische Nachbarschaft hat die Initiatoren des seit 1994 existierenden „Usedomer Musikfestival“ dazu gebracht, auch den polnischen Teil der Insel als Spielstätte einzubeziehen. Schließlich ist ja ohnehin das Thema des Festivals die Musik der Ostseeregion. Jeweils drei Wochen lang in der Zeit September bis Oktober locken die Klänge der jährlich wechselnden Gastländer – Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Lettland, Litauen, Norwegen, Polen, Russland oder Schweden – in uralten Kirchen, malerisch gelegenen Schlössern und Villen, in Galerien sowie kaiserzeitlichen Hotels oder in das Dom Kultury (Kulturhaus) in Świnoujście. So klingt Dänemark, lautete das Thema 2017. Volkslieder und Volkstänze aus Nordeuropa, vorgetragen vom Danish String Quartet und dem NDR-Chor machten den Auftakt im Kaiserbädersaal in Heringsdorf. Dann folgte ein umfangreiches Programm von Konzerten, Lesungen, Vorträgen, einer „musikalischen Inselrundfahrt“. Beim Abschlusskonzert im Kraftwerksaal des Museums Peenemünde war dann das NDR Elbphilharmonie Orchester zu Gast. Deutsch-dänische Freundschaft in einem Konzert polnisch-deutscher Partnerschaft war zuvor in Świnoujście zu hören. Esther und Lea Birringer, zwei junge deutsche Virtuosinnen, trafen sich mit der brillanten „Orkiestra Symfoniczna Polskiej Filharmonii Bałtyckiej w Gdańsku“ (Symphonieorchester der polnischen Ostseephilharmonie Danzig). Zu hören waren Werke von Carl Nielsen, Felix Mendelssohn Bartholdy und Niels Wilhelm Gade. „Das Besondere an dem Festival ist, dass es jedes Jahr der Musik eines anderen im Ostseeraum liegenden Landes gewidmet ist. Das Festival ist also ein Paradebeispiel dafür, dass Musik keine Grenzen kennt, dass sie Menschen verschiedener Nationalitäten und verschiedenen Glaubens, die verschiedene Berufe ausüben und unterschiedliche Sprachen sprechen, miteinander verbindet“, schrieb Janusz Żmurkiewicz, Stadtpräsident der Stadt Świnoujście in seinem Grußwort zur Veranstaltungsreihe.  Karl Forster

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GESCHICHTE

Ehrenamtliches Engagement von Jugendlichen

Hingerichtet wegen „verbotenen Umgangs“

Gedenken an Franciszek Banaś und Wacław Ceglewski Von Christoph Leclaire Vor 75 Jahren – am 14. August 1942 – wurden die beiden Polen Franciszek Banaś und Wacław Ceglewski in Greven (Münsterland) hingerichtet. Sie gehörten zu den mehreren Millionen im Deutschen Reich während des Zweiten Weltkrieges zwangsweise zur Arbeit eingesetzten Kriegsgefangenen und ausländischen „ZivilarbeiterInnen“. Gemäß der NS-Ideologie unterlagen die in der Kriegswirtschaft ausgebeuteten ausländischen ZwangsarbeiterInnen einer mehr oder weniger rassistischen Behandlung und waren auch häufig Opfer einer rigiden Verfolgung. Die Grundlage dafür bildete eine spezielle Gesetzgebung – für die als „rassisch minderwertig“ angesehenen polnischen und sowjetischen ZivilarbeiterInnen („Ostarbeiter“) wurde sogar ein umfangreiches Sonderrecht geschaffen. Zuständig für die Durchsetzung der „Ausländerpolitik“ und damit auch für die Verfolgung der AusländerInnen war das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) mit seiner Gestapo. Deren verbrecherische Tätigkeit wäre aber unmöglich gewesen ohne die zutragenden Polizeibehörden und vor allem nicht ohne die zahlreichen Denunziationen von (vermeintlichen) Regelverstößen der AusländerInnen durch die „deutschen Volksgenossen“. Die polnischen und sowjetischen ZwangsarbeiterInnen waren von der Verfolgung am stärksten betroffen – schon bei „Disziplinwidrigkeiten“ oder „Arbeitsunlust“ wurde die Gestapo eingeschaltet. Deren wesentliche Strafmaßnahme war die Einweisung in ein Konzentrationslager (KZ) oder „Arbeitserziehungslager“ (AEL). Als äußerstes Sanktionsmittel konnte die „Sonderbehandlung“ angeordnet werden – die Todesstrafe ohne gerichtliches Urteil. Dieses geschah bei polnischen und sowjetischen ZwangsarbeiterInnen nicht nur bei Tötungs- oder anderen schweren Delikten, sondern auch bei sogenanntem „verbotenen Umgang“. Seit Ende 1940 wurde der „verbotene Umgang“ zwischen Deutschen und AusländerInnen zu einem Massendelikt im Reich.

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Dazu gehörte jeglicher soziale Kontakt, wie beispielsweise gemeinsam am Tisch zu sitzen, bis hin zu freundschaftlichen Beziehungen. Insbesondere aber der (intime) Kontakt zwischen deutschen Frauen und Ausländern wurde im Sinne der rassistischen Ideologie sowie der patriarchalischen Sexualmoral als besonders verwerflich angesehen und war als sogenanntes „GV-Verbrechen“ (Geschlechtsverkehr) intensiver Verfolgung ausgesetzt. Für die polnischen und sowjetischen Zwangsarbeiter bedeutete dieses „Vergehen“ in der Regel das Todesurteil. Die deutschen Frauen wurden meist zu Zuchthausstrafen verurteilt oder in ein KZ eingewiesen, wobei sie neben ihrer gesellschaftlichen Stigmatisierung oft noch öffentlichen Demütigungen ausgesetzt waren. An vielen Orten im Deutschen Reich kam es zu derartig geahndeten Fällen von „verbotenem Umgang“ und ZwangsarbeiterInnen wurden auf Grund dessen – oder wegen anderer vermeintlicher Vergehen – „öffentlich“ hingerichtet. Dazu zählt auch die Geschichte von Franciszek Banaś und Wacław Ceglewski. Viele Spuren der beiden sind heute leider – trotz der mannigfachen Registrierung – nicht mehr zu finden. Nicht zuletzt auch, da gerade Dokumente zu ihrer Verfolgung vernichtet wurden. Der am 7. Juni 1914 im polnischen Ujsoły geborene Franciszek Banaś wurde als Kriegsgefangener (Nr. 2418) nach Deutschland deportiert und kam in das Stalag VI D in Dortmund. Von dort aus gelangte er mit dem Arbeitskommando Nr. 262 nach Greven in die Bauerschaft Westerode. Nach seiner „Entlassung“ aus der Kriegsgefangenschaft (27.09.1940) musste er als Zivilarbeiter bei der Textilfirma Biederlack & Co. in Greven arbeiten. Seine Verfolgungsgeschichte beginnt am 9. Juni 1941, als er von einem Bauern bei der Polizeibehörde in Greven wegen eines angeblichen Diebstahls angezeigt wurde. Der Fall wurde der Gestapo Münster übergeben und das Amtsgericht Münster verurteilte Banaś zu sechs Monaten Gefängnis. Am 10. Dezember 1941 wurde er – zwei Wochen vor dem

Franciszek Banaś in der Uniform der Ulanen (Lanzenreiter) der polnischen Kavallerie.

offiziellen Ende seiner Haftstrafe – von der Gestapo aus der Haftanstalt Münster abgeholt. Ob bereits zu diesem Zeitpunkt der Vorwurf des „verbotenen Umgangs“ gegen ihn existierte, ist nicht mehr zu ermitteln. Tatsache ist, dass am 14. Oktober 1941 die ebenfalls bei Biederlack als Putzfrau arbeitende Anna R. verhaftet worden war, da sie sich angeblich mit mehreren Polen – darunter auch Franciszek Banaś – „geschlechtlich eingelassen“ habe. Angezeigt wurde sie – wahrscheinlich auch wegen ihrer „antifaschistischen Gesinnung“ – von jemandem aus dem Betrieb. Nach fast einem Jahr „Gewahrsam“ im Polizeigefängnis Münster wurde sie in das KZ Ravensbrück eingewiesen, wo sie bis zum Kriegsende inhaftiert blieb. Wacław Ceglewski wurde am 13. Februar 1921 im damaligen Dorf Aleksandrówka (Ciechocinek) in Polen geboren und war von Beruf Friseur. Als Soldat des polnischen Infanterieregiments 14 kam er in deutsche Gefangenschaft (Nr. 724) und wurde am 27. September 1940 aus dem Stalag VI A in Hemer „als Zivilarbeiter nach Münster entl.[assen]”. Zunächst war er bei einem kleinen Fuhrunternehmen in Greven eingesetzt. Später arbeitete er in der Gemeinde Handorf bei einem Bauern in Kasewinkel, wo er bis zum 20. Mai 1941 wohnhaft war. In dieser Zeit musste er bereits wegen angeblicher „unzüchtiger Handlungen“ für fast drei Monate im Gefängnis in Münster einsitzen. Vermutlich seit Anfang Juni 1941 war er bei den Hiltru-


GESCHICHTE

Zum 75. Jahrestag der Hinrichtung fand am 13. August 2017 auf Initiative der VVN/BdA Münster die erste offizielle Gedenkveranstaltung für die beiden NS-Opfer am Ort des Geschehens statt.

per Röhrenwerken beschäftigt. Nach der Erinnerung eines ehemaligen Meisters soll Wacław Ceglewski erst einige Monate dort gearbeitet haben, als er „von der Gestapo fortgeholt wurde”. Im Werk wurde damals „davon gesprochen, daß er mit einer deutschen Frau oder einem Mädchen ein Verhältnis hatte.” Sowohl Wacław Ceglewski als auch Franciszek Banaś verbrachten mehrere Monate in den Händen der Gestapo Münster, bis sie schließlich am Freitag, dem 14. August 1942, auf Anordnung des RSHA nahe Greven hingerichtet wurden. Die Gestapo Münster war für die gesamte Durchführung der Exekution verantwortlich, die in Zusammenarbeit mit der Amtsverwaltung in Greven erfolgte. Am Tag der Hinrichtung wurden nachmittags zwischen 80 und 100 PolInnen aus Greven von Polizei sowie SA-Angehörigen in die bewaldeten Bockholter Berge gebracht, die dort auch den Hinrichtungsort absperrten. Dieser befand sich am Rande des Boltenmoors nahe des Schiffahrter Damms. Der Galgen war zwischen zwei Bäumen befestigt und unter ihm stand ein Tisch mit versenkbarem Boden. Er war vom Amtsschreiner gebaut und vom Hausmeister des Amtes mit einem Müllwagen dorthin transportiert worden. Bei der Exekution anwesend waren der Amtsbürgermeister und der NSDAP-Ortsgruppenleiter aus Greven sowie ein Lehrer aus Bockholt. Die Gestapo kam direkt aus Münster zum Hinrichtungsort. Das nun folgende Geschehen beschrieb ein Gendarm wie folgt: „Etwas später kamen mehrere Autos aus Münster mit Beamten der Gestapo und einige Z[i]vilisten und ein Wagen mit zwei Männern, die die Hände auf dem Rücken

Rechenschaft gezogen. Es gab zwar in den 1960er Jahren ein Ermittlungsverfahren gegen Angehörige der Gestapo Münster, im Zuge dessen auch wegen der Hinrichtung der beiden ermittelt wurde. Letztlich wurde jedoch das gesamte Verfahren eingestellt. Für lange Zeit geriet das Geschehen in „Vergessenheit“ und erst Mitte der 1980er Jahre stellte sich die Stadt Greven einer intensiven Aufarbeitung ihrer NSGeschichte – inklusive des Schicksals der ZwangsarbeiterInnen. Seitdem wird allen NS-Opfern am Volkstrauertag durch eine Kranzniederlegung am Grab der ZwangsarbeiterInnen auf dem Friedhof in Greven gedacht. Aber ein explizites und offizielles Gedenken an Franciszek Banaś und Wacław Ceglewski seitens der Stadt Greven gab es nicht. Auf Grund des ehrenamtlichen Engagements einer Jugendgruppe gibt es zwar seit 2001 in der Nähe der Hinrichtungsstelle eine „Gedenkstätte“, diese ist aber leider kaum bekannt und die Namen der Ermordeten erfährt man dort nicht. Die Stadt selbst entzog sich weiterhin ihrer Verantwortung. Nun bekamen die beiden NS-Opfer immerhin dank der Initiative von städtischen Auszubildenden am 3. November 2017 „Stolpersteine“ auf dem Markplatz in Greven. Die Chance, damit ein würdiges und angemessenes offizielles Gedenken für Franciszek Banaś und Wacław Ceglewski zu verbinden, scheint die Stadt  Greven leider nicht zu nutzen. Dieser Artikel ist ursprünglich in der Zeitschrift „Die Glocke vom Ettersberg“ der Lagergemeinschaft Buchenwald-Dora/Freundeskreis erschienen.

gefesselt hatten. […] Einer [Banaś] war etwa 28 Jahre alt, groß und kräftig und trug einen blauen Anzug mit weißem Nadelstreifen; er hatte ein gutes Äußere. Der zweite [Ceglewski] war kleiner, auch etwas jünger [21] als der Große und nicht so gut gekleidet. Nachdem diese beiden Polen zur Hinrichtungsstätte gebracht worden waren von den Gestapoleuten, wurde ein Schriftstück verlesen. […] Nach der Verlesung des Schreibens sah ich, wie zwei Polen heraufgingen, den beiden je einen Strick um den Hals warfen, und in dem Moment fiel der Boden weg und die Aufhängung war passiert. Als sie den Strick umgelegt bekamen, schrieen beide ganz furchtbar. Nachher zuckten sie nur noch kurz.“ Laut Zeugenaussagen ließen die beiden kurz vor der Exekution ihr Vaterland hochleben. Die anwesenden PolInnen mussten „aus Abschreckungsgründen an ihren aufgehängten Landsleuten“ vorbeigehen. Den Tod der beiden stellte der Stadtarzt aus Münster (um 16.20 Uhr) fest. Die Leichen bekam das Anatomische Institut in Münster – die sterblichen Überreste wurden später auf dem Grevener Friedhof bestattet. Nach 1945 wurde niemand der Verantwortlichen für die Ermordung von Franciszek Banaś und Wacław Ceglewski zur Gedenkort mit VVN-Kranz

Fotos: Christoph Leclaire

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GESCHICHTE

„Dank des Vaterlands“ an die Mordbanden

Ein „Fuchs“ in Radom und die verfluchte Brigade Zwei Dokumente zur Zusammenarbeit der Sipo Radom mit der NSZ bei der Bekämpfung polnischer Partisanen 1944 Von Werner Röhr Vorbemerkung Die faschistischen Mordbanditen der polnischen Nationalen Streitkräfte (Narodowłe Siły Zbrojne/NSZ) rühmten sich schon seit Jahrzehnten ihrer „patriotischen“ Heldentaten, sprich der Morde an polnischen Kommunisten, Sozialisten, linken Bauernfunktionären und sowjetischen Partisanen und Soldaten in den Jahren seit 1943/44. In den 1980er Jahren wurden vor der Universität in Warschau völlig ungehindert Broschüren mit den Memoiren solcher „Patrioten“ verkauft, die, nachdem sie den Bürgerkrieg (1943-48) verloren und und die Strafen für ihre Untaten abgesessen hatten, nunmehr ungestraft ihre Morde verherrlichten. Spätestens in den 1980er Jahren fanden sie mit Semaszko und Leszek Zebrobwski auch ihre Hofhistoriker. Aber es bedurfte erst der Reaktion des Kaczynski-Polen, um diese Schlächter und Mordbanditen offiziell zu Nationalhelden zu verklären. Für diese war die Agrarreform Polens von 1944 der Todesstoß für die Kultur und Lebensweise des polnischen Adels. Der Mord an Dorfschullehrerinnen und Angehörigen nationaler Minderheiten aber eine patriotische Tat. Am 15. September 2017 sprach der polnische Sejm der Brigada Świętokrzyska, der im Herbst 1944 zahlenmäßig stärksten Kraft der NSZ, den Dank des Vaterlandes für ihren bewaffneten Kampf gegen die deutschen Okkupanten aus. Von einem wirklichen Widerstandskampf gegen diese kann allerdings keine Rede sein, diese Kämpfer richteten ihre Waffen nicht oder sehr selten gegen die Unterdrücker und Henker Polens, sondern von diesen gesteuert und mit deren direkter Unterstützung fast nur gegen die wirklich um die Befreiung Polens kämpfenden Kräfte, seien es Polen oder Sowjets. Mit den Henkern des polnischen Volkes waren sie verbündet, wurden von ihnen geduldet und dirigiert. Mit Genehmigung der Gestapo Radom unterhielten die NSZ, der politisch-militärische Rahmenverband der Brigade, ein geheimes Gefängnis in Częstochowa, in dem polnische Kommu-

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nisten gefoltert und gemordet wurden, dafür bekämpften Verbände der NSZ gezielt und abgestimmt polnische Partisanenabteilungen. Keine Formation des polnischen Untergrundes hat politisch und militärisch so eng mit den deutschen Besatzern, vor allem mit der Gestapo des Distrikts Radom kooperiert, um die Widerstandskämpfer zu bekämpfen. Die Huldigung des Sejms an die Heiliggeistbrigade von den NSZ bezeugt, wohin der zoologische Antikommunismus die Abgeordneten geführt hat. Soll in Zukunft die Kollaboration mit der Gestapo, wenn sie darauf zielt, Kommunisten zu ermorden, als Muster „patriotischer“ Heldentaten gewürdigt werden? Quo vadis Polonia? Der Sejm-Beschluss veranlasste einige Leser zu Fragen über die ŚwiętokrzyskaBrigade. Anstelle eines historischen Artikels drucken wir nachfolgend Abschriften zweier Archivdokumente aus dem Bundesarchiv ab, die 1989 in dem Band „Polen“ der Serie „Europa unterm Hakenkreuz“ enthalten sind, erschienen in Berlin 1989, dort Dok. 171 und Dok. 202, S. 294 f. und S. 326f.   Dokument 1 Aus dem Monatsbericht Dezember des KdS Radom, SS-Obersturmbannführer Joachim Illmer, KdS Radom, 30. Dezember 1944 „1. Beurteilung im Gesamtbereich. Die bereits im Oktober und November eingetretene Beruhigung der Bandenlage im Distrikt Radom hat in der Berichtszeit im Wesentlichen gehalten. Größere Banden sind kaum noch aufgetreten. Ursache für diese Entwicklung ist vor allem der Umstand, daß die „AK“ die durch das Mißlingen des Warschauer Aufstandes entstandenen inneren Schwierigkeiten und krisenhaften Spannungen noch nicht überwinden konnte und dadurch gezwungen war, weitere Einheiten aufzulösen und ihre Mitglieder für längere Zeit zu beurlauben. Ferner ist zu beachten, daß in den Wintermonaten infolge der außerordentlich Ver-

sorgungsschwierigkeiten fast regelmäßig eine rückläufige Bewegung in der Bandentätigkeit eintritt. Gewisse Schwankungen, z.B. eine Zunahme der rein kriminellen Überfälle, können an dieser Feststellung nichts ändern … Bei der Beurteilung der Bandenlage müssen als wichtiger Faktor auch die von der Polizei und Wehrmacht durchgeführten Bandenunternehmen, die Überholung von Dörfern, Durchkämmung bandenverseuchter Festnahmeaktionen usw. genannt werden, die dem Gegner beachtliche Verluste zufügten bzw. ihn fortwährend beunruhigten und unsicher machten. Die Stimmung der Bandenangehörigen ist hierdurch sowie durch den Mangel ausreichender Winterbekleidung und Verpflegung teilweise stark abgesunken. Es zeigen sich häufig Ermüdungserscheinungen, Unlust und Interessenlosigkeit. Die „AK“ konnte nicht verhindern, daß ihr viele Mitglieder den Rücken kehrten und zur „AL“ oder zur „NSZ“ übergingen. Vielfach haben sich entlassene „AK-Angehörige zu kleineren Gruppen zusammengeschlossen, die nunmehr auf eigene Faust Raubüberfälle usw. durchführen. Um diesem Treiben Einhalt zu gebieten, hat die „AK“ eine sogenannte Feldgendarmerie eingesetzt, die jedoch, wie verschiedentlich festgestellt wurde, selbst auf Raub ausgeht. An stärkeren „AK“-Banden sind noch vorhanden das in mehrere Gruppen im südlichen Teil des Kreises Tomaschow und im Nordteil des Kreises Konskie operierenden „AK“-Inf. Regt 25, das eine Einheit darstellt, ferner die Banden „Ponury“ mit etwa 200 Mann, „Jezy“ mit 150 Mann sowie „Andrzej und „Robotnik“ mit je 60 Mann im Kreise Radomsko. Es hat den Anschein, als ob der Burgfrieden zwischen den „AK“ und den „AL“-Banden weiterhin andauert, da über größere Auseinandersetzungen nichts bekannt geworden ist. Die NSZ“-Brigade świento Krzyz“ war in der Berichtszeit hauptsächlich in dem Kreis Konskie-Kielce-Jedrejow tätig. Sie hat bei der Bevölkerung an Einfluß gewonnen, namentlich durch ihren Kampf gegen die kommunistischen und sowjetischen Banden, die allgemein als Landplage empfunden werden. Wie erst jetzt bekannt wurde, hat die Brigade einen maßgeblichen Anteil an der Unterbindung der Eisenbahnberaubungen auf der Strecke Kielce-Sk. Kaminenna, die vor einigen Monaten laufend durch die Bande „Gryf“ verübte wurden. Auf der anderen Seite ist die „NSZ-Bande durch mehrere


GESCHICHTE Entwaffnungsüberfälle usw. auf Deutsche belastet. Die in der I, II, und III. AL-Brigade zusammengeschlossenen kommunistischen Banden sind in der letzten Zeit durch Polizei und Wehrmacht wiederholt stark angeschlagen worden. Sie wurden in kleinere Gruppen aufgesplittert, die sich im mittleren und nördlichen Kreisgebiet von Radomsko bzw. im Kreis Petrikau sowie in den ausgedehnten Waldgebieten um Sarachowice, Konskie und Kielce bewegen … Die stark bandenverseuchten großen Waldgebiete süd- und südwestlich sowie südostwärts von Radomsko weisen(?) nach dem Abzug der NSZ-Brigade „SwientoKzryz“ eine wesentlich geringere Bandentätigkeit. Den hier operierenden Gruppen der III.Brigade Bem wurden durch die NSZ“ größere Verluste zugefügt, was eine Aufsplitterung in kleinste Einheiten zur Folge hatte. Mehrere von Polizeikräften durchgeführte Unternehmen blieben zum Teil ohne Feindberührung, nahmen jedoch den Banden jegliche Bewegungsfreiheit. Z.Z. ist nur die Gruppe „Pawel“ mit etwa 2000-250 Mann etwas aktiver ….“ (Quelle: BA, R 70, Bd. 91)  Dokument 2 Aus dem Bericht des Leiters der Außendienststelle Tomaschow des KdS Radom, SS-Unterscharführer Hermann Wiese, vom 12. Februar 1944 über die Zusammenarbeit der „Nationalen Streitkräfte“ (NSZ) mit der Gestapo „Es erscheint „ Georg“ und berichtet: Meine Abteilung wird in der Zeit vom 14./15.2.44 in Drzewica vom 15./18.2.44 in Podkonice, Vrzustowek, Szadkowice und Umgebung - Quartier vom Hegerei Ksiaz vom 18./21.2.44 in Skotniiki, Szarsbki, Dabrowka, Sieczka Quartier Mühle RudaPapierna, Maslocha arbeiten. Von der Abteilung ist beabsichtigt, gegen folgende Personen vorzugehen: Kraj, Euzebiusz, Drzewica, Alter Kommunist Porzycki, ehemaliger Soltys aus Drzewica Porzycki, jüngerer Bruder des Soltys Walicki, Pawel, Gemeindeagronom, Drzewica Porzycks, Janina, Drzewica Die angeführten Personen sollen kommunistische Bindungen haben. Im Bezirk Podkonice ist beabsichtigt gegen folgende Personen vorzugehen: Zimnicki, Gebrüder Kosniowski, Vorn.?

Dorocinski, Vorn.?, Brzustowka Pardej, Vorn.?, Brustowka Sie sollen einer Gruppe der BCh angehören Die Ehefrau des flüchtigen Banditen Tarkowski „Trojan“, hat aus der Gemeinde Niewierzyn einen neuen Ausweis auf den Namen Trojanowska erhalten. Mijas, Mieczyslaw, Gowarczow, gehört zur NSZ-Gruppe. Er ist Leiter des Ausspähdienstes. „Georg“ bittet um die Entlassung der Maria Maslocha aus Ruda-Papierna. Die beiden Söhne der M. Zbiegniew und Stanislaw, gehören beide der Gruppe der NSZ an Die M. ist am 23.2.44 entl. Weiter bittet „Georg“ um die Entlassung der Natkanska, Anna [bereits am 1.11.43 in KL überstellt Die Abteilungen der NSZ führen die Bezeichnungen Las I Ltn. Lucian, Las II Stary. Von den Abteilungen werden Quittungen mit Schreibmaschine geschrieben und mit der entsprechenden Unterschrift der Führer der Abteilungen verausgabt. „Georg“ bittet darum, daß die Leiche des erschossenen SN-Führers Marian Suskiewicz, welche auf dem jüdischen Friedhof in Opoczno begraben ist, umgebettet werden kann. (Quelle: BA, R 70, Bd.94) Anmerkungen. 1) Im okkupierten Polen schufen die Parteien der Londoner Exilregierung Sikorski zunächst je ihre eigenen bewaffneten Streitkräfte, also von Parteien, die vor dem Krieg in Opposition zum SanacjaRegime gestanden hatten. Die später AK (Landesarmee/Heimatarmee) genannte Untergrund-Armee im besetzten Polen rekrutierte dagegen ihren Offiziers- und Kommandeursbestand aus der Armee des alten Sanacja-Regimes. Die AK-Führung war bestrebt, sich alle Partei gebundenen Militärformationen einzugliedern, stieß dabei allerdings auf hartnäckigen Widerstand, nicht nur bei der Bauernpartei und ihren Bataillonen oder den Sozialisten, sondern auch bei der NOW, der Formation der Nationaldemokratie (Endecja). Denn erstens waren diese Parteien nach wie vor politische Gegner des Pilsudski-Lagers, also der bankrotten Sanacja samt ihrer Militärclique. Zweitens wollten die Parteien diese eigenen Militärformationen für den Kampf um die Macht in einem befreiten Nachkriegspolen einsetzen. Deshalb ging die Eingliederung in die AK nur schleppend voran, den zähesten und anhaltensten Widerstand leisteten dabei die Parteigänger

der Nationaldemokratie, jene Kräfte, die später die NSZ bildeten. 2) Die Nationalen Streitkräfte (NSZ) entstanden im Winter 1942/43 aus der Vereinigung jener Teile der NOW (der Formation der Endecja), die sich nicht der AK eingliedern wollten, mit anderen nationalistischen und faschistischen Organisationen wie dem Eidechsenbund. Die NSZ bildeten 1943 Spezialabteilungen (AS), die einen Mordfeldzug begannen und viele Funktionäre der PPR, Partisanen der GL, entflohene sowjetische Kriegsgefangene - im Generalgouvernement hielt die Wehrmacht rund 800.000 sowjetische Kriegsgefangene fest, von denen viele flohen - und Funktionäre der radikalen Bauernbewegung ermordeten. Diese Spezialabteilungen führten im März 1944 im Kreis Opatow eine „Pazifizierung“ durch, bei der sie Mitglieder und Sympathisanten der PPR und der AL ermordeten. Mit Wissen der Gestapo Radom verfügten die NSZ über ein geheimes Gefängnis in Częstochowa, in dem Kommunisten gefoltert und ermordet wurden. Unter weitestgehender Bewahrung ihrer Selbständigkeit wurde der größere Teil der NSZ 1944 der AK angegliedert. Aber nicht alle ihre Angehörigen folgten dieser Vereinbarung, nachdem sie schon 1942 der Einvernahme durch die AK ausgewichen waren. Die Świętokrzyska-Brigade der NSZ entstand am 11. August 1944 aus denjenigen NSZ-Verbänden, die sich nicht der AK unterstellt hatten. Sie nannte sich nach dem örtlichen Gebirge, den Heiligkreuzbergen, wo sie ihre Basis hatte. Die Brigade zählte im Spätsommer 1944 c.a. 2000 Mann und war damit der zahlenmäßig stärkste NSZ-Verband in Polen. Zum Herbst hin verringerte sich ihre Zahl etwas, sie blieb aber der Stärkste NSZVerband. Es ist einfach nicht wahr, wenn ihr Hofschreiber Zebrowski behauptet, die NSZ seien unter den Verbänden des Unabhängigkeitsflügels, d.h. den auf die Sanacja orientierten Kampfgruppen, die am stärksten gegen Deutschland ausgerichteten gewesen. Hinsichtlich des bewaffneten Kampfes gegen Einheiten der Wehrmacht, der Polizei und der SS war das jedenfalls nicht der Fall, deren Quellen belegen das nicht, einzelne Gefechte werden sogar da eher als Entgleisung gewertet. Die Brigade folgte ihren deutschen Führungsoffizieren über die Grenze, aber sie bekämpfte sie nicht. Sie hielt sich von Kämpfen gegen sie ausdrücklich zurück sowie von jeder größeren bewaffneten Aktion, denn eine

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GESCHICHTE solche Aktion, so die Argumentation der NSZ-Führung, hätte ja die Aktionen der Roten Armee erleichtert. Folglich richtete die Brigade ihre Waffen nur gegen polnische und sowjetische Partisanen, gegen Soldaten der Sowjetarmee, nachdem diese die Befreiung Polens begonnen hatten und im Lande kämpften. Die Brigade bekämpfte wütend die Bauernbataillone und vor allem die Volksgarde. Den unterirdischen Bürgerkrieg im immer noch besetzten Polen hatten die NSZ bereits im August 1943 eröffnet (Morde von Borow). 3) Ihrer Ideologie, ihrer Kader und ihrer politischen Aktivität und vor allem der Auswahl ihrer Mordopfer nach, war die Brigade ein offen faschistischer Verband Die Brigade verübte bestialische Morde an Mitgliedern und Anhängern der Bauernbataillone, an Verfechtern und Nutznießern der Agrarreform und der Bildungsreform im befreiten Polen wie z.B. Grundschullehrerinnen., an sowjetischen Partisanen. Sie bekämpfte und kämpfte in Abstimmung mit der Wehrmacht und der deutschen Sicherheitspolizei gegen polnische und sowjetische Partisanengruppen. 4) Mit Hilfe deutscher Verbindungsoffiziere zog sich die Brigade schließlich im Januar 1945 über das Protektorat nach Deutschland (Bayern) zurück. Der Zweck dieser Evakuierung sollte sein, die Brigade später, nachdem die sowjetische Armee weiter nach Westen vorgedrungen sein würde, in deutschem Auftrag und unter deutschem Befehl zu Diversionsaufgaben hinter dieser Front wieder im Osten einzusetzen. Dieser Plan wurde durch die schnelle Befreiung Polens gegenstandslos. Allerdings brauchten die in Polen im Untergrund verbliebenen Kräfte der NSZ keine deutschen Befehle, um ihren mörderischen Bürgerkrieg gegen die entstehende Volksmacht noch jahrelang weiterzuführen. 5) Der führende Kopf der Sipo von Radom hieß Fuchs. Er war auch ein Fuchs und zählte zweifellos zu den geschicktesten und gewieftesten Gegnern des polnischen Widerstandes und damit zu ihren gefährlichsten Gegnern. Fuchs war zwar nicht der Kommandeur der Sipo in Radom, das war Illmer. Aber er war der intellektuelle Kopf und er war bestens über das gesamte politische Spektrum der Widerstandskräfte und deren laufende innere Veränderungen informiert. Fuchs setzte, anfangs gegen den Widerstand anderer SS-Führer aus dem Reichssicherheitshauptamt, später mit deren Unterstützung, ab 194(?), paral-

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lel zur Verschärfung des Terrorregimes im Generalgouvernement, das Prinzip durch, alle Kräfte der Sicherheitspolizei gegen die polnischen Linken zu richten und nicht mehr gegen die antikommunistischen Kräfte. Fuchs war bereit, mit den militanten antikommunistischen Kräften des Widerstandes zu kooperieren und setzte in seinem Distrikt, also Radom, diese Maxime in der Kollaboration mit den NSZ auch durch. Er gehörte zu den flexibelsten Vertretern der deutschen Sicherheitspolizei, der im Verhältnis von Terrorismus und Kollaboration die Gewichte verschieben wollte und den antikommunistischen Organisationen ein Kollaborationsangebot machte, das darauf hinauslief, mit Erfolg eine Steuerung antikommunistischer Widerstandsorganisationen zu praktizieren. Auf dieses Angebot gingen Teile des Eidechsenbundes (Związek Jazczurowy), die Organisation Szaniec u.a. ein. Mit der Organisation Miecz i Plug schuf sich die Gestapo eine eigene Gruppe als ihr ureigenes Geschöpf, sie war keine Kolaborationsgruppe. Vor allem aber waren Teile der NSZ jene Gruppen des Widerstandes, die auf das Kollaborationsangebot der Gestapo Radom eingingen, mit ihr Absprache trafen und schließlich am Ende des Jahres 1944 sogar ein formelles Kollaborationsabkommen schlossen. Dessen Abschluss kam erst nach Machtkämpfen um die Führung in der NSZ zustande. 6) Die Kollaborationsstrategie war der Sicherheitspolizei Radom umso wichtiger, je mehr sie 1944 von Partisanenkämpfen bedrängt wurde. Dieser Distrikt hatte große Waldgebiete und war ein Schwerpunkt des bewaffneten Widerstandes der Partisanen. Der Höhepunkt der Partisanenkämpfe fiel in das zweite Halbjahr 1944 fiel, als die Frontlinie von August 1944 bis Januar

1945 an der Wisla erstarrt war. Kein Wunder, dass die vor der endgültigen Niederlage stehenden deutschen Okkupanten überaus interessiert waren, so viele der polnischen Partisanen wie möglich, die sie bedrängten, durch von ihnen gesteuerte antikommunistische Gruppen zu bekämpfen. Insofern hatte die ŚwietokrzyskaBrigade für ihren Einsatz eine nach Ort und Zeitpunkt spezifischen Bedeutung.  Literaturhinweise 1) Europa unterm Hakenkreuz. Die Okkupationspolitik des deutschen Faschismus (1938-1845). Achtbändige Dokumentenedition Hg. von einem Kollegium unter Leitung von Wolfgang Schumann Band 2: Die faschistische Okkupationspolitik in Polen (1939-1945). Dokumentenauswahl und Einleitung von Werner Röhr unter Mitarbeit von Elke Heckert, Bernd Gottberg, Jutta Wenzel und Heide-Marie Grünthal, Berlin 1989 2) Werner Röhr: Occupatio Poloniae. Forschungen zur deutschen Besatzungspolitik in Polen 1939-1945, Berlin 2004 3) ders. Narodowe Sily Zbrojne. Dokumenty, Struktury, Personalia. zebral i wstepem oopatrzył LeszekŻebrowski, Warszawa 1994 4) Zbiegniew Siemaszko, Narodowe Siły Zbrojne, Londyn 1982 Abkürzungen AK Armia Krajowa AL Armia Ludowa BA Bundesarchiv BCh Bataliony Chłopskie GL Gwardia Ludowa NSZ Narodow Siły Zbrojne PPR Polska Partia Robotnicza Sipo Sicherheitspolizei

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AKTUELLES

Eine Geschichte aus dem Lebuser Land

„Die Nazis haben unseren Wisent erschossen“ Von Christoph Koch Die Lebuser sind ein unerschrockenes Völkchen, das fürchtet nicht Tod noch Teufel. Das einzige, was ihnen eisige Schauer den Rücken hinunter jagt, sind urwäld- und -weltliche Erscheinungen. Eine solche wurde unlängst dem Lebuser Rentner H. zuteil, der sich beim Johanniskrautsuchen unversehens einem nie geschauten Etwas gegenübersah. Kaum hatte er in dem gehörnten Monstrum „das schöne, große Tier“ erkannt, da durchfuhr ihn auch schon der Schauer: „Da kam etwas aus einer Welt, die nicht mehr da ist.“ Zudem kam der Nordwind. „Da bekam ich Ehrfurcht und dachte an ein Mammut“. Soweit alles logo. Und da der Betroffene außer Ehrfurcht auch den landesüblichen Sinn für Recht und Ordnung im Leibe hatte, lief er zum nächsten Bauern, und fortan lief alles seinen landesüblichen Lauf. Der Bauer rief die Polizei, die Polizei rief die Bürgermeisterin, die Bürgermeisterin rief den Amtsdirektor, der Amtsdirektor rief die Feuerwehr, und wer immer rief die Jäger. Inzwischen lief das Wesen gemächlich einen Weidenzaun entlang, und es nahte der Abend. Letzterer versetzte dem Geschehen den dramatischen Kick. Was, wenn es dunkel wurde und das mit der Umgebung möglicherweise nicht vertraute Tier in der Dunkelheit in Richtung Stadt liefe? Unter den für das Wohl derselben Verantwortlichen brach Unruhe aus. Man erkannte auf eine „Gefahr für Leib und Leben“ der Stadtbewohner und auf die Notwendigkeit eines Präventivschlags. Der Amtsdirektor forderte die Jäger zur Rettung der Gemeinde zum finalen Blattschuß auf, den diese um 19.58 Uhr erbrachten. Nun hatte man eine Leiche, die entsorgt werden mußte. Unter der fröhlichen Gewißheit, das nächste Grillfest käme bestimmt, machte man sich ans Zerlegen derselben. Was nicht zu grillen war, kam auf den Gabelstapler, darunter der gehörnte Kopf, der als „Trophäe“ für das Heimatmuseum ausersehen ward. Im medialen Zeitalter konnte das Geschehen nicht unphotographiert und ungefilmt bleiben, und alsbald verbreitete das Fernsehen die Kunde von der wackeren Ge-fahrenwehr der Lebuser und ihrem Sinn fürs Praktische wie fürs Triumphale über Deutschland und seine Grenzen.

Das war kein guter Einfall, denn das Tier hatte Migrationshintergrund. Es war im Laufe seines Todestags im Vertrauen auf die Kanzlerin aus Polen über die Oder nach Deutschland geschwommen. Sein Schicksal löste auf allen Ebenen der deutschen Gesellschaft eine rege Diskussion aus. Ein über den Fluß weithin sichtbares Transparent, auf dem oben „Der Wisent ist ein geschütztes Tier“ und unten „Mörder“ zu lesen stand, ließ in Lebus den Verdacht aufkommen, das man möglicherweise etwas falsch gemacht hatte. Daß im Innenministerium der Schutz der deutschen Außengrenzen und die „Fußfessel für alle“ thematisiert wurde, wurde amtlicherseits weder bestätigt noch dementiert. Aus München verlautet, daß man in der Umgebung des auf die Rutschbahn der „Volksparteien“ geratenen Landesfürsten über eine Ausdehnung der soeben mit der Schwesterpartei ausgehandelten Obergrenze, die zur Bemäntelung der erforderlichen Sinnesänderungen als solche nicht bezeichnet werden darf, „auf Mensch und Tier“ nachdachte und auf strikte Einhaltung der Einschränkung des Familiennachzugs pochte. Eine frühe Botschaft über das Geschehen überbrachte ein Kind, daß sich mit seiner Klasse und seiner Lehrerin kurz nach dem Geschehen am Ort desselben aufhielt. Es war ein Kind aus Polen, und die Botschaft lautete: „Die Nazis haben unseren Wisent erschossen.“ Man war schockiert. Dabei bewies das Kind, indem es seine Botschaft an einen deutschen Adressaten richtete, dass es zu unterscheiden wußte und die Frage der Kollektivschuld souverän im Griff hatte. Die Antwort des Angesprochenen war, wie immer, wenn das Reizwort fällt, eine apotropäische: „Na, ihr habt ja eine tolle Lehrerin!“ Die Lehrerin, studierte Umweltschützerin und Leiterin des WiesenMuseums in Owczary, ist von dem für das Geschehen zuständigen Fach. Ihre Antwort war diplomatischer: „Ich hab’ nichts gegen Deutsche, aber in der Situation habe ich sie nicht verstanden.“ Wie kam das Reizwort in die Botschaft des Kindes? Nach einer Antwort braucht man nicht zu suchen, und daß es einem aus Kindermund entgegenschallt, braucht einen

Transparent am Grenzübergang Küstrin-Kietz/ Kostrzyn nad Odrą. Foto: www.polando.de

nicht zu wundern. Damit es dazu kommt, braucht man lediglich sein Nachbarland zu überfallen, ein Fünftel seiner Bewohner umzubringen, die anderen im Bemühen um deutschen Lebensraum um- und auszusiedeln, ab und an ein Kind an den Beinen zu packen und mit dem Kopf gegen die Wand zu knallen, um die teure Patrone zu sparen ... solche Sachen. Das prägt sich ein. Und das kommt hoch, wenn man ein deutsches Blutbad sieht und das fröhliche Geplauder der Täter hört, die sich auf das Grillfest freuen. Wer sich einmal auf diese Weise in Polen vorgestellt hat, muß da-mit leben. Ein unverkrampftes Verständnis der Botschaft könnte ihm vermitteln, daß auch das Kind weiß, daß die aktuellen Täter keine Nazis sind. Die Tragik des Geschehens reicht jedoch weiter. Der polnische Wisent war nicht gekommen, um einem deutschen Stier den Arbeitsplatz streitig zu machen und hatte auch keine sonstigen Abenteuer im Sinn. Er wollte vielmehr eine Botschaft überbringen: die Botschaft, daß seine polnische Heimat, die Puszcza Białowieska, eines der letzten Urwaldgebiete in Europa, auf Betreiben einer nicht nur an der exorbitanten „Entfesselung“ der Exekutivgewalt interessierten Regierung trotz des Protests in- und ausländischer Umweltschutzorganisationen und trotz eines Verbots des Europäischen Gerichtshofs aus wirtschaflichem Interesse zu großen Teilen plattgemacht wird. Er konnte nicht ahnen, daß ihm im einstigen polnischen Sehnsuchtsland der Freiheit ein gleiches Schicksal bevorstand. Spoczywaj w pokoju, Wędryczku, w niemieckich żołądkach – pobyt tam nie jest stały. 

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DISKUSSION

Noch einmal: Zwischen verordneter und ernsthafter Freundschaft Zur Geschichte der Hellmut-von-Gerlach-Gesellschaft Von Friedrich Leidinger Der unter der Überschrift „Zwischen verordneter und ernsthafter Freundschaft“ in Puw 4/2017 nachgedruckte Aufsatz von Christian Lotz über die ersten 25 Jahre im Bestehen der DeutschPolnischen Gesellschaft der BRD (DPG), vormals Hellmut von Gerlach Gesellschaft (HvGG), verlangt nach einem Kommentar. Der Autor verdient Anerkennung für sein Bemühen, die gesellschaftlichen Aktivitäten auf dem Gebiet der deutsch-polnischen Beziehungen vor den „Ostverträgen“ ins Blickfeld historischer Forschung zu rücken und Quellen über diese Zeit zu erschließen. Natürlich ist bedauerlich, dass ein Teil der Unterlagen der Gesellschaft nach der Auflösung der hauptamtlichen Geschäftsstelle in Düsseldorf und mehrfachen Umzügen des Bürobestandes nicht mehr auffindbar ist. Dass die Nachfolger der in den Jahren 1950 bis 1975 verantwortlichen Akteure ein starkes Interesse an dieser Arbeit haben, bedarf keiner besonderen Erwähnung. Wie zu erwarten wirft Lotz’ Arbeit eine Reihe von Fragen auf, zu denen hier Stellung bezogen wird. Die Gründung der HvGG 1950 in Düsseldorf wäre - so vermutet Lotz - von „der SED-Führung bzw. den von ihr angeleiteten Funktionären der nordrhein-westfälischen KPD veranlasst“ worden. Tatsächlich waren in dieser frühen Nachkriegszeit außer einigen Kommunisten nur wenige Sozialdemokraten und Bürgerliche sowie ehemalige Offiziere, zumeist aus preußischem Adel, die aus dem Krieg ihre Schlüsse gezogen hatten, zu einer Verständigung mit Polen bereit. Die Gründung der damals noch gesamtdeutschen HvGG 1948 in Berlin bedeutete einen Brückenschlag zwischen Konservativen und Linken. Die Gründung einer westdeutschen HvGG 1950, die später aufgrund eines von der Familie von Gerlachs angestrengten Gerichtsverfahrens ihren ursprünglichen Namen ablegen musste, wurde notwendig, da mit der Existenz zweier deutscher Staaten die Gesellschaft nicht länger als gesamtdeutsche Vereinigung tätig sein konnte. Die auf den ersten Blick vielleicht nebensächlich scheinende Vermutung des Autors bildet das

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Fundament seiner den weiteren Text wie ein roter Faden durchziehenden Argumentation, die HvGG wäre eine kommunistisch gelenkte Agentur gewesen, mit welcher – ungeachtet aller sonstigen Zielsetzungen - „die Führung der SED in der deutschen Bevölkerung die Akzeptanz der Oder-Neiße-Grenze und damit ihrer Außenpolitik verbreitern wollte“. Dieser Unterstellung ist nicht zuletzt im Hinblick auf die Persönlichkeiten an der Spitze der Gesellschaft – den preußischen Offizier Hanns von Rohr, den Sozialisten und Gewerkschafter Walter Fabian und den konservativen Demokraten Helmut Ridder – zu widersprechen. Der Frage, welche konkrete Rolle Kommunisten in dieser frühen Nachkriegszeit im deutschpolnischen Verhältnis spielten, geht Lotz nicht nach. Die Bildungstätigkeit des ersten Generalsekretärs der HvGG, des antifaschistischen Widerstandskämpfers Karl Wloch im Warschauer Kriegsgefangenenlager (Vorlage für Hermann Kants Roman „Der Aufenthalt“, 1977, und vielleicht das einzige, auf jeden Fall das wichtigste literarische Zeugnis der deutschen Schuld an den Verbrechen in Polen) ist ihm leider nur eine Fußnote wert („war bis 1949 in polnischen Kriegsgefangenenlagern mit der ‚Umerziehung’ deutscher Offiziere im Sinne des sozialistischen Aufbaus beauftragt“). „Umerziehung“ war allerdings in den Jahren nach 1945 keine kommunistische Spezialität, sie hieß in der britischen und amerikanischen Besatzungszone „Reeducation“ und wurde leider nur inkonsequent und wenig nachhaltig betrieben. Lotz’ Text deutet auf einen Mangel an Vorstellung von dem Ausmaß der Abnormität, die nach dem Krieg zwischen Polen und Deutschen herrschte. Nur gelegentlich streift er in Nebensätzen die „lange Konfliktgeschichte“ oder das „vom deutschen Eroberungskrieg verwüstete Land“. Es herrschte aber – hier beziehe ich mich auf die junge BRD – eine Staatsdoktrin, welche die Realitäten des Kriegsausgangs aktiv bestritt und keinerlei Bereitschaft zu Entspannung und Normalisierung der Beziehungen zu Polen erkennen ließ, die die deutschen Verbrechen in Polen leugnete und die verantwortlichen Täter laufen ließ, und die in anmaßender

Hybris eine „Charta der Vertriebenen“, die nur fünf Jahre nach dem Ende des von Deutschland angerichteten Völkermords auf Gewalt zur Wiedererlangung der verlorenen ostdeutschen Gebiete „verzichtete“, als Beleg für die eigene Friedfertigkeit feierte. Journalisten, die im Jahrtausend vor 1945 von „polnischen Untermenschen“ geschrieben hatten, zeigten keine Reue, sondern widmeten sich der Pflege antipolnischer Ressentiments mit Berichten über „polnische Wirtschaft“, die den einst blühenden deutschen Osten ruiniere. Die katholische Kirche, der man eine gewisse konfessionelle Nähe zur polnischen Sichtweise zusprechen würde, reagierte auf den Hirtenbrief der polnischen Bischöfe vom 18.11.1965 mit dem Hinweis auf das „Recht auf Heimat“. Dies war das Umfeld, in welchem die DPG für Verständigung eintrat und in ihren Publikationen durch Information über die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung einen Gegenentwurf zum verzerrten Polenbild in der BRD vorlegte. Die Begeisterung in diesen Publikationen über den Wiederaufbau in Polen bezeichnet Lotz als einseitig und unkritisch. Vielleicht sollte er diese Texte mit der westdeutschen Publizistik zum Wiederaufbau und zum „Wirtschaftswunder“ in der BRD vergleichen? Immerhin konzediert er, dass die Publikationen der HvGG „zu den wenigen Publikationen (gehörten), die sich überhaupt mit der deutschen Besatzungspolitik in Polen befassten“. Die Kernfrage aber war die neue polnische Westgrenze. Der Abschluss des Görlitzer Vertrags von 1950, mit dem die DDR die Oder-Neiße-Grenze völkerrechtlich anerkannte, war innerhalb der SED keineswegs unumstritten und wurde erst nach entsprechenden Hinweisen aus Moskau durchgesetzt. Dagegen gab es in der BRD nach dem KPD-Verbot 1956 keine legale Partei mehr, die die Folgen des Krieges anerkannte. Die Bundestagsparteien überboten sich vielmehr in Ergebenheitsadressen an die Vertriebenenorganisationen, in denen sie die Wiederherstellung Deutschlands in den ‚Grenzen von 1937’ forderten. Noch lange widerstanden sie dem Drängen ihrer westlichen Verbündeten, die - wie Lotz zutreffend schreibt - seit Ende der fünfziger Jahre den deutschen Krisenherd entschärfen wollten und zum Zeichen der Entspannung von Bonn die Anerkennung der territorialen Realitäten verlangten. Das Grußwort des SPD-Parteivorstands zum Schlesiertreffen 1963 mit der Überschrift „Verzicht ist Verrat“ oder der SPD-Partei-


DISKUSSION

Bühne am SPD-Parteitag 1964 in Karlsruhe.

tag im November 1964 in Karlsruhe unter einem Transparent mit dem Motto „Erbe und Auftrag“ und den Grenzen von 1937 sind nur zwei von zahllosen Beispielen. Insofern bleibt die politische Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze das historische Verdienst der Kommunisten. Ihr Interesse an den deutsch-polnischen Beziehungen blieb dagegen ambivalent. Die Beziehungen der DDR zum sozialistischen Nachbarland bedürfen sicher einer gesonderten Betrachtung. Was die DPG der BRD betrifft, so hörten ihre Mitglieder in der Zeit vor und nach Ratifizierung des Warschauer Vertrags von kommunistischer Seite gelegentlich den Rat, sich aufzulösen, weil ihre Tätigkeit obsolet geworden wäre. Breiten Raum widmet Lotz der Kritik von Publikationen der westdeutschen wie der ostdeutschen HvGG, in denen die neuen polnischen Westgebiete in ihrer Zugehörigkeit zu Polen mal mit einem platten Klassenkampfmodell, mal mit nationalistischen Herleitungen historisch begründet wurden. Es waren dies keine kommunistischen Ideen. Auch in Polen benutzte die Warschauer Regierung mit dem Topos von den „wiedergewonnenen Gebieten“ Argumente rechter Nationalisten, um die keineswegs problemlos verlaufende Besiedlung Schlesiens und Pommerns mit Aussiedlern aus den an die Sowjetunion abgetretenen „Kresy“ zu fördern. Letztlich waren alle diese Argumente mehr oder weniger hilflose Versuche, eine politische Wirklichkeit zu deuten, für

Quelle: SWR- Abendschau

die die, die darin leben mussten, nichts konnten, und die die, die dafür verantwortlich waren, um keinen Preis anerkennen wollten. Lotz’ Kritik daran ist sicher nicht falsch, doch wäre sie glaubwürdiger, hätte er sie in Bezug zu dem in der BRD bis in die Gegenwart herrschenden Narrativ vom „Deutschen Osten“ gesetzt. Der Autor dieses Kommentars kennt die DPG seit Mitte der siebziger Jahre und kann daher aus eigener Kenntnis über den davor liegenden Zeitraum kein Urteil abgeben. Auch damals wurde die Gesellschaft regelmäßig im Verfassungsschutzbericht erwähnt, was wohl den zahlreichen Vertriebenenfunktionären in der nordrheinwestfälischen Ministerialbürokratie zu verdanken ist. So notwendig die Auswertung von Akten des Verfassungsschutzes ist, so fragwürdig ist doch die Güte der darin enthaltenen Informationen. Das gilt besonders für die von Lotz dort gefundenen Belege einer Finanzierung der HvGG in Höhe von monatlich „zwischen 11.000 und 15.000 ‚West-Mark’“ (Lotz meint sicher ‚Deutsche Mark’). Das wäre für die fünfziger Jahre eine phantastische Summe, und sie scheint so gar nicht zu der sonst bekannten Bescheidenheit kommunistischer Funktionäre (die Gesellschaft hatte damals wie auch später bis 1980 zwei hauptamtliche Angestellte) zu passen. In den siebziger Jahren finanzierte die Gesellschaft die Gehälter über einen Zweckbetrieb, den Rochus-Verlag, der viele Jahre lang den Allein-

Zu dem Artikel „Zwischen verordneter und ernsthafter Freundschaft“ von Christian Lotz in der vergangenen Ausgabe gehörten eigentlich zwei Zeichnungen, die beim Layout versehentlich nicht eingebaut wurden. Wir bitten dies zu entschuldigen. Sie sind jedoch in der online verfügbaren Buchversion enthalten. Am Ende des Artikels hatten wir den Kurzlink zu dem Buch veröffentlicht. Der Verlag befürchtet jedoch, dass dieser Link nicht permanent zur Verfügung steht. Deshalb veröffentlichen wir hier noch die Langfassung des Links des Verlages für den Zugriff auf das Buch, in dem der Artikel mit allen Verweisen und Fußnoten veröffentlicht ist: www.vifaost.de/Vta2/bsb00077828/ostdok:BV035164169?page=8&c=solrSearchOstdok

vertrieb für in der BRD beliebte polnische Plakate, Bildbände und Schallplatten (u.a. Chopin-Wettbewerb und Jazzfestival) hatte. Fazit: Lotz hat mit seiner Arbeit die Tür zur Erforschung eines wichtigen Kapitels deutscher Nachkriegsgeschichte aufgestoßen. Es ist zu wünschen, dass diese Forschung fortgesetzt und vertieft wird und dass es insbesondere gelingt, sich von dem Zeitgeist geschuldeten antikommunistischen  Stereotypisierungen zu lösen. Der Autor Dr. med. Friedrich Leidinger MBA ist stellvertretender Vorsitzender der Deutsch-Polnischen Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland e.V.

Verstehen, was in Polen geschieht. Die Polen-Analysen werden gemeinsam vom Deutschen Polen-Institut, der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen und der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde herausgegeben. Sie bieten regelmäßig kompetente Einschätzungen aktueller politischer, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Entwicklungen in Polen. Autoren sind internationale Fachwissenschaftler und Experten. Die Polen-Analysen werden auf Anforderung unentgeltlich per E-Mail als pdfDatei versandt. Sie erscheinen mit Ausnahme einer Sommerpause an jedem ersten und dritten Dienstag im Monat. In der ersten November-Ausgabe 2017 lesen Sie: Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände. Mit einem Beitrag von Benedikt Bender (Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung, Mannheim) Die Polen-Analysen sind im Internet zu finden unter: http://laender-analysen.de/polen/ Hier sind im Archiv auch ältere Ausgaben zu finden.

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DISKUSSION

Zu den Anfängen der Hellmut-von-Gerlach-Gesellschaft

Brücke zwischen Deutschen und Polen Von Werner Stenzel Bemerkungen zum Artikel von Christian Lotz über die Helmuth von Gerlach Gesellschaft (PuW 4/17) Anlässlich des 60. Jahrestages der Helmuth-von-Gerlach-Gesellschaft (HvGG) haben 25 Mitglieder und Freunde der Gesellschaft für gute Nachbarschaft Erlebnisse bei der Gestaltung deutsch-polnischer Beziehungen aufgeschrieben. Der Erinnerungsband enthält Beiträge zur Entwicklung der HvGG von den Quellen ihrer Gründung bis hin zu Erzählungen von Teilnehmern unserer Radtouren und Camps der guten Nachbarschaft. Man könnte meinen, es ist alles gesagt, aber ich denke, es unvergessenen Freunden, guten Ratgebern und Mitstreitern schuldig zu sein, den Artikel von Christian Lotz nicht unkommentiert zu lassen. Es gibt Wahrheiten, die, um im Gedächtnis zu bleiben, ständiger Wiederholung bedürfen. Der 2. Weltkrieg ist von deutschem Boden ausgegangen. Er forderte das Leben von 50 Mio. Menschen, 6 Mio. von ihnen waren Polen, darunter 5,9 Mio. Zivilpersonen. Nach dem Ende des Völkermordens zog sich durch alle Schichten der deutschen Bevölkerung die Erkenntnis „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus“. Die Verwirklichung dieses Grundsatzes brauchte Wegbereiter. Zu den ersten Mitgliedern deutsch-polnischer Gesellschaften gehörten die ehemaligen KZ-Häftlinge in Sachsenhausen Karl Stenzel und Bruno Scharf, die im Angesicht des Todes das Leben polnischer Häftlinge schützten, retteten und Widerstand leisteten. Karl berichtete, wie er im Auftrag des internationalen Lagerkomitees von Max Reimann, dem späteren KPD-Vorsitzenden in der BRD, den Auftrag erhielt, einen polnischen Vertrauensmann zu gewinnen. Schließlich gewann er Prof. Buk, Sohn eines polnischen Gutsbesitzers und Professor für Musik in Lwów, für die Mitarbeit. auch unter Teilnahme sowjetischer Kameraden. ‚Sachsenhausener‘ war das spätere Mitglied des Politbüros der SED, Horst Sindermann. Ohne Zweifel beschwor die Hölle der KZ lebenslange Solidarität und gemeinsame Ziele. In der Vorgeschichte unserer Gesellschaft darf nicht „Die Brücke“ vergessen werden,

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eine Zeitung von deutschen Kriegsgefangenen für deutsche Kriegsgefangene und nicht zuletzt Brücke zwischen Deutschen und Polen. Zwischen Mai 1948 und August 1949 erschienen 15 Ausgaben dieser Zeitung. Diese erreichte 40 000 Leser. Einzelne Exemplare dieser Zeitung sind noch erhalten. Redakteure dieser Zeitung waren Harri Czepuck, der spätere Schriftsteller Hermann Kant, Werner Land, später Redakteur bei der Berliner Zeitung, die allesamt keine Ahnung vom Zeitungmachen hatten, aber Willens waren, eine antifaschistische Volkszeitung zu schaffen. Harri Czepuck gehörte zu den Gründungsmitgliedern der HvGG. In seinem Beitrag zitiert er aus dem ersten Sitzungsprotokoll des Vorstandes „… die allgemeine Unkenntnis über das neue Polen beseitigen zu helfen sowie den wirtschaftlichen und kulturellen Aufbau Polens dem deutschen Volk verständlich zu machen“. Die Menschen in Deutschland sollten „nach Möglichkeit so beeinflusst werden, dass sie schließlich von sich aus am Aufbau des deutsch-polnischen Verhältnisses mithelfen wollen.“ Die Konstituierung einer Gesellschaft im Jahre 1948 mit dem Namen eines deutschen Pazifisten war also Zeichen eines beginnenden anstrengenden Umdenkens im deutschen Volk. Das alles blendet Christian Lotz aus. Er wollte den „Stellenwert der kommunistischen Freundschaftspropaganda“ erforschen. Das Ergebnis seiner Arbeit stand offensichtlich vorher fest, die HvGG als SED-Veranstaltung zu diskreditieren, bemäntelt von Zitaten respektierter Persönlichkeiten. 1950 unterschrieben die Ministerpräsidenten der Regierungen der DDR und der Volksrepublik Polen den Vertrag über die Oder-Neiße-Grenze. Im gleichen Jahr entstand aus der HvGG die Deutsch-polnische Gesellschaft für Frieden und gute Nachbarschaft. 1952 zählte sie 110 200 Mitglieder. Ihre Zeitschrift ‚Blick nach Polen‘ erschien in einer Auflage von 55.000 Exemplaren. Wie war das in Anbetracht des großen Umsiedlungsprozesses möglich? Meine Familiengeschichte soll Beispiel sein. Vater und Mutter waren leidenschaftliche Breslauer. Meine Mutter nahm mich

im Mai 1945 nach Potsdam mit auf den Treck. Sie wollte wieder nach Hause, obwohl sie wusste, dass sie nur noch Trümmer erwarteten. Am Tag, an dem in Forst die Neiße dicht gemacht wurde, entschied sich unser Schicksal. Wir wurden Weißwasseraner. Die Sehnsucht blieb aber auch die neue Realität der Grenze. Und bald sprach sich herum, das Stadt und Land jenseits der Grenze durch eine neue Bevölkerung aufgebaut werden. Von Anbeginn bekamen wir ebenfalls in der Stadt Weißwasser eine dürftige Wohnung und meine Mutter ging zur Arbeit, zunächst um die Spuren des Krieges zu beseitigen. Später traf das auch für den Vater zu. Bei allen Schwierigkeiten, die sowjetischen Besatzungsbehörden und die antifaschistische Verwaltung taten alles zu unserer Integration. Es gab Organisationen wie die Volkssolidarität. So konnten allmählich neue Freundschaften und ein neues Heimatgefühl entstehen. Oft wurde über Breslau gesprochen. Aber uns allen steckten die fruchtbaren Erlebnisse des Krieges und seiner Folgen ‘in den Knochen‘. Frieden als einzige Alternative setzte sich im Bewusstsein fest. Im Jahr 1951 erlernte ich den Beruf des Maurers. Wir hörten vom Wiederaufbau der polnischen Hauptstadt, vom Aufbau der Ost-West-Magistrale (trasa wschód - zachód), hörten von neuen Arbeitsmethoden wie dem legendären Warschauer Tempo. Begeistert fuhren wir als Lehrlinge zu den Weltfestspielen der. Jugend und Studenten. Aufgeregt verfolgten Junge und Alte die Radfernfahrt für den Frieden Warschau - Berlin - Prag. Es ließen sich noch viele Beispiele für ein sich veränderndes Verhältnis nicht. nur gegenüber dem polnischen Volk anführen. Dabei ist klar, dass es sich um einen äußerst widerspruchsvollen Zeitabschnitt handelte. Nach wie vor war das Erbe des Faschismus spürbar. Der Aufbau einer neuen Gesellschaft verlief unter den Bedingungen der offenen Grenze und des vergeblichen Mühens um die demokratische Einheit Deutschlands. Völlig unverständlich verzichtet Christian Lotz in seinem Aufsatz auf die Erwähnung der Kultur- und Informationszentren (KIZ), die ein ganzes Kapitel über die deutschpolnischen Beziehungen wert wären. Es


DISKUSSION POLITIK war ein enges Geflecht von Beziehungen zwischen unseren Ländern entstanden, so dass sich der Wunsch nach Stätten der Begegnung und des Meinungsaustausches Geltung verschaffte. Nach ersten Erfahrungen wurden in einem Protokoll der Regierungen vom 6. Mai 1959 die Tätigkeitsmerkmale für die KIZ in Warschau und Berlin bestimmt, später ergänzt für Kraków und Leipzig: - Durchführung kultureller Veranstaltungen und Gespräche mit Pressevertretern, - Unterhaltung von Leseräumen einschließlich der Ausleihe von Büchern und Nutzung von Presseerzeugnissen - Sprachkurse - Bereitstellung von Büchern, einschließlich Versandhandel, Schallplatten und Artikeln der Volkskunst. Kulturzentrum in Warschau Am 28. August 1957, Goethes Geburtstag, wurde das KIZ der DDR in Warschau eröffnet. In dieser Zeit hatte der Außenminister der VRP Adam Rapacki seinen Plan zur Schaffung einer atomwaffenfreien Zone, zunächst die VRP, die DDR und die BRD umfassend, vorgelegt. Die BRD lehnte ab, u.a. dem Alleinvertretungsanspruch geschuldet. Bei der ersten Veranstaltung erläuterte der Botschafter der DDR, Josef Hegen, das Weißbuch „Der Politik der BRD und die Gefährdung des Friedens durch die Wiederaufrüstung“. Alljährlich am 1. September, dem Weltfriedenstag, fanden Veranstaltungen mit polnischen Widerstandskämpfern und ehemaligen Sachsenhausenhäftlingen statt. 1990, im Jahr als das KIZ seine Pforten schließen musste, wurde ein Forum zur Verfolgung der Hitlerverbrechen durchgeführt und Filme der Dokumentaristen Heynowski und Scheumann gezeigt. Die vielseitige Tätigkeit des KIZ orientierte sich nicht nur auf Warschau und Krakau, sondern war landesweit in den Wojewodschaften von Wrocław, Wrocławek und Gdańsk und im Süden bis Przemyśl und Rzeszów präsent. Eine beliebte Veranstaltungsreihe hieß spotkanie z NRD (Treffen mit der DDR). Es gab Ausstellungen von Büchern; Skulpturen, Musikinstrumenten und Schmuck bis hin zu Spielzeug. Gesprächspartner waren Gesellschaftswissenschaftler genauso wie Bauleute von der Semperoper, Vertreter der Bauakademie die Erfahrungen über Wärmedämmung austauschten oder Repräsentanten der Kunsthochschule Berlin-Weißensee. Eine große Modenschau begeisterte das

Warschauer Publikum. Die Beispiele ließen sich fortsetzen. Der Presseattaché an der Botschaft der BRD Klaus Reiff beklagt im Jahre 1990 eine deutliche DDR-Lastigkeit, bei der Vermittlung deutscher Sprachkenntnisse in Polen. Des Lobes voll über das Angebot von Büchern und Druckerzeugnissen in der DDR war der damalige Präsident des GoetheInstitut von Bismarck, der gern das KIZ besuchte. Über Beziehungen in Betrieben, Schulen und zu den Pfadfindern zu berichten, übersteigt die Möglichkeiten einer Skizze über die Arbeit des KIZ. Nur soviel, die Ökonomen beherrschten schon damals die Gesetze der Marktwirtschaft und die KIZ finanzierten sich selbst. Aber das vereinigte Deutschland schlug, zu eigenem Schaden, dieses Erbe aus, welches nicht zuletzt auf die HvGG zurückging. Im bewegten Herbst des Jahres 1989 traten Aktivisten mit dem Aufruf „Für feste Verbundenheit mit dem polnischen Volk“ an die Öffentlichkeit. Mitbegründer der HvGG und deren Erben wandten sich an die Öffentlichkeit mit der Mahnung nach einem von „gegenseitiger Achtung, Verständnis, Toleranz und Kooperation geprägten Zusammenleben in unserem europäischen Haus“ und dem Appell „... lasst uns die in oft nicht leichtem Ringen gewachsene Freundschaft bewahren.“ Dieser Aufruf führte in erregten Diskussionen im April 1990 zur Gründung des Gesellschaft für gute Nachbarschaft zu Polen. Mitglieder wurden Menschen deren Leben durch Beruf, Studium, künstlerische Interessen mit den Nachbarn verbunden ware und die ein neues Kapitel der Beziehungen zwischen unsere Völker zu schreiben begannen. Trotz aller Bemühungen auch des Polnischen Kulturinstituts in Berlin kam die Zusammenarbeit mit der Deutsch-Polnischen Gesellschaft in Berlin-West nicht zustande. Vom Anbeginn erweist sich der Begriff der „verordneten Freundschaft“ als Vorwegnahme einer politischen Wertung, zugeordnet dem Kampfbegriff ‘Unrechtsstaat DDR‘. Die Gesellschaft für gute Nachbarschaft gehört heute zur DeutschPolnischen Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland e.V., der ältesten Vereinigung dieser Art hierzulande. Alarmierende Gefahren der Spaltung Europas machen heute aus der Analyse deutsch-polnischer Beziehungen neue Initiativen zwingend. Bisher Erreichtes darf nicht einem Macht poker preisgegeben werden.

Karol Szymanowski Karol Szymanowski (1882-1937) war der wichtigste polnische Komponist in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Schöpfer komplexer Symphonik, filigraner Kammermusik und der großen Oper „König Roger“, Bonvivant und Homosexueller, „Nationalkomponist“ und Avantgardist – Szymanowski war eine schillernde Persönlichkeit. Mit dem Buch „Der Verführer. Karol Szymanowski und seine Musik“ legt die Autorin Danuta Gwizdalankas in der Übersetzung von Peter Oliver Loew die erste Szymanowski-Biographie in deutscher Sprache vor. Die Autorin zeigt Szymanowski in verschiedenen Rollen und Situationen. Mit der Familie – als liebender Sohn und fürsorglicher Bruder. Unter Freunden – immer in Erwartung von Interesse und Hilfe. Unter den ihn (vergebens) anhimmelnden Frauen – und im dionysischen Gefolge „wunderbarer Jünglinge“. Diese Porträtgalerie wird ergänzt durch eine Darstellung seiner bedeutendsten Werke sowie eine Beschreibung seines verschlungenen künstlerischen Wegs, auf dem Szymanowski seine Zuhörer vom Wiener Expressionismus über orientalisch inspirierte Sensibilität und in Byzanz wurzelndem Pathos bis hin zu einer Vitalität führte, mit der ihn die Bergbewohner der Tatra angesteckt hatten. Besonders ausführlich kommen die langjährigen Kontakte Szymanowskis nach Deutschland zur Sprache – vom Debüt mit den Berliner Philharmonikern bis hin zur unfreiwilligen Verwicklung in den „Fall Furtwängler“ dreißig Jahre später. Im Hintergrund der Erzählung über den narzisstischen Komponisten, dem die Natur sowohl riesiges Talent als auch Abneigung zur regelmäßigen Arbeit mitgegeben hatte, erstreckt sich das Panorama Europas in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, ein Kontinent der Kriege, Revolutionen und Grenzverschiebungen. Danuta Gwizdalanka, geboren 1955 in Poznan, ist Musikwissenschaftlerin. Zu ihren wichtigsten Veröffentlichungen zählen Biographien der Komponisten Mieczysław Wajnberg und Witold Lutosławski. Danuta Gwizdalanka: Der Verführer. Karol Szymanowski und seine Musik. Übersetzt von Peter Oliver Loew. Wiesbaden: Harrassowitz 2017 (Reihe „Polnische Profile“, Bd. 4). 292 S., Abb., 29,00 Euro

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KULTUR

Drei Generationen in einer Kunstausstellung

Familiärer-Künstlerischer Dialog Album rodzinny in der Galerie der Alten Synagoge Rzeszów Von Scarlett Rybarczyk Falls Kreativität und Kunstfertigkeit vererbbar sind, so wurde das Künstlergen bei den Pisarek´s weitergereicht. Drei Generationen widmen sich der Kunst und beeinflussen sich, ob bewusst oder unbewusst, gegenseitig durch die Inspiration und den Austausch. Zu Ehren des 90. Geburtstags der Künstlerin und „Genträgerin“ Renata NiemirskaPisarek, wurde am 5. Oktober 2017 in Rzeszów die Ausstellung „Album rodzinny“ (Familien-Album), die eine außergewöhnliche Familiengeschichte erzählt, eröffnet. Zu erkennen ist nicht nur ein Dialog zwischen den Künstlern, sondern ein Dialog zwischen den Künsten: Malerei, Zeichnung, Grafik, Fotografie, Skulpturen und Schnitte. Die Ausstellung stellt die Werke und Arbeiten der Künstlerpersönlichkeiten Renata Niemirska-Pisarek, ihrer beiden Söhne Krzystof und Łukasz Pisarek, sowie ihrer zwei Enkelkinder Szymon und Anna Pisarek in ein ganz neues Licht. Zentraler Treffpunkt der künstlerischen Inspiration sind die gemeinsam veranstalteten Mittagessen, wo Familienanekdoten erzählt und Fotoalben gesichtet werden. Die Ausstellung spiegelt diesen Familienbund wieder und lässt einen familiären-

lerei an der Akademie der Künste in Krakau. Sie nahm an zahlreichen nationalen und internationalen Ausstellungen, unter anderem in Berlin und Paris teil und realisierte über 30 individuelle Ausstellungen.

Krzysztof Pisarek

Die Künstlerin wurde für ihre Arbeit mit vielen Preisen ausgezeichnet, beispielsweise dem Preis des Präsidenten der Stadt Rzeszów für ihr gesamtes Lebenswerk.

Die Ausstellung im... Fotos: Krzysztof Pisarek

künstlerischen Dialog entstehen, der die verinnerlichten Erinnerungsorte aufzeigt. Renata Niemirska-Pisarek studierte Ma-

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wieder. Den Betrachter zwingt sie damit liebevoll aber entschieden zur Reflexion. Ein besonderes Projekt der Ausstellung ist die Porträt-Reihe, inspiriert von dem Gemälde „Kazik“ von Renata NiemirskaPisarek. Vom Ursprungsbild angeregt, fertigte Krzysztof Pisarek Fotografien der weiteren Familienmitglieder an. Er arbeitete aufgrund der extremen Nähe zum Original, eine unverkennbare Ähnlichkeit heraus, wodurch beim Betrachter ein Gefühl der Zugehörigkeit, Geschlossenheit und faszinierender familiärer Stärke, ausgelöst wird.

Renata Niemirska-Pisarek versetzt jedes Gemälde mit Narration und gibt nostalgisch, still und metaphorisch die Realität

Krzysztof Pisarek’s Grafik „Ojciec“ (Vater) ist hingegen eine direkte Antwort auf das Gemälde „Portret we wnętrzu“ (Porträt im Inneren) seiner Mutter. Zu sehen ist jeweils Kazimierz Pisarek und Renata im Hintergrund. Man erkennt auf Anhieb die tiefe Verbundenheit des Ehepaares. Das Zitat des Gemäldes spricht über das stillschweigende Verständnis füreinander. Die Antwort des Fotografen bildet eben dieses Verständnis für diese besondere Bindung. Weitere ausgestellte Werke diskutieren das Leitthema Frauenkörper, mit dem sich Renata Niemirska-Pisarek in verschiedenen Phasen ihres Lebens auseinandersetzte. Eine Identitätssuche und ein Kampf um die Akzeptanz der Imperfektion als Idealbild des Frauenkörpers. Die Nacktheit der Frauen, stellt die Reinheit, das Ursprüngliche dar, weshalb die Linolschnitte „Wilki“ (Wölfe) der Grafikerin und Kostümbildnerin Anna Pisarek gegenübergestellt wurden: das Animalische im Menschlichen. Łukasz, Absolvent der Akademie der Künste in Katowice, fügte der Ausstellung zu diesem Leitgedanken seine Aktzeich-


KULTUR

Ausstellung in Peenemünde

nungen hinzu. Diese nehmen einen Dialog zu Renatas Gemälden auf. Eine Konfrontation mit der Reinheit und der Enthüllung des Wahrhaftigen. Weitere Verbindungen konnten durch die Stillleben hergestellt werden: Szymon Pisarek, Absolvent der Filmakademie Lódz, zeigt seine Fotografien des Zyklus „Domator“ (Stubenhocker), die im Austausch zu Fotografien von Krzysztof aus dem Zyklus „Translokacje“ (Translokationen), sowie mit Gemälden von Łukasz und Renata stehen. Es sind allesamt verschieden dargestellte Gegenstände, die aufgrund ihrer Komposition das Alltägliche auf phänomenologische Weise demaskieren. Ein Versuch, zu

erkennen und abzubilden, was wirklich ist. Eine einzigartige Familiengeschichte und eine umso einzigartigere Kunst, die Erinnerungsorte lebendig werden lässt und einen bis dahin verborgenen Dialog zwischen den verschiedenartigen Künstlerpersönlichkeiten enthüllt. Die Ausstellungsstücke wurden in einen neuen Kontext gestellt und erhielten dadurch eine neue Bedeutung. Sie erzählen nun eine Geschichte über Zugehörigkeit und die Stärke des Familienbundes, der sich wie ein roter Faden durch die Ausstellung zieht. Eine ehrenvolle Würdigung der unterstützenden, inspirierenden Groß/-Mutter und einer starken, verblüf fenden Künstlerin.

Eine Sonderausstellung des Museums des Warschauer Aufstandes ist noch bis 7. Januar 2018 im Historisch-Technischen Museum Peenemünde zu sehen. Die Ausstellung dokumentiert den 63 Tage dauernden Aufstand der polnischen Heimatarmee gegen die deutsche Besatzung im Sommer 1944, die systematische Ermordung der Kämpfer und Zivilbevölkerung und die anschließende fast vollständige Zerstörung der Stadt. Sie ordnet diese größte Erhebung gegen das Deutsche Reich im gesamten Zweiten Weltkrieg zudem in die Geschichte Warschaus ab 1918 ein und erzählt den Krieg damit aus polnischer Perspektive. Die Ausstellung richtet sich vor allem an junge Menschen. Mit der Ausstellung dokumentiert das Museum Peenemünde, dass es nicht nur die militärisch-technische Ausstellung der Entstehung der V2-Rakete im Blick hat, sondern, wie auch in der ständigen Ausstellung, die Rolle der Nazi-Ideologie und des verbrecherischen II. Weltkrieges, zu der die V2 einen wesentlichen Beitrag leis ten sollte.

Topf und Söhne Mit großer Resonanz beendete die Internationale Wanderausstellung „Industry and the Holocaust. Topf & Sons – Builders of the Auschwitz Ovens“ des Erinnerungsortes Topf & Söhne am 31. Oktober 2017 ihre siebenmonatige Präsentation im Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau. Über 30.000 Menschen besuchten die Ausstellung, die in einer polnisch-englischen Sprachversion im ehemaligen Stammlager Auschwitz I in der Wäschereibaracke gezeigt wurde. Dazu gehörten zahlreiche Gruppen und Einzelbesuchern sowie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gedenkstätte. Dass es sich bei Topf & Söhne um eine „ganz normale“ deutsche Firma handelte, die zu den SS-Aufträgen nicht gezwungen wurde und sie auch nicht zum ökonomischen Überleben benötigte, war für sie eine neue, interessante Perspektive auf die Geschichte ihres Ortes. Die polnischen Kolleginnen und Kollegen haben den Ansatz in der Erfurter Geschichtskultur, sich kritisch und reflektiert mit seiner ambivalenten Stadtgeschichte auseinanderzusetzen, sehr positiv bewertet. Beson-

Jugendliche der trinationalen Begegnung auf Spurensuche in der Internationalen Wanderausstellung, 2017 Foto: Erinnerungsort Topf & Söhne

ders schätzten sie, dass die Stadt Erfurt sich auch international zu diesem Teil ihrer Geschichte bekennt.

Die Wanderausstellung wird 2018 zuerst im Rathaus Mainz und danach im Stadtmuseum Wiesbaden gezeigt. 

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PRESSESCHAU

- PRESSESCHAU - PRESSESCHAU In deutschen und polnischen Medien entdeckt Schwierig erlangtes Vertrauen Es geht um bis zu 840 Milliarden Euro: Die Regierung in Warschau erhebt Reparationsforderungen an Deutschland - 72 Jahre nach Kriegsende. Keine gute Idee, findet die polnische Bischofskonferenz. Jetzt hat die polnische Bischofskonferenz vor einer „Zerstörung“ des historisch gewachsenen Vertrauens gewarnt. Die Fragen müssten durch eine „vernünftige Diplomatie“ gelöst werden. Das „schwierig erlangte Vertrauen“ solle nicht durch das „Wecken negativer sozialer Emotionen“ belastet werden, mahnten die Bischöfe in einer Erklärung berichtet Spiegel-Online. Der Auslandsdienst des polnischen Rundfunks meldet: In dem Schreiben betonten die Gottesdiener, dass die Worte aus dem Hirtenbrief der polnischen Bischöfe aus dem Jahr 1965 (wir gewähren Vergebung und bitten um Vergebung) „ihre tiefe Wichtigkeit und Aktualität nicht verloren haben.“ Reparationen Die Reparationsansprüche sind eine schwere Belastung für das Verhältnis beider Länder, schreibt die Rzeczpospolita. „Heute sind diese Forderungen eines der beherrschenden Themen in der polnischen Politik und eine schwere Belastung für das Verhältnis beider Länder.“Es zeige sich immer mehr, dass dies der aktuellen Regierung in Polen egal sei. Die Beziehungen zu Deutschland seien für sie nur ein Werkzeug, das man für innere Angelegenheiten verwenden könne. Die Regierung sei bereit, die guten deutsch-polnischen Beziehungen für ein paar Prozentpunkte in den Wählerumfragen aufs Spiel zu setzen. Und nur darum gehe es bei der ganzen Affäre letztendlich. Präsident gegen Minister Ein Ende des Konflikts zwischen Präsident Andrzej Duda und Verteidigungsminister Antoni Macierewicz ist nicht abzusehen, schreibt die Gazeta Wyborcza. In dem Streit geht es um grundlegendes – die zukünftige Form der polnischen Armee und die Frage nach den Kompetenzen des Präsidenten als oberster Befehlshaber. Vorläufiger Höhepunkt des Konfliktes war die Weigerung Dudas, die ihm vom Verteidigungsministerium vorgelegten Generalsnominierungen zu unterschreiben. Bei den Feierlichkeiten zum Tag der polnischen Ar-

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mee warnte der Präsident in einer Ansprache, die polnischen Streitkräfte seien nicht irgendjemandes Privatarmee. Kommentatoren sahen in der Aussage eine Spitze gegen Verteidigungsminister Macierewicz und die von ihm ins Leben gerufenen paramilitärischen Reservistenverbände. Anti-Polnische Seit dem Brexit-Votum vom Juni 2016, bei dem für den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union gestimmt wurde, nahmen die Gewalttaten gegen Bürger der EU drastisch zu, schreibt DIE WELT. Betroffen sind vor allem Polen. Gut 850.000 leben in Großbritannien. Sie arbeiten häufig in Jobs, von denen es heißt, dass die Einheimischen sie nicht übernehmen wollen. Bis zum September 2016 soll es nach Angaben der polnischen Botschaft in London mindestens 27 fremdenfeindliche Übergriffe auf Polen gegeben haben. Jetzt wurde ein damals 15jähriger wegen eines rassistischen Mordes an einem Polen verurteilt. Verärgerung über neue Pässe Die Süddeutsche Zeitung berichtet über ein Projekt der polnischen Regierung, via Internet die Bürger zu befragen, welche Motive in den neuen Polnischen Reisepass aufgenommen werden sollen, um Polen zu repräsentieren: „Nun haben zwei der drei Baudenkmäler für diplomatische Spannungen mit den Nachbarn Ukraine und Litauen gesorgt. Zur Auswahl stehen nämlich ein Tor der litauischen Hauptstadt Vilnius und ein Fragment des Lemberger Friedhofs der sogenannten `Jungen Adler´.“ Strafanzeige Das diesjährige Rockfestival „Haltestelle Woodstock“ im polnischen Grenzort Küstrin, bei dem hunderttausende junge Polen und Deutsche weitgehend friedlich gefeiert haben, hat nun doch noch ein juristisches Nachspiel, meldet die Märkische Oderzeitung. Der Polizeikommandant von Gorzów, Stanislaw Panek, den langjährigen Organisatoren des Festivals, Jurek Owsiak, wegen „vulgärer Äußerungen in der Öffentlichkeit“ angezeigt. Owsiak hatte adressiert an den Innenminister gesagt: „Erzähl mir doch nicht, Kurwa, das hier ein erhöhtes Sicherheitsrisiko besteht. Du lügst, lügst, lügst“ (Kurwa, wörtl: Hure, ist ein in Polen beliebtes Schimpfwort). Der Minister hatte das Festival zur Veranstaltung „mit erhöhtem

Risiko“ erklärt, was zu erhöhter Polizeipräsenz führte. Springer fürchtet um Meinungsmonopol Geht es Deutschlands Mediengiganten in Polen bald an den Kragen? Eine Hexenjagd sei derzeit östlich der Oder im Gange, titelte vor kurzem das Handelsblatt. Man verfolge „die Debatte über die Medienpolitik in Polen sehr genau“, zitierte das Handelsblatt Springerchef Mathias Döpfner, doch sei in letzter Zeit die Rhetorik „der regierungsfreundlichen Medien und der Regierung sehr viel schärfer“ gegenüber den deutschen Zeitungskonzernen geworden. „Somit sieht Döpfner plötzlich seine Meinungsprodukte in Polen selber an den Pranger von einer populistischen Regierung gestellt - um, ganz in SpringerTradition, mit dieser Kampagne Stimmung zu machen für nationalistische und autoritäre Tendenzen. Tatsächlich bedienen sich Polens Rechtspopulisten offensichtlich derselben Methoden, wie sie die Springerpresse gerne seit Jahrzehnten einsetzt,“ kommentiert das Online-Magazin telepolis. Wenn es um „große Reformen“ gehe, dann stehe nun vor der Regierung „die Frage der De-Konzentrierung der Medien“, so Kaczynski. Eine Liste sei in Warschauer Regierungszirkeln im Umlauf, die vor allem deutsche Medienkonzerne umfasse. Hierzu gehört neben dem Axel Springer Verlag, die Verlagsgruppe Bauer Media, der Burda Verlag und die Polska Press der Verlagsgruppe Passau. Neben den deutschen Großverlagen sei auch der regierungskritische Nachrichtensender TVN 24 betroffen, der sich im Eigentum der US-Kapitalgruppe Scripps Networks Interactive befindet, meldete die Gazeta Wyborcza. PiS liegt vorn Nach der berühmten „Sonntagsfrage“ der Meinungsforschungsinstitute liegt die in Polen regierende Partei „Recht und Gerechtigkeit“ PiS laut einer Erhebung des polnischen Meinungsforschungsunternehmens Estymator weiterhin an der Spitze. Sie würde derzeit, so berichtet das OnlineMagazin parlamentarny.pl 38,4% der Stimmen erhalten (Bei der Wahl 2015 waren es 37,6%). Die vorher regierende Bürgerplattform PO käme dabei nur auf 22,3% (2015: 24,1%). Dahinter käme die rechtspopulistische Bewegung Kukiz‘15 mit 10,4% (8,8%) und die liberale Nowoczesna mit 10,2%. Die Bauernpartei PSL würde mit 6,4% und die sozialdemokratische SLD mit 5,2% knapp ins Parlament einziehen. Die grün/ linke Partei Razem würde dabei nur 3,2% erhalten. 


AKTUELL

Elektro-Mietfahrzeuge in Wroclaw

Foto: Klöppel

Modernes Carsharingsystem

Wrocław setzt auf Elektroautos Die bunten Fahrzeuge von Vozilla sind im Stadtbild von Wrocław nicht zu übersehen, aber kaum zu hören. Mit insgesamt 190 Elektroautos vom Typ Nissan Leaf ging der städtische Carsharing-Anbieter Vozilla kürzlich in der Oderstadt an den Start. Es ist das erste derartige Projekt in Polen. Nutzer zahlen nach der Anmeldung einen Betrag von 1 Złoty pro Minute Fahrt (ca. 23 Cent). Die Fahrzeuge können auf allen öffentlichen Parkplätzen im Stadtgebiet gebührenfrei abgestellt werden. Zudem wurden 200 Parkplätze in der

Innenstadt eigens für Vozilla-Fahrzeuge ausgewiesen. Per App oder Website finden Nutzer einen Überblick über die zur Verfügung stehenden Fahrzeuge und die Reichweite. Die Öffnung des Fahrzeugs erfolgt per Handy. Mit den Elektrofahrzeugen können auch einige Busspuren genutzt werden. Um das Tanken kümmert sich der Betreiber des Systems. Schon am ersten Wochenende meldeten sich rund 2.500 Nutzer an. Alle Informationen auch in deutscher Sprache unter www.vozilla.pl 

Die 26. Jahrestagung des Bundesverbandes der lokalen und regionalen Deutsch-Polnischen Gesellschaften fand im November in Potsdam statt. Sie verlief nach einem bewährten Schema. Freitag Abend wurde die Tagung am Sitz des Landesparlaments Brandenburg feierlich eröffnet (Foto). Mit dabei Vertreter des Parlaments und Ministerpräsident von Brandenburg, Dr. Dietmar Woidke sowie der Botschafter der Republik Polen, Prof. Andrzej Przyłębski, Der zweite Tag des Kongresses, in der Universität Potsdam, brachte eine Podiumsdiskussion „Sprachenpolitik im europäischen Kontext“. Workshops zu den Themen Fundrai-

Beilage erscheint wieder Nachdem 2016 die Grenzüberschreitende Zeitungsbeilage „über die Grenzen“ in Szczecin eingestellt wurde, soll sie jetzt mit finanzieller Unterstützung der für die Oder-Partnerschaft zuständigen Berliner Senatsverwaltung wieder monatlich als Beilage zum Kurier Szczecinski erscheinen. Das dauerhafte Erscheinen soll jedoch von der Zustimmung der Leser abhängen. Mehr Info im Internet unter: http://24kurier.pl/uber-die-grenzen  sing, Schnupperkurs Polnisch, Zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit im Bereich Energie sowie der zivilgesellschaftliche Dialog zwischen Deutschen und Polen. Prägte den Nachmittag. Der „Dialog-Preises 2017“ wurde an den österreichischen Journalisten, Schriftsteller und literarischer Übersetzer Martin Pollack verliehen. Die Ansprache dazu hielt Prof. Dr. Rita Süssmuth und die Laudatio Basil Kerski. In einem ausführlilchen Interview sprach der Preisträger über seine Arbeit und über das Verhältnis zu den aktuellen Ereignissen in Polen und Deutschland. Am dritten Tag des Kongresses fand die Jahresversammlung des Bundesverbandes statt. Einstimmig wurde ein Aufruf an die deutsche und polnische Regierung verabschiedet. Der beschlossene Aufruf beginnt mit einem Zitat aus dem Hirtenbrief der polnischen Bischöfe vom September 2017: „Versöhnung ist ein Wert, der leicht verloren werden kann“. 

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KULTUR/TOURISMUS

Eine Miniaturkrippe im Teelöffel sorgte für regen Andrang von Fotografen.

Eine Tradition findet auch Anklang bei den Kindern

75. Krippen-Wettbewerb

kaum Grenzen gesetzt. Es ist ein Stück Volkskunst mit alter Geschichte. Die Tradition geht in das 19. Jahrhundert zurück. Unterbrochen im ersten Weltkrieg wurde 1923 durch das Industriemuseum die Kunst des Krippenbaus wiederbelebt, jedoch nicht so aufwendig und künstlerisch. 1937 gab es einen ersten Wettbewerb, doch der Beginn des Krieges machte dem wieder ein Ende. 1945 wurde der Wettbewerb wieder aufgenommen und wurden immer größer. Über 160 Krippen waren es im letzten Jahr, davon 120 von Kindern und Jugendlichen. Modellbauer oder Familien, Schulen und Kindergärten oder Rehaeinrichtungen, sie alle bauen nicht nur die „Krippen“, sondern sie präsentieren sie jetzt einmal im Jahr auf dem Krakauer Markt, dem Stary

Über 160 Krippen am Mickiewicz-Denkmal ausgestellt Von Karl Forster Weihnachtskrippen sind in christlichen Gegenden nichts Besonderes. Mal ist es eine Hütte, mal eine Höhle und mal ein Stall. Darin die Figuren von Maria und Joseph und in einer Krippe das Jesuskind. Dazu gehören meist noch Ochs und Esel. Wie man sich als mitteleuropäischer Christ die Szenerie in Bethlehem eben so vorstellt. Eine Ausnahme gibt es. Krakauer Krippen (Szopka) sind anders. Auch sie erinnern an die Geburt Jesu. Aber man verbindet das mit mit vielen anderen Elementen. Sie präsentieren die Architektur der wichtigsten,

interessantesten und schönsten Bauwerke der Stadt. Sie tragen meist Türme, die sich an dem höheren Turm der Marienkirche mit dem Turmkranz in Form einer Krone orientieren. Der Helm steht dabei für den Trompeter, der stündlich das Signal vom Turm spielt. Dabnei geht es nicht darum, alles real zu kopieren, sondern die Fantasie walten zu lassen. Unten im Eingang findet man meist die heilige Familie dargestellt, aber auch den Krakauer Drachen oder prominente Persönlichkeiten. Wichtig: Die „Krippe“ muss glänzen, soll die strahlende Kirche darstellen. Dabei sind der Fantasie

Der größte Anteil der ausgestelleten Krippen wurde von Kindern beigesteuert.

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Eine Krippe, komplett aus Nudeln gebaut.

Rynek. Rund um das Denkmal des Nationaldichters Adam Mickiewicz stellen sie am ersten Donnerstag im Dezember ihre Werke zur Besichtigung durch die Bevölkerung, vor allem aber der Jury, die in den unterschiedlichsten Kategorien die Sieger ermittelt. Die besten Werke werden dann von Mitte Dezember bis Ende Februar im historischen Museum der Stadt ausgestellt. Einige besondere Stücke werden vom Museum auch aufgekauft, für spätere Ausstellungen. 7. Dezember 2017: Zum 75. Mal findet der Wettbewerb statt. Ein kalter, aber sonniger Wintertag in Krakau. Es sind wirklich sehr unterschiedliche Werke, die da präsentiert werden. Klassisch werden sie aus Pappe oder Sperrholz gefertigt und dann mit farbigem Stanniolpapier verziert. Manche erinnern dabei an orthodoxe Kirchen mit goldfarbenen Kuppeln, andere kommen


KULTUR/TOURISMUS Krakau, die frühere Königsstadt, die immer noch mit Warschau um die Gunst der wichtigsten Stadt Polens ringt, ist zu jeder Jahreszeit ein empfehlenswertes Reiseziel. Besonders auch im Winter. Wer kann, sollte seinen Reisetermin im neuen Jahr so legen, dass er die Präsentation der Krakauer Krippen inmitten des Weihnachtsmarktes miterleben kann. 

Rund um das Mickiewicz-Denkmal am Rynek werden die Krippen präsentiert.

ganz künstlerisch daher, mit den unterschiedlichsten Figuren. Auch Tod und Teufel gehören dazu. Die wohl kleinste Krippe die an diesem Tag gezeigt wird, ist in einem Teelöffel eingebaut. Eine der größten, rund zwei Meter. Erbaut von Karol. Schon sein Vater hatte besondere Krippen entworfen. Er selbst hat vor dreizehn Jahren mit seiner Krippe begonnen, mit der er jetzt auf einen Preis hofft. Ganz anders Marcin. Er ist Student, kam erst vor zwei Monaten aus Białystok nach Krakau und hat Legosteine für den Bau seiner Krippe benutzt. Gerade einen Monat hat er daran gebaut. Ein anderer wollte zeigen, dass es nicht auf das Material ankommt und hat Nudeln verarbeitet. Die Cannelloni-Röhren (natürlich ungekocht) sehen wie Baumstämme aus, aus denen die Krippe entstand, kleine flache Nudeln dienten als Fußboden. Besonderes Interesse vieler Besucher finden die Kreationen der Kleinsten. Da sind dann beispielsweise die Engel über der Krippe mit Wasserfarben gemalt und ausgeschnitten. Zwei Stunden stehen die Krippen auf den Denkmalstufen. Dann geht es im Prozessionszug zur Bühne neben dem Rathausturm. Dort wird jedes Stück nochmal vorgestellt. Dann heißt es warten. Drei Tage später gibt die Jury die Gewinner bekannt. Das Historische Museum Krakau, hält es für wichtig, die Tradition der besonderen Krippen für die nachfolgenden Generationen zu erhalten. Die Kunstwerke werden nicht nur dort im Museum, sondern auch in Ausstellungen im Ausland präsentiert. Regelmäßig finden solche Ausstellungen auch in Deutschland statt.

Mehr Infos im Internet unter: www.polen.travel; www.krakow.pl www.museums.krakow.travel Die Ergebnisse des Krippenwettbewerbs vom Dezember 2017 finden Sie auf unserer Internetseite: www.polen-und-wir.de Die Recherchereise für diesen Artikel wurde durch das polnische Fremdenverkehrsamt Berlin ermöglicht.

Vorsichtig werden die fragilen Kunstwerke zur Bühne getragen.

Fotos: Karl Forster

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DPAG Pressepost Entgelt bezahlt Verlag Deutsch-Polnische Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland c/o Manfred Feustel Im Freihof 3, 46569 Hünxe

Liebe Leserin, lieber Leser Wenn an dieser Stelle kein Versandetikett klebt, sind Sie vielleicht noch kein Abonnent unserer Zeitschrift. Das sollte sich ändern. Für nur 12 Euro pro Jahr erhalten Sie POLEN und wir frei Haus. Bestellung an nebenstehende Anschrift.

Einladung zu Hauptversammlung und Konferenz

WAS IST LOS IN POLEN?

Informations- und Diskussionsveranstaltung zur aktuellen Entwicklung in unserem Nachbarland. Referent: Reinhard Lauterbach, Journalist

Samstag, 3. März 2018 10.30h bis 12.00h

Haus der Demokratie und Menschenrechte, Greifswalder Straße 4, 10405 Berlin (Tramlinie M4 ab Alexanderplatz bis „Am Friedrichshain“) „70. Jahrestag der Gründung der Hellmut-von-Gerlach-Gesellschaft“

Hauptversammlung

der Deutsch-polnischen Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland e.V. Mit Rechenschaftsbericht des Vorstandes, Aussprache, Anträge, Wahlen.

Samstag, 3. März 2018 Beginn 13.00h

Haus der Demokratie und Menschenrechte, Greifswalder Straße 4, 10405 Berlin (Tramlinie M4 ab Alexanderplatz bis „Am Friedrichshain“)

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