KOLT #34

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„Es herrscht eine Jömmerli-Stimmung“ Nathalie Papatzikakis, 28, betreibt seit Anfang 2010 das Kulturlokal Coq d’Or. Ihr Anspruch: den Gästen etwas zu bieten, das diese in Zürich nicht kriegen. Und: Bald gibts auch einen Coq-d'Or-Kulturverein.

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ie geht’s dem Oltner Nachtleben? Es tümpelt vor sich hin, ist ein bisschen hoffnungslos. Im Coq d’Or wollen wir uns aber nicht von dieser Stimmung anstecken lassen. Wir glauben daran, dass diese Stadt ein tolles Publikum hat, das sich begeistern lässt. Unser Anspruch muss es sein, etwas zu bieten, dass die Oltner in anderen Städten nicht kriegen. Damit die Leute hier bleiben. Was kann das sein? Das familiäre, Olten-typische. Das gibt’s in Zürich nicht. Olten-typisch? Es ist Olten-typisch, dass Prestige unwichtig ist. Hier wird man danach beurteilt, wie man wirklich ist, und nicht nach Kleidern, Ausbildung oder Job. Das prägt auch die Atmosphäre im Coq d’Or. In unserer „Familie“ wird jeder aufgenommen, der ein toller, angenehmer Mensch ist. Damit ein Laden wie das Coq in Zürich funktioniert, brauchst du entweder mit den Trends zu gehen oder eine extreme Nische zu bedienen. Ich möchte aber keinen Hipster-Laden, das ist mir zu kurzzeitig.

Sie planen also längerfristig mit Ihrem Lokal? Ja. Aber sicher mit ständigem Wandel, wie wir jetzt gerade einen durchmachen. Unser neues Konzept läuft unter dem Slogan „Kultur für Nachtschwärmer“ und sagt dem Kommerz den Kampf an, der sich zuvor langsam hier eingeschlichen hatte. Plötzlich kam jeder hierher und wenn jeder kommt, wird das Lokal hundskommun. Wir setzen auf eine alternative Programmation und wollen vermehrt Kultur- und nicht Sauflokal sein. Uns geht’s um die Sache, nicht um Profit. In dem Kontext planen wir auch, bis Ende Jahr einen Kulturverein zu gründen. So dass künftig alle kulturellen Anlässe, die hier drin stattfinden, über den Verein laufen, bei dem die Leute auch Mitglied und aktiv werden können.

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Ihr hattet mit Lärmklagen zu kämpfen. Wie schaut die Situation zurzeit aus? Es ist schon zermürbend, zu wissen, dass ein einzelner Nachbar im Stand ist, immer und immer wieder die Polizei vorbeizuschicken. Ausserdem schmerzt es finanziell, wenn fast jede Woche eine Busse ins Haus flattert, das kostet jedes Mal 250 bis 350 Franken. Und das alles wegen der immer gleichen Person. Es kam auch vereinzelt vor, dass sonst jemanden reklamiert hat, aber dann wars auch wirklich zu laut, da hatten wir die Busse verdient. Es ist aber nicht so, dass uns eine Schliessung angedroht wurde. Steht die Stadt aber auf Eurer Seite? Ja, die stehen voll auf unserer Seite und unterstützen uns. Ich finde es auch zu einfach, der Stadt mangelnde Offenheit vorzuwerfen: Wie ich das mitgekriegt habe, erhält die Stadt gar keine konkreten Anfragen für neue Projekte oder Lokale. Ich habe generell das Gefühl, dass eine „Jömmerli“-Stimmung herrscht im Moment. Alle jammern, dass nichts läuft und nichts passiert, aber keiner tut was! Ich sehe jedenfalls Potential: Zum Beispiel für ein neues Konzertlokal, wo auch grössere Bands auftreten könnten.

"Es ist viertel vor vier und wir wollen noch mehr entdecken".

zenden After-Hour-Publikum. Wir steigen mit der Rolltreppe hoch in die Dunkelheit. Nach dem vergeblichen Versuch eine U-Bahn zu finden haben wir definitiv Lust auf Grossstadt und tauchen kurz in die Manhattan Bar ab, von der uns vor allem die Spannteppiche in Erinnerung geblieben sind. Anschliessend befinden wir uns in einer Unterführung in der noch viel in Bewegung ist. In der Bar 97, die einem Zumba Tanzstudio ähnelt, tanzen graziöse Damen vor verspiegelten Wänden und schauen ihren eigenen Bewegungen zu. Sogar der Türsteher wird bezirzt und spontan in einen Schlangentanz involviert. Hüftsteif und erschöpft sitzen wir auf den Barhockern und hoffen, dass uns niemand zum Tanz auffordert. Erst als der Barchef bemerkt, dass wir von der Manhattan Bar kommen, in der er sich vorher, gleichzeitig wie wir, aufgehalten hat, werden wir mit rosaroten Shots beschenkt. Unsere Augenlider auf Halbmast beginnen wieder aktiv zu werden und die Lust nach salzigem Essen kommt langsam auf. Wir machten kehrt und Olten sei Dank, schon nach wenigen Minuten stehen wir vor einer gutgelaunten Beckersfrau und kaufen grossartiges Picknick für die Zugfahrt ein. Wir sind eifersüchtig auf die Frische, die sie ausstrahlt. Unsere Zeit ist definitiv

»HÜFTSTEIF UND ERSCHÖPFT SITZEN WIR AUF DEN BARHOCKERN UND HOFFEN, DASS UNS NIEMAND ZUM TANZ AUFFORDERT.« abgelaufen, der erste Zug wollen wir nicht verpassen und zum ersten Mal in dieser Nacht scheint uns die Distanz zurück zum Bahnhof lang. Olten ist mehr als eine Beiz, Olten hat ein Leben in der Nacht. Die Oltner ziehen nachts von Bar zu Bar. Überhaupt sind sie mobil. Aus Gesprächen zeigt sich, dass die meisten auch im Zürcher, Luzerner, Basler oder Berner Nachtleben bewandert sind. Es ist wohl der Grund dafür, dass es nirgends ein riesiges Menschengetümmel mit Tumult und Gedränge gibt. Szenebars existieren nicht, uns fällt eine spannende Mischung von

Oktober 2012

KOLT


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