Heimspiel

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Anstoß zur Gewaltfreiheit Mitternachtssport – Ein Kölner Projekt holt

Jugendliche von der Straße in die Sporthalle Niklas Zehbe „Taner, lass mal eine Mannequin Challenge machen!“, schlägt einer der Jugendlichen vor. Der Herausforderung, in der aktuellen Position zu verharren, während Übungsleiter Taner Erdener (37) das Standbild filmt, stellt sich nicht jeder. Manche warten ungeduldig darauf, dass es weitergeht. Andere wiederum verlassen den Film-Radius ihres Betreuers. „Das sind kleine Al-Capones“, scherzt der zweite Übungsleiter Karl-Heinz Pünder (59). „Kameras werden hier nur ungern gesehen.“ Erdener und Pünder betreuen seit 2008 ein Fußballangebot des Kölner Mitternachtssports im Stadtteil Chorweiler. In einem Bezirk, der mit einer Jugendarbeitslosigkeit von 10,3 Prozent (Stand: 2014) zu kämpfen hat, geht es jeden Freitag von 22.00 bis 00.00 Uhr in der Sporthalle der Heinrich-Böll-Gesamtschule darum, den Jugendlichen durch Sport einen Ausgleich zum oftmals bedrückenden Alltag zu schaffen. Erdener, der selber in Chorweiler aufgewachsen ist, kennt die Probleme, mit denen Jugendliche es hier zu tun bekommen. Neben seinem Engagement beim Mitternachtssport unterstützt er als Streetworker seine Zielgruppe bei Justizangelegenheiten, bei der Suchtbekämpfung oder bei der Wohnungssuche. Der Übungsleiter tritt selbstbewusst auf, er ist überzeugt von seiner Arbeit, möchte aber kein Vorbild für die Jugendlichen sein. „Die Jungs sollen niemandem nacheifern, sondern sich selbst verwirklichen“, sagt er und verweist

auf die Trikots der Teilnehmer, auf denen die Namen von Fußballstars wie Messi oder Ronaldo keinen Platz finden. Auch der ehemalige BasketballBundesligaschiedsrichter Karl-Heinz Pünder, von allen nur „Kalle“ genannt, kennt die sozialen Verhältnisse im Bezirk. „Chorweiler hat einen schlechten Ruf, daher werden die Jungs oftmals von vornherein abgestempelt.“ Hier beim Mitter-

nachtssport werde ihnen eine Wertschätzung entgegengebracht, die sie so aus ihrem Umfeld nicht gewohnt sind. Der 17-jährige Yasar Dumam, der gerade sein Fachabitur im Bereich Wirtschaft und Verwaltung macht, findet die Vorurteile gegen seinen Wohnort ungerechtfertigt: „Chorweiler hat Ressourcen. Wir sind die Ressourcen!“ Chorweiler ist mit fünf Angeboten eine Hochburg des Mitter-

nachtssports, der seinen Ursprung in Köln hat und immer mehr Nachahmer in ganz Deutschland findet. Auch prominente Unterstützer wie Fußballnationalspieler Jerome Boateng, das Gesicht des Berliner Mitternachtssports, helfen dabei, das Projekt voranzutreiben. Insgesamt gibt es in den neun Kölner Bezirken 20 Standorte, an denen Mitternachtssport angeboten wird. Als gewaltpräventive Maßnahme liegt der Fokus bei der Auswahl auf sozialen Brennpunkten. Die Wahl des Zeitpunktes begründet Projektleiter Tobias Dompke von der Sportjugend Köln so: „Der Freitagabend ist eine Zeit, in der nur wenig angeboten wird und die Jugendlichen sich gerne auf der Straße aufhalten und auch mal Quatsch machen.“ Um einen Zugriff auf die Jugendlichen zu bekommen und ihnen eine Anlaufstelle zu bieten, überarbeitete die Sportjugend Köln im Jahr 2008 das seit 1995 bestehende Konzept. Seitdem wird das Projekt in Kooperation mit dem städtischen Sportamt und weiteren Partnern wie Jugendeinrichtungen, Sportvereinen und der

Polizei angeboten und von der Stadt finanziell unterstützt. 2015 wurde es aufgrund seines Erfolges von der FDP mit dem Friedrich-Jacobs-Preis ausgezeichnet. Dadurch, dass sich potentiell kriminelle Jugendliche und junge Erwachsene nachts zum Sporttreiben treffen, gibt es in diesen Zeiträumen weniger Polizeieinsätze. Das Projekt ist sogar so erfolgreich, dass die Stadt Köln ihre jährliche Förderzahlung jüngst auf 129.000 Euro erhöhte. Das Geld wird dringend benötigt, um das vielfältige Angebot, welches neben dem Fußball auch Boxen, Basketball und Tanzen für männliche und weibliche Teilnehmer im Alter zwischen 16 und 27 Jahren umfasst, aufrecht zu erhalten. Auch Erweiterungen des Programms stehen auf Dompkes To-Do-Liste. Neben einem weiteren Standort im Stadtteil Meschenich ist die Austragung eines stadtweiten Turniers der Fußballangebote des Mitternachtssports in Planung. „Wir haben eine Regel: Bei einem Foul klären die Jungs untereinander, wer Ballbesitz hat.“ –Taner Erdener Erfreut ist Dompke darüber, dass die Integration der Jugendlichen in die Gemeinschaft in den meisten Fällen gelingt. „Die Teilnehmer werden schnell zu einer Gruppe. Da kommt es schon mal vor, dass einer Geburtstag hat und alle mitfeiern.“ Im Gegensatz dazu seien Konflikte zwischen Spielern, die über Wortgefechte hinausgehen, eine Seltenheit. Nur einmal ist es zu einem dauerhaften Ausschluss eines Jugendlichen gekommen. Das sei aber nicht die Regel, versichert Dompke. In Chorweiler geht dieser Zusammenhalt sogar soweit, dass es nicht mal mehr einen Schiedsrichter braucht. „Wir haben eine Regel“, erklärt Erdener, „bei einem Foul klären die Jungs untereinander, wer Ballbesitz hat.“ Die Teilnehmer halten sich daran. Würden sie es nicht tun, müssten sie mit den Konsequenzen leben. Sie müssten sich freitagabends eine neue Beschäftigung suchen. Und das will keiner der Anwesenden.

„Auf dem Platz weiß jeder, worum es geht“ Flüchtlinge schließen sich zu Team H.O.P.E. zusammen

Julian Wessel Die Spieler feiern ausgelassen in der Kabine, aus dem Duschraum klingen arabische Lieder. Was sich nach einer Aufstiegsfeier anhört, ist bei der Jugendmannschaft „Team H.O.P.E.“ auch nach dem Training normal. Während Fadi, einer der Spieler, seine Fußballschuhe auszieht, sagt er grinsend: „Die singen oft arabisch in der Kabine. Ich verstehe auch nichts, aber die Stimmung ist bei uns immer gut“. „Die Spieler können sich beim Fußballspielen auspowern und ihren harten Alltag in einem fremden Land vergessen“, sagt Initiator und Spielertrainer Benjamin Meßner. Der frühere Leiter der Initiative Mitternachtssport, einem Angebot für jugendliche in sozialen Brennpunkten Kölns, hat die Flüchtlinge zum Fußball gebracht. Erst in einer kleinen Halle, als es dann zu eng wurde, draußen auf dem Platz. Das Angebot hat sich schnell herumgesprochen. „Von Treffen zu Treffen kamen immer

mehr Flüchtlinge.“ Meßner begann, erste Freundschaftsspiele zu organisieren. Zugleich entstand über den gemeinsamen Sport ein Vertrauensverhältnis zu den Flüchtlingen. “Die Spieler kommen zu mir, wenn sie Fragen oder Probleme haben”, sagt Meßner. „Und davon gibt es reichlich.“ Die Flüchtlinge, ist Meßner überzeugt, benötigen viel mehr Hilfe bei ihren täglichen Herausforderungen in einem fremden Land. Im Mai 2015 rief Benjamin Meßner dann die Mannschaft „Team H.O.P.E.“ mit knapp 20 Spielern ins Leben. Das Kürzel steht für Help, Opportunity, Peace und Empathy. Mittlerweile gibt es auch eine Jugendmannschaft, die als Team H.O.P.E. in der A-Jugend spielt. Meßner und seine Vereinskollegen helfen den Spielern auch bei der Suche nach Jobs oder Ausbildungsplätzen. Die Mannschaften werden so zum Netzwerk. „Vernetzt sind die Spieler untereinander gut – trotz

unterschiedlicher Herkunft und Sprache“, sagt der Übungsleiter. Auf dem Platz treffen sich viele NationenSyrer, Nigerianer, Iraner, Bosnier, Ghanaer, Marokkaner und Deutsche. Aber „auf dem Platz ist die Kommunikation einfach, jeder weiß, worum es geht“, sagt Meßner. Die Spieler verständigen sich auf Arabisch, Deutsch und Englisch. Jugendtrainer Rachid gibt viele arabische Anweisungen, die dann entweder er selber oder ein Spieler ins Deutsche übersetzt. Seit dem Sommer 2015 werden die Spieler des ersten H.O.P.E.-Teams von der Rheinflanke betreut, einem gemeinnützigen Träger für Flüchtlingsarbeit. Inzwischen kümmern sich die Mitarbeiter der „Rheinflanke“ auch um die Jugendmannschaft. Die Hilfsorganisation stellt den Spielern geschulte Lotsen zur Seite, die beispielsweise bei Arztund Behördengängen helfen oder Sprachkurse und Praktika vermitteln. Weiterhin stehen sie im engen

Kontakt zum Jobcenter und helfen beim Bewerbungsprozess. Mittlerweile sind erste Erfolge sichtbar, etwa beim 29-jährigen Aras Rachid aus Aleppo. Mit einem Tennisschläger als Hoffnungsschimmer und seiner schwangeren Frau flüchtete er zu Fuß bis in die Türkei. In Bulgarien brachte sie dann einen gesunden Sohn zur Welt. Heute ist er in der deutschen Gesellschaft fest integriert und trainiert die Jugendmannschaft von Team H.O.P.E. „Sie sind stolz auf ihre eigenen Fußballschuhe und schätzen das, was sie haben.“ –Benjamin Meßner Als besonders empfindet Initiator Benjamin Meßner vor allem die Stimmung: „Die Spieler kommen immer mit guter Laune zum Training.“ Wenn dann noch ein Spieler eine arabische Speise wie Baklava, ein mit Nüssen gefülltes Gebäck

aus Blätterteig, für die Mannschaft mitbringt, seien alle wunschlos glücklich. Ab und zu schauen auch die Sponsoren des Projektes, Fußballspieler Lukas Podolski und Kommentator Tom Bartels vorbei und werden von den Spielern begeistert empfangen. Meßner organisiert noch weitere Sport- und Freizeitangebote, darunter ein gemeinsames Weihnachtsessen, eine Reise zum Bundestag in Berlin und ein Eishockeytraining bei den Kölner Haien. Wenn dann allerdings doch Fußball auf dem Plan steht, ist das Putzen der Fußballschuhe nach dem Training noch wichtiger als die Party in der Kabine. Anders als Spielertrainer Meßner, der seine Fußballschuhe schon mal vernachlässigt, säubern die Spieler ihre Schuhe nach jedem Einsatz gründlich. „Sie sind stolz auf ihre eigenen Fußballschuhe und schätzen das, was sie haben“, sagt Meßner.

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